Entscheidungsdatum
23.07.2018Norm
BEinstG §14Spruch
W200 2190279-1/3E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Scherz als Vorsitzende und durch den Richter Dr. Kuzminski als Beisitzer sowie die fachkundige Laienrichterin Mag. Pinter als Beisitzerin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 12.03.2018, OB:
25118976900017 über die Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf Feststellung der Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten, zu Recht beschlossen:
A) In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtenen Bescheid
gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Wien, zurückverwiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang
Erstverfahren:
Die Beschwerdeführerin stellte im Jahr 2004 beim Bundessozialamt einen Antrag auf Feststellung der Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten, der mit Bescheid der Bundesberufungskommission vom 06.12.2005 mangels Vorliegen der Voraussetzungen abgewiesen wurde. Der Grad der Behinderung betrug 30vH.
Zweitverfahren:
Die Beschwerdeführerin stellte am 21.09.2017 beim Sozialministeriumservice den verfahrensgegenständlichen Antrag auf Feststellung der Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten.
Begründend verwies sie darauf, dass sie an Urgeinkontinenz, einer neurogenen Blasenentleerungsstörung, einer chronisch rezidivierenden Harnblasenentzündung, Depressionen und einen Bandscheibenvorfall leide.
Angeschlossen waren ein Konvolut von medizinischen Unterlagen, darunter ein urologischer Befund eines Facharztes für Urologie vom 29.03.2016, ein Entlassungsbericht vom 28.05.2016 des Hanuschkrankenhauses, urolog. Abteilung, samt Uricult Pathologiebefund - mikrobioloigsches Gutachten und Diagnose, Auszug einer Ambulanzkarte der neurologischen Ambulanz des Sanatorium Hera vom 21.03.2017, sowie ein ärztliches Attest des behandelnden Hausarztes vom 15.03.2017.
Die belangte Behörde holte je ein Sachverständigengutachten eines Facharztes für HNO-Heilkunde und eines Arztes für Allgemeinmedizin ein. Im allgemeinmedizinischen Gutachten wird unter "Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe)" eine Bestätigung der Psychotherapeutin Dr. XXXX vom 28. Nov. 2017 über eine wöchentliche psychoanalytisch orientierte Psychotherapie mit den Diagnosen "rez. depressive Störung, Anpassungsstörung, Angst- und Depressionen" angeführt. Diese liegt in dem dem BVwG vorliegenden Akt nicht auf.
Im zusammenfassenden Gutachten vom 01.02.2018 wurde ein Gesamtgrad der Behinderung in der Höhe von 40vH festgestellt (Leiden 1:
rezidivierende Harnblasenentzündung infolge neurogener Blasenstörung sowie rezidivierende Urgeinkontinenz, (...), Pos.Nr. 08.01.04; 30%;
Leiden 2: rez. Depressionen (...), Pos.Nr. 03.06.01; 30%; Leiden 3:
posttraumatische Funktionseinschränkung beider Sprunggelenke, (...), Pos.Nr. 02.05.33; 30%; Leiden 4: Hörstörung rechts (...), Pos.Nr.12.02.01; 10%; Leiden 5: deg. Wirbelsäulenveränderungen (...), Pos.Nr. 02.01.01; 10%; Leiden 6: Tinnitus rechts, (...), Pos.Nr. 12.02.02; 10% ). Zum Mitgräneleiden wurde ausgeführt, dass dieses nicht ausführlich durch Befunde dokumentiert sei.
Mit Bescheid vom 12.02.2018 wies das Sozialministeriumservice den Antrag vom 21.09.2017 ab. Begründend wurde auf das eingeholte Gutachten verwiesen.
Die Beschwerdeführerin hat fristgerecht gegen diesen Bescheid Beschwerde erhoben und verwies auf ihr komplexes urologisches Krankheitsbild, das die Heranziehung eines Facharztes für Urologie zur Gutachtenserstellung notwendig machen würde. Die Depressionen würden durch das urologische Leiden verursacht werden.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Gemäß § 19b Abs. 1 BEinstG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht in Verfahren über Beschwerden in Rechtssachen in den Angelegenheiten des § 14 Abs. 2 durch den Senat.
Gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, sofern die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat.
Der Verwaltungsgerichtshof hat wiederholt hervorgehoben (vgl etwa das hg. Erkenntnis vom 10. September 2014, Ra 2014/08/0005), dass selbst Bescheide, die in der Begründung dürftig sind, keine Zurückverweisung der Sache rechtfertigen, wenn brauchbare Ermittlungsergebnisse vorliegen, die im Zusammenhalt mit einer allenfalls durchzuführenden Verhandlung (§ 24 VwGVG) zu vervollständigen sind.
Der Umstand, dass gegebenenfalls (punktuelle) ergänzende Einvernahmen durchzuführen wären, rechtfertigt nicht die Zurückverweisung; vielmehr wären diese Einvernahmen, sollten sie wirklich erforderlich sein, vom Verwaltungsgericht - zweckmäßigerweise im Rahmen einer mündlichen Verhandlung - durchzuführen. (Ra 2015/08/0178 vom 27.01.2016)
In § 28 VwGVG 2014 ist ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte normiert, weswegen die in § 28 Abs 3 zweiter Satz leg cit vorgesehene Möglichkeit der Kassation eines verwaltungsbehördlichen Bescheides streng auf ihren gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken ist (Hinweis E vom 17. Dezember 2014, Ro 2014/03/0066, mwN). Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden (Hinweis E vom 27. Jänner 2015, Ra 2014/22/0087, mwN). Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (Hinweis E vom 12. November 2014, Ra 2014/20/0029, mwN). (Ra 2015/01/0123 vom 06.07.2016).
Wie im Verfahrensgang ausgeführt hat die Beschwerdeführerin diverse urologische Unterlagen vorgelegt, muss mehrmals pro Woche eine Selbstkatheterisierung wegen vermehrten Restharn durchführen. Die dem Allgemeinmediziner vorliegenden Unterlagen zu Leiden 2 sind dem dem BVwG vorliegenden Akt nicht zu entnehmen.
Die belangte Behörde hat es unterlassen ein in diesem Fall dringend gebotenes urologisches fachärztliches Gutachten - basierend auf einer Untersuchung und den vorgelegten Unterlagen - gegebenenfalls im Wege der Amtshilfe - einzuholen und darüber hinaus ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten einzuholen und darauf basierend entsprechende Feststellungen und eine Entscheidung zu treffen.
Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes erfolgte die Entscheidung über die Höhe des Gesamtgrades der Behinderung und in weiterer Folge über die Nicht-Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten ohne hinreichende Ermittlungstätigkeiten bzw. hat das SMS bloß ansatzweise Ermittlungen getätigt bzw. wurde versucht, diese an das BVwG zu überwälzen.
Im weiteren Verfahren wird daher sowohl eine psychiatrisch - neurologische und eine urologische Untersuchung der Beschwerdeführerin durchzuführen sein und auf deren Basis sowie auch unter Zugrundelegung sämtlicher vorgelegter medizinischer Unterlagen die Erstellung eines psychiatrisch - neurologischen und eines urologischen Gutachtens und in weiterer Folge eine Zusammenfassung der Gutachten erfolgen zu haben.
Diese Gutachten sind dem Parteiengehör zu unterziehen und in weiterer Folge hat das SMS über den verfahrensgegenständlichen Antrag abzusprechen.
Zu Spruchpunkt B):
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist zu begründen.
Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Ermittlungspflicht, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W200.2190279.1.00Zuletzt aktualisiert am
27.07.2018