Entscheidungsdatum
16.07.2018Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W158 2187306-1/2E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Dr. Yoko KUROKI-HASENÖHRL als Einzelrichterin über die Beschwerde des mj. XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gesetzlich vertreten durch das Land Steiermark als Kinder- und Jugendhilfeträger, dieses vertreten durch die Bezirkshauptmannschaft Graz-Umgebung, diese vertreten durch die Caritas der Diözese Graz Seckau, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX :
A)
Der angefochtene Bescheid wird gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang und unstrittiger Sachverhalt:
I.1. Der minderjährige Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein Staatsangehöriger Afghanistans reiste in das Bundesgebiet ein und stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.
I.2. Am darauffolgenden Tag wurde der BF durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Landespolizeidirektion Salzburg niederschriftlich erstbefragt. Dabei gab er unter anderem an, am XXXX in Ghazni geboren worden zu sein und der Volksgruppe der Hazara und der Glaubensgemeinschaft der Schiiten anzugehören. Befragt nach seinen Fluchtgründen führte der BF aus, er habe in Afghanistan keine Sicherheit. Aufgrund des Krieges habe er sich nicht frei bewegen können. Zudem habe er in der Nacht immer Wache halten müssen. Die Gefahr sei von den Taliban und ISIS ausgegangen.
I.3. Am XXXX zeigte die im Spruch genannte Vertretung ihre Bevollmächtigung an.
I.4. Am XXXX wurde der BF von der zur Entscheidung berufenen Organwalterin des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) und in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari, seiner rechtlichen Vertretung und einer Vertrauensperson niederschriftlich einvernommen. Der BF wurde dabei u. a. zu seinem Gesundheitszustand, seiner Identität, seinen Lebensumständen in Afghanistan, seinen Familienangehörigen und seinen Lebensumständen in Österreich befragt. Befragt zu seiner familiären Situation gab er an, dass sich seine Familie nach wie vor in seinem Heimatdorf befinde und dort vom Einkommen seines Bruders leben würde. Zudem verfüge er über drei Tanten in Kabul. Nähere Fragen zur (finanziellen) Situation der Tanten wurden dem BF nicht gestellt. Nach den Gründen befragt, die den BF bewogen, seine Heimat zu verlassen, gab dieser an, er habe sein Land aus Sicherheitsgründen verlassen. In Afghanistan sei es gefährlich zu leben, da die Taliban viele Leute töten würden. Die Taliban seien nachts auch im Dorf des BF unterwegs, weswegen das Dorf einen Wachdienst eingerichtet habe, den auch der BF ausführen habe müssen. Nähere Fragen zum Wachdienst wurden dem BF nicht gestellt.
Als Beilage zur Niederschrift wurden diverse Integrationsunterlagen genommen.
I.5. Am XXXX langte eine Stellungnahme der gesetzlichen Vertretung ein, in der ausgeführt wird, das Vorbringen des BF sei glaubhaft. Er sei daher aufgrund (unterstellter) politischer Gesinnung von den Taliban verfolgt und es sei ihm daher Asyl zu gewähren. Jedenfalls sei ihm aufgrund der Sicherheitslage und mangels familiären Netzes in Kabul subsidiärer Schutz zu gewähren, zumal es sich beim BF um einen unbegleiteten Minderjährigen handle. Dabei sei insbesondere auch zu bedenken, dass es sich beim BF um einen schiitischen Hazara handle. Eine innerstaatliche Fluchtalternative sei zu verneinen.
I.6. Mit Bescheid vom XXXX , dem gesetzlichen Vertreter am XXXX zugestellt, wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF nicht erteilt (Spruchpunkt III.), eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass die Abschiebung zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).
Begründend führte das BFA zu Spruchpunkt I. aus, dass der BF von seinem Vater nach Europa geschickt worden sei, um dem Wachdienst gegen die Taliban zu entgehen. Der BF sei allerdings nie persönlich bedroht worden und er nehme auch keine exponierte Stellung in seinem Dorf ein, sodass keine asylrelevante Verfolgung vorliege, da die Weigerung den Wachdienst zu leisten keine Verfolgung durch die Dorfbewohner zur Folge hätte. Dem BF sei eine Rückkehr in seine Heimatprovinz zwar nicht zuzumuten, allerdings stehe ihm eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul offen, zumal er über drei Tanten in Kabul verfüge und auch finanziell durch seine Familie unterstützt werden könne. Ebenfalls verfüge er über eine Schulbildung, sodass der BF trotz fehlender Berufsausbildung nicht in eine existenzielle Notlage geraten würde, zumal sich der BF bereits in einem fortgeschrittenen Stadium seiner Jugend befinde. Gemäß § 57 AsylG sei auch eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz nicht zu erteilen, weil die Voraussetzungen nicht vorlägen. Hinsichtlich Art. 8 EMRK führte das BFA eine Abwägung durch und kam dabei zum Schluss, dass eine Rückkehrentscheidung zulässig sei. Im Falle der Durchsetzbarkeit der Rückkehrentscheidung sowie bei Vorliegen der in § 46 Abs. 1 Z 1 bis 4 FPG genannten Voraussetzungen sei seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig.
I.7. Mit Verfahrensanordnung vom XXXX wurde dem BF amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.
I.8. Am XXXX erhob der BF durch seine gesetzliche Vertretung Beschwerde in vollem Umfang wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften sowie Rechtswidrigkeit des Inhalts. Es wurde beantragt, eine mündliche Verhandlung anzuberaumen; dem BF den Status des Asylberechtigten zuzuerkennen; in eventu dem BF den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu gewähren; in eventu die Rückkehrentscheidung für auf Dauer unzulässig zu erklären und dem BF einen Aufenthaltstitel zu erteilen; in eventu die Abschiebung für unzulässig zu erklären; in eventu den angefochtenen Bescheid aufzuheben und das BFA zurückzuverweisen.
Es seien in Bezug auf die Beweiswürdigung und die Ermittlungspflicht schwerwiegende Fehler passiert und die Behörde habe Willkür geübt. Der BF sei durch den abgeleisteten Wachdienst, um die Taliban an der Eroberung des Dorfes zu hindern, für seine gegenüber den Taliban gegenteiligen politischen und religiösen Werte eingetreten. Wie die Behörde zu einem anderen Schluss kam, sei insbesondere vor dem Hintergrund, dass sie die Aussage des BF als glaubhaft beurteilte, nicht nachvollziehbar. Zudem wurde auf die Lage von Hazara und Schiiten verwiesen, woraus die Beschwerde schlussfolgerte, dass der BF auch deswegen einer asylrelevanten Verfolgung unterliege.
Entgegen der Ansicht des BFA sei auch eine Unterstützung durch seine in Kabul lebenden Tanten nicht möglich, da nur Onkel väterlicherseits Verantwortung zu übernehmen haben. Zudem habe sich das BFA auch nicht mit der tatsächlichen Lage der Tante, insbesondere zur familiären und finanziellen Situation, auseinandergesetzt. Der BF wäre bei einer Rückkehr nach Kabul einer realen Gefahr einer Verletzung seiner Rechte nach Art. 2, 3 EMRK ausgesetzt. Ihm wäre daher zumindest subsidiärer Schutz zuzuerkennen.
I.9. Am XXXX langte der gegenständliche Verwaltungsakt beim Bundesverwaltungsgericht ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
II.1. Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG entscheiden die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.
Gemäß § 6 BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 idF BGBl. I Nr. 50/2016, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist, was gegenständlich nicht der Fall ist.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 24/2017 (im Folgenden: VwGVG), geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 1 leg.cit. trat dieses Bundesgesetz mit 1. Jänner 2014 in Kraft. Gemäß § 58 Abs. 2 leg.cit. bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
II.2. Zum Spruchpunkt A):
II.2.1. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Nach § 28 Abs. 2 leg.cit. hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen und die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
Das Modell der Aufhebung des Bescheids und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraus. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG (Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren, 2013, § 28 VwGVG, Anm. 11 mwN).
§ 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.
II.2.2. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet (vgl. auch VwGH 30.06.2015, Ra 2014/03/0054):
* Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht kommt nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.
* Der Verfassungsgesetzgeber hat sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51/2012, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen ist.
* Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stellt die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz leg.cit. bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 leg.cit. verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das in § 28 leg.cit. insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher insbesondere dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).
Gemäß § 18 AsylG hat die Behörde in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Bescheinigungsmittel für die Angaben bezeichnet oder die angebotenen Bescheinigungsmittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Bescheinigungsmittel auch von Amts wegen beizuschaffen.
II.3. Der angefochtene Bescheid erweist sich vor diesem Hintergrund in Bezug auf den ermittelten Sachverhalt aus folgenden Gründen als mangelhaft:
Wie die Beschwerde völlig zu Recht ausführt, hat das BFA nähere Ermittlungstätigkeit zum vom BF ausgeübten Wachdienst unterlassen. Dabei hat sie insbesondere keine Ermittlungen dahingehend angestellt, wie dieser Wachdienst abgelaufen ist, was die Tätigkeiten des BF dabei waren und ob die Taliban davon wussten, dass der BF diesen Wachdienst ausübt. Eine Beurteilung, ob der BF durch die Ausübung dieses Wachdienstes damit eine den Taliban gegenteilige politische oder religiöse Überzeugung zum Ausdruck gebracht hat und aufgrund dessen in das Visier der Taliban geraten ist, kann daher ohne weitere Ermittlungen zu diesen Fragen nicht abschließend beurteilt werden.
Auch im Hinblick auf die Frage zur Gewährung des subsidiären Schutzes, sind die Ermittlungen des BFA grob mangelhaft:
Bei der Beurteilung betreffend die Zuerkennung von subsidiärem Schutz ist stets eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr ("real risk") einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (VwGH 22.11.2017, Ra 2017/19/0482). Bei Minderjährigen handelt es sich um eine besonders schutzbedürftige Gruppe. Diese besondere Vulnerabilität ist bei der Beurteilung, ob bei einer Rückkehr in die Heimat eine Verletzung der durch Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte droht, im Speziellen zu berücksichtigen. Dies erfordert insbesondere eine konkrete Auseinandersetzung damit, welche Rückkehrsituation der BF in Kabul tatsächlich vorfindet, insbesondere unter Berücksichtigung der dort herrschenden Sicherheitslage und Bewegungsfreiheit. Dass die Lage in Kabul grundsätzlich vergleichsweise sicher und stabil ist, lässt keinen Rückschluss darauf zu, dass dies in gleicher Weise für besonders vulnerable Personen gilt (VwGH 21.03.2018, Ra 2017/18/0474 bis 0479; siehe dazu auch VfGH 11.06.2018, E1815/2018).
Das BFA hat dabei Ermittlungen zur Frage, ob die Tanten des BF in Kabul willens und fähig wären, den BF zu unterstützen, unterlassen. Insbesondere sind dem BF unterlassene Ermittlungen dahingehend anzulasten, dass es sich nicht mit der familiären und finanziellen Lage der Tanten in Kabul auseinandersetzte, dies auch vor dem Hintergrund des nach wie vor in Afghanistan vorherrschenden patriarchalen Systems. Zudem stellte die belangte Behörde selbst fest, dass 2016 die höchste Zahl minderjähriger Opfer seit Aufzeichnungsbeginn verzeichnet wurde, wovon die zweithöchste Zahl in den zentralen Regionen, wozu auch die Stadt Kabul zählt, registriert wurde. Ausgehend davon bedarf es im gegenständlichen Fall einer genaueren, auf aktuellen Berichten beruhenden Auseinandersetzung mit der Frage, ob dem vulnerablen BF bei einer Rückkehr nach Afghanistan, insbesondere in Kabul, eine Verletzung seiner durch Art. 3 EMRK garantierten Rechte droht. Das BFA setzte sich zwar mit einigen Aspekten der Art. 3 EMRK-Prüfung auseinander, lässt jedoch eine ganzheitliche Bewertung der möglichen Gefahren, insbesondere in Anbetracht der bereits ausgeführten besonderen Schutzbedürftigkeit des BF, vermissen.
Dem BFA ist somit zusammengefasst eine nur ansatzweise Ermittlung beziehungsweise eine Delegation der aus § 18 AsylG iVm § 39 AVG entspringenden Ermittlungspflicht in Bezug auf die Wachdiensttätigkeiten und einer möglichen Art. 3 EMRK Verletzung bei einer Rückkehr des BF anzulasten. Der belangten Behörde ist somit vorzuwerfen, in Bezug auf die Ermittlung der Sachlage nicht mit der ihr gebotenen Genauigkeit und Sorgfalt vorgegangen zu sein und ein grob mangelhaftes Ermittlungsverfahren durchgeführt zu haben. Das BFA hat in Bezug auf das in Rede stehende (Flucht-)Vorbringen des BF und einer möglichen Gefährdung im Falle einer Rückkehr keine (ausreichenden) Ermittlungen durchgeführt und das Vorbringen keiner ganzheitlichen Würdigung unterzogen. Der angefochtene Bescheid leidet daher unter erheblichen Ermittlungsmängeln in Bezug auf die Frage der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit einer konkret und gezielt gegen den BF gerichteten Verfolgung maßgeblicher Intensität sowie im Hinblick auf eine reale Gefahr einer Verletzung der Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention; der vorliegende Sachverhalt erweist sich für das Bundesverwaltungsgericht zur Beurteilung einer allfälligen Gefährdung des BF unter dem Aspekt der Gewährung des Status des Asylberechtigten und des subsidiär Schutzberechtigten als so mangelhaft, dass weitere Ermittlungen des Sachverhaltes diesbezüglich unerlässlich erscheinen.
Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen, weil eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst beim Bundesverwaltungsgericht beginnen und zugleich enden soll. Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - auch angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht ersichtlich. Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben.
Da der maßgebliche Sachverhalt noch nicht feststeht, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückzuverweisen. Die beantragte mündliche Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen, da bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der Bescheid aufzuheben ist.
II.4. Im fortgesetzten Verfahren wird sich das BFA daher eingehend mit der Situation des BF während seines Wachdienstes auseinandersetzen zu haben. Ebenso wird es zur Frage einer möglichen Art. 3 EMRK Verletzung aktuelle Berichte zur Lage der Minderjährigen zu berücksichtigen und weitere Ermittlungen zur Frage einer Unterstützungsmöglichkeit in Kabul zu tätigen und dementsprechende Feststellungen zu treffen haben.
II.5. Zu Spruchpunkt B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, Kassation, mangelndeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W158.2187306.1.00Zuletzt aktualisiert am
25.07.2018