TE Bvwg Beschluss 2018/7/20 W156 2176189-1

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Veröffentlicht am 20.07.2018
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Entscheidungsdatum

20.07.2018

Norm

ASVG §18b
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W156 2176189-1/7E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Alexandra Krebitz als Einzelrichterin über die Beschwerde der S XXXX D XXXX gegen den Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt, Hauptstelle Wien, vom 14.09.2017, Aktenzeichen: HVBA- XXXX , beschlossen:

A) In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid

behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Pensionsversicherungsanstalt, Hauptstelle Wien, zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

S XXXX D XXXX (im Folgenden: Beschwerdeführerin) stellte am 12.05.2017 einen Antrag auf Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege eines nahen Angehörigen (ihrer Mutter S XXXX H XXXX ).

Mit angefochtenem Bescheid vom 14.09.2017 hat die PVA den Antrag der

Beschwerdeführerin vom 12.05.2017 auf Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege naher Angehöriger gemäß § 18b ASVG abgelehnt. Begründend wurde ausgeführt, dass die erhebliche Beanspruchung der Arbeitskraft für die Pflege der nahen Angehörigen nicht vorliege.

Gegen diesen Bescheid hat die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 26.09.2017 fristgerecht Beschwerde erhoben. Begründend wurde ausgeführt, dass die Mutter der Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt der Antragstellung Anspruch auf Pflegegeld der Stufe 6 gehabt habe und von der Beschwerdeführerin gemeinsam mit einer 24-Stunden-Pflegekraft gepflegt werde. Viele pflegerische Tätigkeiten seien nur zu zweit möglich, zumal bei der Körperpflege oder den Gehversuchen der Mutter die Hilfe der Beschwerdeführerin benötigt werde. Die Mutter sei demenzkrank im sehr fortgeschrittenen Stadium, könne weder selber gehen, noch sich in einer sonstigen Weise pflegen und müsse mindestens 5-6x am Tag gewickelt werden. Die 24-Stunden-Pflegekraft habe täglich 2 Stunden freie Zeit und sei in dieser Zeit jedenfalls die Pflege durch die Beschwerdeführerin erforderlich. Wie sich aus dem Fragebogen zur Selbstversicherung vom 26.06.2017 ergebe, sei eine erhebliche Beanspruchung der Arbeitskraft sehr wohl gegeben. Aus dem dargelegten Sachverhalt gehe eindeutig hervor, dass die Arbeitskraft der Beschwerdeführerin durch die Pflege ihrer Mutter erheblich beansprucht werde.

Die Beschwerdesache wurde am 03.11.2017 dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt. In dem Beschwerdevorlageschreiben vom 03.11.2017 wurde unter anderem ausgeführt, dass laut der Rechtsprechung des VwGH eine erhebliche Beanspruchung der Arbeitskraft bei einem durchschnittlichen Pflegeaufwand ab 14 Stunden wöchentlich bzw. ab 60 Stunden monatlich anzusetzen sei. Im gegenständlichen Fall beziehe die Beschwerdeführerin seit dem 01.12.2011 einen Zuschuss des Bundessozialamtes zur Unterstützung durch eine 24-Stunden-Betreuung. Von der belangten Behörde sei jedoch festgestellt worden, dass von der Beschwerdeführerin eine zusätzliche Pflegetätigkeit im Ausmaß von täglich 40 Minuten erbracht werde, weswegen von einer erheblichen Beanspruchung der Arbeitskraft nicht ausgegangen werden könne.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Die zentrale Regelung zur Frage der Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte bildet § 28 VwGVG.

"§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

(3) liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist."

§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.

Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

Zu A) Zurückverweisung der Beschwerde:

Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt nach dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063 insbesondere dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat oder, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat oder, wenn die Verwaltungsbehörde Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.

Der angefochtene Bescheid erweist sich aus folgenden Gründen als mangelhaft:

Die belangte Behörde hat es unterlassen, die tatsächlich durch die Beschwerdeführerin erforderlichen Pflegeleistungen zu erheben und hat sich somit nicht mit der Fragestellung auseinandergesetzt, welche pflegerischen Leistungen von der Beschwerdeführerin tatsächlich und ab wann erbracht werden. Die Schlussfolgerung der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid, dass die erhebliche Beanspruchung der Arbeitskraft nicht vorliege, ist mangels Begründung der Entscheidung zu diesem Punkt nicht überprüfbar.

Erst im Beschwerdevorlageschreiben wird überhaupt offengelegt, dass die belangte Behörde von einer Pflegetätigkeit der Beschwerdeführerin im Ausmaß von 40 Minuten täglich ausgehe. Es ist jedoch nicht ersichtlich, wie die belangte Behörde zu dieser Feststellung gelangt, wurde doch der tatsächliche Pflegeaufwand der Beschwerdeführerin, welchen sie neben der 24-Stunden-Betreuung zu leisten hat, nicht ermittelt. Hinsichtlich des durch die 24-Stunden-Betreuung geleisteten Pflegeaufwands fehlen Feststellungen dahingehend, zu welchen Tageszeiten der Pflegeaufwand anfällt und ob dies regelmäßig der Fall ist. Auch hinsichtlich der von der 24-Stunden-Betreuung einzuhaltenden Pausen fehlen Feststellungen.

Zudem ist insofern eine Änderung des Sachverhaltes zusätzlich eingetreten, als die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 04.07.2018 mitgeteilt hat, dass ihre Mutter ab dem 01.04.2018 Pflegegeld der Stufe 7 bezieht, woraus sich schließen lässt, dass sich der gesundheitliche Zustand ihrer Mutter kontinuierlich verschlechtert hat und eine Beurteilung der tatsächlichen Betreuungsleistungen aufgrund des 2011 erstellten ärztlichen Gutachtens zur Pflegegeldeinstufung in die damalige Pflegegeldstufe 6 keine Rückschlüsse auf die tatsächlichen Betreuungsleistungen der Beschwerdeführerin für den verfahrensgegenständlichen Zeitraum zulässt.

Aus den dargelegten Gründen ist davon auszugehen, dass die belangte Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat und sich der vorliegende Sachverhalt zur Beurteilung des Anspruchs auf Selbstversicherung in der Pensionsversicherung nicht einmal ansatzweise ermittelt erweist, sodass grundlegende und geeignete Ermittlungen und darauf aufbauende Sachverhaltsfeststellungen erforderlich erscheinen. Da die belangte Behörde auch keine Beschwerdevorentscheidung getroffen hat, wird offensichtlich, dass diese versucht, die Erhebungen an das Bundesverwaltungsgericht zu delegieren.

Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde den oben getroffenen Ausführungen folgend die tatsächlich durch die Beschwerdeführerin erforderlichen Pflegeleistungen zu erheben haben, seit wann diese im erhobenen Ausmaß erfolgt sind, und in einem neuen Bescheid konkrete Feststellungen dazu zu treffen haben.

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens durch das Bundesverwaltungsgericht kann - im Lichte der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 VwGVG - nicht im Sinne des Gesetzes liegen und ist in diesem Zusammenhang auch auf die Überlastung aller Gerichtsabteilungen des Bundesverwaltungsgerichts mit Asylsachen hinzuweisen.

Das Bundesverwaltungsgericht hat daher den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Pensionsversicherungsanstalt, Hauptstelle Wien zurückzuverweisen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

In der Beurteilung durch das Bundesverwaltungsgericht wurde ausgeführt, dass im erstbehördlichen Verfahren notwendige Ermittlungen unterlassen wurden. Betreffend die Anwendbarkeit des § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG im gegenständlichen Fall liegt keine grundsätzliche Rechtsfrage vor, vielmehr orientiert sich der vorliegende Beschluss an der aktuellen Rechtsprechung (26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063 und 24.02.2016, Zl. Ra 2015/08/0209) des Verwaltungsgerichtshofes zur Anwendung des § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Ermittlungspflicht, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung,
Pflege

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W156.2176189.1.00

Zuletzt aktualisiert am

26.07.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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