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86 VeterinärrechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Verletzung im Gleichheitsrecht durch Abweisung von Anträgen auf Befreiung von bestimmten Voraussetzungen für den Erwerb eines Facharzttitels für Kleintiere mangels Begründung für die Nichtanerkennung als fachkundiger SpezialistSpruch
Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtenen Bescheide im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.
Die Bescheide werden aufgehoben.
Die Bundeskammer der Tierärzte Österreichs ist schuldig, jedem Beschwerdeführer zu Handen seines Rechtsvertreters die mit je 18.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Die Beschwerdeführer stellten bei der Bundeskammer der Tierärzte Österreichs einen Antrag gemäß §72 Abs4 Tierärztegesetz auf Befreiung von den Voraussetzungen gemäß §14b Abs1 Z3 bis 6 leg. cit. für den Erwerb eines Fachtierarzttitels (sogenannte de facto-Anerkennung als Fachtierarzt) für Kleintiere.
Die Fachtierarzt-Prüfungskommission für Kleintiere wies die Anträge mit Bescheiden vom 27. April 1996 ab und führte in der Begründung aus, sie habe festgestellt, daß die Anträge rechtzeitig eingelangt seien und daß die Beschwerdeführer die Voraussetzungen gemäß §72 Abs4 Z2 Tierärztegesetz nachgewiesen hätten. Die Anträge seien daher der Hauptversammlung der Bundeskammer der Tierärzte vorgelegt worden, die am 27. April 1996 mit Mehrheit nicht bestätigt habe, daß die Beschwerdeführer in einschlägigen Expertenkreisen als fachkundige Spezialisten auf dem Fachgebiet "Kleintiere" anerkannt seien.
In den Berufungen gegen diese Bescheide wiesen die Beschwerdeführer darauf hin, daß kein Ermittlungsverfahren durchgeführt worden sei und es nicht nachvollziehbar und sachlich überprüfbar sei, wie es zu dem Abstimmungsergebnis bei der Hauptversammlung der Bundeskammer gekommen sei.
2. Mit den angefochtenen Bescheiden wies der Vorstand der Bundeskammer der Tierärzte Österreichs die Berufungen ab.
In den gleichlautenden Begründungen der Bescheide wird ausgeführt, ein Ermittlungsverfahren gemäß §72 Abs4 Z3 Tierärztegesetz könne sich begriffsgemäß nur darauf erstrecken, ob die Hauptversammlung der Bundeskammer durch Beschluß bestätigt habe, daß die Antragsteller bereits in einschlägigen Expertenkreisen als fachkundige Spezialisten auf dem Fachgebiet "Kleintiere" anerkannt seien. Der Beschluß der Hauptversammlung sei gesetzeskonform und eindeutig gewesen; ein weiteres Ermittlungsverfahren sei daher zu diesem Punkt nicht zu führen gewesen.
3. Gegen diese Bescheide richten sich die gleichlautenden auf Art144 Abs1 B-VG gestützten Beschwerden, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art2 StGG), auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 B-VG) und auf ein faires Verfahren (Art6 Abs1 EMRK) sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm behauptet.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
1. Die Beschwerden richten sich gegen Bescheide des Vorstandes der Bundeskammer der Tierärzte Österreichs. Gemäß §72 Abs6 Tierärztegesetz, BGBl. 16/1975 idF BGBl. 476/1995, steht dem Antragsteller gegen die Entscheidung eines Senates gemäß §72 Abs4 Tierärztegesetz das Recht der Berufung an den Vorstand der Bundeskammer zu. Eine weitere Berufung ist nicht zulässig. Der Instanzenzug ist daher erschöpft.
Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, sind die Beschwerden zulässig.
2. Für die Beurteilung der Beschwerdefälle sind folgende Bestimmungen des Tierärztegesetzes, BGBl. 16/1975 idF BGBl. 476/1995, maßgebend:
"§14a (1) Tierärzte, die sich auf ein von der Hauptversammlung der Bundeskammer der Tierärzte Österreichs (Bundeskammer) anerkanntes Fachgebiet oder auf mehrere dieser Fachgebiete spezialisiert haben, dürfen nach erfolgreich abgelegter Prüfung vor einem Senat der jeweiligen für das betreffende Fachgebiet bei der Bundeskammer gemäß §14c Abs1 eingerichteten Kommission den Titel 'Fachtierarzt' unter gleichzeitiger Anführung des jeweiligen Fachgebietes führen. Mit dem Erwerb dieses Titels ist eine Einschränkung der Berufsausübungsbefugnis nicht verbunden. Jeder Tierarzt darf alle tierärztlichen Tätigkeiten auch dann ausüben, wenn er einen Fachtierarzttitel nicht führen darf.'
'§14b (1) Voraussetzungen für den Erwerb eines Fachtierarzttitels sind:
1.
die Befugnis zur Ausübung des tierärztlichen Berufes,
2.
ein in Österreich anerkanntes Doktorat der Veterinärmedizin,
3.
der Abschluß einer fachspezifisch-praktischen Weiterbildung,
4.
der Abschluß einer fachspezifisch-theoretischen Weiterbildung,
5.
der Abschluß einer fachspezifisch-wissenschaftlichen Weiterbildung und
6.
eine erfolgreich abgelegte Prüfung gemäß §14a Abs1.'
'§14d (2) Über die Zulassung zur Prüfung entscheidet der nach der Geschäftsverteilung zuständige Prüfungssenat der jeweiligen Kommission. Die Zulassung ist dann zu erteilen, wenn die Voraussetzungen gemäß §14b Abs1 Z1 bis 5 vorliegen.'
'§72 (4) Der gemäß §14d Abs2 zuständige Senat hat Tierärzte auf deren Antrag von den Voraussetzungen gemäß §14b Abs1 Z3 bis 6 zu befreien, (sogenannte de facto-Anerkennung) wenn
1.
der Antrag innerhalb eines Jahres nach dem Beschluß der Hauptversammlung gemäß §36 Abs7 Z9 über die Festlegung des betreffenden Fachgebietes bei der Bundeskammer einlangt und
2.
der Antragsteller nachweist, daß er auf dem Fachgebiet, für das er den Fachtierarzttitel anstrebt, mindestens sechs Jahre lang regelmäßig und überwiegend ganztägig und in hauptberuflicher Stellung tätig war und
3.
die Hauptversammlung der Bundeskammer durch Beschluß bestätigt hat, daß der Antragsteller bereits in einschlägigen Expertenkreisen als fachkundiger Spezialist auf jenem Fachgebiet anerkannt ist, für das er den Fachtierarzttitel anstrebt.
(5) Die gemäß §14d Abs2 zuständigen Senatsvorsitzenden haben den Präsidenten der Bundeskammer von den vorliegenden Anträgen gemäß Abs4 in Kenntnis zu setzen. Der Präsident hat sodann diese Anträge zur Behandlung nach Abs4 Z3 auf die Tagesordnung der nächsten Hauptversammlung zu setzen.
(6) Gegen die Entscheidung eines Senats gemäß Abs4 steht dem Antragsteller das Recht der Berufung an den Vorstand der Bundeskammer zu. Eine weitere Berufung ist nicht zulässig.'
'§35 Die Organe der Tierärztekammern sind:
1.
die Hauptversammlung,
2.
der Vorstand,
3.
der Präsident.'
'§36 (1) Die Hauptversammlung der Bundeskammer setzt sich aus den Delegierten der Landeskammern zusammen.'
'§41 (1) Die Delegierten in die Hauptversammlung der Bundeskammer werden von der konstituierenden Hauptversammlung der Landeskammern gewählt.
(2) ...
(3) Die Anzahl der Delegierten, die eine Landeskammer zu entsenden hat, bestimmt auf Grund der Mitgliederzahl in der abgeschlossenen Wählerliste die Wahlkommission in der Weise, daß für je 30 Kammermitglieder ein Delegierter, für Restzahlen unter 30 ein weiterer Delegierter, jedenfalls aber ein Delegierter zu wählen ist."
3. Die Beschwerden halten §72 Abs4 Tierärztegesetz für gleichheitswidrig, da die de-facto-Anerkennung als Fachtierarzt für ein bestimmtes Fachgebiet ausschließlich von der Abstimmung der Hauptversammlung der Bundeskammer abhänge, ob sie die Antragsteller als fachkundige Spezialisten in einschlägigen Expertenkreisen auf jenem Fachgebiet anerkenne. Die Hauptversammlung müsse diese Entscheidung in keiner Weise begründen, und es sei daher auch nicht nachvollziehbar, nach welchen Kriterien die Bestätigung erfolge. Dabei sei auch die Zusammensetzung der Hauptversammlung zu beachten, die sich aus Delegierten der verschiedenen Landeskammern zusammensetze, wobei diese auf den verschiedensten Fachgebieten tätig seien, überwiegend aber nicht in Anspruch nehmen könnten, einschlägige Experten für das Fachgebiet "Kleintiere" zu sein.
Es sei daher nicht nachvollziehbar und sachlich überprüfbar, wie die Mitglieder der Hauptversammlung in der Lage sein sollten zu beurteilen, ob jemand in einschlägigen Expertenkreisen als fachkundiger Spezialist auf einem bestimmten Fachgebiet anerkannt sei. Ein fachlich qualifizierter Expertenkreis wäre vielmehr die Fachtierarzt-Prüfungskommission und nicht die Hauptversammlung.
4. Der Verfassungsgerichtshof geht davon aus, daß es gemäß §72 Abs4 Z3 Tierärztegesetz der Hauptversammlung der Bundeskammer obliegt, auf Grund der Verständigung gemäß §72 Abs5 leg. cit. den Antrag auf de facto-Anerkennung im Hinblick auf die Frage, ob der Antragsteller bereits in einschlägigen Expertenkreisen als fachkundiger Spezialist auf jenem Fachgebiet anerkannt ist, für das er den Fachtierarzttitel anstrebt, zu prüfen und gegenüber dem gemäß §14d Abs2 leg. cit. zuständigen Senat eine entsprechende Bestätigung abzugeben. Dieser hat die übrigen Voraussetzungen des §72 Abs4 leg. cit. zu beurteilen und weiters - in Übernahme der von der Hauptversammlung abgegebenen Bestätigung - über den Antrag insgesamt bescheidmäßig abzusprechen.
5. Gegen eine derartige Regelung bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken, denn sowohl die Zuweisung behördlicher Aufgaben als auch die Zusammensetzung von Kollegialbehörden fällt im allgemeinen in den rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers (vgl. VfSlg. 11282/1987, 11912/1988).
Die Sachlichkeit der Zusammensetzung und der Willensbildung einer Kollegialbehörde hängt - wie der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis vom 29. November 1995, G1249/95, G1289/95 ausführte - aber vom Gegenstand ab, den sie zu entscheiden und über den sie einen Bescheid zu erlassen hat. Mit dem zitierten Erkenntnis hat der Verfassungsgerichtshof die Regelung des Universitätsorganisationsgesetzes (UOG) über die Zusammensetzung universitärer Kollegialorgane wegen Gleichheitswidrigkeit aufgehoben, weil diese Regelung der Mehrheit die Möglichkeit bot, die fachlich qualifizierten Mitglieder bei Beurteilung der wissenschaftlichen Qualifikation eines Bewerbers zu überstimmen.
Eine solche mit dem UOG vergleichbare Regelung liegt aber hier nicht vor, denn die Mitglieder der Hauptversammlung der Bundeskammer gehören dem - zumindest in Österreich tätigen - einschlägigen Expertenkreis an, innerhalb dessen §72 Abs4 Z3 Tierärztegesetz die Anerkennung als fachkundiger Spezialist auf einem bestimmten Fachgebiet fordert.
Daß nicht alle Mitglieder oder daß nur eine Minderheit der Mitglieder der Hauptversammlung dem eigenen Fachgebiet des Tierarztes angehören, der die de facto-Anerkennung als Fachtierarzt anstrebt, hindert eine sachgerechte Entscheidung der Hauptversammlung der Bundeskammer an sich nicht; denn es entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung, daß auch ein nicht auf einem bestimmten Fachgebiet tätiger Generalist in der Lage ist, auf Grund objektiver Merkmale - allenfalls auf Grund von Sachverständigengutachten - die Frage der Anerkennung eines Berufskollegen als Spezialist auf einem bestimmten Sachgebiet zu beurteilen.
Der Verfassungsgerichtshof hegt daher gegen die Regelung des §72 Abs4 Tierärztegesetz keine Bedenken im Hinblick auf das Gleichheitsgebot.
6. Im Ergebnis sind aber die Beschwerden aus folgenden Gründen im Recht:
Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis G65/95 ua. vom 12. Oktober 1995 ausgesprochen hat, ist eine gesetzliche Regelung, die das Handeln zweier Behörden in einer Weise verbindet, wie sie unter Punkt 4. dargestellt ist, an sich mit dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar. Dazu kommt im vorliegenden Fall noch die Tatsache, daß es sich bei der Bestimmung des §72 Abs4 Tierärztegesetz um eine Übergangsregelung handelt, die in der Anlaufphase der Fachtierarztausbildung in Österreich ein vereinfachtes Verfahren für die Anerkennung als Fachtierarzt vorsieht.
Ist aber das Handeln der Hauptversammlung der Bundeskammer mit jenem des bescheiderlassenden Senates gemäß §72 Abs4 Tierärztegesetz verbunden, so muß der über den Antrag auf de facto-Anerkennung als Fachtierarzt absprechende Bescheid des gemäß §14d Abs2 leg. cit. zuständigen Senates in seiner Begründung auch auf das Tatbestandselement der Anerkennung als Spezialist auf dem Fachgebiet "Kleintiere" eingehen. Daher darf sich die Hauptversammlung der Bundeskammer nicht mit einer bloßen Willensbildung zur Frage der Anerkennung als Spezialist auf einem bestimmten Fachgebiet begnügen, sondern muß ihre Entscheidung auch begründen. Insoweit wirkt nämlich die Verpflichtung aus §58 Abs2 und §60 AVG, die gemäß §52 Tierärztegesetz in den gegenständlichen Verfahren anzuwenden sind, auf die Hauptversammlung der Bundeskammer zurück. Der gemäß §14d Abs2 zuständige Senat hat dann diese Begründung der Hauptversammlung der Bundeskammer in seinem Bescheid zu übernehmen.
Ferner unterliegt die solcherart ergangene Erledigung des Antrages auf de facto-Anerkennung als Fachtierarzt der Überprüfung im administrativen Instanzenzug. Auch diesbezüglich gilt für das im §72 Abs4 Z3 leg. cit. geregelte Tatbestandselement nichts anderes als für die sonstigen gesetzlichen Voraussetzungen für die de facto-Anerkennung. In diesem Zusammenhang ist der im Instanzenzug zuständige Vorstand der Bundeskammer zur Überprüfung des erstinstanzlichen Bescheides auch insoweit zuständig, als dieser auf der Bestätigung der Hauptversammlung der Bundeskammer fußt. Anders als im erstinstanzlichen Verfahren ist der im Instanzenzug zuständige Vorstand der Bundeskammer nicht an die Bestätigung der Hauptversammlung gebunden.
Diese Rechtsauffassung führt im vorliegenden Fall zu dem Ergebnis, daß der als Berufungsbehörde entscheidende Vorstand der Bundeskammer seiner Aufgabe nicht nachgekommen ist, den erstinstanzlichen Bescheid in dem für die Antragsabweisung maßgeblichen Bereich zu überprüfen und eine eigenständige, nachvollziehbare Begründung zu liefern.
Dieser Fehler reicht aus folgenden Gründen in die Verfassungssphäre: Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes liegt eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz ua. dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (vgl. VfSlg. 12905/1991, 10758/1986, 10057/1984). Dies muß nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofes umso mehr in dem Fall gelten, daß die Behörde - wenngleich durch eine unzutreffende Rechtsauffassung irregeführt - überhaupt davon absieht, zu begründen, weshalb der Antragsteller nach ihrer Auffassung nicht "bereits in einschlägigen Expertenkreisen als fachkundiger Spezialist auf jenem Fachgebiet anerkannt ist, für das er den Fachtierarzttitel anstrebt" (vgl. B1691/95 vom 30.11.1995).
7. Die Bescheide waren daher wegen Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz aufzuheben.
8. Dies konnte gemäß §19 Abs4 1. Satz VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
9. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VerfGG 1953. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von je 3000 S enthalten.
Schlagworte
Tierärzte Kammer, Tierärzte, Kollegialbehörde, Behördenzuständigkeit, Berufsrecht Tierärzte, BescheidbegründungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1997:B3672.1996Dokumentnummer
JFT_10028990_96B03672_00