Index
21/01 Handelsrecht;Norm
AVG §9;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler sowie Hofrätin Mag. Hainz-Sator und Hofrat Dr. Pürgy als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Tiefenböck, über die Revision der Bürgermeisterin der Landeshauptstadt Innsbruck gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 26. Februar 2018, Zl. LVwG- 2018/25/0077-5, betreffend Entziehung der Gewerbeberechtigung (mitbeteiligte Partei: D KG in I, vertreten durch Mag. Martin Corazza, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Maximilianstraße 9), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgehoben.
Begründung
1 1. Die mitbeteiligte Partei ist eine Kommanditgesellschaft mit Sitz in I. Sie ist als Gewerbeinhaberin für bestimmt bezeichnete Dienstleistungen im Gewerberegister eingetragen.
2 H.W. ist seit 18. Mai 2015 als unbeschränkt haftender Gesellschafter der mitbeteiligten Partei eingetragen und vertritt diese selbständig. Mit Beschluss des Bezirksgerichts Innsbruck vom 20. Dezember 2016 wurde über H.W. das Schuldenregulierungsverfahren mangels Kostendeckung nicht eröffnet.
3 In der Folge leitete die Revisionswerberin ein Verfahren gemäß § 91 Abs. 2 GewO 1994 gegenüber der mitbeteiligten Partei ein und forderte diese mit Schreiben vom 24. August 2017 auf, H.W. aus der Funktion des Gesellschafters mit maßgebendem Einfluss zu entfernen. Die Zustellung wurde an die mitbeteiligte Partei selbst verfügt.
4 Mit Bescheid vom 4. Dezember 2017 wurde der mitbeteiligten Partei gemäß § 85 Abs. 2 iVm § 91 Abs. 2 GewO 1994 die Gewerbeberechtigung entzogen. Auch dieser Bescheid wurde an die mitbeteiligte Partei adressiert.
5 Gegen den Entziehungsbescheid erhob die mitbeteiligte Partei Beschwerde.
6 2. Mit dem hier angefochtenen Beschluss wies das Landesverwaltungsgericht Tirol (im Folgenden: Verwaltungsgericht) die Beschwerde der mitbeteiligten Partei als unzulässig zurück. In seiner Begründung führte das Verwaltungsgericht aus, es sei weder die Aufforderung noch der Entziehungsbescheid an einen der vertretungsbefugten Gesellschafter adressiert gewesen. Die mangelnde Bezeichnung einer Person als Empfänger könne auch durch eine erfolgte Zustellung an eine zur Empfangnahme befugten Vertreter nicht heilen. Da die bekämpfte behördliche Erledigung nur an die mitbeteiligte Partei - eine Kommanditgesellschaft - ergangen sei, die keine Rechtspersönlichkeit besitze, sei der bekämpfte Bescheid rechtlich nicht existent geworden. Da dieser damit keine Rechtswirksamkeit entfalten könne, sei die Beschwerde mangels Berechtigung zu ihrer Erhebung zurückzuweisen.
7 Die Revision sei mangels Vorliegens einer Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
8 3. Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende Amtsrevision mit dem Antrag, diesen wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts und/oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
9 Die mitbeteiligte Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung die Revision zurück- bzw. abzuweisen.
10 4. Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
11 4.1. Die Revisionswerberin bringt zur Zulässigkeit vor, das Verwaltungsgericht verkenne die Rechtslage, indem es der mitbeteiligten Partei wegen deren Eigenschaft als Kommanditgesellschaft die Rechtspersönlichkeit abspreche.
12 Schon aus diesem Grund ist die Revision zulässig und berechtigt.
13 4.2. Die relevanten Bestimmungen des Bundesgesetzes über besondere zivilrechtliche Vorschriften für Unternehmen (Unternehmensgesetzbuch - UGB), dRGBl. S 219/1897 idF BGBl. I Nr. 120/2005, lauten:
"Zweites Buch
Offene Gesellschaft, Kommanditgesellschaft und stille
Gesellschaft
Erster Abschnitt
Offene Gesellschaft
Erster Titel
Errichtung der Gesellschaft
Begriff
§ 105. Eine offene Gesellschaft ist eine unter eigener Firma geführte Gesellschaft, bei der die Gesellschafter gesamthandschaftlich verbunden sind und bei keinem der Gesellschafter die Haftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern beschränkt ist. Die offene Gesellschaft ist rechtsfähig. Sie kann jeden erlaubten Zweck einschließlich freiberuflicher und land- und forstwirtschaftlicher Tätigkeit haben. Ihr gehören mindestens zwei Gesellschafter an."
(...)
"Zweiter Abschnitt.
Kommanditgesellschaft.
Begriff,
Anwendung der Vorschriften über die offene Gesellschaft
§ 161. (1) Eine Kommanditgesellschaft ist eine unter eigener Firma geführte Gesellschaft, bei der die Haftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern bei einem Teil der Gesellschafter auf einen bestimmten Betrag (Haftsumme) beschränkt ist (Kommanditisten), beim anderen Teil dagegen unbeschränkt ist (Komplementäre).
(2) Soweit dieser Abschnitt nichts anderes bestimmt, finden auf die Kommanditgesellschaft die für die offene Gesellschaft geltenden Vorschriften Anwendung."
14 4.3. Eine Kommanditgesellschaft ist eine rechts- und damit parteifähige Personengesellschaft (§ 105 iVm § 161 Abs 2 UGB;
Nunner-Krautgasser in Fasching/Konecny3 II/1 vor § 1 ZPO Rz 35 mwN;
Hengstschläger/Leeb, AVG I2, § 9 Rz 10).
15 Da das Verwaltungsgericht dies verkannte und seiner Entscheidung die unrichtige Ansicht zugrunde legte, dass einer Kommanditgesellschaft Rechtsfähigkeit nicht zukomme, weshalb der an sie adressierte Bescheid rechtlich nicht existent geworden sei, ist der angefochtene Beschluss gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufzuheben.
16 Aufwandersatz wurde von der Revisionswerberin in Einklang mit § 47 Abs. 4 VwGG nicht angesprochen.
Wien, am 26. Juni 2018
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018040095.L00Im RIS seit
25.07.2018Zuletzt aktualisiert am
03.09.2018