TE Vwgh Erkenntnis 2018/6/26 Ra 2016/04/0031

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Veröffentlicht am 26.06.2018
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §37;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGVG 2014 §28 Abs2;
VwGVG 2014 §28 Abs3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler sowie Hofrätin Mag. Hainz-Sator und Hofrat Dr. Pürgy als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Tiefenböck, über die Revision der Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 10. Dezember 2015, Zl. LVwG-AV-330/001-2015, betreffend Änderung eines Gewinnungsbetriebsplanes nach dem Mineralrohstoffgesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf; mitbeteiligte Parteien: 1. J R T in S, vertreten durch Mag. Dr. Nikolaus Friedl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wollzeile 25/30, 2. U T in W, vertreten durch die Hasberger Seitz & Partner Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Gonzagagasse 4), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 1. Verfahrensgegenständlich ist der Antrag des Erstmitbeteiligten auf Genehmigung für die wesentliche Änderung eines bestimmt bezeichneten Gewinnungsbetriebsplanes für die obertägige Gewinnung grundeigener mineralischer Rohstoffe in Form einer Tieferlegung der Abbausohle zur Durchführung einer Nassbaggerung auf einem bestimmt bezeichneten Abbaufeld nach dem Mineralrohstoffgesetz (MinroG).

2 Mit Bescheid vom 24. Februar 2015 erteilte die belangte Behörde die beantragte Genehmigung gemäß § 115 Abs. 3 iVm §§ 80, 81, 83, 116 und 171 Abs. 1 MinroG unter Vorschreibung von Auflagen.

3 2. Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Verwaltungsgericht - ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens - der Beschwerde der Zweitmitbeteiligten Folge, hob den bekämpften Bescheid auf und wies die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde zurück. Die Revision erklärte es für nicht zulässig.

4 Nach einer ungekürzten Wiedergabe des angefochtenen Bescheids, der Bescheidbeschwerde, einer Stellungnahme der Revisionswerberin und der Darstellung der Rechtslage begründete das Verwaltungsgericht seinen Zurückverweisungsbeschluss zusammengefasst damit, dass das behördliche Ermittlungsverfahren lückenhaft geblieben und teilweise gänzlich unterblieben sei. Aufgrund des mangelhaften Ermittlungsverfahrens sei die Aufhebung und Zurückverweisung unvermeidbar, ohne dass auf das übrige Beschwerdevorbringen einzugehen sei.

5 Die ordentliche Revision sei mangels Vorliegens einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung nicht zulässig.

6 3. Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende Revision der belangten Behörde, mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und/oder Rechtswidrigkeit des Inhalts aufzuheben.

7 Der Erstmitbeteiligte trat in seiner Revisionsbeantwortung dem Standpunkt der Revisionswerberin bei, stellte selbst aber keinen Antrag.

8 Die Zweitmitbeteiligte beantragte in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurück- oder abzuweisen.

9 4. Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

10 4.1. Die Revisionswerberin bringt zur Zulässigkeit der Revision unter anderem vor, der angefochtene Beschluss weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, weil das Verwaltungsgericht die aus dessen Sicht erforderlichen zusätzlichen Erhebungen selbst durchführen und in der Sache selbst entscheiden hätte müssen.

11 4.2. Die Revision ist zulässig und auch berechtigt. 12 In Hinblick auf das Vorbringen in der Revisionsbeantwortung der Zweitmitbeteiligten ist zu ergänzen, dass mit dem Vorbringen der Abweichung von der Rechtsprechung zu § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG eine der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG für die Zulässigkeit der Revision gegeben ist, weil sich - wie im Folgenden gezeigt wird - das Bundesverwaltungsgericht in Widerspruch zur Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzte. Auf diese die Zulässigkeit begründende Abweichung von der Rechtsprechung hat die Revision ausdrücklich in ihrer Begründung hingewiesen, sodass entgegen der in der Revisionsbeantwortung der Zweitmitbeteiligten geäußerten Ansicht, die Zulässigkeit gesetzmäßig dargetan wurde.

13 4.3. § 28 des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013, lautet auszugsweise:

"Erkenntnisse

§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1.

der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2.

die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das

Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

(4) bis (8) (...)"

14 4.4. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich bereits mit der Frage auseinandergesetzt, unter welchen Voraussetzungen das Verwaltungsgericht den Bescheid einer Verwaltungsbehörde gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufheben und die Sache zurückverweisen kann (vgl. grundlegend VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063, sowie VwGH 10.9.2014, Ra 2014/08/0005, 26.5.2015, Ra 2014/01/0205, und 9.9.2015, Ra 2014/04/0031).

15 Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis Ro 2014/03/0063 ausgesprochen, dass sich die Anwendbarkeit der Zurückverweisungsbestimmung des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG nicht auf die von § 28 Abs. 2 VwGVG erfassten Fälle erstreckt. Eine Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Verwaltungsbehörde kommt erst dann in Betracht, wenn die in § 28 Abs. 2 VwGVG normierten Voraussetzungen, die eine Pflicht des Verwaltungsgerichtes zur "Entscheidung in der Sache selbst" nach sich ziehen, nicht vorliegen. Die Voraussetzungen der Z 1 und 2 des § 28 Abs. 2 VwGVG sind angesichts der Zielsetzung (meritorische Entscheidung durch die Verwaltungsgerichte) weit zu verstehen. Damit wird dem Ziel der Verfahrensbeschleunigung bzw. dem Gebot der angemessenen Verfahrensdauer (durch Vermeidung der Eröffnung eines neuerlichen Rechtszuges gegen die dann abermalige verwaltungsbehördliche Entscheidung) entsprochen. Demnach ist Zielsetzung des § 28 VwGVG, dass angesichts des in dieser Bestimmung insgesamt verankerten Systems die Zurückverweisungsmöglichkeit nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte darstellt. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt § 28 VwGVG, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterlassen hat, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. zu allem VwGH 20.4.2016, Ra 2016/04/0007).

16 4.5. Das Verwaltungsgericht begründet die Zurückverweisung im Wesentlichen damit, dass "die in einem bloßen Auflagepunkt angeordnete bescheidmäßige Installierung einer Berieselungseinrichtung" keine Beurteilung zulasse, ob und inwieweit die zu beachtenden Schutzgüter beeinträchtigt sein könnten. Hierzu bedürfe es der Vorlage von Projektunterlagen. Erst nach Vorlage dieser Unterlagen sei die Erstellung abschließender technischer und medizinischer Gutachten zur Beantwortung der Fragen allfälliger Gesundheitsbeeinträchtigungen möglich.

17 Auf die Forderung der Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Bereich der Geomechanik zur Ermittlung allfälliger gesundheitsschädlicher Erschütterungen wegen des zu erwartenden Verkehrs sei in dem bekämpften Bescheid nicht eingegangen worden.

18 Hinsichtlich der Filteranlage der Schrapperanlage habe der Amtssachverständige festgestellt, dass die Stickoxidwerte in keiner Weise beeinflusst würden. Diese Frage werde im bekämpften Bescheid nicht mehr behandelt.

19 Aufgrund des zum Teil vollständigen Fehlens erforderlicher Ermittlungen sei die Behebung und Zurückverweisung unvermeidbar, ohne auf die weiteren Beschwerdeargumente eingehen zu müssen.

20 4.6. Zurecht verweist die Revision darauf, dass das Verwaltungsgericht die Rechtslage verkannt hat.

21 Es ist nicht ersichtlich, inwiefern es dem Verwaltungsgericht nicht möglich gewesen sein sollte, die seiner Ansicht zufolge notwendige Vorlage der Projektunterlagen betreffend die Berieselungsanlage im Beschwerdeverfahren aufzutragen. Dass die bis dato fehlende Vorlage der vom Verwaltungsgericht geforderten Unterlage alle von der belangten Behörde bereits durchgeführten Ermittlungsschritte - insbesondere die eingeholten Gutachten - entwerten und eine gänzliche Neudurchführung des Verfahrens notwendig machen würde, wird vom Verwaltungsgericht nicht begründet. Vor dem Hintergrund, dass die geforderten Unterlagen nur einen von vielen Auflagepunkten betreffen, ist dies auch nicht ersichtlich.

22 Auch die Notwendigkeit der Einholung eines (weiteren) Gutachtens rechtfertigt im Allgemeinen nicht die Behebung und Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG (vgl. VwGH 27.1.2016, Ra 2015/08/0171, und VwGH 17.2.2015, Ra 2014/09/0037). Inwiefern dies im vorliegenden Fall wegen des beantragten Sachverständigen aus dem Bereich der Geomechanik zur punktuellen Frage der möglichen Erschütterungen der Fall sein sollte, begründet das Verwaltungsgericht nicht, wobei insbesondere auch die Relevanz des Ermittlungsmangels nicht dargestellt wird.

23 Inwiefern die ebenso abgegrenzte Frage der unveränderten Stickoxidwerte im Zusammenhang mit der vom Verwaltungsgericht erwähnten Schrapperanlage und allfällige damit in Zusammenhang stehende Auswirkungen nicht vor dem Verwaltungsgericht behandelt werden können, ist nicht nachvollziehbar.

24 4.7. Indem das Verwaltungsgericht das Vorliegen der Voraussetzungen des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vor dem Hintergrund der vorhandenen Rechtsprechung verkannte, den Bescheid aufhob und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuerlichen Bescheides an die belangte Behörde zurückverwies, belastete es seinen Beschluss mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

25 4.8. Ein Antrag auf Aufwandersatz wurde von der Revisionswerberin in Einklang mit § 47 Abs. 4 VwGG nicht gestellt.

Wien, am 26. Juni 2018

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2016040031.L00

Im RIS seit

25.07.2018

Zuletzt aktualisiert am

03.09.2018
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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