Entscheidungsdatum
14.06.2018Index
40/01 VerwaltungsverfahrenNorm
FrPolG 2005 §57Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Landesverwaltungsgericht X erkennt durch seinen Richter Mag. Dr. Rieser über die Beschwerde der Zischen Staatsangehörigen AA, geb am XX.XX.XXXX, vertreten durch Rechtsanwältin BB, Adresse 1, Y, gegen das Straferkenntnis der Landespolizeidirektion X vom 22.02.2018, Zl. *****, betreffend eine Verwaltungsübertretung nach dem Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG),
zu Recht:
1. Der Beschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis behoben und von der Fortführung des gegenständlichen Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 4 VStG abgesehen und dessen Einstellung verfügt.
2. Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
I. Sachverhalt und rechtliche Erwägungen:
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Beschwerdeführerin von der Landespolizeidirektion X als belangte Behörde Folgendes angelastet:
„Sie sind Drittstaatsangehörige (§2 Abs. 4 Z 1 FPG), ihr Aufenthalt im Bundesgebiet ist nicht geduldet (§ 46a FPG) und gegen ihre Person wurde eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung (§ 52 FPG) erlassen. Ihnen wurde mittels nachstehend angeführten Bescheids des Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vom 11.01.2018 eine Wohnsitzauflage gemäß § 57 FPG erteilt. Hierin wurde Ihnen aufgetragen, sich binnen 3 Tagen im Quartier des Bundes, Adresse 2, W Unterkunft zu nehmen. Sie haben dennoch bis Dato in dem Ihnen aufgetragenen Quartier nicht Unterkunft genommen und sind weiterhin an oben angeführter Adresse polizeilich gemeldet.
Wer als Fremder eine Wohnsitzauflage gemäß § 57 FPG missachtet begeht jedoch eine Verwaltungsübertretung.
Mandatsbescheid des Bundesamt BFA RD Y vom 11.01.2018, GZ.: *****,
Zugestellt am 11.01.2018
Wohnsitzauflage: Quartier des Bundes, Adresse 2, W.“
Der Beschwerdeführerin wurde eine Verwaltungsübertretung nach § 121 Abs 1a iVm § 57 Fremdenpolizeigesetz vorgeworfen und gemäß § 121 Abs 1a FPG eine Geldstrafe in der Höhe von Euro 100,00 bzw eine Ersatzfreiheitsstrafe von 1 Tag und 9 Stunden zuzüglich 10 % Verfahrenskosten verhängt.
In der rechtzeitig eingebrachten Beschwerde wurde Folgendes ausgeführt:
„In oben bezeichneter Verwaltungsstrafsache erhebt die Beschwerdeführerin gegen das Straferkenntnis der Landespolizeidirektion X vom 22.02.2018 GZ: *****, zugestellt am 28.02.2018, innerhalb offener Frist
Beschwerde
I. Sachverhalt
Mit Bescheid vom 11.01.2018 des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl Regionaldirektion Y wurde der Beschwerdeführerin eine Wohnsitzauflage gem. § 57 FPG erteilt, wobei ihr aufgetragen wurde, sich binnen drei Tagen in einem Quartier des Bundes in W Unterkunft zu nehmen. Die Zustellung des Bescheides erfolgte am selben Tag durch die Polizei.
Die Beschwerdeführerin lebt zusammen mit ihrem minderjährigen Sohn W (geb. am XX.XX.XXXX) in einer Wohnung in Y. Nachdem ab dem 11.01.2018 Polizeibeamte zwei Mal in die Wohnung der Beschwerdeführerin aufsuchten, wurde der minderjährige Sohn aufgrund seiner massiv traumatischen Erlebnisse in der Vergangenheit mit Polizeibeamten der Ukraine panisch und zeigte ein suizidales Verhalten. Aufgrund dessen brachte die Beschwerdeführerin ihren Sohn am 17.01.2018 in die Ambulanz der Kinder- und Jugendpsychiatrie der CC in Y. Dort wurde ihm eine posttraumatische Belastungsstörung und akute Suizidalität diagnostiziert, die für sein Alter äußert ungewöhnlich ist. Der Besuch der Polizeibeamten stellte laut Ambulanzbericht ein belastendes Ereignis von außergewöhnlicher Bedrohung mit katastrophalem Ausmaß für den Sohn der Beschwerdeführerin dar. Aufgrund dessen wurde dem Kind eine sofortige stationäre Aufnahme an der Kinder- und Jugendpsychiatrie am 18.01.2018 empfohlen.
Da es jedoch zu diesem Zeitpunkt keine Möglichkeit gab, den Sohn gemeinsam mit der Beschwerdeführerin stationär aufzunehmen, wurden beide zunächst an das Landeskrankenhaus Y (Kinderspital) verwiesen. Dort hielten sich beide bis zum 06.02.2018 auf.
Am 06.02.2018 wurden dann die Beschwerdeführerin und ihr Sohn zur stationären Behandlung in der CC aufgenommen.
Die Wohnsitzauflage ist zwar weiterhin aufrecht, diese wird aber vom BFA RD Y zum Schutze des Kindeswohls nicht durchgesetzt.
Beweis:
Bestätigung der CC Y vom 15.03.2018
Ambulanzbericht der CC vom 17.01.2018
Befunde das Landeskrankenhaus Y (Kinderspital) werden nachgereicht
Informierter Vertreter des BFA, RD Y, Adresse 3, Y.
Am 18.01.2018 wurden gegen die Beschwerdeführerin mit einer Strafverfügung der Landespolizeidirektion X gem. § 121 Abs 1a iVm. § 57 FPG eine Geldstrafe iHv. EUR 100,00 verhängt, da sich diese im aufgetragenen Quartier nicht eingefunden hat.
Gegen diese Strafverfügung erhob die Beschwerdeführerin durch ihre damalige rechtsfreundliche Vertretung fristgerecht Einspruch.
Mit streitgegenständlichem Straferkenntnis wurde dem Einspruch keine Folge gegeben.
II. Rechtzeitigkeit und Zulässigkeit
Die Beschwerdeführerin ist als Beschuldigte durch das streitgegenständliches Straferkenntnis in ihren Rechten verletzt.
Die Rechtzeitigkeit der Beschwerde ergibt sich daraus, dass die Zustellung des Straferkenntnisses am 28.02.2018 erfolgte.
III. Beschwerdeerklärung:
Das streitgegenständliche Straferkenntnis wird vollumfänglich angefochten.
IV. Gründe für die Rechtswidrigkeit:
Die Verwaltungsübertretung der Beschwerdeführerin ist nicht strafbar, da sie durch einen Notstand gem. § 6 VStG gerechtfertigt ist.
Gem. § 6 VStG ist eine Tat nicht strafbar, wenn sie durch Notstand entschuldigt oder, obgleich sie dem Tatbestand einer Verwaltungsübertretung entspricht, vom Gesetz geboten oder erlaubt ist.
Aufgrund des akuten suizidalen Verhaltens des Sohnes der Beschwerdeführerin lag eine unmittelbar drohende Gefahr für sein Leben vor, weshalb sie sich der Anordnung der Unterkunftaufnahme widersetzen und die Verwaltungsübertretung begehen musste, um das Wohl ihres Kindes zu schützen. Das durch die Tat beeinträchtigte Rechtsgut wiegt auch nicht unverhältnismäßig schwerer, als das dadurch geschützte Rechtsgut. Es liegen alle Voraussetzungen des § 6 VStG vor.
V. Anträge
Aus diesen Gründen wird beantragt, das Landesverwaltungsgericht X möge nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung das Straferkenntnis ersatzlos beheben und die Verwaltungsstrafsache einstellen.
BB AA“
Zur Sachverhaltsfeststellung wurde in den vorgelegten Verwaltungsstrafakt der belangten Behörde Einsicht genommen. Die Rechtsvertreterin der Beschwerdeführerin hat in einem ergänzenden Vorbringen vom 03.05.2018 eine Kopie der aufgenommenen Niederschrift vom 05.02.2018 betreffend die durchgeführte Erstbefragung nach dem eingebrachten asylrechtlichen Folgeantrag, Kopien der für die Beschwerdeführerin und deren Sohn am 30.04.2018 vom BFA ausgestellten Aufenthaltsberechtigungskarten gemäß § 51 Asylgesetz 2005 und eine Kopie des Entlassungsscheines der Universitätsklinik für Kinder und Jugendheilkunde Y betreffend den 7-jährigen Sohn der Beschwerdeführerin, aus dem hervorgeht, dass sich dieser vom 18.01.2018 bis 06.02.2018 stationär im Uniklinikum Y aufgehalten hat, vorgelegt.
Da auf die in der Beschwerde beantragte Beschwerdeverhandlung nachträglich verzichtet wurde, wurde eine bereits anberaumte Beschwerdeverhandlung abberaumt. Beim BFA Y wurden der Verfahrensstand im fremdenpolizeilichen und asylrechtlichen Verfahren der Beschwerdeführerin nachgefragt und die Angaben in der Beschwerde und die mit dem ergänzenden Beschwerdevorbringen vorgelegten Unterlagen überprüft.
Das BFA Y hat mitgeteilt, dass die Beschwerdeführerin am 05.02.2018 einen Folgeantrag nach dem Asylgesetz eingebracht hat. Das Asylverfahren wurde zugelassen, die Wohnsitzauflage ist somit gemäß § 57 Abs 5 iVm § 61 Abs i FPG mit 05.02.2018 ex lege außer Kraft getreten. Gegen den die Wohnsitzauflage anordnenden Bescheid des BFA vom 11.01.2018 wurde von der Beschwerdeführerin am 17.01.2018 Vorstellung erhoben. Am 22.01.2018 hat das BFA das Ermittlungsverfahren eingeleitet. Da während der eingeräumten Frist zur Wahrung des Parteiengehörs am 05.02.2018 der asylrechtliche Folgeantrag eingebracht wurde, wurde das Vorstellungsverfahren nicht mehr weiter verfolgt und vom BFA eingestellt.
Aufgrund der vorgelegten Aktenunterlagen und der durchgeführten Erhebungen ist es als erwiesen anzusehen, dass die mit Bescheid vom 11.01.2018 aufgetragene Wohnsitzauflage mit der Zustellung vom 11.01.2018 rechtswirksam wurde. Daran änderte auch die am 17.01.2018 eingebrachte Vorstellung nichts. Grundsätzlich wäre die Verlegung des Wohnsitzes innerhalb von 3 Tagen ab 11.01.2018 von Y nach W auch unter Berücksichtigung der erfolgten stationären Aufnahme des minderjährigen Sohnes der Beschwerdeführerin im Landeskrankenhaus Y ab 18.01.2018 möglich gewesen. Der objektive Tatbestand der der Beschwerdeführerin angelasteten Verwaltungsübertretung liegt im gegenständlichem Falle vor. Hinsichtlich der subjektiven Tatzeit ist auszuführen, dass das Verschulden der Beschwerdeführerin, insbesondere aufgrund des nachgewiesenen sehr problematischen Gesundheitszustandes ihres 7-jährigen Sohnes, der ärztlich angeordneten notwendigen stationären Aufnahme des Sohnes in der Kinderklinik in Y ab dem 18.01.2018 bis zum 06.02.2018 als äußerst gering anzusehen ist. Der Sohn der Beschwerdeführerin wurde am ersten Tag nach der Einbringung des Asylfolgeantrages und der in weiterer Folge ex lege erfolgten Aufhebung der Wohnsitzauflage aus dem Landeskrankenhaus Y entlassen. Weiters sind die Folgen der angelasteten Verwaltungsübertretungen als äußerst gering und unbedeutend zu werten, insbesondere weil die Wohnsitzauflage bereits mit 05.02.2018 gemäß § 57 Abs 5 FPG ex lege außer Kraft getreten ist. Eine gleichartige Verwaltungsübertretung ist bis auf weiteres rechtlich nicht möglich. Im gegenständlichen Fall ist somit aus spezialpräventiven aber auch aus generalpräventiven Überlegungen eine Bestrafung mit einer Geldstrafe nicht geboten und notwendig. Das LVwG Tirol geht daher in diesem Verwaltungstrafverfahren davon aus, dass die Voraussetzungen nach § 45 Abs 1 Z 4 VStG vorliegen, weil im konkreten Fall die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat und das Verschulden der Beschwerdeführerin durchaus gering sind.
Aufgrund des vorliegenden Sachverhalts und der aufgezeigten rechtlichen Erwägungen war daher spruchgemäß der Beschwerde stattzugeben, von der Fortführung des Strafverfahrens abzusehen und die Einstellung des gegenständlichen Verwaltungsstrafverfahrens zu verfügen.
II. Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:
Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt.
R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
Soweit die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof in Wien für zulässig erklärt worden ist, kann innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung dieser Entscheidung eine ordentliche Revision erhoben werden. Im Fall der Nichtzulassung der ordentlichen Revision kann innerhalb dieser Frist nur die außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden.
Jedenfalls kann gegen diese Entscheidung binnen sechs Wochen ab der Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, Freyung 8, 1010 Wien, erhoben werden.
Die genannten Rechtsmittel sind von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw einer bevollmächtigten Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen, und es ist eine Eingabegebühr von Euro 240,00 zu entrichten. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist direkt bei diesem, die (ordentliche oder außerordentliche) Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist beim Landesverwaltungsgericht X einzubringen.
Es besteht die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten. Ein solcher Verzicht hat zur Folge, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht mehr erhoben werden können.
Landesverwaltungsgericht X
Mag. Dr. Rieser
(Richter)
Schlagworte
Rückkehrentscheidung; Missachtung des WohnsitzesEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGTI:2018:LVwG.2018.30.0750.4Zuletzt aktualisiert am
23.07.2018