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62 Arbeitsmarktverwaltung;Norm
AlVG 1977 §10 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Nowakowski und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde des Y in H, vertreten durch Dr. A. Konzett, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Gänsbacherstraße 3, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Tirol vom 8. Oktober 1997, Zl. LGSTi/V/1212/5252 09 06 58-702/1997, betreffend Verlust des Anspruches auf Arbeitslosengeld gemäß § 10 AlVG, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid vom 27. August 1997 sprach die zuständige regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice aus, dass der Beschwerdeführer den Anspruch auf Arbeitslosengeld gemäß § 10 AlVG für die Zeit vom 1. September 1997 bis 12. Oktober 1997 verloren habe; eine Nachsicht werde nicht erteilt. In der Begründung wurde nach auszugsweiser Wiedergabe der im Spruch genannten Gesetzesstelle ausgeführt, der Beschwerdeführer habe die Arbeitsaufnahme als Küchenhilfe im Englhof vereitelt. Umstände zur Erteilung einer Nachsicht lägen nicht vor.
Der Beschwerdeführer erhob Berufung. Darin führte er wörtlich
aus:
"...
Mit dem Bescheid vom 27.8.1997 teilen Sie mir mit, dass ich die Arbeitsaufnahme als Küchenhilfe im Englhof vereitelt habe. Das stimmt nicht. Frau Gapp teilte mir mit, dass sie momentan niemanden braucht. Da wir uns beim Vorstellungsgespräch gut verstanden haben, nahm sie meine Adresse und Tel.Nr. auf um mich für die Wintersaison anzurufen. Es war auch der türkische Dolmetscher Mag. Tanriverdi dabei. Er hat auch vorher bei Frau Gapp angerufen und für mich diesen Termin bei ihr vereinbart.
Nachdem ich von Ihnen diesen Bescheid erhalten habe, war ich in Seefeld bei Frau Gapp. Sie verwunderte sich auch über diesen Bescheid und schrieb auf diesen Bescheid unten dazu "kann nicht eingestellt werden". Sie sagte mir weiters, dass sie gerne für weitere Auskünfte dem AMS zur Verfügung steht.
..."
Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde diese Berufung ab. Nach kurzer Darstellung des Verwaltungsgeschehens und auszugsweiser Wiedergabe des § 10 AlVG führte sie aus, es sei von folgendem Sachverhalt auszugehen:
Das Arbeitsmarktservice sei am 6. August 1997 in der Lage gewesen, den Beschwerdeführer als Küchenhilfe zum Englhof mit "überkollektiver" Entlohnung zu vermitteln. Die Annahme der vermittelten Beschäftigung sei laut niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vom 21. August 1997 deshalb nicht zu Stande gekommen, weil er selbst ein Lokal in der Altstadt in I. aufmachen wolle (ca. am 1. Jänner 1998). Der Beschwerdeführer könnte nur bis dahin arbeiten.
Laut Stellungnahme des Arbeitsmarktservice I. und durchgeführter Ermittlungen sei für den Beschwerdeführer ein Vorstelltermin für den 21. August 1997 um 15.00 Uhr mit der vermittelten Firma ausgemacht gewesen. Die Firma habe die Zusage erteilt, den Beschwerdeführer ab 1. September 1997 bis Saisonende einzustellen. Der Beschwerdeführer habe sich jedoch nicht vorgestellt. Erst nach Erhalt des erstinstanzlichen Bescheides sei er zur vermittelten Firma gegangen und habe den Vermerk erhalten, dass er nicht eingestellt werde. Laut Mitteilung der Firma hätte sich der Beschwerdeführer nicht sehr arbeitswillig verhalten.
Auf Grund dieses Sachverhaltes komme die belangte Behörde zum Schluss, dass der Beschwerdeführer die Arbeitseinstellung vereitelt habe. Seinen Einwendungen sei entgegenzuhalten, dass er als Bezieher von Arbeitslosengeld bereit sein müsse, seine Arbeitslosigkeit so rasch als möglich zu beenden, wenn er nicht den Anspruch auf Arbeitslosengeld für zumindest sechs Wochen verlieren wolle.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die der Sache nach Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 9 Abs. 1 AlVG ist arbeitswillig, wer (u.a.) bereit ist, eine durch die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice vermittelte zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder von einer sonst sich bietenden Arbeitsmöglichkeit Gebrauch zu machen.
Nach § 10 Abs. 1 AlVG verliert ein Arbeitsloser, der sich weigert, eine ihm von der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder die Annahme einer solchen Beschäftigung vereitelt, für die Dauer der Weigerung, jedenfalls aber für die Dauer der auf die Weigerung folgenden sechs Wochen den Anspruch auf Arbeitslosengeld.
Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. zuletzt das Erkenntnis vom 20. Oktober 1999, Zl. 99/08/0136) sind die genannten Bestimmungen Ausdruck der dem gesamten Arbeitslosenversicherungsrecht zu Grunde liegenden Gesetzeszwecke, den arbeitslos gewordenen Versicherten, der trotz Arbeitsfähigkeit und Arbeitswilligkeit nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses keinerlei Beschäftigung gefunden hat, möglichst wieder durch Vermittlung in eine ihm zumutbare Beschäftigung einzugliedern und ihn so in die Lage zu versetzen, seinen Lebensunterhalt ohne Zuhilfenahme öffentlicher Mittel zu bestreiten. Wer eine Leistung der Versichertengemeinschaft der Arbeitslosenversicherung in Anspruch nimmt, muss sich daher darauf einstellen, eine ihm angebotene, zumutbare Beschäftigung auch anzunehmen, d.h. bezogen auf eben diesen Arbeitsplatz arbeitswillig zu sein.
Um sich in Bezug auf eine von der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice vermittelte, zumutbare Beschäftigung arbeitswillig zu zeigen, bedarf es grundsätzlich einerseits eines auf die Erlangung dieses Arbeitsplatzes ausgerichteten (und daher unverzüglich zu entfaltenden) aktiven Handelns des Arbeitslosen, andererseits (und deshalb) aber auch der Unterlassung jedes Verhaltens, welches objektiv geeignet ist, das Zustandekommen des konkret angebotenen Beschäftigungsverhältnisses zu verhindern.
Das Nichtzustandekommen eines den Zustand der Arbeitslosigkeit beendenden (zumutbaren) Beschäftigungsverhältnisses kann vom Arbeitslosen somit auf zwei Wegen verschuldet (d.h. dessen Zustandekommen vereitelt) werden: Nämlich dadurch, dass der Arbeitslose ein auf die Erlangung des Arbeitsplatzes ausgerichtetes Handeln erst gar nicht entfaltet (Unterlassung der Vereinbarung eines Vorstellungstermines, Nichtantritt der Arbeit, etc), oder aber, dass er den Erfolg seiner (nach außen zu Tage tretenden) Bemühungen durch ein Verhalten, welches nach allgemeiner Erfahrung geeignet ist, den potenziellen Dienstgeber von der Einstellung des Arbeitslosen abzubringen, zunichte macht.
Unter "Vereitelung" iSd § 10 Abs. 1 AlVG ist daher ein auf das zugewiesene Beschäftigungsverhältnis bezogenes Verhalten des Vermittelten zu verstehen, das - bei Zumutbarkeit der Beschäftigung - das Nichtzustandekommen des konkret angebotenen Beschäftigungsverhältnisses herbeiführt; das Nichtzustandekommen muss in einem darauf gerichteten oder dieses zumindest in Kauf nehmenden Tun des Vermittelten seinen Grund haben. Die Vereitelung iSd § 10 Abs. 1 AlVG verlangt ein vorsätzliches Handeln des Vermittelten, wobei bedingter Vorsatz (dolus eventualis) genügt. Ein bloß fahrlässiges Handeln, also die Außerachtlassung der gehörigen Sorgfalt, reicht zur Verwirklichung dieses Tatbestandes hingegen nicht hin (vgl. das Erkenntnis vom 20. Oktober 1992, Slg. 13.722/A - ständige Rechtsprechung).
Die belangte Behörde ging einerseits davon aus, dass der Beschwerdeführer die ihm am 6. August 1997 vermittelte Stelle deswegen nicht angetreten habe, weil er selbst ein Lokal aufmachen wolle und daher nur bis dahin arbeiten könne, und andererseits davon, dass er den für ihn vereinbarten Vorstellungstermin vom 21. August 1997 nicht eingehalten habe. Vor dem dargestellten rechtlichen Hintergrund unterliegt es keinem Zweifel, dass der Beschwerdeführer bei Zutreffen einer der von der belangten Behörde angenommenen Sachverhaltsvarianten den Tatbestand der Vereitelung verwirklicht hätte (vgl. etwa zur ersten Sachverhaltskonstellation die hg. Erkenntnisse vom 20. Dezember 1994, Zl. 93/08/0129, vom 27. Februar 1996, Zl. 95/08/0080, und vom 8. April 1997, Zl. 94/08/0072).
In der Beschwerde werden aber die im Bescheid getroffenen Sachverhaltsfeststellungen bestritten und es wird gerügt, dass der Bescheid keine nachvollziehbare und überprüfbare Begründung für die Sachverhaltsannahmen enthalte und auch auf die Ausführungen in der Berufung nicht eingehe.
Die Beschwerde ist im Ergebnis berechtigt.
Die belangte Behörde stützt die Feststellung, die am 6. August 1997 vermittelte Beschäftigung sei nicht zu Stande gekommen, weil der Beschwerdeführer selbst ein Lokal aufmachen wolle, auf die Niederschrift vom 21. August 1997. Eine Niederschrift macht über ihren Inhalt nur dann vollen Beweis, wenn sie den Voraussetzungen des § 14 AVG entspricht. Die von der belangten Behörde angesprochene Niederschrift vom 21. August 1997 entspricht diesen Voraussetzungen nicht. Die Niederschrift enthält weder einen Hinweis darauf, dass diese vorgelesen oder dass auf die Verlesung verzichtet worden wäre, noch enthält sie die Unterschrift des Beschwerdeführers. Der Vermerk auf der Niederschrift "P. verweigert Unterschrift" entspricht nicht dem § 14 Abs. 3 AVG idF BGBl. Nr. 51/1991, wonach bei Verweigerung der Unterschrift dies unter Angabe des Grundes, aus dem die Fertigung nicht erfolgte, von dem die Amtshandlung leitenden Organ ausdrücklich festzuhalten ist. Entgegen der Meinung der belangten Behörde gilt daher für diese Niederschrift nicht die volle Beweiskraft nach § 15 AVG. Der Sachverhalt, der den Inhalt der Niederschrift bildet, wäre vielmehr gemäß § 45 Abs. 2 AVG auf Grund eines entsprechenden Ermittlungsverfahrens festzustellen gewesen.
Die belangte Behörde stützt ihren Bescheid auch darauf, dass der Beschwerdeführer den für den 21. August 1997 vereinbarten Vorstelltermin nicht besucht habe. Als Erkenntnisquellen dafür werden die Stellungnahmen der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice und durchgeführte Ermittlungen angegeben. Eine nähere Bezeichnung dieser Erkenntnisquellen ist im Bescheid nicht enthalten. Im Verwaltungsakt der belangten Behörde erliegen zwei Schriftstücke, die als "Stellungnahme zur Berufung" bzw. mit "Verfahren (Beschwerdeführer)" überschrieben sind und offensichtlich von der für den Beschwerdeführer zuständigen Bediensteten der regionalen Geschäftsstelle verfasst wurden. Der in diesen Stellungnahmen geschilderte Verfahrensablauf lässt sich einerseits durch chronologische Dokumentation im Akt der regionalen Geschäftsstelle nicht nachvollziehen. Da sich die belangte Behörde auf die in diesen Stellungnahmen hervorgekommenen Fakten stützte, hätte sie andererseits diese Ergebnisse dem Beschwerdeführer gemäß § 45 Abs. 3 AVG vorhalten müssen. Dass dies geschehen wäre, kann dem Akt nicht entnommen werden; die Unterlassung wird in der Beschwerde - unter Angabe dessen, was bei Parteiengehör vorgebracht worden wäre - auch gerügt.
Da nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, dass bei Unterbleiben dieser Verfahrensfehler die belangte Behörde zu einem im Ergebnis anders lautenden Bescheid gekommen wäre, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 26. Jänner 2000
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:1998080004.X00Im RIS seit
18.10.2001