Entscheidungsdatum
03.07.2018Norm
AsylG 2005 §3Spruch
L515 2192914-1/5E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. H. LEITNER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Armenien, vertreten durch RA Mag. Michael-Thomas REICHENVATER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.03.2018, Zl. XXXX, beschlossen:
A) In Erledigung der Beschwerde von XXXX vom 16.04.2018, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 21.03.2018, Zl. XXXX, wird gem. § 28 Abs. 3 VwGVG, Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz), BGBL I 33/2013 idgF der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl verwiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
Die beschwerdeführende Partei ("bP"), ist ein Staatsangehöriger der Republik Armenien und brachte am im Akt ersichtlichen Datum beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als belangte Behörde ("bB") einen Antrag auf internationalen Schutz ein.
Aufgrund des Gesundheitszustandes des bP konnte sie weder die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes, noch ein Organwalter der bB zur ihren Ausreisegründen und Rückkehr-hindernissen befragen. Die bP konnte lediglich angeben, dass sie nicht in der Lage ist, befragt zu werden und unter starken Schmerzen leide.
Aus dem Akteninhalt ergibt sich, dass die bP an multipler Sklerose leidet. Im Rahmen einer Anfrage an die Staatendokumentation der bB ergab sich, dass Behandlungsmöglichkeiten bei multipler Sklerose bestehen. Gewisse der bP in Österreich verschriebene Medikamente sind in der Republik vorhanden, andere jedoch nicht.
Das zuständige BG kam der Anregung zur Bestellung eines Sachwalters nicht nach.
Der bB war bzw. ist bekannt, dass sich die Mutter und Schwester der bP im Bundesgebiet aufhalten.
Der Antrag der bP auf internationalen Schutz wurden folglich mit im Spruch genannten Bescheiden der bB gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs 1 Z 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Armenien nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die bP eine Rückkehrentscheidung in Bezug auf Armenien gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung nach Armenien gemäß § 46 FPG zulässig sei. Die Frist zur freiwilligen Ausreise wurde gemäß § 55 FPG mit 14 Tagen festgelegt.
Die bB ging zusammengefasst davon aus, dass keine asylrelevante Verfolgung geschildert worden sei und MS in Armenien behandelbar sei. Die bP lebe bei ihrer in Österreich als Asylwerberin aufhältigen Mutter (ihr Antrag auf internationalen Schutz wurde abgewiesen und eine Rückkehrentscheidung verfügt; der Beschwerde wurde die aufschiebende Wirkung nicht zuerkannt) und die Schwester, welche gemeinsam mit ihrer Familie über einen Aufenthaltstitel verfügt, ein schützenswertes Familienleben kann jedoch nicht festgestellt werden.
Eine genaue und detaillierte zeugenschaftliche (und somit unter Wahrheitspflicht) Befragung der Mutter und Schwester der bP zu den Ausreisegründen der bP fand laut Aktenlage -abgesehen von einer oberflächlichen Befragung der Mutter der bP in ihrem eigenen Asylverfahren zu den Gründen ihres Sohnes- ebenso wenig statt, wie keine weiteren Ermittlungsschritte als der erfolglose Versuch, die bP einzuvernehmen gesetzt wurden.
Gegen den angefochtenen Bescheid wurde mit im Akt ersichtlichen Schriftsatz innerhalb offener Frist Berufung Beschwerde erhoben.
Im Wesentlichen wurde nach Darlegung allgemeiner rechtlicher und sonstiger Ausführungen vorgebracht, dass die bP rechts- und tatsachenirrig vorging. Die bP hätte Armenien aus asylrelevanten Motiven verlassen, über die ihre Mutter Bescheid wisse. Darüber hinaus wäre für die bP in Armenien der Zugang zu medizinischer Behandlung aufgrund der Erschöpfung der finanziellen Ressourcen nicht (mehr) möglich gewesen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Beweis wurde erhoben durch den Inhalt des vorliegenden Verwaltungsaktes der Verwaltungsbehörde und der eingebrachten Beschwerde.
1. Feststellungen:
Die belangte Behörde hat die notwendigen Ermittlungen des maßgeblichen Sachverhaltes unterlassen. Von welchem Sachverhalt auszugehen ist steht daher nicht fest und ist das ho. Gericht deshalb auch nicht in der Lage, entsprechende Feststellungen zu treffen.
2. Beweiswürdigung:
Die für die gegenständliche Zurückverweisung des Bundesverwaltungsgerichtes relevanten Umstände ergeben sich aus der Aktenlage zweifelsfrei.
Das ho. Gericht verkennt nicht, dass sich die bB im gegenständlichen Fall in einer schwierigeren Beweislage befindet, als dies üblicherweise der Fall ist, wenn die bP befragt werden kann.
Es verkennt auch nicht, dass es Fälle geben kann, wo eine Einvernahme der bP -etwa aufgrund dessen Gesundheitszustand- nicht möglich ist und trotzdem über den Antrag zu entscheiden ist. Dennoch -bzw. gerade in diesen Fällen- hat die bB im Rahmen ihrer Obliegenheit zur amtswegigen Ermittlung des Maßgeblichen Sachverhalts initiativ jene Informationsquellen heranzuziehen, welche außerhalb der Angaben der bP liegen. Hier bieten sich im gegenständlichen Fall zumindest die genaue zeugenschaftliche Einvernahme der Mutter und Schwester der bP an. Eine "nebenbei" durchgeführte äußerst oberflächliche Befragung im Rahmen des Asylverfahrens der Mutter stellt hier kein ausreichend taugliches Bescheinigungs-mittel dar.
Sollten sich im Rahmen dieser Befragung weitere Hinweise auf existente Auskunftsmittel ergeben, wäre selbstredend auch diesen nachzugehen bzw. weist das ho. Gericht darauf hin, dass bereits jetzt so weit konkrete Anknüpfungspunkte vorliegen, welche es der bP ermöglichen würden, über einen Vertrauensanwalt vor Ort Recherchen durchzuführen.
Zum Gesundheitszustand der bP ist festzuhalten, dass nach der ständigen Rechtsprechung der Höchstgerichte im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung und Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen sind. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche liegen jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (vgl. die Beschlüsse des VwGH vom 21. Februar 2017, Ro 2016/18/0005 und Ra 2017/18/0008 bis 0009, unter Hinweis auf das Urteil des EGMR vom 13. Dezember 2016, Nr. 41738/10, Paposhvili gegen Belgien; auch Beschluss des VwGH vom 23.3.2017, Ra 2017/20/0038; siehe auch Urteil vom 2.5.1997, EGMR 146/1996/767/964 ["St. Kitts-Fall"]; Erk. d. VfGH 06.03.2008, Zl: B 2400/07-9). Bloß spekulative Überlegungen über einen fehlenden Zugang zu medizinischer Versorgung sind ebenso unbeachtlich wie eine bloße Minderung der Lebensqualität (Urteil des EGMR (Große Kammer) vom 27. Mai 2008, N. v. The United Kingdom, Nr. 26.565/05).
In Bezug auf die Erkrankung der bP und die entsprechenden Behandlungsmöglichkeiten in Armenien greifen im Lichte der oa. Ausführungen die Ermittlungen der bB ebenfalls zu kurz, zumal zum einen offen bleibt, welche Konsequenzen das Nichtvorhandensein der genannten Wirkstoffe nach sich zieht und ob die bP in Armenien eine reale Chance auf Zugang zu lebenserhaltender bzw. ein schweres Leiden abwendbarer Behandlung hat. Die bloße Feststellung dass -abstrakt- Behandlungsmöglichkeiten bestehen, ohne konkret zu prüfen, ob die bP eine realistische Chance hat, diese Behandlungsmöglichkeiten auch zu nützen, greifen jedenfalls zu kurz.
Ebenso blieb offen, wie sie mit ihrer schweren Behinderung und Armenien faktisch überleben kann.
Auch wenn dieser Mangel für sich alleine nicht zur Behebung des angefochtenen Bescheides führen würde, weist das ho. Gericht darauf hin, dass sich die im angefochtenen Bescheid befindliche Interessensabwägung iSd Art. 8 Abs. 2 EMRK als unvollständig darstellt und weist des ho. Gericht darauf hin, dass aus dem -unter Eingriffsvorbehalt stehenden Privat- und Familienleben gem. Art. 8 EMRK auch ein Recht auf körperliche Unversehrtheit abzuleiten ist (vgl. etwa Erk. d. VwGH vom 28.6.2016, Ra 2015/21/0199-8), welches im Rahmen der Interessensabwägung zu berücksichtigen ist und wurde die Interessensabwägung sichtlich textbausteinartig vorgenommen. Anderweitig ist es nicht erklärbar, warum sich in der rechtlichen Beurteilung der -wie in den überwiegenden Bescheiden in denen Asylwerber Integrationsbemühungen setzten auch hier der Satz "Die Behörde verkennt nicht Ihre Bemühungen, sich in die Gesellschaft zu integrieren", zu finden ist, obwohl in Bezug auf die bP keine Integrationsbemühungen aktenkundig sind.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-Verfahrensgesetz - BFA-VG), BGBl I 87/2012 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Gemäß § 28 Abs. 3 hat, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 leg. cit nicht vorliegen, das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückzuverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgeht.
Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.
Zu A) Das oa. Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraus. Insoweit erscheinen auch die von der höchstgerichtlichen Judikatur -soweit sie nicht die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung betrifft- anwendbar, weshalb unter Bedachtnahme der genannten Einschränkungen die im Erk. des VwGH vom 16.12.2009, GZ. 2007/20/0482 dargelegten Grundsätze gelten. Mängel abseits jener der Sachverhaltsfeststellung legitimieren das Gericht nicht zur Behebung aufgrund § 28 Abs. 3, 2. Satz (Erk. d. VwGH vom 19.11.2009, 2008/07/0167; vgl. auch Fischer/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013), Anm. 11 zu § 28 VwGVG).
Hinsichtlich der Entscheidungsbefugnis bzw. Entscheidungsverpflichtung geht der Gesetzgeber bei den Verwaltungsgerichten vom Primat der Sachentscheidung aus, wenn er festlegt, dass gem. § 28 Abs. 1 VwGVG das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen hat, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Gemäß § 28 Abs. 3 leg. cit. hat, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 leg. cit nicht vorliegen, das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückzuverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgeht.
Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stellt die nach § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG 2014 bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird.
Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher im Lichte der oa. Ausführungen insbesondere dann in Betracht kommen,
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wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat,
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wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder
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bloß ansatzweise ermittelt hat.
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Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).
In seinem Urteil vom 14.6.2017, C-685 EU:C:2017:452 befasste sich der EuGH mit der Frage, ob nationale Bestimmungen, welche dem Verwaltungsgericht die amtswegige Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts -bei entsprechender Untätigkeit der Behörde- der in der europarechtlichen Judikatur geforderten Objektivität und Unvoreingenommenheit des Gerichts entgegenstehen. Nach seiner Ansicht können die Gerichte nach den nationalen Verfahrensregeln zwar verpflichtet sein, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Vorlage solcher Beweise zu fördern, doch können sie nicht verpflichtet sein, anstelle der genannten Behörden die Rechtfertigungsgründe vorzubringen, die nach dem Urteil vom 30. April 2014, Pfleger u. a. (C-390/12, EU:C:2014:281) diese Behörden vorzubringen haben. Werden diese Rechtfertigungsgründe wegen der Abwesenheit oder der Passivität dieser Behörden nicht vorgebracht, müssen die nationalen Gerichte alle Konsequenzen ziehen dürfen, die sich aus einem solchen Mangel ergeben. Der EuGH führte weiters aus, dass die Art. 49 und 56 AEUV, wie sie insbesondere im Urteil vom 30. April 2014, Pfleger u. a. (C-390/12, EU:C:2014:281), ausgelegt wurden, im Licht des Art. 47 der Charta dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Verfahrensregelung, nach der in Verwaltungsverfahren das Gericht, bei der Prüfung des maßgeblichen Sachverhalts die Umstände der bei ihm anhängigen Rechtssache von Amts wegen zu ermitteln hat, nicht entgegenstehen, sofern diese Regelung nicht zur Folge hat, dass das Gericht an die Stelle der zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats zu treten hat, denen es obliegt, die Beweise vorzulegen, die erforderlich sind, damit das Gericht eine entsprechende Prüfung durchführen kann. Die Ausführungen des EuGH beziehen sich zwar auf ein Verwaltungsstrafverfahren, sie sind nach ho. Ansicht jedoch auch im gegenständlichen Fall anwendbar.
Im Lichte einer GRC-konformen Interpretation der verfassungsrechtlichen Bestimmungen, wonach das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden hat, finden diese jedenfalls dort ihre Grenze, wenn das Gericht an die Stelle der zuständigen belangten Behörde zu treten hätte, der es obliegt, dem Gericht die Beweise iSd Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts vorzulegen. Wird diese Grenze überschritten ist das Gericht ermächtigt -wenn nicht sogar verpflichtet- eine kassatorische Entscheidung iSd § 28 Abs. 3 VwGVG zu treffen.
Einzelfallbezogen ergibt sich im gegenständlichen Fall, dass das ho. Gericht den maßgeblichen Sachverhalt weitestgehend anstelle der bB zu ermitteln hätte, da ihrerseits über erhebliche Strecken unterblieb, bzw. weitgehend nur untaugliche Ermittlungsschritte gesetzt wurden. Das ho. Gericht würde letztlich in der Rolle der bB und nicht als unabhängiges Gericht tätig und hätte den Fall völlig neu aufzurollen, weshalb im Lichte der oa. Ausführungen die Voraussetzungen für eine kassatorische Vorgangsweise gegeben sind, zumal die seitens der bB unterlassenen Ermittlungen unter die im Erk. des VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063 bzw. dem Urteil vom 14.6.2017, C-685 EU:C:2017:452 beschriebenen Erwägungen zu subsumieren sind.
Im Lichte der in den beiden Vorabsätzen dargelegten Überlegungen wird die belangte Behörde die entsprechenden einzelfallspezifischen Ermittlungen nachzuholen und darauf aufbauende Feststellungen, sowie Feststellungen zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Armenien zu treffen haben, anhand derer sie auch die Glaubhaftigkeit des behauptetermaßen ausreisekausalen Sachverhalt zu prüfen haben wird.
Es wird sich auch die Frage stellen, ob es nicht zweckmäßig erscheint, die bP im Rahmen des § 13a AVG dahingehend zu belehren, dass sie sich eines gewillkürten Vertreters (eventuell auch in Form ihrer Mutter oder Schwester) bedienen kann, welche für die bP die Obliegenheiten zur Mitwirkung im Verfahren erfüllen kann.
Trotz der Einrichtung von Außenstellen des BVwG ist auszuführen, dass aufgrund des organisatorischen Aufbaues des BVwG und des BFA, sowie aufgrund des Aufenthaltsortes der bP eine Weiterführung des Verfahrens durch das BVwG im Sinne des § 28 Abs. 2 u 3 VwGVG nicht mit einer Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist bzw. zu keiner wesentlichen Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens führt.
Gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG konnte eine mündliche Verhandlung unterbleiben, weil bereits auf Grund der Aktenlage feststand, dass der Beschwerde stattzugeben bzw. die angefochtenen Bescheide aufzuheben waren.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung;
weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen (vgl. beispielshaft Erk. d. VwGH v. 16.12.2009, GZ. 2007/20/0482;
Erk. d. VwGH vom 19.11.2009, 2008/07/0167, sowie die bereits zitierte Judikatur).
Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Darüber hinaus stellen sich im gegenständlichen Fall primär Fragen der Beweiswürdigung.
Aus dem Umstand, dass das ho. Gericht und die belangte Behörde mit 1.1.2014 ihre Arbeit aufnahmen und teilweise eine Änderung in der fremden- und asylrechtlichen Diktion eintrat, vermag ebenfalls keinen Sachverhalt gem. Art. 133 Abs. 4 B-VG zu begründen, weil hierdurch im Kernbereich der hier zur Anwendung kommenden Bestimmungen keine substantielle Änderung eintrat.
Schlagworte
Behandlungsmöglichkeiten, Ermittlungspflicht, gesundheitlicheEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:L515.2192914.1.01Zuletzt aktualisiert am
19.07.2018