Kopf
Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 19. Juni 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kuras als weiteren Richter und die Rechtsanwälte Dr. Grassner und Dr. Haslinger als Anwaltsrichter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Sinek als Schriftführerin in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwalt in *****, wegen der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes über die Berufung des Disziplinarbeschuldigten gegen das Erkenntnis
des Disziplinarrates der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 25. September 2017, AZ D 18/16 (DV 16/17), TZ 39, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Geymayer, des Kammeranwalts der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer Dr. Hackl, des Disziplinarbeschuldigten und dessen Verteidigers Mag. Leitner zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird Folge gegeben, das angefochtene Erkenntnis aufgehoben und der Disziplinarbeschuldigte von dem wider ihn erhobenen Vorwurf, er habe als Verfasser des Kaufvertrags vom 18. August 2014, abgeschlossen zwischen Horst L***** als Verkäufer und der D***** GmbH als Käuferin über den Erwerb der Liegenschaft *****, anlässlich des Erstgesprächs, bei dem der Verkäufer anwaltlich nicht vertreten war, keinen wirksamen Vertretungsvorbehalt erklärt, weiters die treuhändige Durchführung des Kaufvertrags übernommen und nachfolgend, nachdem dieser Vertrag durch einen vom Verkäufer erklärten und von der Käuferin am 30. März 2015 angenommenen Rücktritt beendet worden war, im Verfahren zu AZ ***** die
D***** GmbH gegen Horst L***** vertreten, wobei in diesem Verfahren ein Betrag von 45.000 Euro aus Zahlungen im Zusammenhang mit dem beabsichtigten Erwerb dieser Liegenschaft geltend gemacht wurde, und habe dadurch gegen § 10 RAO, § 13 RL-BA 1977 bzw § 11 RL-BA 2015 verstoßen, gemäß § 38 Abs 1 erster Fall DSt iVm § 54 Abs 3 DSt freigesprochen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde Rechtsanwalt ***** wegen der aus dem Spruch ersichtlichen Tathandlungen der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten sowie der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 DSt schuldig erkannt und über ihn eine Geldbuße in Höhe von 4.000 Euro verhängt.
Rechtliche Beurteilung
Gegen diese Erkenntnis richtet sich die Berufung des Disziplinarbeschuldigten.
Ihrer Erledigung ist voranzustellen:
Gemäß § 9 Abs 1 erster Satz RAO ist der Rechtsanwalt verpflichtet, die übernommenen Vertretungen dem Gesetz gemäß zu führen und die Rechte seiner Partei gegen jedermann mit Eifer, Treue und Gewissenhaftigkeit zu vertreten. § 9 Abs 1 RAO verpflichtet den Anwalt somit zur Parteientreue (vgl § 6 RL-BA 2015 und § 10 RL-BA 1977). Er hat im in § 9 Abs 1 RAO definierten Umfang ausschließlich die Interessen seiner Partei zu verfolgen und gegen jedermann zu vertreten (vgl Lehner in Engelhart et al, RAO9 § 9 Rz 1).
Aus dieser Treuepflicht zum eigenen Mandanten resultiert für den Anwalt unter anderem das Verbot der Doppelvertretung, wobei zwischen echter (materieller) und unechter (formeller) Doppelvertretung zu unterscheiden ist.
Materielle (echte) Doppelvertretung liegt nach § 10 Abs 1 RAO vor, wenn der Rechtsanwalt eine Vertretung übernimmt oder auch nur einen Rat erteilt, er in derselben oder einer damit zusammenhängenden Sache aber auch die Gegenpartei vertritt oder vertreten hat. § 10 Abs 1 RAO untersagt demnach jede anwaltliche Tätigkeit (zunächst) für und (dann) gegen einen Klienten in derselben oder einer damit zusammenhängenden Sache, wobei der Begriff „zusammenhängende Sache“ weit zu verstehen ist. Erfasst sind demnach alle Konstellationen, in denen Interessenkollisionen zweier Parteien vorliegen oder auch nur die Gefahr einer derartigen Interessensüberschneidung besteht (vgl Lehner in Engelhart et al, aaO § 1 DSt Rz 38; RIS-Justiz RS0117715, RS0055534).
Das Vorliegen einer formellen (unechten) Doppelvertretung ist in Abkehr von einer gemäß vormaliger Judikatur formalen Betrachtungsweise (sogenannte „Anscheinsjudikatur“) seit Kundmachung von § 12a RL-BA 1977 am 6. Mai 2011 nach einer daran orientierten Betrachtung zu beurteilen (Benn/Ibler „Doppelvertretung Neu“, AnwBl 2011, 349; Murko „§ 12a RL-BA neu – Fortentwicklung des Standesrechts“, AnwBl 2011, 359). Nach § 12a RL-BA 1977 darf der Anwalt ein neues Mandat nicht übernehmen oder muss ein bestehendes Mandat niederlegen, wenn dies die Wahrnehmung der Interessen der jeweiligen Klienten in den jeweils anvertrauten Mandaten beeinträchtigt, insbesondere weil die Gefahr der Verletzung der Verschwiegenheitspflicht bezüglich der von einer früheren Partei anvertrauten oder im Zuge der Vertretung sonst erlangten Informationen besteht (Z 1), die Kenntnisse der Belange einer früheren Partei der neuen Partei zu einem unlauteren Vorteil gereichen würden (Z 2), es zu einem Interessenkonflikt zwischen diesen Parteien kommt (Z 3) oder die Unabhängigkeit des Rechtsanwalts bei Ausübung des Mandats auch nur gegenüber einer Partei nicht gesichert erscheint (Z 4). Nach diesen Kriterien ist – im Unterschied zur vormaligen Anscheinsjudikatur – eine inhaltliche Prüfung vorzunehmen (vgl Lehner in Engelhart et al, RAO9 § 1 DSt Rz 40).
Die Vertragserrichtung als gemeinsamer Vertragsanwalt stellt nach einhelliger Lehre und Judikatur eine zulässige Doppelvertretung dar. Trotz unterschiedlicher Interessenlage ist der Rechtsanwalt zur Beratung, Verfassung und Durchführung von Verträgen für zwei (oder mehrere) Parteien befugt, hat jedoch bei dieser eine materielle Doppelvertretung darstellenden Tätigkeit die Interessen beider Vertragsparteien in gleicher Weise zu wahren. Dies auch dann, wenn – wie in der Praxis häufig üblich – ein Vertragspartner „seinen“ Rechtsanwalt zur gemeinsamen Auftragserteilung vorschlägt, zwischen Rechtsanwalt und diesem ständigen Klienten bereits eine längere Geschäftsbeziehung besteht, weiters ohne Rücksicht darauf, wer im Innenverhältnis zwischen den Vertragsparteien oder im Verhältnis zum Rechtsanwalt sich zur Zahlung der Kosten verpflichtet (Engelhart, Der Vertragsanwalt im Interessenkonflikt, AnwBl 1996, 492).
Will der Rechtsanwalt dabei die Möglichkeit wahren, „seinen“ Klienten nachfolgend in einem Rechtsstreit aus diesem Vertrag zu vertreten, setzt dies nach § 13 RL-BA 1977 (nunmehr § 11 RL-BA 2015) voraus, dass entweder auch die andere Partei von einem berufsmäßigen Parteienvertreter beraten war oder der Rechtsanwalt sogleich ausdrücklich erklärt hatte, nur seine Partei zu vertreten. Im zweitgenannten Fall einer Vorbehaltserklärung als Voraussetzung für eine nachfolgende Parteienvertretung stellt die Judikatur zum Schutz der unvertretenen Partei auf einen strengen Maßstab der als Warnhinweis (vgl jüngst 20 Ds 1/17b, AnwBl 2017/100, 613) zu erstattenden Erklärung ab. Sie wird als Empfehlung verstanden, dass die andere Partei sich selbst um einen Rechtsbeistand für die weiteren Vertragsverhandlungen kümmern möge (Engelhart in Engelhart et al, RAO9 § 13 RL-BA 1977 Rz 3). Der unvertretenen Partei gegenüber hat die Erklärung dazu gemäß § 13 RL-BA 1977 „sogleich“ (nunmehr § 11 RL-BA 2015 bei sonst gleichem Wortlaut „zu Beginn seiner Tätigkeit“) zu erfolgen.
Mit Rücksicht auf diese Rechtslage macht der Beschuldigte in seiner Berufung (Z 9 lit a) im Ergebnis zu Recht geltend, dass die Feststellungen des Disziplinarrats weder die Annahme einer Verletzung der in § 10 RAO, § 13 RL-BA 1977 normierten Berufspflichten (§ 1 Abs 1 erster Fall DSt) noch eine Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes (§ 11 Abs 1 zweiter Fall DSt) tragen.
Die Feststellung (ES 3), wonach es der von der Käuferin zur Errichtung des Immobilienkaufvertrags beauftragte Disziplinarbeschuldigte in einem Erstgespräch in seiner Kanzlei kurz vor dem 1. April 2014 mit dem zu diesem Zeitpunkt noch nicht anwaltlich vertretenen Verkäufer trotz gewollter Vertretung allein der Käuferseite versäumt hat, sogleich zu erklären, allein die Käuferin zu vertreten, vermag dem Schuldspruch zuwider die Verurteilung nicht zu begründen.
Der Verkäufer hat nämlich nach diesem Erstgespräch einen eigenen Rechtsanwalt beauftragt, dem der Beschuldigte den Kaufvertragsentwurf am 1. April 2014 zumittelte, wobei es am 18. April 2014 zur Unterfertigung des Kaufvertrags in gegenüber dem Entwurf modifizierter Form kam (ES 4).
Diesen Konstatierungen zufolge war beim Zustandekommen des Vertrags für beide Vertragsparteien eine eigene anwaltliche Beratung und Interessensvertretung und damit „Waffengleichheit“ in Wahrung der jeweiligen Interessen gegeben.
Diese Umstände entsprechen dem ersten Fall des § 13 RL-BA („… von einem berufsmäßigen Parteienvertreter beraten war …“). Sie erfüllen nach Lage des Falls (vom Sachverhalt gerade in diesem Punkt anders 20 Ds 1/17b) überdies den Schutzzweck der Vorbehaltserklärung gemäß dem zweiten Fall des § 13 RL-BA 1977.
Der Verkäufer hat angesichts der nach dem ersten Kontakt mit dem Käuferanwalt abzusehenden Vertragserrichtung sofort einen eigenen Rechtsbeistand gewählt – nicht anders, als wäre er sogleich im Sinne des § 13 RL-BA 1977 informiert worden. Der Vertrag (samt Vereinbarung, den Beschuldigten als Treuhänder einzusetzen) wurde zwischen zwei Anwälten ausgehandelt. Dass alleine die Übernahme der Treuhandschaft bereits die spätere Vertretung einer Partei gegen die – anwaltlich vertretene – andere Partei ausschlösse, ist aus der bisherigen Judikatur (vgl neuerlich 20 Ds 1/17b) nicht abzuleiten. Anhaltspunkte für das Vorliegen der Fälle des § 12a RL-BA 1977 (nunmehr § 10 RL-BA 2015) bietet der vom Disziplinarrat im Gegenstand festgestellte Sachverhalt nicht.
Dass der Verkäufer den Beschuldigten bereits beim Erstgespräch (mündlich) mit der Treuhandschaft beauftragte (ES 4, 8), steht den bisherigen Darlegungen nicht entgegen, erfolgte die tatsächliche wirksam werdende einverständliche Treuhandvereinbarung doch erst im (schriftlichen) Kaufvertrag, der aber unter maßgeblicher Beteiligung des Anwalts des Verkäufers geschlossen wurde (ES 4).
Bei einem derart zustande kommenden Immobilienkaufvertrag, dessen Durchführung in typischer Weise die Bestimmung eines der beiden beratenden Anwälte als nach außen auftretenden Parteienvertreter erfordert, ist dieser im Innenverhältnis ohnedies als Treuhänder verpflichtet, den Liegenschaftskauf gemäß der Treuhandabrede im Interesse beider Vertragsteile durchzuführen. Neben dieser schuldrechtlichen Verpflichtung (bei Kontrollmöglichkeit durch den anderen Parteienvertreter) unterliegt er überdies den detaillierten standesrechtlichen Treuhandpflichten und Beschränkungen.
Da sich gegenständlich das Risiko, das von § 13 RL-BA 1977 hintangehalten werden soll, weder realisierte, noch erhöhte (zum dogmatischen Hintergrund vgl etwa Fuchs AT I9 Rz 13/35, 53 ff, 61) ist aus dem dargestellten bloßen Formalverstoß (noch) kein disziplinäres Fehlverhalten abzuleiten (nach Lage des gegenständlichen Falls zu weitgehend Engelhart in Engelhart et al, RAO9 § 13 RL-BA 1977 Rz 4).
Ohne Eingehen auch auf die weiteren Ausführungen im Rechtsmittel war daher das angefochtene Erkenntnis aufzuheben und der Beschuldigte von dem wider ihn erhobenen Vorwurf gemäß § 38 Abs 1 erster Fall DSt iVm § 54 Abs 3 DSt freizusprechen.
Textnummer
E122156European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:0200DS00004.18W.0619.000Im RIS seit
24.07.2018Zuletzt aktualisiert am
20.12.2018