Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 5. Juli 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé, Dr. Oshidari, Dr. Michel-Kwapinski und Dr. Brenner in Gegenwart der OKontr. Trsek als Schriftführerin in der Strafsache gegen Turpal V***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Jugendschöffengericht vom 23. Jänner 2018, GZ 141 Hv 84/17g-38, sowie über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen einen zugleich gefassten Beschluss auf Absehen vom Widerruf einer bedingten Strafnachsicht samt Verlängerung einer Probezeit nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Ulrich, des Angeklagten Abdul K***** und der Verteidiger Mag. Preclik und Mag. Schmid
1./ zu Recht erkannt:
In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in der rechtlichen Unterstellung der Tat zum Schuldspruch I./ auch unter § 142 Abs 2 StGB und im Strafausspruch sowie der Abdul K***** betreffende Beschluss auf Absehen vom Widerruf einer bedingten Strafnachsicht unter Verlängerung einer Probezeit und der beide Angeklagte betreffende Beschluss auf Anordnung von Bewährungshilfe aufgehoben und im Umfang der Aufhebung in der Sache selbst erkannt:
Turpal V***** und Abdul K***** haben durch die zu I./ des Ersturteils beschriebene Tat das Verbrechen des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB begangen.
Der Angeklagte Abdul K***** wird hiefür nach § 142 Abs 1 StGB unter Bedachtnahme gemäß § 31 StGB auf das Urteil des Bezirksgerichts Josefstadt vom 16. November 2017, AZ 15 U 117/17k, und unter Berücksichtigung des § 5 Z 4 JGG und gemäß § 40 StGB zu einer Zusatzfreiheitsstrafe von 12 Monaten verurteilt,
Gemäß § 43a Abs 3 StGB wird beim Angeklagten Abdul K***** ein Teil der verhängten Freiheitsstrafe im Umfang von 9 Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.
Hinsichtlich des Angeklagten Turpal V***** wird die Sache zur Strafneubemessung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.
Die Nichtigkeitsbeschwerde im Übrigen wird verworfen.
Mit ihrer Berufung wird die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.
Turpal V***** und Abdul K***** fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
2./ den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Vom Widerruf der Abdul K***** mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 14. März 2017, AZ 151 Hv 4/17s, gewährten bedingten Strafnachsicht wird abgesehen. Die Probezeit wird auf fünf Jahre verlängert.
Mit ihrer Beschwerde wird die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen – auch rechtskräftige Freisprüche enthaltenden – Urteil wurden Turpal V***** und Abdul K***** jeweils eines Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 und Abs 2 StGB (I./), Erstgenannter darüber hinaus auch je eines Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (II./) und der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB (III./) schuldig erkannt.
Danach haben in W*****
I./ Turpal V***** und Abdul K***** am 12. August 2017 in einverständlichem Zusammenwirken mit einem weiteren, unbekannt gebliebenen Mittäter (§ 12 StGB) mit Gewalt gegen eine Person Akbel A***** fremde bewegliche Sachen, nämlich ein Mobiltelefon in nicht mehr genau feststellbarem Wert und 40 Euro Bargeld mit dem Vorsatz, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, weggenommen, indem sie Akbel A*****, Josef Z***** und Hosin Al***** umzingelten und zur Herausgabe ihrer Wertgegenstände aufforderten, Turpal V***** sodann das Mobiltelefon des Akbel A***** an sich nahm, ihm einen Faustschlag ins Gesicht versetzte und Abdul K***** das Bargeld aus der Brieftasche des Akbel A***** nahm, wobei die Tat ohne Anwendung erheblicher Gewalt an Sachen geringen Werts begangen wurde und nur unbedeutende Folgen nach sich gezogen hat;
II./ Turpal V***** am 13. August 2017 Ismael S***** durch Versetzen zahlreicher Faustschläge gegen Gesicht und Körper am Körper verletzt wodurch dieser Schwellungen und Rötungen im Bereich des Gesichts oberhalb der rechten Schläfe, im Bereich beider Schultern und der Brust bzw der Innenseite der rechten Achselhöhle sowie Hautabschürfungen im Bereich des rechten Unterarms erlitt;
III./ Turpal V***** am 11. September 2017 Ismael S***** gefährlich mit einer Verletzung am Körper bedroht, um ihn in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem er ihm eine Sprachnachricht via WhatsApp sendete, dass er ihn abstechen werde.
Rechtliche Beurteilung
Gegen den Schuldspruch I./ richtet sich die aus Z 5 und Z 10 des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft.
Nach den insoweit maßgeblichen Urteilsannahmen versetzte Turpal V***** im Zuge des (im bewussten und gewollten Zusammenwirken erfolgten) Raubgeschehens dem Akbel A***** einen Faustschlag ins Gesicht. Dieser hatte eine massive Prellung und Blutunterlaufung im Bereich der rechten Augenhöhle zur Folge. Die Tatrichter gingen von einer Körperverletzung mit einer Gesundheitsschädigung von nicht mehr als 14 Tagen aus (US 7).
Die Subsumtionsrüge (Z 10) betont zu Recht, dass diese Konstatierungen die Annahme der Privilegierungsvoraussetzungen nach § 142 Abs 2 StGB nicht tragen.
Erhebliche Gewalt (gegen eine Person) ist dann anzunehmen, wenn der Täter bei seinem Angriff beachtliche physische Kräfte in vehementer Weise einsetzt, wobei die Belastung des Opfers im Vergleich zu Durchschnittsfällen nicht als geringfügig einzustufen ist (RIS-Justiz RS0094427; Kienapfel/Schmoller StudB BT II2 § 142 Rz 95; Eder-Rieder in WK2 StGB § 142 Rz 56 ff). Dieses Kriterium ist bei einem mit 14-tägiger Gesundheitsschädigung verbundenen Faustschlag ins Gesicht zwanglos zu bejahen.
Abgesehen davon kann bei einer massiven Prellung samt Blutunterlaufung in der Augenhöhle schon begrifflich nicht von einer unbedeutenden Tatfolge gesprochen werden. Soweit sich das Erstgericht auf eine (nicht näher begründete) Lehrmeinung (Eder-Rieder in WK2 StGB § 142 Rz 60) beruft, wonach für die Folgenabwägung bei § 142 Abs 2 StGB die 14-Tagesgrenze des § 88 Abs 2 Z 2 StGB maßgeblich sei, geht es am unterschiedlichen Gesetzeswortlaut der genannten Bestimmungen vorbei und lässt zudem unberücksichtigt, dass die erwähnte Vorschrift gezielt zum Zweck weitergehender Entkriminalisierung bei (nicht grob) fahrlässigen Körperverletzungen in Bezug auf den Straßenverkehr und sonstige risikobehaftete Tätigkeiten ausgeweitet wurde (Kienapfel/Schroll StudB BT I4 § 88 Rz 46). Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber eine rein auf die Fahrlässigkeitsdelinquenz bezogene Wertung (vgl EBRV 981 BlgNR 24. GP 88 f) auch für das hier in Rede stehende Vorsatzdelikt in Anschlag gebracht haben wollte, liegen nicht vor.
Dieser von der Staatsanwaltschaft zutreffend aufgezeigte Subsumtionsfehler hatte – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – den Entfall der Privilegierung nach § 142 Abs 2 StGB wie im Spruch ersichtlich zur Folge, ohne dass es eines Eingehens auf die diesbezügliche weitere Beschwerdeargumentation bedurfte.
Das Vorbringen (nominell Z 10 unter dem Aspekt eines „Rechtsfehlers mangels Feststellungen“) zu unterbliebenen Konstatierungen zur abschließenden Beurteilung, ob die „Tat mehrmals dem Tatbestand des Raubes (§ 142 Abs 1 und 2 StGB) oder daneben jenem der gefährlichen Drohung (§ 107 StGB) bzw jenem der Nötigung (§ 105 StGB) zu unterstellen gewesen wäre“, geht schon wegen der Prämisse, das Erstgericht hätte die entsprechenden Umstände „erheben müssen“, ins Leere. Denn insoweit unterlässt es die Staatsanwaltschaft, auf in der Hauptverhandlung vorgekommene Indizien oder aus § 281 Abs 1 Z 4 StPO auf dazu gestellte Beweisanträge hinzuweisen (vgl RIS-Justiz RS0127315; zum Feststellungsmangel und der Abgrenzung zum Rechtsfehler mangels Feststellungen vgl im Übrigen Hinterhofer/Oshidari, Strafverfahren Rz 9.187 ff).
Insoweit war die Nichtigkeitsbeschwerde daher zu verwerfen.
Bei der erforderlichen Strafneubemessung wertete der Oberste Gerichtshof das Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen, die einschlägige Vorstrafe sowie den raschen Rückfall nach der am 14. März 2017 zu AZ 151 Hv 4/17s des Landesgerichts für Strafsachen Wien wegen des Verbrechens des Raubes erfolgten Vorverurteilung (vgl RIS-Justiz RS0091386) als erschwerend. Als mildernd war die teilweise Schadensgutmachung und das reumütige Geständnis zu berücksichtigen.
Im Rahmen allgemeiner Strafzumessungserwägungen war zudem zu beachten, dass der vorliegende Raub in einverständlichem Zusammenwirken von drei Personen erfolgte (vgl 11 Os 43/99).
Mit Blick darauf, dass das Vor-Urteil im Sinn der §§ 31, 40 StGB eine bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe von drei Monaten zum Gegenstand hatte, erachtete der Oberste Gerichtshof eine Zusatzfreiheitsstrafe von jeweils 12 Monaten als tat- und schuldangemessen.
Eine gänzlich bedingte Nachsicht der verhängten Strafe kam im Hinblick auf die getrübte Spezialprognose, die zusätzlich aus seiner einschlägigen Vorstrafenbelastung resultiert, nicht in Betracht.
Angesichts der nunmehr anstehenden erstmaligen Verbüßung einer Freiheitsstrafe bedurfte es nicht des Widerrufs der bedingten Strafnachsicht zu AZ 151 Hv 4/17s des Landesgerichts für Strafsachen Wien.
Mit ihrer Berufung und ihrer Beschwerde war die Staatsanwaltschaft auf die dargelegten Sanktionsentscheidungen zu verweisen.
Über eine allfällige Anordnung von Bewährungshilfe wird das Erstgericht zu entscheiden haben.
Hinsichtlich des Angeklagten Turpal V***** war die Sache zur Strafneubemessung an das Landesgericht für Strafsachen Wien zu verweisen, weil dieser Angeklagte zum Gerichtstag nicht erschienen war.
Die Kostenentscheidung gründet auf § 390a Abs 1 StPO.
Textnummer
E122157European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:0120OS00067.18X.0705.000Im RIS seit
24.07.2018Zuletzt aktualisiert am
24.07.2018