Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. U***** F*****, vertreten durch Köhler Draskovits Unger Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. J***** H*****, vertreten durch Dr. Werner Heißig, Rechtsanwalt in Wien, und 2. E***** T*****, vertreten durch Prof. Dr. Wolfgang Völkl, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung und Unterlassung, über die Rekurse der beklagten Parteien gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 27. Dezember 2017, GZ 34 R 88/17v-15, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Döbling vom 25. 4. 2017, GZ 6 C 876/16m-8, aufgehoben wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Rekurse werden zurückgewiesen.
Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Rekursbeantwortungen selbst zu tragen.
Text
Begründung:
Die Mutter der Streitteile war Eigentümerin zweier Liegenschaften, die von der Zufahrtsstraße aus gesehen hintereinander liegen. Mit Übergabevertrag vom 26. 1. ***** übertrug sie das Eigentum an der hinteren Liegenschaft an die Klägerin und mit Übergabevertrag vom 20. 1. ***** ***** Anteile der vorderen Liegenschaft an den Erstbeklagten. Die restlichen Anteile dieser Liegenschaft erwarb die Zweitbeklagte im Erbweg.
Das auf der Liegenschaft der Klägerin befindliche Haus (Haus 2) ist nicht an das öffentliche Kanalnetz angeschlossen. Die Klägerin ließ die Senkgrube seit 2012 ungefähr 4 mal über einen Schlauch über den zugunsten der Liegenschaft der Klägerin auf der Liegenschaft der Beklagten bestehenden (verbücherten) Servitutsweg abpumpen, womit der Erstbeklagte nicht einverstanden ist.
Die Klägerin begehrt zusammengefasst die Feststellung des Bestehens der Servitut des Wasserableitungsrechts zu Gunsten ihrer Liegenschaft, die Duldung der Verlegung einer Kanalanschlussleitung in frostsicherer Lage bis zum öffentlichen Kanal und den Ausspruch, dass der Erstbeklagte insoweit jede künftige Störung zu unterlassen habe.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Das Bestehen der behaupteten faktischen Servitut habe nicht nachgewiesen werden können.
Das Berufungsgericht hob die Entscheidung auf. Zwar hätten zwischen 2003 und 2012 keine Abpumpvorgänge stattgefunden, aufgrund des durch die Übergabe erwartbaren Bewohnens des Hauses 2 könne ein Aufleben des Bedarfs damals aber absehbar gewesen sein und in diesem Sinn ein „aktueller“ Bedarf bestanden haben. In diesem Fall wäre von einem Entstehen der Servitut 2012 auszugehen. Dazu seien nähere Feststellungen zu treffen, auch was den Kenntnisstand der Beklagten bzw andere mögliche Abwasserentsorgungsmöglichkeiten betreffe.
Rechtliche Beurteilung
Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 526 Abs 2 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts hängt die Entscheidung nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 519 Abs 2 ZPO ab:
Nach, wenn auch in der Lehre teilweise kritisierter (vgl den Überblick bei Memmer ABGB-ON1.03 § 481 Rz 12ff), aber dennoch ständiger Judikatur des Obersten Gerichtshofs entsteht bei Übereignung durch den Übertragungsakt einer oder beider von zwei Liegenschaften desselben Eigentümers, von denen eine offenkundig der anderen dient und weiterhin dienen soll, auch ohne spezifische Vereinbarung und Verbücherung eine Dienstbarkeit (RIS-Justiz RS0119170; RS0131628; RS0011618; RS0011643).
Offenkundigkeit ist anzunehmen, wenn im maßgebenden Zeitpunkt der Eigentumsübertragung das tatsächliche Bestehen eines Gebrauchszwecks durch offenkundige Vorgänge oder ersichtliche Anlagen bzw Einrichtungen erkennbar war (RIS-Justiz RS0011547; RS0011633). Diese Umstände sind aber nur für die Beurteilung des Kennenmüssens des Erwerbers Voraussetzung (RIS-Justiz RS0011643 [T5]). Hatte der Erwerber dagegen ohnehin positive Kenntnis von der faktisch bestehenden Dienstbarkeit, ist das Vorhandensein von Anlagen im Übergabezeitpunkt nicht von Bedeutung, weil der Erwerber dieses Hinweises nicht bedurfte (RIS-Justiz RS0011618 [T10]).
Im vorliegenden Fall befand sich im Zeitpunkt der Übereignung auf der Liegenschaft der Klägerin sowohl ein Haus und mangels Anschlusses an das öffentliche Kanalnetz auch eine Senkgrube, die nur über die Liegenschaft der Beklagten entleert werden kann. Es bestand daher zu diesem Zeitpunkt der Bedarf der an die Klägerin übereigneten Liegenschaft an einer Abwasserentsorgung und dem Entleeren der Senkgrube über die Liegenschaft der Beklagten. So hat auch die Mutter der Parteien als Alleineigentümerin in diesem Sinn selbst jedenfalls 2003 eine solche Entleerung der Senkgrube vorgenommen. Durch die vorübergehende Nichtbenutzung des Hauses 2 durch die Mutter der Streitteile (sie bewohnte das Haus 1 auf der Liegenschaft, die jetzt im Eigentum der Beklagten steht) bis zur Übergabe der Liegenschaften an die Parteien hat sich der Bedarf der Liegenschaft der Klägerin an dieser Abwasserentsorgung schon aufgrund des weiter bestehenden Hauses und der Senkgrube nicht geändert. So musste auch die Klägerin bei Benutzung des auf ihrer Liegenschaft stehenden Hauses 2 seit 2012 das Abwasser aus der Senkgrube mehrfach entsorgen. Insofern ist der vorliegende Sachverhalt nicht mit dem der Entscheidung 8 Ob 65/17t zu Grunde liegenden zu vergleichen. Dort wurde ebenso auf den Bedarf der herrschenden Liegenschaft abgestellt, dieser aber deshalb verneint, weil die Anlagen, im Gegensatz zum vorliegenden Fall, schon seit Jahren aufgegeben worden und nicht mehr existent waren. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass – bei noch zu prüfender Offensichtlichkeit – eine Servitut der Abwasserableitung bei der Übertragung der Liegenschaften durch Realakt entstanden ist, hält sich damit im Rahmen der Judikatur. Über das Ausmaß der Servitut ist im Sinn der Entscheidung des Berufungsgerichts im fortzusetzenden Verfahren abzusprechen.
Die Beklagten haben sich im erstinstanzlichen Verfahren nicht darauf berufen, dass sie sich zu einem bestimmten Zeitpunkt in bestimmter Weise der Servitutsausübung des Abwasserleitrechts durch die Klägerin widersetzt hätten und die Klägerin sich dagegen nicht innerhalb von drei Jahren zur Wehr gesetzt habe. Die Berufung auf die Freiheitsersitzung durch Widersetzung gegen die Dienstbarkeitsausübung iSd § 1488 ABGB erstmals im Rekursverfahren (übrigens auch hier ohne genaue Daten) ist eine unbeachtliche Neuerung.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 40, 50 Abs 1 ZPO. Da die Klägerin in ihren Rechtsmittelbeantwortungen nicht auf die Unzulässigkeit der Rekurse hingewiesen hat, dienten ihre Schriftsätze nicht der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung.
Textnummer
E122123European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:0070OB00071.18V.0620.000Im RIS seit
23.07.2018Zuletzt aktualisiert am
19.10.2018