RS Vfgh 2018/6/27 G409/2017

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Veröffentlicht am 27.06.2018
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Index

20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB)

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs1 Z1 litd
ABGB §725
StGG Art5
EMRK 1.ZP Art1

Leitsatz

Keine Verfassungswidrigkeit einer Bestimmung des ABGB betreffend die gesetzlich vorgesehene Aufhebung einer letztwilligen Verfügung nach Auflösung der Lebensgemeinschaft aufgrund Verlusts der Angehörigenstellung

Rechtssatz

Abweisung des - zulässigen - Parteiantrags auf Aufhebung des §725 ABGB idF BGBl I 87/2015.

Keine Verletzung im Recht auf Unversehrtheit des Eigentums:

Den Schutz des Art5 StGG genießt jedes vermögenswerte Privatrecht. Nach der Judikatur des EGMR erfasst Art1 1. ZPEMRK "bestehendes Vermögen" ("existing possessions") und "berechtigte Erwartungen" ("legitimate expectations"). Vom Schutzbereich sind daher grundsätzlich auch erbrechtliche Rechtspositionen umfasst.

Mit VfSlg 20032/2015 hat der VfGH festgestellt, dass der Pflichtteilsanspruch als ein mit dem Tod des Erblassers jedenfalls dem Grunde nach feststehendes Recht an einem Mindestanteil am Nachlass vom Schutzbereich des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Unverletzlichkeit des Eigentums umfasst ist. Gleiches gilt ab dem Tod des Erblassers auch für Ansprüche von - in einem gültigen Testament - letztwillig Begünstigten. Demgegenüber schaffen letztwillige Begünstigungen vor dem Tod des Erblassers keine Rechtsposition, die vom Schutzbereich des Grundrechts umfasst wäre, da eine letztwillige Verfügung bis zum Tod des Erblassers jederzeit widerrufen werden kann. Im vorliegenden Fall (Einsetzung einer ehemaligen Lebensgefährtin als Universalerbin) ist der Erbfall zwar bereits eingetreten, jedoch wurde der potentielle Anspruch der Antragstellerin vom Gesetzgeber - durch den angefochtenen §725 ABGB - bereits vor dem Tod des Erblassers auf Grund des Verlusts der Angehörigenstellung durch die Auflösung der Lebensgemeinschaft beseitigt.

Keine Bedenken im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz:

Durch das ErbRÄG 2015 wurde durch § 725 ABGB für den Fall des Verlusts der Angehörigenstellung die Aufhebung der letztwilligen Verfügung zugunsten der früheren Angehörigen - insbesondere Ehegatten, eingetragene Partner und Lebensgefährten - normiert. Ausweislich der Materialien sollte mit der "Vermutung eines stillschweigenden Widerrufs" frühere Angehörige begünstigender Teile letztwilliger Verfügungen der üblicherweise mutmaßliche Wille des Erblassers widergespiegelt werden, da ein früherer Ehegatte, eingetragener Partner oder Lebensgefährte gerade nicht wollen werde, dass der andere Teil nach ihm erbt.

Eine Bestimmung, mit der der Gesetzgeber dem vermuteten wahren Willen des Erblassers zum Durchbruch verhelfen will, liegt im öffentlichen Interesse. Durch den Umstand, dass der Erblasser, sofern er diese Rechtsfolge nicht eintreten lassen will, ausdrücklich das Gegenteil anordnen muss, dient die Bestimmung darüber hinaus auch dem - im öffentlichen Interesse gelegenen - Ziel der Rechtssicherheit und der Vermeidung von Beweisschwierigkeiten. §725 ABGB ist zur Zielerreichung auch geeignet: Der Gesetzgeber kann im Rahmen einer zulässigen Durchschnittsbetrachtung davon ausgehen, dass es üblicherweise nicht dem wahren Willen des Erblassers entspricht, wenn der frühere Angehörige nach ihm erbt. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Ehescheidung, die Auflösung der eingetragenen Partnerschaft, die Trennung oder die Aufhebung bzw der Widerruf der Adoption auf eine vollständige Trennung in jeder Hinsicht ausgerichtet ist.

Keine Unverhältnismäßigkeit und Unsachlichkeit durch Aufhebung letztwilliger Verfügungen, welche ehemalige Angehörige begünstigen. Für jene (Einzel-)Fälle, in denen diese Rechtsfolge nicht beabsichtigt ist, steht es dem Erblasser offen, ausdrücklich das Gegenteil anzuordnen. §725 ABGB trägt daher auch diesen Fällen hinreichend Rechnung.

Keine Verletzung des Vertrauensschutzes durch "rückwirkenden Charakter" des §725 ABGB:

Eine letztwillig verfügte Begünstigung begründet jedenfalls in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem der Gesetzgeber vor dem Tod des Erblassers die Begünstigung einer Person im Testament beseitigt hat, kein durch den verfassungsrechtlich verbürgten Vertrauensschutz geschütztes Vertrauen des testamentarisch Begünstigten. Darüber hinaus wurde das ErbRÄG 2015 bereits am 30.07.2015 kundgemacht und ist erst nach einer - vergleichsweise langen - Legisvakanz am 01.01.2017 in Kraft getreten. Es gelangte auch erst für jene Sachverhalte zur Anwendung, in denen der Erblasser nach dem 01.01.2017 verstorben ist. Daher stand auch im Anlassfall eine ausreichend lange Zeit zur Verfügung, gegebenenfalls gewünschte, entsprechende Vorkehrungen zu treffen.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Erbrecht, Eigentumseingriff, Vertrauensschutz, VfGH / Parteiantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2018:G409.2017

Zuletzt aktualisiert am

30.07.2019
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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