Entscheidungsdatum
10.07.2018Norm
AsylG 1997 §7Spruch
W236 2200095-1/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Lena BINDER als Einzelrichterin über die Beschwerden von XXXX alias XXXX alias XXXX, geb. XXXX alias XXXXalias XXXX, StA. Weißrussland (alias Ungarn), vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.05.2018, Zl. 311441108/170977834, zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird gemäß § 68 Abs. 1 AVG, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG, § 52 Abs. 2 Z 2 FPG, § 52 Abs. 9 iVm § 46 FPG, § 55 Abs. 1a FPG, § 13 Abs. 1 Z 1 und 2 AsylG 2005 sowie § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Verfahren über den ersten Antrag auf internationalen Schutz (in Rechtskraft erwachsen):
1.1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Weißrussland, reiste laut eigenen Angaben im Jahr 2004 in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 06.11.2004 einen (ersten) Asylantrag.
1.2. Zu seinen Fluchtgründen machte er im Wesentlichen geltend, dass er als Mitglied der sozialdemokratischen Partei, respektive der weißrussischen Volksfront BNR bei den Wahlen am 23. und 24. Oktober mit drei anderen Personen Flugblätter verteilt und Unterschriften gesammelt hätte. Es habe sich herausgestellt, dass er damit gegen die kommunistische Partei gearbeitet habe und sie seien alle als Gegner des Staates erklärt worden. Er habe keinen Mitgliedsausweis erhalten. Andere Mitglieder der Partei seien umgekommen bzw. hätten Unfälle gehabt. Das Sicherheitsministerium hätte sich auch mit seinem Fall befasst und würde nach ihm suchen, was er von einem Verwandten, der bei der Polizei arbeite, erfahren habe. Er habe bis zur Ausreise als Mechaniker in einer privaten Firma gearbeitet und habe dabei ca. 250-300 US-$ verdient.
1.3. Mit Urteil des zuständigen Landesgerichts vom 04.01.2005 (rechtskräftig seit 08.01.2005) wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des gewerbsmäßigen Diebstahls gemäß § 127 und § 130 1. Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten, davon sechs Monate bedingt, auf eine Probezeit von drei Jahre verurteilt.
1.4. Mit Bescheid vom 10.08.2005 wies das Bundesasylamt den ersten Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 Asylgesetz 1997 ab (Spruchpunkt I.), erklärte seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Weißrussland gemäß § 8 Abs. 1 AsylG für zulässig (Spruchpunkt II.) und wies den Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet aus (Spruchpunkt III.).
1.5. Mit Urteil des zuständigen Landesgerichts vom 26.07.2006 (rechtskräftig seit 01.08.2006) wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des versuchten Diebstahls gemäß § 15 und § 127 StGB, sowie wegen des Vergehens der Fälschung besonders geschützter Urkunden gemäß § 223 Abs. 2 und § 224 StGB, zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten, davon sechs Monate bedingt, auf eine Probezeit von drei Jahren verurteilt.
1.6. Mit Urteil des zuständigen Landesgerichts vom 07.08.2007 (rechtskräftig am selben Tag) wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des schweren Diebstahls gemäß § 127 und § 128 Abs. 1 Z 4 und des Vergehens des Diebstahls durch Einbruch oder mit Waffen gemäß § 129 Abs. 1 Z 1 Unterfall 2 sowie wegen des Vergehens der Urkundenfälschung gemäß § 223 Abs. 2 StGB, zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten verurteilt.
1.7. Mit Bescheid vom 29.08.2007 erließ die Bundespolizeidirektion Wien, Fremdenpolizeiliches Büro, gegen den Beschwerdeführer aufgrund mehrfacher strafgerichtlicher Verurteilungen ein unbefristetes Rückkehrverbot.
1.8. Die gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 10.08.2005 fristgerecht erhobene Berufung wies der Unabhängige Bundesasylsenat (nachdem das Verfahren mehrmals wegen Untertauchens des Beschwerdeführers eingestellt werden musste) nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 02.04.2008 mit Bescheid vom 06.05.2008 ab. Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft.
2. Verfahren über den zweiten Antrag auf internationalen Schutz (in Rechtskraft erwachsen):
2.1. Aus dem Stande der Strafhaft stellte der Beschwerdeführer am 18.03.2009 einen (zweiten) Antrag auf internationalen Schutz.
2.2. Hinsichtlich seiner Fluchtgründe machte er im Wesentlichen geltend, dass sich bezüglich der von ihm bereits im Vorverfahren geltend gemachten Gründe nichts Neues ergeben habe. Er hoffe aber nach seiner Haftentlassung Beweismaterial beischaffen zu können.
2.3. Mit Bescheid vom 27.04.2009 wies das Bundesasylamt den zweiten Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück (Spruchpunkt I.) und wies den Beschwerdeführer zugleich gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Weißrussland aus (Spruchpunkt II.).
2.4. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde vom Beschwerdeführer nicht fristgerecht eingebracht, weswegen sie vom Asylgerichtshof mit Beschluss vom 09.06.2009 als verspätet zurückgewiesen wurde. Damit erwuchs der Bescheid des Bundesasylamtes vom 27.04.2009 in Rechtskraft.
2.5. Mit Urteil des zuständigen Landesgerichts vom 12.08.2010 (rechtskräftig am selben Tag) wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Betrugs gemäß § 146, § 147 Abs. 1 Z 1, § 147 Abs. 2 und § 148 2. Fall, sowie wegen des Vergehens der versuchten Annahme, Weitergabe oder des Besitzes falscher oder verfälschter besonders geschützter Urkunden gemäß § 15 und § 224a 1. und 5. Fall StGB, zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt.
2.6. Am 10.08.2017 wurde der Beschwerdeführer festgenommen. Aus dem Amtsvermerk der zuständigen Landespolizeidirektion ergibt sich, dass sich der Beschwerdeführer am 04.04.2014 in Ungarn einen originalen ungarischen Reisepass mittels Korruption in einer ungarischen Behörde mit Aliasdaten besorgt hatte. Mit diesem ungarischen Reisepass erhielt er in Österreich eine E-Card, eine Bankomatkarte und eine Kreditkarte sowie seinen Meldezettel. Weiters heiratete der Beschwerdeführer unter dieser Identität am 24.07.2015 eine ukrainische Staatsangehörige, die fortan auch seinen falschen Nachnamen trug.
3. Verfahren über den gegenständlichen dritten Antrag auf internationalen Schutz:
3.1. Am 23.08.2017 stellte der Beschwerdeführer aus dem Stande der Übergabehaft den gegenständlichen dritten Antrag auf internationalen Schutz. Hierzu wurde er am 23.08.2017 vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt und führte zu den Gründen seiner neuerlichen Antragstellung im Wesentlichen an, dass sich an seinen alten Asylgründen nichts geändert habe. Er habe dazu bereits alles in seinem ersten Verfahren ausführlich erzählt. Er habe den neuen Antrag gestellt, weil er keine andere Wahl habe. Er lebe seit 15 Jahren in Österreich, habe nirgends ein Zuhause und wisse nicht, wohin er gehen solle.
3.2. Mit Verfahrensanordnung vom 24.08.2017 (vom Beschwerdeführer am 28.08.2017 übernommen) teilte das Bundesamt dem Beschwerdeführer mit, dass ihm gemäß § 13 Abs. 1 und 2 AsylG 2005 keine Aufenthaltsberechtigungskarte gemäß § 51 AsylG 2005 zukomme.
3.3. Am 15.09.2017 wurde der Beschwerdeführer per Gerichtsbeschluss nach Ungarn überstellt. Am 31.01.2018 wurde der Beschwerdeführer aus Ungarn rückübernommen und der Beschwerdeführer auf freiem Fuß entlassen.
3.4. Im Zuge seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 03.04.2018 gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, dass seine Gründe aus seinen Vorverfahren nach wie vor aufrecht seien. Er könne nicht nach Weißrussland zurück, da Lukaschenko nach wie vor an der Macht sei, damit habe er dort keine Zukunft. Außerdem habe er in Weißrussland niemanden mehr, alle Bezugspersonen seien verstorben oder ausgereist. Seine Mutter sei schon 2005 nach Kanada ausgereist, sein Vater sei verstorben. Auf konkrete Nachfrage gab der Beschwerdeführer an, nicht verheiratet zu sein. Seinen Lebensunterhalt in Österreich habe er sich durch illegale Beschäftigung im Baugewerbe verdient. Im Falle einer Aufenthaltsberechtigung werde er hier arbeiten und Steuern zahlen.
3.5. Mit dem o.a. Bescheid wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den dritten Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl in Bezug auf den Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück und erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Belarus (Weißrussland) zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG wurde keine Frist für die freiwillige Ausreise eingeräumt (Spruchpunkt VI.) und ausgesprochen, dass der Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 2 Z 1 und 2 AsylG 2005 sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 24.08.2017 verloren habe (Spruchpunkt VII.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von neun Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VIII.). Begründend wird darin ausgeführt, dass der Beschwerdeführer kein neues Vorbringen erstattet habe, sondern den gegenständlichen Folgeantrag mit dem schon im ersten und zweiten Asylverfahren ins Treffen geführten Fluchtgründen begründet habe. Der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt habe sich somit seit Rechtskraft des Vorverfahrens nicht geändert. Es liege daher entschiedene Sache im Sinne des § 68 AVG vor, sodass der neuerliche Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen sei. Lebensbedrohliche oder im Herkunftsstaat nicht behandelbare Erkrankungen des Beschwerdeführers liegen nicht vor. Eine der Rückkehr entgegenstehende Integration des Beschwerdeführers habe ebensowenig erkannt werden können, wie eine der Rückkehr entgegenstehende Situation in Weißrussland. Der Beschwerdeführer verfüge in Österreich auch über keine familiären Anknüpfungspunkte. Da der Beschwerdeführer mehrmals straffällig geworden sei, habe er sein Recht auf Aufenthalt im Bundesgebiet verloren und sei gegen ihn ein Einreiseverbot auszusprechen gewesen.
3.6. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer am 04.06.2018 fristgerecht Beschwerde, in welcher der Bescheid zur Gänze in Beschwerde gezogen wird. Im Wesentlichen wird darin auf die lange Aufenthaltsdauer des Beschwerdeführers, seine gute Integration, seine Deutschkenntnisse und sein soziales Umfeld hingewiesen (ohne all diese Behauptungen durch Unterlagen zu belegen) und ausgeführt, dass der Beschwerdeführer in seiner Einvernahme am 03.04.2018 selbst angegeben habe, staatenlos zu sein, da er weder die weißrussische noch die russische Staatsbürgerschaft besitze. Zudem habe die belangte Behörde bei der Erlassung des neunjährigen Einreiseverbotes keine Gefährlichkeitsprognose vorgenommen und sei die Dauer des Einreiseverbotes zu hoch. Der Beschwerdeführer bereue seine Taten und wolle sich bessern. Er sei noch jung und es sei nicht zu befürchten, dass er eine Gefährdung für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstelle.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Auf Grundlage der Einsichtnahme in die bezughabenden Verwaltungs- und Gerichtsakten des Beschwerdeführers (insbesondere auch zu seinen Vorverfahren), der Einsichtnahmen in das zentrale Melderegister, in das Grundversorgungs-Informationssystem und in das Strafregister werden die folgenden Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:
1.1. Zum Verfahrensgang:
Der Ablauf des Verfahrensganges wird festgestellt, wie er unter Punkt I. wiedergegeben ist.
1.2. Zur Person des Beschwerdeführers und seinen privaten- und familiären Verhältnissen:
Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Weißrussland; seine Identität steht nicht fest. Der Beschwerdeführer ist gesund.
Er trat in Österreich vier Mal strafgerichtlich in Erscheinung:
1. Mit Urteil des zuständigen Landesgerichts vom 04.01.2005 (rechtskräftig seit 08.01.2005) wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des gewerbsmäßigen Diebstahls gemäß § 127 und § 130 1. Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten, davon sechs Monate bedingt, auf eine Probezeit von drei Jahre verurteilt.
2. Mit Urteil des zuständigen Landesgerichts vom 26.07.2006 (rechtskräftig seit 01.08.2006) wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des versuchten Diebstahls gemäß § 15 und § 127 StGB, sowie wegen des Vergehens der Fälschung besonders geschützter Urkunden gemäß § 223 Abs. 2 und § 224 StGB, zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten, davon sechs Monate bedingt, auf eine Probezeit von drei Jahren verurteilt.
3. Mit Urteil des zuständigen Landesgerichts vom 07.08.2007 (rechtskräftig am selben Tag) wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des schweren Diebstahls gemäß § 127 und § 128 Abs. 1 Z 4 und des Vergehens des Diebstahls durch Einbruch oder mit Waffen gemäß § 129 Abs. 1 Z 1 sowie wegen des Vergehens der Urkundenfälschung gemäß § 223 Abs. 2 StGB, zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten verurteilt.
4. Mit Urteil des zuständigen Landesgerichts vom 12.08.2010 (rechtskräftig am selben Tag) wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Betrugs gemäß § 146, § 147 Abs. 1 Z 1, § 147 Abs. 2 und § 148 2. Fall, sowie wegen des Vergehens der versuchten Annahme, Weitergabe oder des Besitzes falscher oder verfälschter besonders geschützter Urkunden gemäß § 15 und § 224a 1. und 5. Fall StGB, zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt.
Der Beschwerdeführer besorgte sich am 04.04.2014 in Ungarn einen originalen ungarischen Reisepass mittels Korruption in einer ungarischen Behörde, lautend auf XXXX, geb. XXXX, und lebte fortan unter dieser Identität in Österreich. Unter dieser Identität heiratete er am 24.07.2015 XXXX (geborene XXXX), geb. XXXX, StA. Ukraine. Er wohnte mit dieser von 24.04.2014 bis 24.04.2015 in einem gemeinsamen Haushalt. XXXX wurde am 19.10.2017 in die Ukraine abgeschoben.
Ob der Beschwerdeführer in Weißrussland noch über Angehörige verfügt, kann nicht festgestellt werden.
Der Beschwerdeführer absolvierte in Weißrussland eine dreijährige Ausbildung als technischer Baumaschinenmechaniker. Er arbeitete bis zu seiner Ausreise als Mechaniker in einer privaten Firma und verdiente dabei ca. US-$ 250-300. Der Beschwerdeführer ist arbeitsfähig.
Der Beschwerdeführer verdiente sich seinen Lebensunterhalt in Österreich durch illegale Beschäftigung im Baugewerbe. Der Beschwerdeführer bezieht keine Leistungen aus der Grundversorgung. Er absolvierte weder einen Deutschkurs noch sonstige Ausbildungen in Österreich. Der Beschwerdeführer spricht angemessen Deutsch.
Hinweise auf das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen für einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen kamen nicht hervor.
1.3. Zu den Fluchtgründen:
Eine maßgebliche Änderung der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat seit rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens über die ersten und zweiten Anträge auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers kann ebensowenig festgestellt werden, wie eine maßgebliche Änderung der vom Beschwerdeführer bereits im Erst- und Zweitverfahren vorgebrachten Fluchtgründe.
1.4. Zur maßgeblichen Lage in Weißrussland:
(Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Weißrussland, Gesamtaktualisierung am 05.12.2017):
1.4.1. Politische Lage
Die Republik Belarus hat bei einer Landesfläche von 207.600 Quadratkilometern eine Bevölkerung von 9,5 Millionen (Stand 1.7.2014). Staatsoberhaupt ist seit 20.7.1994 Präsident Alexander Grigorjewitsch Lukaschenko, der diktatorisch herrscht. Er wurde zuletzt am 11.10.2015 für weitere 5 Jahre gewählt. Regierungschef ist Andrej Kobjakow. Das weißrussische Parlament (Nationalversammlung) umfasst 110 Abgeordnete in der Repräsentantenkammer und 64 Deputierte im Rat der Republik. Die Mitglieder der Repräsentantenkammer wurden zuletzt am 11.9.2016 gewählt (AA 3.2017a).
Ihre staatliche Unabhängigkeit erhielt die Republik Belarus im Dezember 1991 mit der Auflösung der Sowjetunion. Im Sommer 1994 fanden erstmals Präsidentschaftswahlen statt, aus denen Alexander Lukaschenko mit über 80% der Stimmen als Sieger hervorging (AA 3.2017b). Seit Anfang der 1990er Jahre und besonders nach 1996 hat Belarus ein parteiloses politisches System gefördert (FH 29.3.2017). Eine Regierungspartei im eigentlichen Sinn gibt es in Weißrussland nicht. Mehr als 95% der Abgeordneten des belarussischen Parlaments sind parteilos. Im November 2007 wurde die pro-Lukaschenko-Sammelbewegung "Belaja Rus" gegründet, die sich nach ihrem Statut in eine Partei umwandeln könnte, was jedoch bisher nicht geschehen ist (AA 3.2017a). Politischen Parteien und nichtstaatlichen Organisationen (NGOs) wird keine wichtige Rolle bei der Entscheidungsfindung zuerkannt (FH 29.3.2017).
Im November 1996 ließ Präsident Lukaschenko ein Referendum zur Änderung der Verfassung abhalten, das ihm erheblich erweiterte Machtbefugnisse zu Lasten der demokratischen Gewaltenteilung einräumte. Der Präsident verfügt über umfangreiche legislative Rechte und kann präsidiale Dekrete, Erlässe und Anordnungen mit bindender, de facto den Gesetzen übergeordneter Wirkung, erlassen. Die Präsidentschaftswahlen am 19. Dezember 2010 entsprachen nicht den OSZE-Standards. Noch am Wahlabend folgten gewalttätige Übergriffe der Ordnungskräfte gegen Demonstranten. Es erfolgten über 700 Festnahmen und in weiterer Folge eine umfassende Repressionswelle gegen die Opposition sowie gegen unabhängige Medien und die Zivilgesellschaft. Die EU reagierte mit Sanktionen. Die Präsidentschaftswahl am 11. Oktober 2015 gewann Staatspräsident Lukaschenko erneut mit über 80% der Stimmen. Nachdem die Präsidentschaftswahl zwar mit erheblichen Mängeln, aber im Vergleich zu 2010 gewalt- und repressionsfrei und unter umfassender internationaler Beobachtung erfolgt war, wurden die von der EU verhängten Sanktionen gegen Weißrussland zunächst suspendiert und dann Ende Februar 2016 weitgehend aufgehoben. Auch die Parlamentswahlen am 11. September 2016 verliefen trotz bestehender Kritikpunkte weitgehend repressionsfrei (AA 3.2017b).
Bemerkenswert ist, dass bei den Parlamentswahlen am 11. September 2016 erstmals seit 20 Jahren nun auch oppositionelle Abgeordnete gewählt wurden. Die junge Anwältin Anna Kanopazkaja gewann einen Sitz für die liberale Vereinigte Bürgerpartei und Jelena Anisim von der Gesellschaft für Weißrussische Sprache trat als Unabhängige an, gilt jedoch ideologisch der gegen Ende der Sowjetunion gegründeten Weißrussischen Nationalen Front (BNF) nahe und setzt sich für eine Stärkung der weißrussischen Sprache ein. Die restlichen der insgesamt 110 Mandate gingen an regimetreue Kandidaten. Nach Angaben der Wahlkommission lag die Wahlbeteiligung bei knapp 75%. Beobachter werten die Wahl der beiden Oppositionellen als Zeichen für eine gewisse Kooperationsbereitschaft von Machthaber Alexander Lukaschenko mit dem Westen, der sich in diesem Zusammenhang wohl auch eine Stärkung der wirtschaftlichen Beziehungen erhofft, um sein Land aus der tiefen Wirtschaftskrise führen zu können. Manche Beobachter vertreten auch die Auffassung, Lukaschenko habe die beiden Oppositionellen ins Parlament einziehen lassen, um die Kritik von EU und Vereinigten Staaten zu neutralisieren, dass es in Weißrussland keine demokratischen Wahlen gäbe (ZO 12.9.2016; vgl. RFE/RL 11.9.2016 und NZZ 12.9.2016). Tatsächlich kritisierte die OSZE die Wahlen wegen mangelnder demokratischer Standards (OSZE 11.9.2016; vgl. NZZ 12.9.2016). Neben ungleichen Bedingungen für die Kandidaten und der staatlichen Dominanz der Medien bestand ein entscheidender Mangel an Transparenz, der Zweifel an den offiziellen Ergebnissen aufkommen ließ (FH 29.3.2017).
Insgesamt betrachtet hat Weißrussland seit Anfang der 1990er Jahre keine Wahl abgehalten, die als frei und demokratisch bewertet wurde (RFE/RL 11.9.2016).
Obwohl die politische Opposition unter ungünstigen Bedingungen operiert und regelmäßig mit administrativem Druck oder Unterdrückung konfrontiert ist, hat sich das allgemeine politische Klima in den letzten beiden Jahren insgesamt etwas verbessert. Die wirtschaftliche Situation bleibt schwierig, die außenpolitischen Beziehungen zur Europäischen Union und zu den Vereinigten Staaten haben sich zuletzt deutlich entspannt (FH 29.3.2017). Allerdings hat sich im Zuge massiver Proteste gegen einen Gesetzesvorschlag im März 2017 ("Antiparasitismus"-Steuer) gezeigt, dass die Regierung zumindest zwischenzeitlich zu ihren Praktiken der Massenverhaftungen und gefälschten Anschuldigungen zurückgekehrt ist. Die Tatsache, dass der Präsident allerdings kurz nach den Demonstrationen beschlossen hat, die Einziehung der "Antiparasitismus"-Steuer auszusetzen, lässt den Schluss zu, dass er und seine Regierung sehr wohl auf die öffentlichen Widerstand hören können, wenn dieser eine bestimmte Schwelle erreicht. Nach Ansicht des Sonderberichterstatters zeigt die weitgehend unterdrückungszentrierte offizielle Reaktion auf die Ereignisse jedoch, dass die Regierungsführung in Belarus darauf abzielt, die Konsolidierung der Macht in den Händen des Präsidenten und seiner Verwaltung zu schützen, anstatt Orte für alternative Ideen zu schaffen (UN 22.9.2017).
Trotz traditionell enger Beziehungen zwischen Russland und Weißrussland gehört Minsk inzwischen zu Moskaus schwierigsten postsowjetischen Partnern. Seit mindestens drei Jahren ändert Lukaschenko schleichend seinen prorussischen Kurs. Schlüsselmoment dafür war die Annexion der Krim, die Weißrussland bis heute nicht als russisches Territorium anerkennt. Vielmehr wird offen die territoriale Integrität der Ukraine unterstützt. Als Reaktion auf die von Minsk eingeführte Visa-Freiheit für Kurzbesuche von EU-Bürgern führte Russland nach beinahe 20 Jahren wieder Grenzkontrollen zu Weißrussland ein. Linienflüge aus Weißrussland, zuvor wie Inlandsflüge behandelt, werden in Russland nun in internationalen Terminals abgefertigt. Allmählich machen sich Lukaschenkos Behörden Positionen zu eigen, die zuvor seinen Gegnern vorbehalten und vom Staat unterdrückt waren, wie die Betonung der Rolle der weißrussischen Sprache oder den kritischen Zugang zum Erbe von Sowjetunion und Romanow-Reich (WeltN24 18.11.2017 und 11.2.2015, vgl. CoE 6.6.2017).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (3.2017a): Belarus, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/belarus-node, Zugriff 17.10.2017
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AA - Auswärtiges Amt (10.2017b): Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/belarus-node/-/202924, Zugriff 17.10.2017
-
AA - Auswärtiges Amt (10.2017c): Außenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/belarus-node/-/202922, Zugriff 17.10.2017
-
CoE - Council of Europe Parlamentary Assembly (6.6.2017): Bericht zu Menschenrechten sowie zu bürgerlichen und politischen Rechten in Belarus (Lage nach Präsidentschafts- und Parlamentswahlen, die 2015 bzw. 2016 abgehalten wurden; Menschenrechtslage und neue Welle von Repressalien mit Stand März 2017; Außenbeziehungen, https://www.ecoi.net/file_upload/1226_1497354295_the-situation-in-belarus.pdf, Zugriff 20.11.2017
-
FH - Freedom House (29.3.2017): Nations in Transit 2017, https://www.ecoi.net/local_link/338522/481524_de.html, Zugriff 18.10.2017.
-
NZZ - Neue Zürcher Zeitung (12.9.2016): Zwei Oppositionelle gewählt,
http://www.nzz.ch/international/europa/weissrussland-zwei-oppositionelle-gewaehlt-ld.116368, Zugriff 17.10.2017
-
OSZE - Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (11.9.2016): International Election Observation Mission, Republic of Belarus - Parliamentary Elections, 11.9.2016, http://www.osce.org/odihr/elections/263656?download=true, Zugriff 23.10.2017
-
RFE/RL - Radio Free Europe / Radio Liberty (11.9.2016):Opposition Figures Win Seats In Belarusian Parliament, http://www.rferl.org/content/article/27980719.html, Zugriff 18.10.2017
-
UN General Assembly (22.9.2017): Report of the Special Rapporteur on the situation of human rights in Belarus, https://www.ecoi.net/file_upload/1226_1508760889_n1729738.pdf, Zugriff 22.11.2017
-
WeltN24 (18.11.2017): Putins widerpenstiger Bruder, https://www.welt.de/politik/ausland/article170709919/Putins-widerspenstiger-Bruder.html, Zugriff 20.11.2017
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WeltN24 (11.2.2015): Kämpfen, auch wenn der Gegner Putin heißt, https://www.welt.de/politik/ausland/article137355346/Kaempfen-auch-wenn-der-Gegner-Putin-heisst.html, Zugriff 20.11.2017
-
ZO - Zeit Online (12.9.2016): Oppositionelle schaffen es ins Parlament von Belarus,
http://www.zeit.de/politik/ausland/2016-09/alexander-lukaschenko-belarus-wahl-opposition-parlament, Zugriff 18.10.2017
1.4.2. Sicherheitslage
Die Sicherheitslage in Weißrussland ist gut (BMEIA 3.10.2017).
Quelle:
- BMEIA - Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (3.10.2017): Belarus. Sicherheit und Kriminalität, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/belarus/, Zugriff 4.12.2017
1.4.3. Rechtsschutz/Justizwesen
Die Justiz in Weißrussland ist nicht unabhängig. Die volle Exekutivgewalt und auch ein bedeutender Teil der Gesetzgebungsbefugnis liegen beim Präsidenten, der auf eigene Initiative Dekrete erlassen kann, denen eine größere Rechtskraft zukommt als der gewöhnlichen Gesetzgebung. Außerdem hat der Präsident praktisch unbegrenzte Befugnisse bei der Ernennung von Richtern und bei der Neuordnung von Gerichten (FH 29.3.2017).
Das Verfassungsgericht ist nicht unabhängig. Vor allem dann nicht, wenn es Entscheidungen zu fällen hat, die für den Präsidenten von wesentlicher Bedeutung sind. Letzterer ernennt die Verfassungsrichter, wobei er gemäß Verfassung über sechs Richter allein entscheiden kann, während die übrigen sechs Richter die Zustimmung des Oberhauses der Nationalversammlung (Rat der Republik) benötigen. Alle Richterernennungen (nicht nur für die obersten Gerichte) erfolgen grundsätzlich per Präsidialerlass (AA 21.6.2017).
Korruption, Ineffizienz und politische Einmischung in Gerichtsentscheidungen sind weit verbreitet. Gerichte verurteilen Personen aufgrund falscher und politisch motivierter Anklagen. Beobachtern zufolge diktieren hohe Regierungsvertreter und Behörden die Urteile. Menschenrechtsorganisationen beklagen, dass Staatsanwälte zu viel Macht hätten und somit beispielsweise die Haft ohne Hinzuziehung eines Richters verlängern können. Auch ist zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung ein Machtgefälle gegeben. Verteidiger können Ermittlungsakten nicht einsehen, bei Verhören nicht anwesend sein oder Beweise gegen Angeklagte prüfen, bis ein Staatsanwalt den Fall förmlich vor Gericht gebracht hat. Das alles gilt besonders für Fälle mit einem politischen Hintergrund. Rechtsanwälte unterstehen dem Justizministerium und müssen ihre Lizenz alle fünf Jahre erneuern lassen. Laut Gesetz gilt die Unschuldsvermutung. Der Mangel an richterlicher Unabhängigkeit, Vorverurteilung durch die staatlichen Medien und weit verbreitete Einschränkungen der Verteidigungsrechte bringen es aber mit sich, dass es tatsächlich häufig dem Angeklagten obliegt, seine Unschuld zu beweisen. Obwohl die Gesetze öffentliche Verfahren garantieren, wird die Öffentlichkeit gelegentlich ausgeschlossen. Es gibt keine Geschworenenprozesse. Richter entscheiden alleine oder in schweren Fällen im Kollegium mit zwei Laienrichtern. Die Rechte der Verteidigung werden nicht in vollem Maße respektiert. Auch das Recht des Angeklagten auf Durchführung des Prozesses in belarussischer Sprache und auf freie Wahl des Verteidigers wird immer wieder eingeschränkt. NGO-Anwälte dürfen etwa nur Mitglieder ihrer NGO vertreten. Anwälte, die politisch heikle Fälle übernehmen, erhalten regelmäßig Berufsverbote. Auch müssen Verteidiger häufig Geheimhaltungsvereinbarungen unterschreiben, die es erschweren, Informationen über das Verfahren nach außen dringen zu lassen. Überdies werden von den Gerichten Aussagen zugelassen, die durch die Androhung körperlicher Gewalt während der Verhöre zustande gekommen waren. Das Beschwerderecht gegen Gerichtsentscheidungen wird von den meisten Verurteilten genutzt; trotzdem werden Urteile in der Mehrheit der Fälle bestätigt (USDOS 3.3.2017).
Richter genießen zwar eine gewisse Autonomie, doch besteht - insbesondere wenn ein Fall wesentliche Interessen der Behörden betrifft - die Möglichkeit, direkt Einfluss auf die Richter zu nehmen und endgültige gerichtliche Entscheidungen zu revidieren. Dies gilt sowohl für strafrechtliche als auch verwaltungsrechtliche Fälle, einschließlich derjenigen, die sich auf die Unterdrückung politischer Aktivitäten im Land beziehen, sowie auf Zivilsachen, die die wirtschaftlichen Interessen der herrschenden Kreise oder staatseigener Unternehmen betreffen. Die Einflussnahme erfolgt in der Regel durch direkte Weisungen von Exekutivbeamten an Gerichtshöfe, die den Richtern dann die entsprechenden Anweisungen übermitteln (FH 29.3.2017).
2016 war die politische Abhängigkeit der Gerichte in Verwaltungsverfahren gegen die Organisatoren von Straßenprotesten deutlich sichtbar. Menschenrechtsorganisationen wiesen auf die Verwendung von Gerichten hin, um politische Aktivisten, Journalisten und Vertreter der Zivilgesellschaft während des Jahres zu bestrafen. Der offensichtlichste Indikator für die Politisierung von Gerichten ist die rasche Revision der Strafverfolgungspolitik nach einer Änderung der politischen Situation. Bei der Prüfung der Mehrheit der Wahlstreitigkeiten nehmen die Gerichte auch die Seite der Behörden ein (FH 29.3.2017).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (21.6.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Belarus, per E-Mail
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FH - Freedom House (29.3.2017): Nations in Transit 2017 - Belarus, https://www.ecoi.net/local_link/338522/481524_de.html, Zugriff 20.10.2017
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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Belarus, https://www.ecoi.net/local_link/337124/479884_de.html, Zugriff 17.10.2017
1.4.4. Sicherheitsbehörden
Die Sicherheitsbehörden wie das Innenministerium, das Komitee für Staatssicherheit (KGB) und das 2012 neu aufgestellte Ermittlungskomitee, unterliegen keiner effektiven unabhängigen parlamentarischen oder sonstigen Kontrolle. Sie unterstehen unmittelbar dem Präsidenten. Die Sicherheitsorgane werden für die gezielte Einschüchterung politischer Gegner - vor allem bei nicht genehmigten Demonstrationen - instrumentalisiert. Ein im Juli 2012 in Kraft getretenes neues Gesetz gibt dem Geheimdienst KGB polizeiliche Befugnisse, die er aber de facto auch schon vorher ausübte. Durchsuchungen von Wohnungen und Büros, Festnahmen und falls erforderlich auch Anwendung von Waffengewalt liegen nunmehr ausdrücklich auch in der Befugnis des KGB. Die Justiz trägt nicht zur Mäßigung der Sicherheitsorgane bei, vielmehr wird das Rechtssystem zur staatlich geleiteten Repression und Einschüchterung aktiv genutzt. Die Streitkräfte sind grundsätzlich nicht mit polizeilichen Aufgaben betraut (AA 21.5.2017).
Die zivilen Behörden, insbesondere Präsident Lukaschenko, üben die tatsächliche Kontrolle über die Sicherheitskräfte aus. Der Präsident hat das Recht, alle Sicherheitsorgane seinem persönlichen Kommando zu unterstellen. Die Polizei untersteht dem Innenministerium. Der KGB, die Abteilung für Finanzuntersuchungen des Staatlichen Kontrollkomitees, das Untersuchungskomitee und die präsidentiellen Sicherheitsdienste üben ebenfalls Polizeifunktionen aus. Einzelpersonen können Polizeiübergriffe zwar der Staatsanwaltschaft anzeigen, aber die Regierung geht diesen oft nicht nach bzw. bestraft die Täter nicht. Die Behörden agieren generell in einem Klima der Straflosigkeit (USDOS 3.3.2017).
Quellen:
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AA- Auswärtiges Amt (21.6.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Belarus, per E-Mail
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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Belarus, https://www.ecoi.net/local_link/337124/479884_de.html, Zugriff 17.10.2017
1.4.5. Allgemeine Menschenrechtslage
Durch die Verfassung werden die Meinungsfreiheit (Art. 33), die Versammlungs-, Demonstrations-und Streikfreiheit (Art. 35) sowie die Vereinigungsfreiheit (Art. 36) explizit geschützt (AA 21.6.2017).
Tatsächlich können hinsichtlich der Menschenrechtslage im Jahr 2016 keine Verbesserungen festgestellt werden. Die Todesstrafe bleibt in Kraft. Beamte verfolgen weiterhin Menschenrechtsaktivisten und kritische Journalisten auf Grundlage falscher Anschuldigungen. Internationale Beobachter erkennen einige Fortschritte bei den Parlamentswahlen im September, fordern aber zusätzliche Reformen. Unter Bezugnahme auf die Freilassung politischer Gefangener und verbesserte Wahlen hat die Europäische Union Sanktionen aufgehoben. Die Behörden weigern sich aber nach wie vor, mit dem Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für Belarus zusammenzuarbeiten. Im Oktober 2016 schloss die Regierung einen Aktionsplan zur Umsetzung der Empfehlungen der UN-Menschenrechtsvertragsorgane und des UN Menschenrechtsrates ab. Der Plan ist allerdings nicht spezifisch genug, um die bürgerlichen und politischen Rechte angemessen zu berücksichtigen (HRW 12.1.2017).
In seinem jüngsten Bericht an den Menschenrechtsrat berichtete der Sonderberichterstatter über die Verschlechterung der Menschenrechtssituation in Weißrussland, insbesondere nach der groß angelegten organisierten Unterdrückung von Demonstranten im März 2017, die friedlich gegen die Anwendung eines Präsidialerlasses demonstrierten, der eine unmittelbare Bedrohung für die sozialen und wirtschaftlichen Rechte von hunderttausenden von Weißrussen darstellte. Die heftigen Interventionen staatlicher Agenten nach diesen Demonstrationen alarmierten die internationale Gemeinschaft und erinnerten einmal mehr an den zyklischen Aspekt der Repression im Land. Nachdem die Regierung einige Schritte in Richtung einer Lockerung der Verfolgung unternommen hat, kehrte sie schließlich wieder zu vermehrten Repressionen insbesondere gegen Menschenrechtsaktivisten und Journalisten zurück (UN 22.9.2017).
Uladzimir Niakliayeu, ein Dichter und langjähriger Kritiker der weißrussischen Einschränkungen der Meinungsfreiheit, und Mikalai Statkevich, ein Führer der weißrussischen National-Kongressbewegung, beide Präsidentschaftskandidaten in früheren Wahlen, wurden am 1. November und 30. Oktober verhaftet und zu 10 bzw. 5 Tagen Haft verurteilt. Beide haben in diesem Jahr bereits mehrere ähnliche Verfahren und Strafen überstanden. Diese jüngsten Festnahmen und Inhaftierungen sind laut Miklós Haraszti, Sonderberichterstatter für die Lage der Menschenrechte in Weißrussland, eine weitere Demonstration des zyklischen Systems der Unterdrückung (OHCHR 14.11.2017; vgl. RFE 31.10.2017).
Quellen:
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AA- Auswärtiges Amt (21.6.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Belarus, per E-Mail
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HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017. Belarus, https://www.ecoi.net/local_link/334732/476486_de.html, Zugriff 24.11.2017
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OHCHR - UN Office of the High Commissioner for Human Rights (14.11.2017): Belarus: Arbitrary detention and false prosecution of political opponents continue, UN expert says, https://www.ecoi.net/local_link/349055/493872_de.html. Zugriff 22.11.2017
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RFE - Radio Free Europe (31.10.2017): Belarusian Opposition Leader Statkevich Detained For Sixth Time In 2017, https://www.ecoi.net/local_link/348486/492912_de.html, Zugriff 22.11.2017
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UN - United Nations General Assembly (22.9.2017): Report of the Special Rapporteur on the situation of human rights in Belarus, https://www.ecoi.net/file_upload/1226_1508760889_n1729738.pdf, Zugriff 22.11.2017
1.4.6. Meinungs- und Pressefreiheit
Die Verfassung sieht Rede- und Pressefreiheit vor. Tatsächlich aber übt die Regierung fast vollständige Kontrolle über die Mainstream-Medien aus. Das Mediengesetz 2008 sichert ein staatliches Monopol auf Informationen über politische, soziale und wirtschaftliche Angelegenheiten. Verleumdung und üble Nachrede können sowohl zivil- als auch strafrechtlich geahndet werden, und das Strafgesetzbuch enthält Bestimmungen zum Schutz der "Ehre und Würde" hochrangiger Beamter, darunter auch höhere Strafen bei deren Verleumdung oder Beleidigung (FH 29.3.2017).
Das Massenmediengesetz schränkt das Recht auf freie Meinungsäußerung weiter ein und unterwirft alle Medienunternehmen effektiv der staatlichen Kontrolle. Lokale Journalisten, die für ausländische Medien arbeiten, müssen noch immer eine offizielle Akkreditierung erhalten, die regelmäßig verspätet einlangt oder willkürlich abgelehnt wird (AI 22.2.2017).
Das Gesetz schränkt auch die freie Meinungsäußerung ein, indem es Handlungen kriminalisiert, wie die Information eines Ausländers über die politische, wirtschaftliche, soziale, militärische oder internationale Situation des Landes, in einer Weise welche die Behörden für falsch oder abfällig halten. Darüber hinaus propagiert die staatliche Presse Ansichten zur Unterstützung von Präsident Lukaschenko und der offiziellen Politik, ohne Raum für kritische Stimmen zu lassen. Einzelpersonen können Präsident Lukaschenko und die Regierung nicht öffentlich kritisieren oder Themen von allgemeinem öffentlichen Interesse ohne Angst vor Repressalien diskutieren. Die Behörden nehmen politische Treffen auf Video auf, führen häufige Identitätskontrollen durch und benutzen andere Formen der Einschüchterung. Weiters untersagen sie das Tragen von Gesichtsmasken, das Anbringen von nicht registrierten oder oppositionellen Flaggen und Symbolen sowie das Anbringen von Plakaten mit Botschaften, die als Bedrohung für die Regierung oder die öffentliche Ordnung angesehen werden (USDOS 3.3.2017).
Die gelegentliche Diffamierung oppositioneller und zivilgesellschaftlicher Kräfte in staatlichen Medien besteht nach wie vor. Fernsehen und Rundfunk befinden sich in staatlicher Hand; dort wird nahezu ausschließlich die offizielle politische Linie propagiert (Privatradios sind ausschließlich unpolitische Unterhaltungsprogramme zugelassen). Nur vor Wahlen wird Oppositionspolitikern begrenzter Raum für Auftritte in Kandidaten-Debatten eingeräumt. Unabhängige Fernsehsender gibt es in Belarus nicht. Jedoch ist der Empfang von Satellitensendern über Kabelanbieter oder Direktempfang grundsätzlich möglich, auch "Radio Svaboda" (Radio Free Europe) kann empfangen werden. Mit dem in Warschau ansässigen Sender BelSat existiert ein regimekritisches Programm in belarussischer Sprache. Polen ist aber dabei, sich im Tausch mit der Zulassung eines polnischen Senders im öffentlichen Netz aus der Belsat-Finanzierung zurückzuziehen. Das ebenfalls von Polen mit EU-Unterstützung aus betriebene "European Radio for Belarus" ist terrestrisch in den westlichen Regionen von Belarus zu empfangen. Gleichzeitig existiert eine auflagenschwache, unabhängige bzw. nichtstaatliche Presse, die regelmäßig kritisch über die politische Führung des Landes berichtet. Unabhängige Printmedien stehen allerdings unter ständigem Druck, Verwarnungen oder Abmahnungen des Informationsministeriums wegen inhaltlicher oder formaler Fragen zu vermeiden. Nach zwei Verwarnungen binnen Jahresfrist können Medien geschlossen werden, wozu es bisher allerdings nicht gekommen ist. Ferner kämpfen alle unabhängigen Zeitungen mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die zum Teil durch die schlechte allgemeine Wirtschaftslage begründet sind, zum Teil aber auch gezielt vom Staat herbeigeführt werden wie beispielsweise durch Abschreckung von potentiellen Werbekunden, durch zeitweise Einschränkung des Zugriffs auf preiswertes einheimisches Zeitungspapier, durch Einschränkungen beim Zugang zum staatlichen Vertriebssystem sowie durch die Subventionierung staatlicher Medien. Bei Journalisten kommt es zuweilen im Rahmen ihrer Tätigkeit zu vorübergehenden Festnahmen und Arreststrafen, insbesondere bei Fotojournalisten, die unliebsame Aktionen oder Sachverhalte bildlich festhalten wollen. Zudem werden regelmäßig Journalisten aufgrund einer Zusammenarbeit mit in Belarus nicht akkreditierten Medien zu Geldstrafen verurteilt. Neun unabhängigen Printmedien wurde nach einem Gespräch des Präsidenten mit dem Chefredakteur der unabhängigen Zeitung Narodnaja Wolja inzwischen die Aufnahme in das staatliche Verteilungssystem zugesagt; zwei davon haben bereits entsprechende Verträge unterschrieben. Dies könnte für die Zukunft eine gewisse Entspannung, auch im Hinblick auf den Gewinn von Werbekunden, bedeuten (AA 21.6.2017).
Die Belästigung unabhängiger Journalisten und Blogger hat in den letzten Monaten zugenommen. Wegen Protests gegen die Regierung wurden im März 2017 etwa 100 Menschen verhaftet. Die Behörden befürchten nach der Sommerpause mehr Proteste und versuchen zu verhindern, dass sie von unabhängigen Medien abgedeckt werden. Weißrussland belegt im RSF-Weltpressefreiheitsindex 2017 Rang 153 von 180 Ländern (RSF 24.8.2017).
Das Parlament verabschiedete im Mai 2016 einen vage formulierten Gesetzentwurf über den "Schutz von Kindern vor gesundheits- und entwicklungsschädlichen Informationen", der die Verbreitung neutraler oder positiver Informationen über lesbische, schwule, bisexuelle und transgender (LGBT) Personen einschränken kann, wenn Institution der Familie diskreditiert wird. Auch wurde ein Gesetzentwurf zur Erweiterung der Definition von "extremistischer Aktivität" verabschiedet, der neue Delikte einführte, darunter die "Bildung einer extremistischen Gruppe" und die "Finanzierung der Aktivitäten einer extremistischen Gruppe" (HRW 12.1.2017).
Die Regierung behindert die Freiheit des Internets, indem sie angeblich E-Mail- und Internet-Chat-Räume überwacht. Einzelpersonen, Gruppen und Publikationen können sich im Allgemeinen über das Internet, auch per E-Mail, ausdrücken, riskieren aber trotzdem stets rechtliche und persönliche Auswirkungen und üben daher allenthalben Selbstzensur. E-Mails von Oppositionsaktivisten und andere webbasierte Kommunikationsmittel dürften überwacht werden (USDOS 3.3.2017).
Im Internet finden sich unabhängige und dezidiert regimekritische Webportale, auf die man grundsätzlich frei zugreifen kann. Seit dem 1. Januar 2015 gilt ein neues Mediengesetz, das Internetressourcen den Druckerzeugnissen gleichstellt. Hauptkonsequenz ist, dass somit nun auch Internetseiten geschlossen und blockiert werden können; hierfür reicht grundsätzlich eine einzige vorherige Verwarnung aus (AA 21.6.2017).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (21.6.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Belarus, per E-Mail
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AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - Belarus, https://ecoi3.ecoi.net/de/dokument/1393770.html, Zugriff 19.10.2017
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FH - Freedom House (29.3.2017): Nations in Transit 2017 - Belarus, https://ecoi3.ecoi.net/de/dokument/1397339.html, Zugriff 4.12.2017
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HRW - Human Rights Watch (12.1.2017) - World Report 2017, https://www.ecoi.net/local_link/334732/476486_de.html, Zugriff 23.11.2017
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RSF - Reporters Sans Frontières (24.8.2017): Belarus: Five Belsat TV reporters on trial,
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