TE Bvwg Erkenntnis 2018/7/10 W147 2200190-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.07.2018
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Entscheidungsdatum

10.07.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §13 Abs2
AsylG 2005 §2
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §18
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §53
FPG §55

Spruch

W147 2200190-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Kanhäuser als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geb. am XXXX, StA. Russische Föderation, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13. Juni 2018, Zl: 801195209-160006165, zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde wird gemäß den §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 iVm § 10 Abs. 1 Z 3, Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100 jeweils in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2012, §§ 13 Abs. 2, 57 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100 jeweils in der Fassung BGBl. I Nr. 70/2015, § 9 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012 in der Fassung BGBl. I Nr. 70/2015, und §§ 46 und 52 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100 jeweils in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017, als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen die Spruchpunkte VI. bis VIII. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 53 FPG und § 18 BFA-VG stattgegeben und die Spruchpunkte VII. und VIII. des angefochtenen Bescheides aufgehoben. Gemäß § 55 FPG wird die Frist für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung mit 14 Tagen festgelegt.

III. Festgestellt wird, dass die Verfahrensanordnung vom 19. März 2018, mit welcher der Verlust des Aufenthaltsrechtes mitgeteilt wurde, gemäß § 13 Abs. 2 iVm § 2 Abs. 3 AsylG 2005 rechtswidrig war.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer reiste Ende 2010 in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 20. Dezember 2010 seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz. Dieser wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 1. März 2011 abgewiesen. Nach Erhebung eines Rechtsmittels reiste der Beschwerdeführer freiwillig am 27. September 2013 aus und wurde der Antrag in weiterer Folge als gegenstandslos abgelegt.

2. Eigenen Angaben zufolge reiste der Beschwerdeführer am 30. Dezember 2015 neuerlich aus der Russischen Föderation aus, gelangte unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet und brachte am 4. Jänner 2016 den diesem Verfahren zugrundeliegenden neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz ein.

Im Zuge der Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag brachte der Beschwerdeführer vor, er sei im Jahre 2013 nicht nach Tschetschenien zurückgereist, sondern habe sich die ganze Zeit über in "Russland" aufgehalten. Sein Reisepass befände sich bei der Polizei in Polen, da er über Polen in die Europäische Union eingereist und dort registriert worden sei. Zu seinen Fluchtgründen befragt führte der Beschwerdeführer aus, er habe "Russland" verlassen, weil er in "Russland" Probleme mit den FSB (ehemaliger KGB) gehabt habe, da er mehrmals bei einem Treffen in XXXXbei XXXX gewesen sei. Diese Treffen hätten sich gegen die russische und tschetschenische Regierung gerichtet. Es seien dort vom russischen Geheimdienst Fotos gemacht und nach "Russland" übermittelt worden. Er sei aufgefordert worden, in der Ukraine zu kämpfen. Das habe er aber abgelehnt. Außerdem möchte er bei seiner Familie in Österreich leben.

Mit Urteil des XXXX vom XXXX, XXXX, rechtskräftig am XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der Körperverletzung gemäß § 83 StGB zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 4,- Euro bzw. einer Ersatzfreiheitsstrafe von 45 Tagen verurteilt.

Mit Verfahrensanordnung vom 19. März 2018 wurde dem Beschwerdeführer seitens der belangte Behörde der Verlust seines Aufenthaltsrechtes mitgeteilt.

Zu Beginn einer niederschriftlichen Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 19. April 2018, gab der Beschwerdeführer an, er sei weder rechtlich vertreten noch spreche etwas gegen die heutige Einvernahme. Seine bisherigen Angaben würden der Wahrheit entsprechen und sei die Verständigung mit der anwesenden Dolmetscherin gut.

Sein Name sei XXXX, er sei am XXXX, im Dorf XXXX in Tschetschenien, Russische Föderation geboren, gehöre der tschetschenischen Volksgruppe an und sei muslimischen Glaubens. An Beweismittel lege er heute seine Heiratsurkunde, einen Kurbefund eines Facharztes für Psychiatrie über eine diagnostizierte Depression sowie Bestätigungen vor, wonach er beantrage über die Grundversorgung versichert zu werden, jedoch keine Leistungen aus dieser beziehen möchte. Sein Reisepass sei ihm an der polnischen Grenze abgenommen worden. Zurzeit stehe er in Therapie und erhalte Medikamente gegen Schlafstörungen. Da er keine Krankenversicherung habe, würde ihm "der Psychologe die Medikamente selber geben".

Seit XXXX sei er standesamtlich verheiratet, habe neben seiner Gattin eine Tochter, eine Enkelin und einen Sohn. Er lebe mit seiner Gattin und seiner Tochter und deren Tochter in einem gemeinsamen Haushalt. Diese hätten ein "Visum" für Österreich, dürfen arbeiten, jedoch keine Sozialbeihilfe beziehen. Er selbst beziehe auch keine soziale Unterstützung.

Sein Sohn Rustam lebe in Dagestan in "Russland", habe bei seinem Bruder gewohnt, der zwischenzeitlich verstorben sei, es gebe dort aber noch andere Verwandte. Sein Cousin wohne auch dort. Die Familie habe nicht genug Geld gehabt, um mit der ganzen Familie auszureisen. Da der Beschwerdeführer dringend ausreisen musste, hätten sie nicht genug Zeit gehabt. Kontakt bestehe zu seiner Schwester und seinem Sohn ca einmal im Monat, meist nehme seine Frau Kontakt auf.

Der Beschwerdeführer habe zehn Jahre die Gesamtschule in Tschetschenien besucht und danach drei Jahre ein technisches College, von XXXX. Er habe verschiedene Arbeiten verrichte zB in einem Lebensmitteldepot, in einer Bäckerei aber auch in einem Ziegelwerk, und zwar von 1982 bis 1991. Nach dem Kollaps der Sowjetunion habe er ich nicht mehr gearbeitet. Die Familie habe einen eigenen Garten mit Obst und Gemüse, eine Kuh, auch hätten sie Hühner gehabt.

Befragt nach den Gründen für das Verlassen seines Herkunftsstaates führte der Beschwerdeführer aus:

"F: Haben Sie in Tschetschenien strafbare Handlungen begangen?

A: Nein.

F: Hatten Sie in Ihrer Heimat Probleme mit den Behörden?

A: Nein, nur hier hatte ich einen privaten Streit.

F: Hatten Ihre Familienangehörigen Probleme in Tschetschenien?

A: Meine Tochter wurde dort verfolgt, im Jahr 2008/09, die Rebellen waren noch in den Wäldern. Der ehemalige Gatte meiner Tochter hat sie verfolgt und wollte ihr die Tochter wegnehmen.

F: Haben Sie sich in Ihrer Heimat jemals an die Polizei oder an ein Gericht gewandt?

A: Es gab damals nichts, es gibt jetzt Gerichte, damals nicht.

F: Waren Sie in Tschetschenien politisch oder religiös tätig?

A: Nein.

F: Wann sind Sie das erste Mal aus Tschetschenien ausgereist?

A: 2010.

F: Wo haben Sie sich danach weiter aufgehalten?

A: Ich bin 2010 nach Österreich ausgereist, war dann hier.

F: Sie waren nicht durchgehend in Österreich, wo haben Sie sich aufgehalten?

A: Das Asylverfahren wurde eingestellt, ich bin zurück in meine Heimat um meinen Bruder zu begraben. 2013 bin ich zurück, mein Bruder hat dort noch ein Jahr gelebt, er war krank, er ist dann 2014 gestorben. Ich war ca. zwei Jahre dort.

F: Wann sind Sie wieder aus Tschetschenien ausgereist?

A: Ende Dezember 2015 bin ich wieder nach Österreich, seitdem bin ich hier aufhältig. Ich will hier selber Arbeiten und will deswegen wenigstens einen Aufenthaltstitel.

......

F: Schildern Sie mir möglichst konkret und mit allen Details warum Sie Russland verlassen und in Österreich einen Asylantrag gestellt haben? Geben Sie alle Fluchtgründe mit allen Details und diese möglichst konkret an.

A: Das Zielland war nicht Österreich, es war wichtig das Land zu verlassen.

AW wird aufgefordert konkrete Angaben zu machen.

A: Am Anfang reiste ich mit meiner Tochter aus, das war im Dezember 2010, wir sind nach Österreich eingereist. Ich habe schon gesagt, dass meine Tochter verfolgt wurde, ich wollte meine Tochter in Sicherheit bringen.

AW wird aufgefordert weitere Angaben zu machen.

A: Das waren alle Gründe, ich reiste mit meiner Tochter zusammen hier her.

F: War das jetzt alles oder wollen Sie noch etwas ergänzen oder hinzufügen?

A: Ja, wegen den Problemen meiner Tochter, das war alles. Ich wollte meine Tochter retten.

F: Was befürchten Sie, wenn Sie in Ihre Heimat zurückkehren würden?

A: Jetzt habe ich keine Angst mehr, ich habe nur Angst um meine Tochter, ich kann meine Familie nicht alleine hier lassen und wegfahren.

F: Wurden Sie persönlich jemals bedroht?

A: Keiner ist vor Streitereien sicher, es gab immer Probleme innerhalb der Familie, wegen meiner Tochter. Die ehemaligen Schwiegereltern meiner Tochter wollten die Enkelin zu sich nehmen und damit meiner Tochter wegnehmen, und haben sie damit bedroht.

F: Worum ging es bei den privaten Streitereien in Österreich die Sie vorher erwähnt haben?

A: Im XXXX-Supermarkt stand ich in einer Schlange vor der Kasse, es gibt dort Selbstzahler-Kassen, es gab eine lange Wartezeit wegen eines jungen Mannes mit seinem Kind. Mit dem Mann habe ich gestritten, er hat mich dann geschlagen, aber ich wurde angezeigt. Die Polizei war dort, es gab eine Gerichtsverhandlung, ich bekam €

500,- Strafe, die habe ich schon bezahlt, die Sache ist erledigt. Das war vor etwa einem Jahr, es muss XXXX gewesen sein.

F: Möchten Sie noch irgendwelche Angaben machen?

A: Ich will nur um ein "Visum" bitten, so wie bei meiner Gattin und meiner Tochter. Ich kann dann Deutschkurse besuchen und für mich eine Arbeit finden."

Abschießend wurden dem Beschwerdeführer Länderfeststellungen zu seinem Herkunftsstaat zur Kenntnis gebracht und verzichtete dieser auf eine Stellungnahme.

3. Mit nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag auf internationalen Schutz vom 4. Jänner 2016 gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.). Weiters wurde der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG, bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen (Spruchpunkt II.) Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.), sondern gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist (Spruchpunkt V.). Einer Beschwerde gegen diese Entscheidung wurde gemäß § 18 Abs. 1 Z 2 und 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VII.) und gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist zur Ausreise gewährt (Spruchpunkt VI.). Mit Spruchpunkt VIII. wurde gegen den Beschwerdeführer weiters gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.

Begründend führte die belangte Behörde insbesondere aus, dass die Angaben des Beschwerdeführers von Einvernahme zu Einvernahme unterschiedlich ausfallen würden. In der Erstbefragung im Jänner 2016 habe der Beschwerdeführer drei Fluchtgründe genannt. Erstens vermeinte er, dass er nach seiner Ausreise in die Russische Föderation nicht mehr nach Tschetschenien zurückgekehrt wäre, aber in "Russland" gelebt hätte. "Russland" hätte er dann verlassen, da er bei mehreren regierungskritischen Treffen eines XXXX gewesen wäre und deswegen Probleme mit dem russischen FSB bekommen hätte. Zweitens sei er aufgefordert worden, in der Ukraine zu kämpfen und habe er dies abgelehnt. Drittens gab er an, bei seiner Familie in Österreich leben zu wollen.

Bei seiner Einvernahme im April 2018 habe er abweichend von diesen Angaben angegeben, schon 2010 wegen seiner Tochter ausgereist zu sein. Auch auf mehrmalige Nachfrage hin sei er bei diesen Angaben, wegen Problemen seiner Tochter ausgereist zu sein, geblieben. Seine Tochter wäre verfolgt worden und hätte der Beschwerdeführer sie in Sicherheit bringen wollen. Auch habe der Beschwerdeführer angegeben, keine Rückkehrbefürchtungen zu haben, alleine er wolle nun seine Familie nicht alleine in Österreich lassen und einfach wegfahren. Es sei keine Rede mehr von Bedrohungen durch den FSB, die Person XXXX habe der Beschwerdeführer überhaupt nicht mehr erwähnt, wie auch ein möglicher Kampfeinsatz in der Ukraine kein Thema mehr gewesen sei. Da der Beschwerdeführer im Jahr 2013 freiwillig in seine Heimat ausgereist sei und sich dort etwa zwei Jahre aufgehalten habe, ohne Probleme zu bekommen, könne vom Vorliegen einer persönlichen und konkreten Bedrohungssituation seiner Person nicht gesprochen werden. Aufgrund der völlig vagen, unvollständigen und komplett widersprüchlichen Angaben zu seinem Fluchtgrund musste dem Beschwerdeführer die Glaubwürdigkeit abgesprochen werden.

Zu seinem Privat- und Familienleben führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei volljährig, verheiratet und Vater zweier volljährige Kinder. In Österreich leben seine Frau und seine volljährige Tochter, von denen er auch finanziell unterstützt werde. Sein volljähriger Sohn lebe nach wie vor in der Russischen Föderation. Er sei im September 2010 erstmalig nicht rechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet eingereist, befinde sich nun seit Jänner 2016 wieder im Bundesgebiet, den Großteil seines Lebens habe er aber in der Russischen Föderation zugebracht. Gemäß eigenen Angaben haben der Beschwerdeführer in Österreich nicht gearbeitet und sei seit der neuerlichen Einreise in das österreichische Bundesgebiet bereits einmal rechtskräftig verurteilt worden. Zusammenfassend werde festgehalten, dass der Beschwerdeführer in Österreich nicht sozial verankert oder integriert sei.

4. Mit Verfahrensanordnung gemäß § 63 Abs. 2 AVG vom selben Tag wurde dem Beschwerdeführer für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht ein Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt wird.

5. Mit Aktenvermerk von 12. Juni 2018 hielt die belangte Behörde intern fest, dass die Verfahrensordnung vom 19. März 2018 zu Unrecht erfolgt sei.

6. Gegen den im Spruch genannten Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben. Begründend wurde vorgebracht, zu seinen Fluchtgründen habe der Beschwerdeführer wahrheitsgemäß angegeben, dass er aufgrund der Probleme seiner Tochter eine Bedrohung in seiner Heimat befürchte. Im gegenständlichen Fall würden die privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich die öffentlichen Interessen überwiegen. Er sei seit 2016 in Österreich aufhältig. Seine Tochter und seine Enkelin seien subsidiär Schutzberechtigte, seine Gattin verfüge über eine Aufenthaltsberechtigung "Rot-Weiß-Rot - Karte plus". Der Beschwerdeführer wohne mit diesen gemeinsam in einem Haushalt. Außerdem habe der Beschwerdeführer ein schützenwertes Verhältnis zu seinen behandelnden Ärzten aufgebaut. Es mag zutreffen, dass sein Sohn in der Russischen Föderation lebe, jedoch wäre es diesem nicht möglich, den Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr zu unterstützen.

Die konkrete Beurteilung des verhängten Einreiseverbotes sei lückenhaft und falsch.

6. Die Beschwerdevorlage des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl langte am 5. Juli 2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Das Bundesverwaltungsgericht hat zur vorliegenden Beschwerde wie folgt erwogen:

1. Feststellungen:

1.1 Der Beschwerdeführer führt die im Spruch genannten Personalien, ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe.

Der Beschwerdeführer reiste Ende 2010 gemeinsam mit seiner Gattin in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 20. Dezember 2010 seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz. Dieser wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 1. März 2011 abgewiesen. Nach Erhebung eines Rechtsmittels reiste der Beschwerdeführer freiwillig am 27. September 2013 aus und wurde der Antrag in weiterer Folge als gegenstandslos abgelegt.

Die Gattin und die Tochter des Beschwerdeführers verblieben im Bundesgebiet. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Juni 2014, W159 1421493-1/10E, wurde die Beschwerde der Gattin des Beschwerdeführers gemäß den §§ 3 Abs. 1 und 8 Abs. 1 AsylG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen. In Erledigung von Spruchteil III. der Beschwerde wurde ausgesprochen, dass eine Rückkehrentscheidung gegen die Gattin des Beschwerdeführers gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 idgF auf Dauer unzulässig ist. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom selben Tag, W159 1418426-1/13E, wurde die Beschwerde der Tochter des Beschwerdeführers gemäß den § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 idgF als unbegründet abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 Abs. 1 Asylgesetz 2005 idgF wurde dieser der Status einer subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation zuerkannt und ihr gemäß § 8 Abs. 4 Asylgesetz 2005 idgF eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte erteilt.

1.2. Am 4. Jänner 2016 brachte der Beschwerdeführer den diesem Verfahren zugrundeliegenden Antrag auf internationalen Schutz ein.

Der Beschwerdeführer hatte in seinem Herkunftsstaat keinerlei politische oder sonstige Probleme. Der Beschwerdeführer wird in seinem Herkunftsstaat weder aus religiösen, politischen, ethnischen oder sonstigen Gründen verfolgt. Im Entscheidungszeitpunkt konnte keine aktuelle asylrelevante Gefährdung des Beschwerdeführers in der Russischen Föderation festgestellt werden.

Nicht festgestellt werden kann, dass der arbeitsfähige Beschwerdeführer im Fall seiner Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation in seinem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen würde oder von der Todesstrafe bedroht wäre.

Nicht festgestellt werden kann darüber hinaus, dass der Beschwerdeführer an dermaßen schweren physischen oder psychischen, akut lebensbedrohlichen und zudem im Herkunftsstaat nicht behandelbaren Erkrankungen leiden würde, welche eine Rückkehr in die Russische Föderation iSd Art. 3 EMRK unzulässig machen würden.

Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig, hat in Österreich jedoch keinerlei Ausbildung abgeschlossen. Er beherrscht ein wenig Deutsch, Russisch und Tschetschenisch. Bis 2016 lebte er in der Russischen Föderation, wurde dort sozialisiert und ist mit den örtlichen Gepflogenheiten vertraut. Verwandte des Beschwerdeführers leben nach wie vor im Herkunftsstaat.

Nicht festgestellt werden kann, dass trotz der Aufenthaltsdauer eine ausreichend ausgeprägte und verfestigte entscheidungserhebliche individuelle Integration des Beschwerdeführers in Österreich vorliegt. Mit seiner Gattin und seiner Tochter führte der Beschwerdeführer in der Zeit von seiner freiwilligen Ausreise im Jahre 2013 an bis zu seiner neuerlichen unrechtmäßigen Einreise kein Familienleben und bestand in dieser Zeit auch kein gemeinsamer Haushalt.

Mit Urteil desXXXX vom XXXX, XXXX, rechtskräftig am XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der Körperverletzung gemäß § 83 StGB zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 4,- Euro bzw. einer Ersatzfreiheitsstrafe von 45 Tagen verurteilt.

Zur Lage in der Russischen Föderation/Tschetschenien wird festgestellt:

1.3. Zur aktuellen politischen und menschenrechtlichen Situation in der Russischen Föderation werden folgende Feststellungen getroffen:

"Politische Lage

Die Russische Föderation hat knapp 143 Millionen Einwohner (CIA 20.6.2014, vgl. GIZ 2.2015c). Die Russische Föderation ist eine föderale Republik mit präsidialem Regierungssystem. Am 12.6.1991 erklärte sie ihre staatliche Souveränität. Die Verfassung der Russischen Föderation wurde am 12.12.1993 verabschiedet. Das russische Parlament besteht aus zwei Kammern, der Staatsduma (Volksvertretung) und dem Föderationsrat (Vertretung der Föderationssubjekte). Der Staatspräsident der Russischen Föderation verfügt über weitreichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik. Seine Amtszeit beträgt sechs Jahre. Russischer Präsident ist seit dem 7.5.2012 Wladimir Wladimirowitsch Putin. Er wurde am 4.3.2012 (mit offiziell 63,6% der Stimmen) gewählt. Es handelt sich um seine dritte Amtszeit als Staatspräsident; zuvor war er auch 1999-2000 und 2008-2012 Ministerpräsident. Dmitri Anatoljewitsch Medwedew, seinerseits Staatspräsident 2008-2012, übernahm am 8.5.2012 erneut das Amt des Ministerpräsidenten. Bei der letzten Dumawahl im Dezember 2011 hat die auf Putin ausgerichtete Partei "Einiges Russland" ihre bisherige Zweidrittelmehrheit in der Staatsduma verloren, konnte jedoch eine absolute Mehrheit bewahren. Die drei weiteren in der Duma vertretenen Parteien (Kommunistische Partei, "Gerechtes Russland" und Liberal-Demokratische Partei Russlands) konnten ihre Stimmenanteile ausbauen. Wahlfälschungsvorwürfe bei diesen Dumawahlen waren ein wesentlicher Auslöser für Massenproteste im Dezember 2011 und Anfang 2012. Seit Mai 2012 wird eine stete Zunahme autoritärer Tendenzen beklagt. So wurden im Sommer 2012 das Versammlungsrecht und die Gesetzgebung über Nichtregierungsorganisationen erheblich verschärft, 2013 ein föderales Gesetz gegen "Propaganda nicht traditioneller sexueller Beziehungen" erlassen. Im Februar 2014 wurde die Extremismus-Gesetzgebung verschärft, sowie Hürden für die Wahlteilnahme von Parteien und Kandidaten beschlossen, was die Wahlchancen oppositioneller Kräfte weitgehend zu Nichte macht (AA 11.2014a).

Russland ist eine Föderation, die aus 83 Föderationssubjekten besteht. Die im Zuge der völkerrechtswidrigen Annexion erfolgte Eingliederung der ukrainischen Krim und der Stadt Sewastopol als Föderationssubjekte Nr. 84 und 85 in den russischen Staatsverband ist international nicht anerkannt. Die Föderationssubjekte genießen unterschiedliche Autonomiegrade und werden unterschiedlich bezeichnet (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Regionen, Gebiete, Föderale Städte). Die Föderationssubjekte verfügen jeweils über eine eigene Legislative und Exekutive. In der Praxis unterstehen die Regionen aber finanziell und politisch dem föderalen Zentrum. In zahlreichen russischen Regionen fanden zuletzt am 14.9.2014 Gouverneurs- und Kommunalwahlen statt. In der Praxis kam es dabei wie schon im Vorjahr zur Bevorzugung regierungsnaher und Behinderung oppositioneller Kandidaten. Wie bereits 2013 war die Wahlbeteiligung zum Teil sehr niedrig, in Moskau nur bei rund 21% (AA 11.2014a). Am einheitlichen Wahltag 14.9.2014 fanden in Russland laut der Zentralen Wahlkommission mehr als 6.000 Wahlen unter Teilnahme von 63 Parteien auf regionaler und kommunaler Ebene statt. Die Regierungspartei "Einiges Russland" hat bei den Regionalwahlen fast überall ihre Spitzenposition gefestigt. Auf der Halbinsel Krim holte sie laut der Wahlleitung mehr als 70% der Stimmen. Bei den Gouverneurswahlen in 30 Föderationssubjekten wurden alle Kandidaten von "Einiges Russland" sowie von der Partei unterstützte Kandidaten gewählt. Die Partei gewann auch alle drei Bürgermeisterwahlen in den regionalen Hauptstädten und erzielte die Mehrheit in 14 Regionalparlamenten und 6 Stadtparlamenten regionaler Hauptstädte. Zwar konnten bei den Regionalwahlen mit der Senkung der Sperrklausel von sieben auf fünf Prozent auch den demokratischen Wettbewerb stärkende Entwicklungen festgestellt werden, allerdings wurden gleichzeitig das Verhältnis- zugunsten des Mehrheitswahlrechts geschwächt und die Registrierungsvorschriften verschärft. In Moskau, wo das Wahlrecht auf ein reines Mehrheitswahlsystem geändert wurde, gewannen "Einiges Russland" und die von ihr unterstützten Kandidaten bei einer Wahlbeteiligung von 21% 38 von 45 Sitzen der Stadtduma. Die Wahlrechtsassoziation "Golos" meldete einzelne Wahlverstöße, z. B. den Ausschluss unabhängiger Wahlbeobachter aus Wahllokalen und sagte die Wahlbeobachtung im Gebiet Tjumen nach Drohungen durch Polizei und Justiz ab (GIZ 3.2015a).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (11.2014a): Russische Föderation - Innenpolitik,

http://www.auswaertiges-amt.de/sid_167537BE2E4C25B1A754139A317E2F27/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/RussischeFoederation/Innenpolitik_node.html, Zugriff 2.4.2015

-

CIA - Central Intelligence Agency (20.6.2014): The World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 2.4.2015

-

GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (3.2015a): Russland, Geschichte, Staat und Politik, http://liportal.giz.de/russland/geschichte-staat/#c17900, Zugriff 2.4.2015

-

GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (2.2015c): Russland, Gesellschaft, http://liportal.giz.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 2.4.2015

Tschetschenien

Die Tschetschenische Republik ist eine der 21 Republiken der Russischen Föderation. Betreffend Fläche und Einwohnerzahl - 15.647 km2 und fast 1,3 Millionen Einwohner/innen (2010) - ist Tschetschenien mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik. Gemäß der letzten offiziellen Volkszählung 2010 hat Tschetschenien 1,27 Millionen Einwohner/innen. Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner/innen Tschetscheniens gaben 2010 an, ethnische Tschetschen/innen zu sein. Der Anteil ethnischer Russ/innen an der Gesamtbevölkerung liegt bei 1,9%. Rund 1% sind ethnische Kumyk/innen, des Weiteren leben einige Awar/innen, Nogaier/innen, Tabasar/innen, Türk/innen, Inguschet/innen und Tatar/innen in der Republik (Rüdisser 11.2012).

Den Föderationssubjekten stehen Gouverneure vor. Gouverneur von Tschetschenien ist Ramsan Kadyrow. Er gilt als willkürlich herrschend. Russlands Präsident Putin lässt ihn aber walten, da er Tschetschenien "ruhig" hält. Tschetschenien wird überwiegend von Geldern der Zentralregierung finanziert. So erfolgte der Wiederaufbau von Tschetscheniens Hauptstadt Grosny vor allem mit Geldern aus Moskau (BAMF 10.2013, vgl. RFE/RL 19.1.2015). Die Macht von Ramsan Kadyrow ist in Tschetschenien unumstritten. Kadyrow versucht durch Förderung einer moderaten islamischen Identität einen gemeinsamen Nenner für die fragmentierte, tribalistische Bevölkerung zu schaffen. Politische Beobachter meinen, Ersatz für Kadyrow zu finden wäre sehr schwierig, da er alle potentiellen Rivalen ausgeschalten habe und über privilegierte Beziehungen zum Kreml und zu Präsident Putin verfüge (ÖB Moskau 10.2014).

Sowohl bei den gesamtrussischen Duma-Wahlen im Dezember 2011, als auch bei den Wahlen zur russischen Präsidentschaft im März 2012 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien bei über 99%. Die Zustimmung für die Regierungspartei "Einiges Russland" und für Präsidentschaftskandidat Wladimir Putin lag in der Republik ebenfalls bei jeweils über 99%. Bei beiden Wahlen war es zu Wahlfälschungsvorwürfen gekommen (Welt 5.3.2012, Ria Novosti 5.12.2012, vgl. auch ICG 6.9.2013).

Quellen:

-

BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (10.2013):

Protokoll zum Workshop Russische Föderation/Tschetschenien am 21.-22.10.2013 in Nürnberg

-

ICG - International Crisis Group (6.9.2013): The North Caucasus:

The Challenges of Integration (III), Governance, Elections, Rule of Law,

http://www.ecoi.net/file_upload/1002_1379094096_the-north-caucasus-the-challenges-of-integration-iii-226-the-north-caucasus-the-challenges-of-integration-iii-governance-elections-rule-of-law.pdf, Zugriff 1.4.2015

-

ÖB Moskau (10.2014): Asylländerbericht Russische Föderation

-

RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (19.1.2015): The Unstoppable Rise Of Ramzan Kadyrov, http://www.rferl.org/content/profile-ramzan-kadyrov-chechnya-russia-putin/26802368.html, Zugriff 1.4.2015

-

Ria Novosti (5.12.2012): United Russia gets over 99 percent of votes in Chechnya,

http://en.rian.ru/society/20111205/169358392.html, Zugriff 1.4.2015

-

Rüdisser, V. (11.2012): Russische Föderation/Tschetschenische Republik. In: Länderinformation n°15, Österreichischer Integrationsfonds,

http://www.integrationsfonds.at/laenderinformation/laenderinformation_russiche_foederationtschetschenische_republik/, Zugriff 1.4.2015

-

Die Welt (5.3.2012): In Tschetschenien stimmen 99,76 Prozent für Putin,

http://www.welt.de/politik/ausland/article13903750/In-Tschetschenien-stimmen-99-76-Prozent-fuer-Putin.html, Zugriff 1.4.2015

Sicherheitslage

Russische Behörden gehen weiterhin von einer terroristischen Gefahr auch außerhalb des Nordkaukasus aus (SFH 25.7.2014, vgl. AA 1.4.2015b). Aus Sicht der Behörden versuchen die Aufständischen nicht nur den Nordkaukasus zu destabilisieren, sondern auch Terroranschläge in anderen Regionen Russlands zu verüben. Nach Angaben russischer Experten spiegelt die Wahl von Alaiskhab Kebekov als neuem Führer des kaukasischen Emirats, die Tatsache wider, dass mittlerweile Dagestan und nicht mehr Tschetschenien das Zentrum des Aufstands ist (SFH 25.7.2014).

Die Terroranschläge auf den zwischen Moskau und St. Petersburg verkehrenden Newski Express Ende November 2009 (28 Todesopfer), die beiden Anschläge in der Moskauer U-Bahn am 29.3.2010 (40 Todesopfer), der Anschlag auf den Moskauer Flughafen Domodedowo am 24.1.2011 (37 Todesopfer darunter zwei österreichische Staatsbürger) sowie zwei Selbstmordanschläge auf den Bahnhof bzw. einen Trolley-Bus in Wolgograd Ende Dezember 2013 (33 Todesopfer) (ÖB Moskau 10.2014, vgl. AA 1.4.2015b) scheinen von Tätern aus dem Nordkaukasus verübt worden zu sein, um somit zu zeigen, dass die Unruhe im Nord-Kaukasus auch auf das russische Kernland ausstrahlt. Zuletzt häuften sich Berichte, wonach zahlreiche Personen aus dem Nordkaukasus sich an Kämpfen in Syrien und zuletzt auch dem Irak auf Seiten radikalislamischer Gruppierungen und Organisationen (IS, Al Nusra-Front,...) beteiligen sollen. Die diesbezüglichen Angaben schwanken: von offizieller Seite werden die russisch-stämmigen Kämpfer auf einige Hundert geschätzt. Experten gehen hingegen von bis zu 2.000 Kämpfern mit russ. Staatsbürgerschaft aus (davon 1500 aus Tschetschenien, 200 aus Dagestan, der Rest aus anderen Gebieten). Auch in Österreich wurden Fälle bekannt, in denen Personen tschetschenischer Herkunft sich an Kämpfen in Syrien beteiligt bzw. dies zumindest ernsthaft versucht haben sollen oder andere Personen als Kämpfer für den Nahen Osten angeworben haben.

Beobachter sehen dies als neues Phänomen an: bis vor kurzem hätten Tschetschenen und andere Kaukasier fast ausschließlich in ihrer Heimatregion gekämpft, um diese von der russischen Herrschaft zu befreien. Der Bürgerkrieg in Syrien zeige insofern eine Neuausrichtung des bisher stark nationalistischen Jihadismus der Kaukasier hin zu mehr Integration in die transnationale Szene. In Syrien sollen Kaukasier mittlerweile die größte nicht-arabische Gruppe unter den ausländischen Kämpfern darstellen und zugleich auch aufgrund ihrer Kampferfahrung und Homogenität eine der effektivsten Gruppierungen sein. Russische Offizielle warnten wiederholt vor den Gefahren, die für Russland (und andere Staaten) entstünden, wenn diese Personen mit der gesammelten Kampferfahrung in ihre Heimat zurückkehren. Berichten russischer Zeitungen zu Folge werden aus Syrien zurückkehrende Kämpfer bei ihrer Rückkehr nach Russland in der Regel umgehend verhaftet und vor Gericht gestellt (ÖB Moskau 10.2014).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (1.4.2015b): Russische Föderation - Reise- und Sicherheitshinweise,

http://www.auswaertiges-amt.de/sid_93DF338D07240C852A755BB27CDFE343/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/Nodes/RussischeFoederationSicherheit_node.html, Zugriff 1.4.2015

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SFH - Schweizerische Flüchtlingshilfe (25.7.2014): Russland:

Verfolgung von Verwandten dagestanischer Terrorverdächtiger außerhalb Dagestans,

http://www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/europa/russland/russland-verfolgung-von-verwandten-dagestanischer-terrorverdaechtiger-ausserhalb-dagestans.pdf, Zugriff 1.4.2015

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ÖB Moskau (10.2014): Asylländerbericht Russische Föderation

Nordkaukasus allgemein

Die Lage im Nordkaukasus war 2014 weiterhin instabil; bewaffnete Gruppen griffen wiederholt Angehörige der Sicherheitskräfte an. Bei verschiedenen Anschlägen sollen mehr als 200 Personen getötet worden sein, darunter zahlreiche Zivilpersonen (AI 25.2.2015). Im Sicherheitsbereich ist gegenwärtig ein Trend zu beobachten, der auf eine Stabilisierung Tschetscheniens bei gleichzeitiger Verschlechterung der Lage in Dagestan hinausläuft. In manchen Regionen konstatieren Beobachter auch ein Übergreifen der Gewalt auf bisher ruhige Gebiete. So haben sich seit Sommer 2010 auch in Kabardino-Balkarien die Anschlagstätigkeiten intensiviert. Nach zwei Anschlägen auf Touristen und touristische Infrastruktur, bei denen drei Touristen getötet wurden, wurde im Februar 2011 in zwei Distrikten Kabardino-Balkariens (Elbrus und Baksan) der Ausnahmezustand verhängt. Vor dem Hintergrund zunehmender ethnischer Rivalitäten warnen Experten auch vor einer Destabilisierung Karatschaj-Tscherkessiens. Zusätzlich werden zahlreiche "kleinere" Anschläge verübt, die überregional kaum mehr Aufmerksamkeit finden. Dabei werden neben Sicherheitskräften zunehmend auch belebte Märkte sowie Geschäfte und Cafés, in denen Alkohol verkauft wird, Ziele von Anschlägen. Dieser Zunahme von Anschlägen korrespondiert eine Steigerung von Anti-Terror Operationen, die auch regelmäßig Todesopfer fordern. Die russischen Sicherheitskräfte gehen mit einiger Härte gegen Rebellen und deren Unterstützer vor. Dabei wird auch von Fällen von Sippenhaftung berichtet, insbesondere der Zerstörung der Häuser der Angehörigen von Rebellen (ÖB Moskau 10.2014).

Im Jahr 2014 gab es nach Angaben von Caucasian Knot im gesamten Föderalen Distrikt Nordkaukasus 525 Opfer des bewaffneten Konfliktes. 341 davon wurden getötet, 184 verwundet. Im Vergleich zu 2013 fiel die Zahl der Opfer um 46,9% (Caucasian Knot 31.1.2015). Mehr als zwei Drittel aller Todesopfer im Kampf gegen den islamistischen Widerstand im Nordkaukasus wurden 2014 in Dagestan gezählt (HRW 29.1.2015).

Quellen:

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AI - Amnesty International (25.2.2015): Amnesty International Report 2014/15 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation,

https://www.amnesty.de/jahresbericht/2015/russische-foederation, Zugriff 1.4.2015

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Caucasian Knot (31.1.2015): In 2014, there were 525 victims of armed conflict in Northern Caucasus, http://eng.kavkaz-uzel.ru/articles/30689/, Zugriff 1.4.2015

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HRW - Human Rights Watch (29.1.2015): World Report 2015 - Russia, http://www.ecoi.net/local_link/295447/430479_de.html, Zugriff 1.4.2015

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ÖB Moskau (10.2014): Asylländerbericht Russische Föderation

Tschetschenien

In Tschetschenien ist es seit 2010 zu einem spürbaren Rückgang von Rebellen-Aktivitäten gekommen. Diese werden durch Anti-Terror Operationen in den Gebirgsregionen massiv unter Druck gesetzt (teilweise bewirkte dies ein Ausweichen der Kämpfer in die Nachbarrepubliken Dagestan und Inguschetien). Als besonders unruhig gilt die an die Nachbarrepublik Dagestan angrenzende Region (ÖB Moskau 10.2014).

2014 gab es in Tschetschenien 117 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 52 Tote und 65 Verwundete. Dies bedeutet einen Anstieg um 15,8% im Vergleich zu 2013 (39 Tote, 62 Verwundete). Tschetschenien ist die einzige Region im Nordkaukasus in der die Opferzahlen 2014 im Vergleich zu 2013 anstiegen (Caucasian Knot 31.1.2015). Tschetschenien ist von den schwersten Gefechten zwischen islamistischen Kämpfern und Sicherheitskräften seit Jahren erschüttert worden. Dabei wurden am Donnerstag, den 4.12.2014, in der Hauptstadt Grosny mindestens 10 Angreifer und 10 Beamte getötet sowie 20 weitere Personen verletzt (NZZ 4.12.2014). Zu der Attacke soll sich in einem Video das Kaukasus Emirat bekannt haben. Ob das Material und die Angaben authentisch sind, wird genauso kontrovers diskutiert wie die Frage, wie stark die Gruppe der Angreifer war. Die Zahlen reichen von 10 bis über 200 Bewaffneten. Moskau und das Oberhaupt Tschetscheniens, Ramsan Kadyrow, gehen dagegen von einem internationalen Hintergrund aus und stellen die Attacke in Verbindung mit Vorgängen innerhalb der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Syrien. Nach einem Schusswechsel mit Polizisten an einem Kontrollposten teilten sich die Angreifer, in mehrere Gruppen auf. Eine davon verschanzte sich im "Haus der Presse". Die Sicherheitsbehörden umstellten das Gebäude und nahmen es unter Feuer. In den oberen Stockwerken brachen Brände aus, es kam zu Explosionen. Ein anderer Teil der Angreifer setzte sich nur einige Straßen weiter in einer Schule fest. Andere Personen sollen sich nicht darin befunden haben. Die Feuergefechte hielten bis zum Donnerstagnachmittag an. Am selben Tag hielt Putin seine Rede zur Lage der Nation. In letzter Zeit nahmen die Aktivitäten des als zersplittert und geschwächt eingeschätzten islamistischen Untergrunds wieder etwas zu. Im Oktober 2014 sprengte sich in Grosny ein Selbstmordattentäter in die Luft und riss fünf Personen mit in den Tod. Hinter dem 19-jährigen Täter aus Grosny wird allerdings eher eine autonom agierende Splittergruppe vermutet. Zu vergleichen sind die beiden Vorfälle ohnehin nicht. Die Attacke am 4.12.2014 glich einer komplexen militärischen Operation. Dafür bedarf es Planung, Erfahrung und Geld. Dass die russischen Behörden dabei eine Verbindung ins Ausland vermuten, überrascht nicht. In den Reihen des IS stehen auch Extremisten mit nordkaukasischen Wurzeln, von einigen hundert ist die Rede. Schon mehrmals in diesem Jahr stießen Fraktionen der Terrormiliz Drohungen gegen Russland aus. Die Gefahr für Russland geht laut Experten dabei jedoch mehr von Rückkehrern aus Syrien oder dem Irak aus, als dass die Strategen des IS den Nordkaukasus als neues Kampffeld für ihren Jihad auserkoren hätten (NZZ 4.12.2014, vgl. Die Presse 4.12.2014).

Quellen:

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Caucasian Knot (31.1.2015): In 2014, there were 525 victims of armed conflict in Northern Caucasus, http://eng.kavkaz-uzel.ru/articles/30689/, Zugriff 19.3.2015

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NZZ - Neue Zürcher Zeitung (4.12.2014): Tote bei Gefechten in Grosny,

http://www.nzz.ch/international/asien-und-pazifik/tote-bei-gefechten-in-grosny-1.18438064, Zugriff 19.3.2015

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ÖB Moskau (10.2014): Asylländerbericht Russische Föderation

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Die Presse (4.12.2014): Tschetschenien: Gefechte mit Islamisten im Zentrum Grosnys,

http://diepresse.com/home/politik/aussenpolitik/4612135/Tschetschenien_Gefechte-mit-Islamisten-im-Zentrum-Grosnys?from=gl.home_politik, Zugriff 19.3.2015

Rechtsschutz/Justizwesen

Die russischen Gerichte sind laut Verfassung unabhängig; allerdings haben sowohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), der russische Ombudsmann als auch russische NGOs wiederholt Missstände im russischen Justizwesen kritisiert: Einerseits kommt es immer wieder zu politischen Einflussnahmen auf Prozesse, andererseits beklagen viele Bürger die schleppende Umsetzung von Urteilen bei zivilrechtlichen Prozessen. In Strafprozessen kommt es nur sehr selten zu Freisprüchen: Lediglich 1,1% der eingeleiteten Strafverfahren enden mit Freispruch des Angeklagten. Das geringe Vertrauen der russischen Bevölkerung in die Unabhängigkeit der Justiz wird durch Umfragen belegt: einer im Juli 2013 veröffentlichten Umfrage des Lewada-Zentrums zu Folge glauben nur 27% der Bevölkerung an die Unabhängigkeit der russischen Justiz. Der Europarat empfahl Russland im November 2013 substantielle Reformen zur Beseitigung systemischer Defizite in der Justizverwaltung und zur Stärkung der Unabhängigkeit der Justiz. Großes auch internationales Aufsehen erregten zuletzt etwa die Verurteilung des Oppositionellen Alexej Nawalny am 18.7.2013 zu 5 Jahren Haft wegen Unterschlagung (wurde in eine bedingte Strafe umgewandelt). Zudem wurden zahlreiche Personen im Zusammenhang mit Ausschreitungen bei einer großen regierungskritischen Demonstration auf dem Bolotnaja-Platz am 6.5.2012 wegen Teilnahme an "Massenunruhen" und Gewalt gegen Staatsbeamte zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Amnesty International betrachtet die Verurteilten als gewaltlose politische Gefangene. Während seiner Präsidentschaft hatte der nunmehrige Premierminister Medwedjew versucht, Reformen des Justizwesens zu initiieren, etwa durch die Möglichkeit einer Kaution anstelle von Untersuchungshaft bei Wirtschaftsdelikten oder die Förderung von Geldstrafen und anderen alternativen Strafformen. Diese werden in der Praxis jedoch nach wie vor kaum angewandt. Anfang Juli 2013 wurde auf Initiative des russischen Unternehmens-Ombudsmanns eine Amnestie für Personen verfügt, die wegen bestimmten Wirtschaftsdelikten inhaftiert sind. Die Amnestie soll für jene gelten, die zum ersten Mal wegen Wirtschaftsdelikten verurteilt wurden und entweder den Schaden bereits gut gemacht haben oder dazu bereit sind. Experten gehen davon aus, dass bis zu 13.000 Personen von der Amnestie profitieren könnten (bis zum 28.8.2013 kamen offiziellen Angaben zu Folge effektiv 143 Personen frei). Anlässlich des 20-jährigen Jubiläums der Annahme der russischen Verfassung im Jahr 1993, wurde im Dezember 2013 eine umfassendere Amnestie für Straftäter erlassen. Der russischen Strafvollzugsbehörde zu Folge sollen 22.700 von der Amnestie profitiert haben; knapp über 1.000 Personen sollen enthaftet worden sein. Für Aufregung sorgte auch die Erweiterung des strafrechtlichen Begriffes "Hochverrat", der nunmehr jede finanzielle, materielle oder beratende Unterstützung für einen anderen Staat oder internationale Organisation beinhaltet, wenn diese Tätigkeit eine Gefahr für die Sicherheit Russlands darstellt. Kontakte mit zivilen ausländischen Organisationen können als Straftat gewertet werden, wenn nachgewiesen wird, dass diese Organisationen gegen Russland agieren. Vor dem Sommer 2012 wurde zudem "Verleumdung" erneut als Tatbestand in das russische Strafgesetzbuch aufgenommen, nachdem dies erst im Vorjahr auf Initiative des damaligen Präsidenten Medwedjews gestrichen worden war. Der Strafrahmen wurde von früher umgerechnet 75 auf bis zu 125.000 Euro erhöht. Kritiker befürchten, dass Oppositionelle mit dem verschärften Gesetz mundtot gemacht und insbesondere kritische Journalisten eingeschüchtert werden sollen. Das in Russland geltende Anti-Extremismusgesetz sollte ursprünglich insbesondere helfen, rassistische Straftaten im Land einzudämmen. Es sind jedoch auch schon mehrere Fälle einer fragwürdigen Anwendung bekannt. Auch gegen religiöse Gruppen wie die Zeugen Jehovas, Scientology oder Falun Gong wird mit Hilfe des Anti-Extremismusgesetzes vorgegangen (Hausdurchsuchungen, Beschlagnahmungen, teilweise auch vorübergehende Festnahmen). Die Parlamentarische Versammlung des Europarates drückte im Februar 2012 in einer Resolution "tiefe Besorgnis" über die missbräuchliche Anwendung des Extremismusgesetzes gegen die Zeugen Jehovas und Falun Gong aus. Verhängte Sanktionen bestehen zumeist in (niedrigen) Geldstrafen, alternativen Strafformen (soziale Arbeit) oder Bewähr

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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