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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 2005 §19 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn die Hofräte Mag. Eder und Mag. Feiel, die Hofrätin Mag. Rossmeisel sowie den Hofrat Dr. Pürgy als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Lorenz, über die Revision des mj. M M in G, vertreten durch MMag. Dr. Claudia Auer-Saurugg, Rechtsanwältin in 8077 Gössendorf, Anton Hubmann Platz 1, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. März 2014, W145 1436854-1/3E, betreffend u.a. Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten, zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird im Umfang seiner Anfechtung, nämlich betreffend Spruchpunkt AI wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der minderjährige Revisionswerber, Staatsangehöriger von Afghanistan, reiste unbegleitet am 8. Juni 2012 unrechtmäßig in das Bundesgebiet ein. Am selben Tag stellte er einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid vom 9. Juli 2013 hat das Bundesasylamt den Antrag I. auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), II. auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen und III. den Revisionswerber gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 den Revisionswerber nach Afghanistan ausgewiesen.
Das Bundesasylamt führte begründend im Wesentlichen aus, dem Revisionswerber sei es nicht gelungen, eine asylrelevante Verfolgung geltend zu machen. Glaubhaft sei, dass der Revisionswerber in Afghanistan keinen Familienanschluss habe und die Familie im Iran lebe. Darüber hinausgehende Angaben des Revisionswerbers, er habe Afghanistan aufgrund von Problemen mit seinem Onkel verlassen, seien nicht glaubhaft. Ein Indiz für die persönliche Unglaubwürdigkeit des Revisionswerbers sei, dass dieser angegeben habe, vor zwei Jahren Afghanistan verlassen zu haben, während seine im Iran lebende Familie angegeben habe, vor über drei Jahren geflüchtet zu sein. Der Revisionswerber habe seinen Heimatstaat aus persönlichen Gründen verlassen und daher sei der Asylantrag abzuweisen gewesen. Selbst bei Wahrunterstellung des Vorbringens würde keine Asylrelevanz vorliegen, da er durch Privatpersonen aus kriminellen Motiven verfolgt würde. Zudem sei vom Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative in einen anderen Landesteil von Afghanistan auszugehen. Gerade in Kabul sei man grundsätzlich gewillt und in der Lage, Schutz zu gewähren.
Der Revisionswerber habe auch im gesamten asylrechtlichen Verfahren keinerlei glaubhafte Indizien oder Anhaltspunkte aufzuzeigen vermocht, welche die Annahme rechtfertigen könnten, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit konkret Gefahr laufen würde, im Fall einer Rückkehr in die Heimat einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden. Bei dem Revisionswerber als einen gerade über 16 Jahre alten Mann könne nicht davon ausgegangen werden, dass er im Falle der Heimkehr nach Afghanistan gegenwärtig einer spürbar stärkeren, besonderen Gefährdung ausgesetzt wäre als andere dort lebende Männer seines Alters. Daher sei kein subsidiärer Schutz zu gewähren.
Gegen diese Entscheidung des Bundesasylamtes erhob der Revisionswerber Beschwerde an den Asylgerichtshof. Er machte unter anderem geltend, dass im Verfahren betreffend Minderjährige die belangte Behörde besondere Manuduktions- und Sorgfaltspflichten treffe. Wenn die Behörde auf Widersprüche zwischen den Angaben des Revisionswerbers und seiner im Iran lebenden Familie abstelle, so sei sie darauf zu verweisen, dass der Revisionswerber zum Zeitpunkt der Flucht in den Iran erst 12 oder 13 Jahre alt gewesen und es daher durchaus lebensnah sei, dass er sich nicht mehr genau an den Zeitpunkt der Flucht habe erinnern können. Der Umstand, dass es sich beim Revisionswerber um einen unbegleiteten Minderjährigen handle, werde im gegenständlichen Bescheid an keiner Stelle gewürdigt. Es sei nicht ersichtlich, dass die Berücksichtigung des Kindeswohles eine vorrangige Erwägung der belangten Behörde gewesen sei.
Das beim Asylgerichtshof anhängige Verfahren wurde ab 1. Jänner 2014 vom Bundesverwaltungsgericht weitergeführt (§ 75 Abs. 19 AsylG 2005).
Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesasylamtes gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet ab (Spruchpunkt A I des angefochtenen Bescheides), erkannte hinsichtlich Spruchpunkt II. subsidiären Schutz gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 zu und erteilte eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 5. März 2015. Die Revision wurde vom Bundesverwaltungsgericht gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zugelassen.
Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen aus, der Revisionswerber sei ein Staatsangehöriger von Afghanistan, gehöre der Volksgruppe der Hazara an und bekenne sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islams. Er habe sein Herkunftsland im Frühjahr 2011 verlassen und sich ein Jahr lang im Iran aufgehalten, von dort aus sei er schlepperunterstützt in das österreichische Bundesgebiet eingereist. Aus den Angaben des Revisionswerbers im gesamten Verfahren habe keine Verfolgungsgefahr festgestellt werden können. Das Vorbringen sei äußerst vage und allgemein sowie teilweise widersprüchlich gewesen und daher sei dem Revisionswerber die Glaubhaftigkeit zu versagen. Die Angaben in der Erstbefragung, in der nur Probleme mit den Taliban vorgebracht worden seien, stimmten mit den Angaben in der Einvernahme vor dem Bundesasylamt nicht überein, in der zum ersten mal die Schwierigkeiten mit dem Onkel väterlicherseits ins Treffen geführt worden seien. Warum der Revisionswerber dies nicht schon in der Erstbefragung erwähnt habe, sei nicht nachvollziehbar und habe der Revisionswerber auch nicht erklären können.
Die Recherche eines Vertrauensanwalts bei der Familie des Revisionswerbers im Iran habe ergeben, dass die Familie das Land bereits vor drei Jahren und nicht, wie vom Revisionswerber angegeben, vor zwei Jahren verlassen habe. Die Familie habe als Grund für die Flucht Probleme mit den Taliban angegeben und weder Grundstücksstreitigkeiten noch den Tod des Bruders des Revisionswerbers erwähnt. Der Revisionswerber habe keine Verfolgung aus asylrelevanten Gründen glaubhaft machen können und daher sei die Beschwerde als unbegründet abzuweisen gewesen.
Subsidiärer Schutz wurde vor dem Hintergrund, dass der Revisionswerber minderjährig sei, seine Familie nicht mehr in Afghanistan lebe und die Sicherheitslage in der Heimatprovinz des Revisionswerbers als äußerst angespannt zu bezeichnen sei, zuerkannt.
Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht habe trotz Antrag unterbleiben können, da der Sachverhalt nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens unter schlüssiger Beweiswürdigung des Bundesasylamtes festgestellt worden sei und auch in der Beschwerde kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender Sachverhalt in konkreter und substantiierter Weise behauptet worden sei. Daher habe eine mündliche Erörterung vor dem Bundesverwaltungsgericht eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lassen.
Zum Ausspruch über die Unzulässigkeit einer Revision im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG führte das Bundesverwaltungsgericht aus, die gegenständliche Entscheidung weiche von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht ab, es fehle weder an Rechtsprechung noch sei diese als uneinheitlich zu beurteilen. Sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage hätten sich nicht ergeben. Soweit sich die rechtliche Beurteilung auf die angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes beziehe, sei diese zwar zur früheren Rechtslage ergangen, aber auf die inhaltlich weitgehend völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.
Gegen dieses Erkenntnis, soweit es in seinem Spruchpunkt A I die Beschwerde gemäß § 3 AsylG 2005 abwies, richtet sich die außerordentliche Revision des Revisionswerbers. Die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht nahm von der Erstattung einer Revisionsbeantwortung Abstand.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Revisionswerber macht zur Zulässigkeit der Revision geltend, es liege eine Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vor, die verlange, dass bei Beurteilung der Glaubwürdigkeit auf Alter und Entwicklungsstand des Minderjährigen Rücksicht zu nehmen sei und nicht jedes einzelne Wort auf die Waagschale geworfen werden dürfe. Das junge Alter des Revisionswerbers sowie seine äußerst geringe Schulbildung seien im gegenständlichen Fall nicht berücksichtigt worden.
Die Revision erweist sich als zulässig. Sie ist auch begründet.
Der Revisionswerber, dessen Angaben zu seinem Geburtsdatum im Verfahren nicht in Zweifel gezogen wurden, war zu sämtlichen Einvernahmen im Asylverfahren sowie zu dem Zeitpunkt, in dem das angefochtene Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts erlassen wurde, minderjährig.
Wenn der Revisionswerber vorbringt, das Bundesverwaltungsgericht sei auf die Tatsache, dass es sich bei ihm um einen Minderjährigen handle, nicht eingegangen, so macht er damit einen Begründungsmangel geltend.
Zu der Berücksichtigung der Minderjährigkeit in der Beweiswürdigung hat der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen, dass in einem Fall, indem das fluchtauslösende Ereignis im Alter von zwölf oder dreizehn Jahren erlebt wurde und diesem Ereignis eine mehrjährige Flucht nachfolgte, eine besonders sorgfältige Beurteilung der Art und Weise des erstatteten Vorbringens zu den Fluchtgründen erforderlich ist und die Dichte dieses Vorbringens nicht mit "normalen Maßstäben" gemessen werden darf. Es muss sich aus der Entscheidung erkennen lassen, dass solche Umstände in die Beweiswürdigung Eingang gefunden haben und dass darauf Bedacht genommen wurde, aus welchem Blickwinkel die Schilderung der Fluchtgeschichte erfolgte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 14. Dezember 2006, 2006/01/0362). Auf die Tatsache, dass ein Asylwerber seinen Heimatstaat als Minderjähriger verlassen hat, ist in der Entscheidung einzugehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. April 2002, 2000/20/0200).
Im Lichte dieser Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist ersichtlich, dass es zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Minderjährigen einer besonders sorgfältigen Beweiswürdigung bedarf. Den Ausführungen im angefochtenen Erkenntnis ist nicht zu entnehmen, dass im Rahmen der Beweiswürdigung auf die Tatsache, dass es sich bei dem Revisionswerber unbestritten um einen Minderjährigen handelt, eingegangen wurde. Die vorgebrachte Fluchtgeschichte und die aufgezeigten Widersprüche hätten jedoch unter diesem Aspekt gewürdigt werden müssen. Dass die Angaben der Eltern und des Revisionswerbers über den Zeitpunkt und den Grund des Verlassens des Heimatstaates auseinandergehen, kann vor diesem Hintergrund nicht ohne weitere Würdigung des Alters des Revisionswerbers als Begründung für die Annahme seiner persönlichen Unglaubwürdigkeit ausreichen. Das Bundesverwaltungsgericht zog auch den Umstand, dass der Revisionswerber in der Erstbefragung zu den Fluchtgründen lediglich Probleme mit den Taliban nannte und erst in weiteren Einvernahmen auch Schwierigkeiten mit dem Onkel und Grundstücksstreitigkeiten erwähnte, selbst unter Berücksichtigung des § 19 Abs. 1 AsylG 2005 gegen die Glaubwürdigkeit des Revisionswerbers heran. Das Bundesverwaltungsgericht argumentierte damit, dass davon auszugehen sei, dass der Revisionswerber bereits in der Erstbefragung die Gelegenheit nutze, jedenfalls die wichtigsten und zentralen Punkte seines Fluchtvorbringens zumindest im Ansatz darzulegen.
Diese Ausführungen lassen ebenfalls eine Auseinandersetzung mit dem Alter des Revisionswerbers und der Tatsache, dass er anlässlich der Erstbefragung erst 15 Jahre alt war, vermissen. Wie der Revisionswerber zutreffend aufzeigt, wird die Entscheidung über das Verlassen des Heimatstaates regelmäßig nicht beim Minderjährigen liegen und es ist daher möglich, dass er über den konkreten Auslöser nicht genau Bescheid weiß. Die Erzählung der Fluchtgeschichte erfolgte aus der Perspektive eines Minderjährigen, die geschilderten Erlebnisse lagen bereits längere Zeit zurück und wurden in einem jungen Alter erlebt. Schließlich konnte aus der Steigerung des Vorbringens durch den jugendlichen Asylwerber noch keine Unglaubwürdigkeit des Vorbringens abgeleitet werden.
Sofern bei der Beweiswürdigung auf diese Umstände nicht eingegangen wird, kann aus widersprüchlichen Zeitangaben und nicht stringenten Schilderungen zu den Fluchtgründen nicht nachvollziehbar auf die Unglaubwürdigkeit des minderjährigen Revisionswerbers geschlossen werden.
Schon aufgrund dieses Begründungsmangels war das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Dazu kommt, dass - vor dem Hintergrund der Ausführungen im hg. Erkenntnis vom 28. Mai 2014, Ra 2014/20/0017, 0018 - die Voraussetzungen für ein Absehen von der beantragten mündlichen Verhandlung nach § 21 Abs. 7 BFA-VG im gegenständlichen Fall nicht vorgelegen sind, zumal die oben dargestellten, die Beweiswürdigung und Sachverhaltsfeststellung betreffenden Mängel bereits dem Bescheid des Bundesasylamtes anhafteten und in der Beschwerde gerügt worden sind.
Nach dem Gesagten war das angefochtene Erkenntnis wegen der dargestellten Verfahrensmängel gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 24. September 2014
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2014:RA2014190020.N00Im RIS seit
19.07.2018Zuletzt aktualisiert am
30.07.2019