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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
BFA-VG 2014 §9;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl, die Hofrätin Mag.a Merl und den Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Lechner, in der Revisionssache der A A, vertreten durch Fatma Özdemir-Bagatar, Rechtsanwältin in 5020 Salzburg, Alpenstraße 10, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. März 2018, W147 1419356-2/6E, betreffend Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG 2005 und Rückkehrentscheidung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
2 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
3 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
4 Gegenstand des anhängigen Verfahrens ist ein Antrag der Revisionswerberin, einer Staatsangehörigen der Russischen Föderation, auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Asylgesetz 2005 - AsylG 2005. Dieser Antrag wurde vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl abgewiesen, gleichzeitig wurde eine Rückkehrentscheidung gegen die Revisionswerberin erlassen, die Zulässigkeit der Abschiebung in die Russische Föderation ausgesprochen und die Frist für die Ausreise mit 14 Tagen festgelegt.
5 Die dagegen erhobene Beschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht (BVwG) - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - mit dem angefochtenen Erkenntnis abgewiesen. Das BVwG erklärte eine ordentliche Revision für nicht zulässig.
6 In der Zulässigkeitsbegründung rügt die Revisionswerberin ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes betreffend die vom BVwG durchgeführte Interessenabwägung gemäß § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) sowie eine mangelhafte Beweiswürdigung.
7 Soweit sich die Revision gegen die Beweiswürdigung wendet, ist zunächst auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu verweisen. Demnach ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen, wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wird, nicht revisibel (vgl. etwa VwGH 28.3.2018, Ra 2018/20/0126, mwN).
8 Das BVwG legte - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - ausreichend begründet dar, weshalb die Abwägung im Sinn des Art. 8 EMRK zu Ungunsten der Revisionswerberin ausfällt und warum es deshalb die Rückkehrentscheidung für zulässig erachtet. Dabei berücksichtigte das BVwG den unrechtmäßigen Aufenthalt der Revisionswerberin seit 11. November 2016 (vorher hatte sich die Revisionswerberin mit Unterbrechungen großteils legal seit August 2010 im Bundesgebiet aufgehalten), ihre mangelnde Selbsterhaltungsfähigkeit, geringe soziale Kontakte im Bundesgebiet einerseits und starke Bindungen in ihrem Heimatland andererseits (zwischen Juli 2013 und November 2014 hielt sich die Revisionswerberin ohne ihre Mutter in M auf und arbeitete dort als Tanzlehrerin). Zu Gunsten der Revisionswerberin führte das BVwG die Beziehung zu ihrer in Österreich lebenden Mutter, den Besuch der Handelsakademie, gute Deutschkenntnisse sowie eine geringfügige Beschäftigung von 1. Dezember 2015 bis 31. März 2016 an. Auch wenn das angefochtene Erkenntnis etwas langatmig Rechtssätze anführt, ohne deren fallbezogene Relevanz herauszuarbeiten, erscheint die Interessenabwägung dennoch vertretbar. Daran vermag auch die Vorlage einer Patenschaftserklärung (die für einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG 2005 nicht vorgesehen ist) und einer Einstellungszusage nichts zu ändern.
Wenn das BVwG als anzuwendendes Recht neben § 9 Abs. 2 BFA-VG auch § 11 Abs. 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) anführt, kann die Revisionswerberin dadurch jedenfalls nicht in Rechten verletzt werden, weil die beiden Bestimmungen wortident die Kriterien zur Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK wiedergeben. Die Frage der Selbsterhaltungsfähigkeit ist - entgegen der Ansicht der Revisionswerberin - nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes auch im Rahmen der Interessenabwägung gemäß § 9 BFA-VG zu berücksichtigen (vgl. etwa VwGH 5.4.2018, Ra 2018/19/0082, Rn. 9, VwGH 7.9.2016, Ra 2016/19/0168, Rn. 10, mwN).
9 In der Revision wird somit keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme; sie war daher zurückzuweisen.
10 Damit erübrigte sich eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes über den Antrag, der außerordentlichen Revision die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
Wien, am 21. Juni 2018
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018220106.L00Im RIS seit
17.07.2018Zuletzt aktualisiert am
19.07.2018