TE Vwgh Erkenntnis 2018/6/21 Ra 2018/22/0079

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Veröffentlicht am 21.06.2018
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

B-VG Art133 Abs4;
NAG 2005 §46 Abs1 Z2;
VwGG §42 Abs2 Z3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl, die Hofrätin Mag.a Merl und die Hofräte Dr. Mayr, Dr. Schwarz und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Lechner, über die Revision des M P, vertreten durch Mag. Dr. Ralf Heinrich Höfler, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Untere Viaduktgasse 6/6, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 19. Jänner 2018, VGW- 151/V/065/12794/2017-1, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens nach dem NAG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Dem Revisionswerber wurde aufgrund seiner Beschwerde gegen den - wegen des Vorliegens einer Aufenthaltsehe - abweisenden Bescheid des Landeshauptmannes von Wien (Behörde) mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien (VwG) vom 24. Februar 2016 ein Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot Karte plus" gemäß § 46 Abs. 1 Z 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) mit Gültigkeit vom 21. März 2016 bis 21. März 2017 erteilt. Zusammenführende war seine frühere Ehefrau (D.P.), von der er mit Urteil des Grundgerichts in Z vom 15. Juni 2016 rechtskräftig geschieden wurde.

2 Nach Hinweis der Behörde auf Geständnisse der geschiedenen Eheleute betreffend das Vorliegen einer Aufenthaltsehe nahm das VwG das oben genannte Verfahren, das zu der Erteilung des Aufenthaltstitels geführt hatte, gemäß § 32 Abs. 1 Z 1 und Abs. 3 VwGVG von Amts wegen wieder auf (Spruchpunkt I.) und wies die Beschwerde des Mitbeteiligten mit der Maßgabe ab, dass "die Versagungsgründe § 2 Abs. 1 Z 9 in Verbindung mit § 47 Abs. 2 (kein Familienangehöriger) sowie § 11 Abs. 2 Z 1 (der Aufenthalt widerstreitet öffentlichen Interessen) NAG statt § 11 Abs. 1 Z 4 NAG (Aufenthaltsehe)" vorlägen (Spruchpunkt II.). Eine ordentliche Revision wurde für nicht zulässig erklärt. Beweiswürdigend führte das VwG aus, die Feststellungen zur Aufenthaltsehe gründeten sich auf den persönlichen Eindruck, den das VwG in der mündlichen Verhandlung gewonnen habe. Der Revisionswerber und D.P. hätten das VwG nicht überzeugen können, dass die vor der Landespolizeidirektion Wien (LPD Wien) abgegebenen Geständnisse nur aufgrund von Sprachschwierigkeiten erfolgt seien. Das VwG gehe vielmehr davon aus, dass D.P. tatsächlich nur aus "Gefälligkeit" die Ehe mit dem Revisionswerber eingegangen sei.

Die Wiederaufnahme des Verfahrens begründete das VwG damit, dass nach der mündlichen Verhandlung vor dem VwG feststehe, die Ehe des Revisionswerbers mit D.P. sei nur zum Schein geschlossen und ein tatsächliches Ehe- und Familienleben nur vorgetäuscht worden, um dem Revisionswerber zu einem Aufenthaltstitel zu verhelfen. Es sei möglich, dass D.P. dem Revisionswerber nur helfen habe wollen; spätestens seit November 2015 habe D.P. jedenfalls ihre "Ruhe" vom Revisionswerber haben wollen und im Frühjahr 2016 - nachdem der Revisionswerber im Februar 2016 seinen Aufenthaltstitel bekommen habe - habe sie die Scheidung eingereicht. Zum Zeitpunkt der Ausfolgung des Aufenthaltstitels am 2. Juni 2016 sei dem Revisionswerber klar gewesen, dass er ein Familienleben mit D.P. "nicht einmal mehr zum Schein aufnehmen wird können."

Die Abweisung der Beschwerde des Mitbeteiligten begründete das VwG damit, dass dieser seit der Scheidung am 15. Juni 2016 nicht mehr Familienangehöriger iSd § 2 Abs. 1 Z 9 NAG sei, "weshalb der begehrte Aufenthaltstitel mangels Erfüllung dieser besonderen Voraussetzung nicht mehr erteilt werden kann". Darüber hinaus liege durch das Vortäuschen eines Familienlebens ein massives Fehlverhalten des Mitbeteiligten vor, wodurch ein Versagungsgrund gemäß § 11 Abs. 2 Z 1 NAG verwirklicht werde.

3 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision. 4 Die Behörde nahm von der Erstattung einer Revisionsbeantwortung Abstand.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

5 In ihrer Zulässigkeitsbegründung rügt die Revision ein Abweichen von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Anforderungen an die Schlüssigkeit der Beweiswürdigung.

6 Die Revision erweist sich als zulässig; sie ist auch begründet.

7 Auch Rechtsfragen des Verfahrensrechts können solche von grundsätzlicher Bedeutung sein, wobei bei einem Verfahrensmangel auch die Relevanz des Mangels für den Verfahrensausgang dargetan werden muss, das heißt, dass dieser abstrakt geeignet sein muss, im Fall eines mängelfreien Verfahrens zu einer anderen - für den Revisionswerber günstigeren - Sachverhaltsgrundlage zu führen.

8 Der Verwaltungsgerichtshof ist zwar als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG liegt - als Abweichung von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - allerdings dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Die Beweiswürdigung ist nur insofern einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich, als es sich um die Schlüssigkeit dieses Denkvorganges (nicht aber die konkrete Richtigkeit) handelt bzw. darum, ob die Beweisergebnisse, die in diesem Denkvorgang gewürdigt wurden, in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt worden sind (vgl. zum Ganzen VwGH 17.11.2015, Ra 2015/22/0021, mwN).

9 Eine solche Unschlüssigkeit der Beweiswürdigung ist vorliegend gegeben.

10 Zunächst wird darauf hingewiesen, dass noch im Februar 2016 das Vorliegen einer Aufenthaltsehe verneint und dem Revisionswerber mit Erkenntnis des VwG vom 24. Februar 2016 ein Aufenthaltstitel erteilt wurde. Dem Verfahrensakt ist weiter zu entnehmen, dass die Staatsanwaltschaft Wien das Verfahren betreffend den Verdacht auf Vorliegen einer Aufenthaltsehe bereits am 4. November 2014 eingestellt hatte.

11 Die Niederschrift der LPD Wien vom 9. Juni 2017 betreffend das Geständnis von D.P. über das Vorliegen einer Aufenthaltsehe lautet:

"Ich möchte hiermit gestehen, dass es sich bei der Ehe mit (dem Revisionswerber) um eine Aufenthaltsehe handelt. Seine Situation war sehr schwer. Er hat auf einer Tankstelle für einen Niedriglohn gearbeitet, danach als Feldarbeiter.

Ein paar Monate vor der Hochzeitsschließung, hat er mich Konkret gefragt, ob ich mit ihm eine Ehe schließen möchte, weil das für ihn einen Neuanfang in Österreich bedeuten würde. Er hat zwei Kinder (Uros und Nikola), die haben mir immer sehr leid getan, deswegen wollte ich ihm diesen Gefallen tun. Sie sind noch immer in Serbien, er schickt das Geld welches er verdient den Kindern nach Serbien. Er hat sich offiziell gleich nach der Hochzeit bei mir gemeldet. In Wirklichkeit war er nur ca. 3 Monate bei mir, solange er eben eine eigene Arbeit gefunden hat und Geld hatte für ein selbständiges Leben. Nachdem er seinen Aufenthaltstitel bekommen hat, haben wir uns wieder scheiden lassen.

Die Vorgangsweise war von Anfang an so geplant.

Es war nie Liebe, es war immer eine platonische Freundschaft zwischen zwei Erwachsenen Menschen.

Beide wussten von der Absprache.

Ich hatte die Möglichkeit, diese Niederschrift Seite für

Seite durchzulesen, bzw. durchlesen zu lassen. Ich hatte die Möglichkeit, Korrekturen vornehmen zu lassen.

Ende der Niederschrift: 10:00 Uhr"

Laut Niederschrift der LPD Wien vom 9. Juni 2017 sagte der Revisionswerber aus:

"Ich möchte hiermit gestehen, dass es sich bei der Ehe mit (D.P.), um eine Aufenthaltsehe gehandelt hat. Ich bestätige die Angaben von (D.P.) bezüglich des Ablaufes der Aufenthaltsehe.

Ich bin ein ehrlicher Arbeiter und möchte meinen Kindern ein gutes Leben ermöglichen.

Die Vorgangsweise war von Anfang an so geplant und abgesprochen.

Es war nie Liebe, es war immer eine platonische Freundschaft zwischen zwei Erwachsenen Menschen.

Beide wussten von der Absprache.

Ich hatte die Möglichkeit, diese Niederschrift Seite für

Seite durchzulesen, bzw. durchlesen zu lassen. Ich hatte die Möglichkeit, Korrekturen vornehmen zu lassen.

Ende der Niederschrift: 10:15 Uhr"

12 In der mündlichen Verhandlung vor dem VwG bestritten sowohl der Revisionswerber als auch D.P. das Vorliegen einer Aufenthaltsehe. Der Revisionswerber begründete sein Geständnis damit, dass er nur 2-3 Minuten "drinnen" (gemeint wohl: im Büro der LPD Wien) gewesen sei und nicht verstanden habe, was er unterschrieben habe; der Dolmetscher habe auf seine Frage, was er unterschreibe, gesagt: "nichts Schlimmes" bzw. "nichts Dramatisches". Die Aussage betreffend seine äußerst kurze Befragung durch die LPD Wien deckt sich annähernd mit der Niederschrift (Ende der Niederschrift mit D.P.: 10:00 Uhr; Ende der Niederschrift mit dem Revisionswerber: 10:15 Uhr). D.P. sagte in der mündlichen Verhandlung unter anderem aus, "Nach dem Vorfall im November 2015 (der Revisionswerber hatte D.P. um 7:00 Uhr morgens mit einem fremden Mann in der eigenen Wohnung angetroffen und ihr unterstellt, dass sie "mit diesem Mann etwas gehabt habe") haben wir es zwar miteinander versucht es ging aber nicht mehr. Eigentlich wollte ich keine Scheidung. Es war nicht nur eine Ehe auf dem Papier. Wir haben es versucht aber es hat nicht geklappt. Was ich bei der Polizei unterschrieben hab das weiß ich nicht. Es war schon ein Dolmetscher da der aber nur von seiner eigenen Frau und der schlechten Situation da unten erzählt hat."

13 Aus diesen Aussagen ergibt sich nicht schlüssig, dass der Revisionswerber und D.P. wissentlich ein Geständnis betreffend das Vorliegen einer Aufenthaltsehe abgelegt hätten. Eine beweiswürdigende Auseinandersetzung mit den übereinstimmenden Aussagen, sowohl der Revisionswerber als auch D.P. hätten nicht gewusst, was sie bei der LPD Wien unterschrieben hätten, fehlt.

14 Auch die Schlussfolgerung des VwG, D.P. habe spätestens seit November 2015 jedenfalls ihre "Ruhe" vom Revisionswerber haben wollen, ist angesichts der Aussage von D.P. in der mündlichen Verhandlung, wonach sie und der Revisionswerber es "(n)ach dem Vorfall im November 2015 ... zwar miteinander versucht (hätten), es ging aber nicht mehr", nicht nachvollziehbar.

15 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG aufzuheben.

16 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 21. Juni 2018

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018220079.L00

Im RIS seit

17.07.2018

Zuletzt aktualisiert am

19.07.2018
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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