TE Bvwg Erkenntnis 2018/7/4 W117 2113721-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.07.2018
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Entscheidungsdatum

04.07.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52 Abs2

Spruch

W117 2113721-1/18E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Andreas Druckenthaner über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Bangladesch, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.08.2015, Zl. 830945603-1309456, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 24.07.2017 und 27.03.2018, zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß den §§ 3 Abs. 1 und 8 Abs. 1 AsylG 2005 idgF. als unbegründet abgewiesen.

II. Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBI I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, ist gemäß § 9 Abs. 3 1. Satz BFA Verfahrensgesetz, BGBI I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, auf Dauer unzulässig.

Gemäß 55 Abs. 1 AsylG 2005 wird XXXX eine "Aufenthaltsberechtigung plus" erteilt.

III. Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Verfahrensgang:

Der damals minderjährige Beschwerdeführer stellte am 04.07.2013 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Am selben Tag wurde er von einem Organwalter des öffentlichen Sicherheitsdienstes unter Zuziehung eines Dolmetschers für Bengalisch zum Antrag auf internationalen Schutz niederschriftlich erstbefragt. Dabei gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen zu seinen Fluchtgründen an, dass sein Vater ein führendes Mitglied der politischen Partei namens BNP in ihrer Gegend sei und Streit mit der politischen Partei namens Awami League gehabt habe, wobei Anfang 2010 sein jüngerer Bruder umgebracht worden sei. Im selben Zeitraum sei sein Vater mit der Ermordung des Beschwerdeführers bedroht worden. Der Beschwerdeführer selbst sei weder persönlich bedroht noch verfolgt worden. Sie hätten sich sofort an die Polizei gewendet, welche aber keine Anzeige aufgenommen habe. Andere religiöse, ethnische oder politische Flucht- und Asylgründe habe er nicht. Im Fall der Rückkehr befürchte er, umgebracht zu werden. Er habe in seiner Heimat keine Probleme mit den Behörden oder der Polizei. Er habe seinen Herkunftsstaat im Dezember 2011 illegal nach Indien verlassen und sei im August 2012 nach Griechenland eingereist, wo er als Erntehelfer gearbeitet habe, ehe er im Juni/Juli 2013 nach Österreich weitergereist sei. Einen Reisepass habe er nie besessen.

Am 02.11.2013 erfolgte die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers durch einen Organwalter der Verwaltungsbehörde in Anwesenheit seiner gesetzlichen Vertreterin unter Zuziehung eines Dolmetschers für die Sprache Bengali. Dabei gab er an, 16 Jahre und sieben Monate alt zu sein. Seine Eltern würden in einem namentlich genannten Dorf in Bangladesch leben. Er habe drei Schwestern und einen Bruder; diese würden bei seinen Eltern leben. Er habe niemals Dokumente besessen. Zu seinen Fluchtgründen gab er auf Befragen an, dass sein Vater sich immer für seine Partei, die BNP engagiert habe. Er sei politisch tätig gewesen und helfe auch Leuten im Dorf, weswegen er öfters Probleme mit den Angehörigen der Awami League gehabt habe. Der Beschwerdeführer habe sich bei seinen Großeltern aufgehalten, als es in seinem Heimatdorf eine Schlägerei gegeben habe, an welcher auch sein Vater beteiligt gewesen sei, im Zuge derer mehrere Personen von den Gegnern verletzt worden seien. Diese hätten dies rächen wollen und später auch den Vater des Beschwerdeführers angegriffen. Sie hätten Mitglieder der BNP gesucht, aber seinen Vater nicht erwischt. Auf der Straße sei sein achtjähriger Bruder getötet worden, wobei die genaue Todesursache nicht bekannt gewesen sei. Sein Vater sei am Abend zu den Großeltern gekommen und habe dem Beschwerdeführer mitgeteilt, dass auch sein Leben in Gefahr sei und er die Ausreise des Beschwerdeführers organisieren werde, und habe den Beschwerdeführer via Indien in den Oman geschickt. Er kenne nur die Erzählungen seines Vaters, welcher ihm gesagt habe, dass der als nächstes getötet würde. Sein Vater sei Landwirt gewesen und habe Geld von der BNP erhalten, sie seien arm gewesen, hätten jedoch genug zu essen gehabt. Sodann schilderte er seine Flucht äußerst detailliert.

Am 08.08.2014 übermittelte die gesetzliche Vertreterin des Beschwerdeführers diverse Deutschkursbestätigungen.

Am 10.07.2015 übermittelte die gesetzliche Vertreterin des Beschwerdeführers ua. medizinische Befunde, wonach dem Beschwerdeführer wegen einer "Posttraumatischen Belastungsstörung mit psychogenen Anfällen und depressiver Episode" im April 2015 eine medikamentöse Behandlung sowie bei einem Psychiater empfohlen wurde.

Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen, dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 kein subsidiärer Schutz in Bezug auf den Herkunftsstaat zuerkannt und ihm ein Aufenthaltstitel gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in den Herkunftsstaat zulässig ist. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist für seine freiwillige Ausreise mit 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt. Das Bundesamt stellte darin fest, dass die Identität des Beschwerdeführers ungeklärt sei, und ging von seinen Angaben zum Alter aus, ferner dass der Beschwerdeführer bengalischer Staatsbürger, moslemischen Glaubens und Angehöriger der Volksgruppe der Bengalen sei. Er sei ein lediger Mann mit Schulbildung und familiären Anknüpfungspunkten im Herkunftsstaat, er sei gesund und besuche keine Therapien. Es sei nicht glaubwürdig, dass der Beschwerdeführer den Herkunftsstaat wegen eines Streites seines Vaters mit politischen Gegnern verlassen habe und dass sein Bruder dabei im Jahr 2010 getötet worden sei. Glaubwürdig sei, dass der Beschwerdeführer selbst nie persönlich belangt worden sei. Darüber hinaus ergebe sich keine Gefährdung oder Verfolgung des Beschwerdeführers im Herkunftsstaat. Er verfüge über familiäre Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat, könne seinen Unterhalt selbständig bestreiten und die Grundversorgung im Herkunftsstaat sei gewährleistet. Da kein Abschiebungshindernis habe festgestellt werden können, sei eine Rückkehrentscheidung zulässig.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer innerhalb offener Frist Beschwerde, worin ausgeführt wurde, dass er von der nunmehr entscheidenden Referentin nicht einvernommen und ihm die Länderberichte nicht zur Kenntnis gebracht worden seien. Die Einschätzung seiner Glaubwürdigkeit widerspreche daher dem Unmittelbarkeitsprinzip (VwGH 17.10.2006, 2005/20/0198). Weiters habe das Bundesamt unrichtiger Weise festgestellt, dass der Beschwerdeführer gesund wäre, obwohl er entsprechende Arztbriefe vorgelegt und mitgeteilt habe, in psychiatrischer Behandlung zu stehen und Psychopharmaka zu nehmen. Weiters habe er eine "Patin" und österreichische Freunde. Die uneinheitlichen Angaben zum Zeitpunkt des Todes seines Bruder seien seiner emotionalen Verfassung bei der Einvernahme zuzuschreiben und außerdem sei der damals noch minderjährig gewesen, weshalb unter Hinweis auf die Judikatur des VfGH bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit ein besonderer Maßstab anzuwenden gewesen wäre. Auch treffe die Feststellung des Bundesamtes auf S 32 des Bescheides nicht zu, dass der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Schilderung der Ereignisse ein "noch junger Erwachsener" gewesen sei, sondern sei er damals minderjährig gewesen. Die staatlichen Behörden seien nicht in der Lage bzw. willens gegen die von ihm geschilderten Ereignisse einzuschreiten und hätten die Anzeige über den Tod seines Bruders nicht entsprechend verfolgt. Wie er vorgebracht habe, wollten sich die Mitglieder der Awami League rächen, die Rache könne auch Jahre später erfolgen. Seine Angst vor Verfolgung sei daher politisch begründet und asylrelevant. Auch wäre er dem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung sowie der körperlichen und seelischen Unversehrtheit ausgesetzt. Das Bundesamt habe die reale Lage in Bangladesch weder entsprechend gewürdigt noch auf seinen Fall bezogen. Er könne die benötigte psychiatrische Behandlung und Medikamente in Bangladesch nicht erhalten und auch nicht finanzieren. Es gebe auch keine staatliche Krankenversicherung in Bangladesch. Trotz kostenloser medizinischer Grundversorgung in den Krankenhäusern und anderen Einrichtungen würden die Patienten die Kosten für Medizin und Untersuchungen tragen. Beantragt wurde ua. die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung.

Am 23.06.2017 wurde die Bevollmächtigung des Vereins Menschenrechte Österreich mitgeteilt. Mit Schriftsatz vom 19.07.2017 gab der nunmehrige Vertreter des Beschwerdeführers seine Bevollmächtigung bekannt.

Am 24.07.2017 wurde eine öffentlich mündliche Verhandlung durchgeführt. Diese nahm entscheidungswesentlich folgenden Verlauf:

"[...]

RI befragt die beschwerdeführende Partei ob diese psychisch und physisch in der Lage ist, der heute stattfindenden mündlichen Verhandlung zu folgen und an sie gerichteten Fragen wahrheitsgemäß beantworten?

BF: Mir geht es gesundheitlich gut.

Verlesen wird Akteninhalt, insbesondere wird auf die Niederschrift vom 6. Juni 2017 verwiesen.

[...]

RI: Vor dem Hintergrund vor den offensichtlich sehr guten Deutschkenntnissen wird die Befragung mit der Situation in Österreich begonnen und die Asylgründe erst am Ende der Verhandlung abgefragt.

RI: Seit wann sind Sie in Österreich?

BF: Ich bin seit 2013 in Österreich. Ungefähr seit Juli 2013.

RI: Haben Sie in der Zwischenzeit Deutschkurse absolviert? Wenn ja welche?

BF: Ich war zuerst in einem Heim. Dort habe ich begonnen Deutsch zu lernen. Ich habe A1 und dann A2 gemacht. Ich habe dann auch noch den Pflichtschulabschluss nachgeholt. Das war die vierte Klasse. 2015 habe ich den Pflichtschulabschluss gemacht. Um es genau zu sagen, ich habe das erste Jahr des Pflichtschulabschlusses, das zweite Jahr des Pflichtschulabschlusses und das dritte Jahr des Pflichtschulabschlusses habe ich gemacht. Das vierte Pflichtschulabschlussjahr habe ich absolviert, aber die Prüfung nicht gemacht. Ich hatte eine schwierige Zeit. Als ich die negative Entscheidung bekam, das war im August 2015, hatte ich eine schwere Zeit und ich war deswegen sehr Traurig.

RI: Waren Sie jemals ins psychiatrischer Behandlung?

BF: Ich war traurig wegen eines Kollegen und zwar eines Mitschülers der auch aus Bangladesch stammt. Letztendlich war ich sogar einmal für eine Woche im LK XXXX Kinder-Jugendpsychiatrie.

Der Entlassungsbericht wird verlesen und festgehalten, dass der BF "einen Krisenaufenthalt von 20.03.2015 bis 24.03.2015 in der Jugendpsychiatrie hatte.

RI: Müssen Sie Medikamente nehmen?

BF: Ich muss aktuell keine Medikamente nehmen. Damals musste ich ein paar Wochen welche nehmen.

RI: Was machen Sie aktuell? Gehen Sie in eine Schule oder arbeiten?=

BF: Aktuell versuche ich arbeiten zu gehen.

RI: Zahlreiche Ihrer Asylwerber Kollegen sind Zeitungsverkäufer?

BF: Ich mache das nicht. Ich möchte etwas anderes versuchen.

RI: Warum haben Sie 2016 nicht versucht den Schulabschluss endgültig fertig zu machen?

BF: Nach dieser negativen Entscheidung konnte ich das irgendwie nicht berwerkstelligen.

RI: Was machen Sie so in Österreich?

BF: Aktuell mache ich nichts. Ich versuche eine Lehrstelle zu finden. Ich habe auch schon jemanden gefunden der mich anstellen würde als Lehrling. Ich hatte auch schon 2,3 Vorstellungsgespräche. Man sagte mir aber, ich bräuchte aber eine Aufenthaltsgenehmigung/Arbeitserlaubnis. Aber das das Schulzeugnis das mir Deutschkenntnis auf dem Niveau B1 bescheinigt, das habe ich ja.

RV legt vor: Diverse Zeugnisse und Bescheinigungen über die Teilnahme des BF in diversen Lehrveranstaltungen und Bildungskursen inklusive Deutschkursen.

RI: Wie muss ich mir Ihren Alltag so vorstellen? Was machen Sie den ganzen Tag?

BF: Ich spiele American Rugby in einem Verein, ich habe auch darüber eine Bestätigung.

RV legt auch noch eine Bescheinigung über die Rugby Betätigung vor, ein Konvolut an Bescheinigungen über die Integrationsbemühungen des BF vor. Darin enthalten verschiedene Empfehlungsschreiben.

BF: Ich hätte auch im Hotel XXXX eine Kochausbildung zu machen, aber das hängt eben vom dem Recht meines Aufenthaltes ab.

Zusätzlich könnte ich noch im Hotel XXXX in der XXXX eine Ausbildung beginnen wenn ich einen Daueraufenthalt bekäme.

Auf dem Ring gibt es auch das XXXX , dort könnte ich auch anfangen.

RI: Warum haben Sie Bangladesch verlassen?

BF: Mein Vater war Mitglied der BNP. Die andere Regierungsseite ist die AL. Mein Vater war Mitglied bei der BNP, eine leitende Funktion hatte er nicht. Er hatte zwar keine offizielle Funktion, er hat aber Mitglieder der Partei beworben.

RV bringt vor, dass der BF damals 12 Jahre alt war und ihm die politischen Strukturen nicht so geläufig waren.

RI: Was hat Ihr Vater beruflich gemacht?

BF: Mein Vater war Landwirt und hat sich eben bei der BNP betätigt.

RI: Wie groß ist das Dorf wo Sie herkommen?

BF: Ich komme aus einer kleinen Stadt namens XXXX . Ungefähr 2000-3000 Einwohner. Das ist im Distrikt XXXX .

Polizeiverwaltungsbezirk XXXX .

RI: Was haben Sie damals gemacht?

BF: Ich bin in die Schule gegangen und habe meinem Vater in der Landwirtschaft gearbeitet. Ich habe drei Schwestern und hatte insgesamt zwei Brüder. Einer ist schon verstorben, sodass ich nur mehr einen Bruder habe.

RI: Wie alt sind Ihre Geschwister?

BF: Eine Schwester ist 25, eine ist 23, der verstorbene Bruder war neun Jahre alt als er zu Tode kam.

RI: Ihre ganze Familie arbeitet in der Landwirtschaft?

BF: Nur mein Vater. Zwei Schwestern haben schon geheiratet. Eine Schwester ist noch klein, sie ist neun oder zehn Jahre alt. Als ich das Land verließ, waren meine Eltern noch am Leben. Nur mein Bruder war nicht mehr am Leben.

RI: Wann haben Sie Bangladesch verlassen?

BF: Im Jahr 2011.

RI: Was machten Sie von 2011 bis 2013?

BF: Ich war in vielen Ländern. In manchen Ländern arbeitete ich. Ich wollte nach vorne kommen.

RI: Wo hielten Sie sich länger auf?

BF: Im Oman hielt ich mich 7,8 Monate auf. In Griechenland hielt ich mich 8,9 Monate auf. Den Rest habe ich mit Landungswechsel verbracht.

RI: Was haben Sie im Oman gemacht?

BF: Im Oman habe ich auf Baustellen gearbeitet. In Griechenland war ich auf einer Erdbeerplantage.

RI: Welche Ausbildung machten Sie in Bangladesch?

BF: Ich ging nur in eine normale Schule.

RI: Wann haben Sie Bangladesch verlassen?

BF: Ich glaube es war im Februar 2011.

RI: Wie alt waren Sie da?

BF: Ich glaube 14 Jahre alt.

RI: Wie haben Sie das Land verlassen?

BF: Ich habe das Land illegal verlassen. Ich war nicht alleine, es waren viele Leute.

RI: Der Ausgangspunkt Ihrer Flucht, waren Sie da alleine?

BF: Das Dorf selbst habe ich alleine verlassen. Mein Vater hat es organisiert in ein anderes Land zu kommen. Nachher bin ich immer Gruppenweise in ein anderes Land gekommen.

RI: Was war Ihr erstes Land wo Sie hinkamen?

BF: Das erste Land war Indien.

RI: Wie war Ihr Alltag 2,3 Monate vor Ihrer Flucht?

BF: Ich habe immer meinem Vater geholfen und ich bin auch in die Schule gegangen.

RI: Haben Sie die Entscheidung selbst getroffen oder Ihr Vater?

BF: Mein Vater hatte mir die Flucht ins Ausland organisiert, weil er Angst hatte das mich die Awam Mitglieder töten. Die Awam Mitglieder haben meinen Bruder schon umgebracht. Zu der Zeit als mein Bruder getötet wurde, war ich nicht im Heimatdorf, sondern im Dorf meiner Großeltern. Die BNP und die Awam stehen im Dauerkonflikt gegeneinander. Im Zuge der damaligen gewalttätigen Auseinandersetzung zwischen Awam und BNP Mitglieder kam auch ein Kind eines Awam Mitgliedes ums Leben. Es folge Vergeltung und dann wurde ein Kind eines BNP Mitgliedes getötet. Dabei wurde mein Bruder getötet. Sie wollten mich auch umbringen, ich war aber bei meinen Großeltern. Das war mein Glück.

RI: Wieso wollte man Sie dann auch noch umbringen?

BF: Ich bin der älteste. Eigentlich wollte man mich töten, aber da man mich dort nicht antraf wurde mein Bruder getötet. Mein Vater sah mich als gefährdet an und hat mir dann die Flucht ins Ausland organisiert.

RI: Wissen Sie wie konkret Ihr Bruder ums Leben kam?

BF: Das weiß ich jetzt nicht genau. Man hat ihn erstickt.

RI: Wie muss ich mir die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen BNP und Awam vorstellen?

BF: Das Dorf ist politisch gesehen sehr gespalten. Es kommt immer wieder zu Auseinandersetzungen.

RI: Waren Sie einmal bei anderen Auseinandersetzungen dabei?

BF: Ich war nie bei den Auseinandersetzungen dabei, weil ich entweder in der Schule war oder in der Landwirtschaft gearbeitet habe.

RI: Sie selbst waren nie Mitglied der BNP?

BF: Nein.

RI: Wenn Sie heute nach Bangladesch zurückkehren müssten, wie würde es weitergehen?

BF: Das Problem ist immer noch dasselbe. Das Land ist ohnehin ein gefährliches Land. Meine Situation wäre aufgrund der damaligen Ereignisse unverändert.

RV wird die Möglichkeit eingeräumt Fragen zu stellen:

RV: Haben Sie irgendwelche Ausweispapiere?

BF: Nein ich habe keine.

RV: Haben Sie Kontakt mit Ihrer Familie?

BF: Momentan habe ich keinen Kontakt.

RV: Wieso?

BF: Ich hatte die Nummer einer anderen Familie über die ich meine Familie kontaktiert habe. Ich war in einem Heim und mein Handy wurde gestohlen.

RV: Haben Sie die Absicht den Schulabschluss zu machen?

BF: Ich möchte das auf jeden Fall machen.

Festgehalten wird, dass auch die Patin, eine sehr nahe Vertrauensperson im VH Saal anwesend ist. Ihr wird eingeräumt über den BF zu sprechen:

VP: Ich weiße XXXX . Ich bin britische Staatsangehörigen. Ich lebe seit 27,28 Jahren in Österreich. Ich bin hier beschäftigt. Ich habe hier meinen Lebensmittelpunkt. Ich arbeite beim XXXX . Ich habe den BF über die XXXX .

Ri: Wie muss ich mir die Funktion Pate vorstellen¿?

BF: Dieses Projekt versucht unbegleitete Asylwerber und Flüchtlinge mit einer österreichischen Vertrauensperson zu verbinden. Damit diese jungen Menschen eine Bezugsperson haben, die auch soziale Kontakte anbietet. Unterstützung bei diversen alltäglichen Herausforderungen, um eben die Integration zu unterstützen. Ich kenne den BF seit November 2014. Ich habe mit ihm mehrmals monatlich Kontakt, er wohnt aber nicht bei mir. Manchmal kommt der BF zu uns essen, wir gehen spazieren, wir gehen ins Kino, wir telefonieren, wir gehen Eis essen. Im Großen und Ganzen ist es das. Oft wenn er ein Problem oder eine Frage hat, bin ich seine Ansprechpartnerin. Ich versuche soweit es geht ihn zu unterstützen. Ich habe den BF in der Zeit seiner Krise sehr oft erlebt. Ich habe auch immer wieder versucht ihn zu motivieren. Mein persönlicher Eindruck war und ist, dass eine tiefere Depression vorhanden war. In den letzten Monaten habe ich eine Veränderung wahrgenommen und war eine positive Einstellung zum Leben. Wir hatten ein Gespräch im Frühling wo der BF erzählt hat, zu versuchen eine Arbeit zu bekommen, z.B. die Arbeit als Zeitungsverkäufer. Später hat er mir erzählt, dass alle Stellen besetzt seien. Ich weiß, dass er über die Jahre immer wieder versucht hat Arbeit zu finden. Er fragte in Lokalen nach und hat immer wieder Angebote erhalten. Er scheiterte immer wieder daran, dass Asylwerber keine Arbeitserlaubnis haben. Das ist eine unmögliche Situation.

RI: Haben Sie eine Freundin?

BF: Nein habe ich nicht.

Wegen fortgeschrittener Zeit wird die Verhandlung auf unbestimmte vertagt.

Dem BF wird dringend geraten:

Bis zur nächsten Verhandlung - Aufgrund des enormen Arbeitsdruckes ist mit einer Verhandlung erst im Frühjahr nächsten Jahres - den Schulbesuch wieder aufzunehmen um den Pflichtschulabschluss zu bewerkstelligen und jedenfalls straffrei zu bleiben.

Der RV gibt einen Verzicht auf Stellung eines Fristsetzungsantrages ab.

BF: Ich weiß nicht ob ich das schaffe, aber ich werde mich bemühen.

[...]"

Im Zuge der am 27.03.2018 fortgesetzten mündlichen Verhandlung gab der Beschwerdeführer in Anwesenheit seines anwaltlichen Vertreters und eines Dolmetschers Folgendes an:

"[...]

RI: Knüpfen wir an den Schluss der letzten Verhandlung an. Da habe ich Ihnen "aufgetragen" "den Schulbesuch wieder aufzunehmen um den Pflichtschulabschluss zu bewerkstelligen und straffrei zu bleiben".

Verlesen der Strafregisterauszug vom heutigen Tag, es scheint keine Verurteilung auf. RV gibt dazu an, dass auch kein Verfahren anhängig ist.

R: Wie schauen Ihre Integrationsbemühungen des letzten Jahres aus?

RV bringt dazu vor: der BF hat in der Zwischenzeit den Deutschkurs B2 erfolgreich abgelegt und legt hierzu entsprechende Teilnahmebestätigungen über die Absolvierung sogenannter "Intensiv-Deutschkurse" vor.

Der BF hat sich unmittelbar nach der Verhandlung nach einem Schulabschluss bemüht, beim Projekt "Schule für alle". Dort hieß es aber, dass die Schule mit Syrern voll sei. Die "Patin" landete dann nach Recherche bei der "Bildungsdrehscheibe" welche dem "Fonds Sozialen Wien" zuzuordnen ist. Die wiederum teilten aber mit, dass die ganzen kostenlosen Schulen voll sind und es Wartelisten gäbe. Daraufhin wurde die Entscheidung getroffen, B2 zu machen und je nachdem, wie die Sache läuft, bekäme er einen Job bei der Vertrauensperson.

RV legt weiters eine Teilnahmebestätigung vom 08.08.2014 über die Teilnahme an 240 Unterrichtseinheiten in Bezug auf Deutsch A2 und Mathematik sowie Informations- und Kommunikationstechnologie vor.

Die Unterlagen werden in Kopie zum Akt genommen und die Originale wieder retourniert.

RV bringt vor, dass der BF immer noch über ein sehr stabiles Integrationsumfeld verfügt. Dazu kann auch die im Verhandlungssaal anwesende Vertrauensperson, Herr XXXX , ausgewiesen durch Führerschein Nr. XXXX , Angaben machen. Die Vertrauensperson und der BF sind eng befreundet. Die Vertrauensperson selbst mit Migrationshintergrund, selbst ein gelungenes Beispiel und deshalb als Mentor sehr wichtig.

R: Was haben Sie seit der letzten Verhandlung getan?

BF: Ich habe diese Kurse absolviert. Ich betätige mich sportlich. Gelegenheitsarbeiten konnte ich keine verrichten. In Vereinen oder ehrenamtlich bin ich nicht tätig.

R: Wie sieht Ihr Integrationsumfeld, von dem Ihr RV gesprochen hat, aus?

BF: ich bin immer zu Hause, betätige mich sportlich, verbessere weiter meine Deutschkenntnisse.

R: Wenn ich Ihnen einen Aufenthaltstitel geben würde, wie würde das beruflich aussehen aktuell?

BF: Wenn ich diese Möglichkeit bekommen würde, wäre ich sehr glücklich. Ich würde entweder eine Ausbildung als Koch oder Automechaniker machen. Ich habe starke Bezugspunkte zu Personen, die diese Berufe ausüben, deswegen habe ich auch großes Interesse an diesen Ausbildungsmöglichkeiten.

Die Vertrauensperson gibt an:

Der BF könnte bei mir sofort Arbeit finden, ich habe ein Kaffee-Restaurant " XXXX ", derzeit sind Renovierungsarbeiten im Gange, das Lokal hieß bis vor kurzem " XXXX " und ist in der XXXX . Ich selbst bin Maschinenbauingenieur, meine Gattin hat aber die Gewerbeberechtigung und ich bin für das Technische in diesem Lokal hauptsächlich verantwortlich. Zukünftig würden wir nicht mehr indische sondern österreichische Speisen anbieten. Der BF bekäme bei uns so zwischen 1200 und 1400 Euro netto. Wenn der BF einen Titel bekäme und bei mir arbeiten würde, könnte er bei uns in einem Wohnhaus im 16. Bezirk wohnen. Er müsste dann 400 Euro Miete auslegen. Mit Betriebskosten käme das dann auf 450 Euro. Darf ich Ihnen auch noch meine Beweggründe mitteilen, warum ich mitgekommen bin. Es ist, weil wir uns sehr gut verstehen. Ich lege großen Wert auf Ehrlichkeit, Pünktlichkeit und Hilfsbereitschaft und ich kenne ihn ja schon seit fast drei Jahren. Anfangs war der Kontakt nicht so eng, aber jetzt sehen wir uns zwei bis drei Mal in der Woche. Deshalb hat mich jetzt verwundert, dass er sagte, "er sei immer zu Hause" möglicherweise betrachtet er meine/unsere Wohnung auch als "zu Hause". Aber diese drei Eigenschaften sind eben für das Berufsleben so wichtig und deswegen glaube ich, weil er das erfüllt, passt er in unseren Betrieb. Ich selbst habe am zweiten Bildungsweg, am Abend die Ausbildung zum (HTL) Maschinenbauingenieur gemacht. Ich habe also Erfahrungswerte, am Abend selbst in die Schule zu gehen und am Tag einem Beruf nachzugehen und aufgrund seiner prinzipiellen Einsatzbereitschaft könnte ich ihn unterstützen und würde ihn anhalten, auch entsprechende Weiterbildungsschritte zu setzen.

R: Wie sind derzeit Ihre Wohnverhältnisse? Wohnen Sie noch in der alten Wohnung?

BF: Ich wohne in der gleichen Wohnung, es haben sich hier keine Änderungen ergeben.

R: Kommen wir nochmals zum Asyl und Refoulementbereich: Verlesen wird jenes Länderdokumentationsmaterial, welches der Entscheidung zu

Grunde gelegt wird. Es sind dies: das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, aktualisiert am 08.01.2018, der Bericht über die Asyl- und Abschiebungsrelevante Lage in Bangladesch, Oktober 2017. Asylländerbericht der österreichischen Botschaft Neu Dehli Oktober 2017.

Nach diesem Länderdokumentmaterial ist die Menschenrechtssituation im Bangladesch zwar grundsätzlich mitunter bedenklich, es bedarf jedoch des Einzelfalles, aus den Länderberichten jedenfalls leitet sich ganz allgemein aber nicht die Schlussfolgerung ab, dass jedem Bengalen, auch jenen die mit der BNB in Zusammenhang stehen, deswegen Asyl zu gewähren wäre oder Refoulement. Es hängt vom Einzelfall ab.

Festgehalten wird, dass der BF die Antworten in deutscher Sprache abgab, der zugezogene Dolmetscher nur begleitend fungierte.

[...]"

Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Sachverhalt:

Zur Person des Beschwerdeführers:

Der nunmehr erwachsene Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Bangladesch, seine Identität steht fest. Eine Verfolgungs- oder sonstige Bedrohungssituation im Herkunftsstaat besteht aktuell Im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht.

Im Herkunftsstaat leben noch die Eltern und Geschwister des Beschwerdeführers. Der Beschwerdeführer ist aktuell gesund. Er absolvierte seine Schulausbildung im Herkunftsstaat und beherrscht die Landessprache seines Herkunftsstaates.

Er lebt seit fünf Jahren in Österreich. Er hat in dieser Zeit versucht, seinen Pflichtschulabschluss nachzuholen und dabei bereits Deutschkenntnisse auf dem Niveau B1 erworben. Der Beschwerdeführer hat seine guten Kenntnisse der deutschen Sprache durch sein Schulzeugnis belegt.

Der Beschwerdeführer hatte in Österreich drei Jahre im Rahmen eines Pflichtschulabschlusses erfolgreich absolviert. In Bezug auf das vierte Jahre jedoch nicht die Abschlussprüfung, da er zwischenzeitlich (sogar) einmal für eine Woche vom 20.03.2015 bis 24.03.2015 im LK XXXX der Kinder-Jugendpsychiatrie wegen einer schweren Depression behandelt werden musste.

In der Zwischenzeit scheiterte der erfolgreiche Pflichtschulabschluss an finanziellen Hindernissen, wie die "Patin" des Beschwerdeführers glaubhaft als Zeugin befragt angab:

"Der BF hat sich unmittelbar nach der Verhandlung nach einem Schulabschluss bemüht, beim Projekt "Schule für alle". Dort hieß es aber, dass die Schule mit Syrern voll sei. Die "Patin" landete dann nach Recherche bei der "Bildungsdrehscheibe" welche dem "Fonds Sozialen Wien" zuzuordnen ist. Die wiederum teilten aber mit, dass die ganzen kostenlosen Schulen voll sind und es Wartelisten gäbe."

Dennoch hatte der Beschwerdeführer weiterhin Integrationsschritte gesetzt:

Neben Deutschprüfungen der Niveaustufen A1 und A2 hat der Beschwerdeführer auch die Stufe B1 erfolgreich gemeistert, in Bezug auf die Stufe B2 aber erst den Deutschkurs absolviert. Er legte hierzu legt hierzu entsprechende Teilnahmebestätigungen über die Absolvierung sogenannter "Intensiv-Deutschkurse" vor Daneben strebte der Beschwerdeführer auch sonst eine weitere Verbesserung seines allgemeinen Bildungsniveaus an, indem er an Unterrichtseinheiten in Bezug auf Informations- und Kommunikationstechnologie teilnahm und entsprechende Teilnahmebestätigungen vorlegte.

Der BF gab in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht die meisten Antworten in deutscher Sprache ab, der zugezogene Dolmetscher fungierte nur begleitend.

Der Beschwerdeführer bemühte sich über die Jahre hinweg, Arbeit zu finden. Die Arbeitssuche scheiterte aber immer wieder am Asylwerberstatus - auch renommierte Hotelbetriebe hätten den Beschwerdeführer aufgenommen.

So hatte er bereits 2015 - als Minderjähriger - Anstrengungen unternommen, um eine Lehrstelle als Koch zu erlangen und auch bereits ein konkretes Angebot erhalten, welches jedoch letztlich (von der Behörde) nicht bewilligt wurde.

Auch aktuell verfügt der Beschwerdeführer über eine seriöse (!) Einstellungszusage im Fall einer Aufenthalts-/Arbeitserlaubnis im Gastgewerbebetrieb seines Mentors, wo er monatlich zwischen 1.200.- und 1.400.- Euro netto verdienen und ihm eine Mietwohnung für 400.- Euro Miete und 50.- Euro an Betriebskosten zur Verfügung gestellt würde.

Dieser "Mentor" und potentiell zukünftige Arbeitgeber sowie die "Patin" bilden das stabile Integrationsumfeld des Beschwerdeführers. Der Beschwerdeführer verfügt aber auch sonst über nicht geringe soziale Kontakte zu Österreichern, wie aucch die vorgelegten Empfehlungsschreiben verdeutlichen.

Er zeichnet sich nach den glaubwürdigen Aussagen der in der Verhandlung befragten Zeugen insbesondere durch "Ehrlichkeit, Pünktlichkeit und Hilfsbereitschaft sowie Einsatzbereitschaft" aus.

Der BF spielt in einem Rugby Team, welches jungen Flüchtlingen die Möglichkeit bietet ,sich in die österreichische Rugbygemeinschaft zu integrieren.

Der Beschwerdeführer ist unbescholten.

Zur Situation im Herkunftsstaat:

1. Politische Lage

Bangladesch ist eine Volksrepublik (People' s Republic of Bangladesh) mit einer seit 1991 wieder geltenden parlamentarischen Demokratie als Regierungsform (GIZ 5.2017).

Das Staatsoberhaupt ist der Präsident, der vom Parlament alle fünf Jahre gewählt wird, eine einmalige Wiederwahl ist möglich. Er übt Großteils zeremonielle Funktionen aus, die Macht liegt in den Händen des Premierministers als Regierungschef, der von der stärksten im Parlament vertretenen Partei nominiert und vom Präsidenten formell ernannt wird. Der Premierminister, ernennt die Regierungsmitglieder, die vom Präsidenten bestätigt werden. Nach Ende der 5-jährigen Legislaturperiode bildet der Präsident unter seiner Führung eine unabhängige "Caretaker"-Regierung, deren verfassungsmäßige Aufgabe es ist, innerhalb von 90 Tagen die Voraussetzungen für Neuwahlen zu schaffen (ÖB New Delhi 12.2016; vgl. GIZ 5.2017). Zusätzlich obliegt dem Premierminister die Kontrolle der Geheimdienste, der Streitkräfte und der paramilitärischen Einheiten (GIZ 5.2017). Aktuell hat Sheikh Hasina von der Awami League (AL) das Amt der Premierministerin inne (ÖB New Delhi 12.2016)

Das Parlament (National Parliament oder Jatiya Sangsad) besteht aus einer Kammer mit 300 in Einzelwahlkreisen auf fünf Jahre direkt gewählten Abgeordneten (ÖB New Delhi 12.2016) mit zusätzlichen 50 Sitzen, die nur für Frauen reserviert sind (AA 14.1.2016). Das Parlament tagt nicht während der Amtszeit der "Caretaker"-Regierung. Das Mehrheitswahlrecht führt zu stabilen Mehrheiten im Parlament und hat die Herausbildung der Bangladesch Nationalist Party (BNP) und der Awami League (AL) als dominierende und konkurrierende Parteien begünstigt. Während die konservative BNP Verbündete bei den islamistischen Parteien wie der Jamaat-e-Islami (JI) hat, bekommt die AL traditionell Unterstützung von linken und säkularen Parteien, wie der Arbeiterpartei, der liberaldemokratischen Partei, der national-sozialen Partei Jatiyo Samajtantrik Dal und jüngst auch von der Jatiya Partei unter dem ehemaligen Militärdiktator Hossain Mohammad Ershad (ÖB New Delhi 12.2016).

Das politische Leben wird seit 1991 durch die beiden größten Parteien, die "Awami League" (AL) und "Bangladesh Nationalist Party" (BNP) bestimmt. Klientelismus und Korruption sind weit verbreitet. Gewerkschaften, Studentenorganisationen, Polizei und Verwaltung sind stark politisiert und parteipolitisch durchdrungen (AA 3.2017a). AL und BNP werden quasi-dynastisch von Sheikh Hasina und Begum Khaleda Zia geführt, die das politische Vermächtnis ihrer ermordeten Männer fortführen und eine unangefochtene Machtstellung in ihrer jeweiligen Partei genießen. Sie beeinflussen den Kandidatenauswahlprozess für Partei- und Staatsämter und geben den Takt für die politischen Auseinandersetzungen vor. Die oppositionelle BNP hat aufgrund ihrer starken gesellschaftlichen Verankerung das Potential, durch Generalstreiks (Hartals) großen außerparlamentarischen Druck zu erzeugen (GIZ 5.2017). Nennenswerte parlamentarische Stärke haben in der Vergangenheit sonst nur die Jatiya Party (JP) und die JI erzielt (GIZ 5.2017).

Infolge der Dominanz der AL und der fehlenden innerparteiischen Demokratie hat de facto jedoch die exekutive Spitze das ausschließliche Sagen bei Gesetzesentwürfen. Verschärfend kommt hinzu, dass die BNP als vormals größte Oppositionspartei nach ihrem Wahlboykott am 5.1.2014 überhaupt nicht mehr im Parlament vertreten ist. Wie schon die Vorgängerregierungen, so baut auch die gegenwärtige AL-Regierung ihre Netzwerke in der Verwaltung, im Rechtswesen und im Militär aus. Auch im Regierungskabinett folgen Ernennungen und Umbesetzungen meist dem Prinzip der Patronage (GIZ 5.2017).

Bereits am 30.7.2011 hat das Parlament bei nur einer Gegenstimme, die BNP und ihre Verbündeten haben der Parlamentssitzung nicht beigewohnt, in der 15. Verfassungsänderung den Islam als Staatsreligion bestätigt, jedoch den Zusatz "Absolutes Vertrauen und der Glauben an den Allmächtigen Allah soll die Basis allen Handelns sein" aus der Verfassung gestrichen. Ungeachtet der ausgeprägten Leistungsdefizite staatlicher Institutionen, der undemokratischen innerparteilichen? Entscheidungsstrukturen und der in der letzten Dekade verstärkt gewalttätig ausgetragenen Parteienrivalität ist der Glauben an die Demokratie innerhalb der Bevölkerung ungebrochen (GIZ 5.2017; vgl. AA 3.2017a).

Am 5.1.2014 boykottierte die BNP die 10. Parlamentswahlen wodurch die AL eine verfassungsändernde Mehrheit erreichen konnte. Weitere Sitze gingen an Koalitionspartner der AL. Die sehr geringe Wahlbeteiligung von nur ca. 30% bei den Parlamentswahlen 2014 ist auf den Wahlboykott der Opposition zurückzuführen. Es gab Berichte über massive Einschüchterungsversuche wahlbereiter Bürger seitens oppositioneller Gruppen (GIZ 5.2017; vgl. AA 3.2017a). Am Wahltag wurden mindestens 21 Menschen getötet und über 130 Wahllokale in Brand gesetzt. Die Opposition reagierte bereits einen Tag nach den Wahlen mit Generalstreiks und in vielen Distrikten wurde über Attacken gegen ethnische und religiöse Minderheiten, v.a. Hindus, berichtet. Die AL versuchte mit gezielten Verhaftungen von Oppositionspolitikern den Druck auf das Regime zu schwächen (GIZ 5.2017).

Die verfassungsändernde Mehrheit im Parlament führt zu einer enormen Machtkonzentration in den Händen der AL respektive der Regierung. Mit neuen Gesetzen zu Medien, Äußerungen im Internet, Absetzung von obersten Richtern und Förderung von NGOs aus dem Ausland wird diese Konzentration noch weiter verstärkt. Die derzeitige Regierung hat es sich zum Ziel gemacht, Verbrechen des Unabhängigkeitskrieges von 1971 juristisch aufzuarbeiten. Angeklagt sind damalige Kollaborateure der pakistanischen Streitkräfte, von denen viele bis zur letzten innerparteilichen Wahl in führenden Positionen der islamistischen JI waren (AA 3.2017a). Auch die BNP ist dadurch in der Defensive (GIZ 5.2017). Die Prozesse und (häufig Todes-) Urteile öffnen alte Wunden und führen zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen säkularen und islamistischen Kräften (AA 3.2017a). Mittlerweile wurden acht Todesurteile und mehrere lebenslange Haftstrafen ausgesprochen, sechs Hinrichtungen wurden vollstreckt. Dabei hat sich innerhalb der säkularen Zivilgesellschaft mit Blick auf das Kriegsverbrechertribunal ein grundlegender Dissens entwickelt: Während die einen auf rechtstaatliche Standards pochen und die Todesstrafe ablehnen, ist für andere, v.a. aus der urbanen Protestbewegung Shabagh, jedes Urteil unterhalb der Todesstrafe inakzeptabel (GIZ 5.2017).

Bei den am 30.12.2015 in 234 Stadtbezirken durchgeführten Kommunalwahlen in Bangladesch ist die regierende AL als Siegerin hervorgegangen (NETZ 2.1.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (14.1.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch

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AA - Auswärtiges Amt (3.2017a): Bangladesch, Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Bangladesch/Innenpolitik_node.html, Zugriff 9.6.2017

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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (5.2017): Bangladesch, Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/bangladesch/geschichte-staat/#c14332, Zugriff 9.6.2017

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HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - Bangladesh, http://www.ecoi.net/local_link/334685/476437_de.html, Zugriff 9.6.2017

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NETZ - Partnerschaft für Entwicklung und Gerechtigkeit e.V. (2.1.2016): Bangladesch Aktuell, http://bangladesch.org/bangladesch/aktuell/detailansicht/news/detail/News/kommunalwahlen/cHash/781fa29261a9302cfb84107680f22794.html, Zugriff 9.6.2017

ÖB New Delhi (12.2016): Asylländerbericht

2. Sicherheitslage

Es gibt in Bangladesch keine Bürgerkriegsgebiete (AA 3.2017a).

Die Opposition organisierte Proteste und Straßenblockaden, unter denen die Wirtschaft leidet. Die Regierung reagiert mit Verhaftungen und mit Einschränkungen von Grundrechten. Sie will die öffentliche Ruhe mit allen Mitteln wiederherstellen. Die internationale Gemeinschaft verurteilte die Gewalt scharf und hat die Beteiligten zum Dialog aufgerufen (GIZ 5.2017).

Extremistische Gruppen, wie Jamaat-ul-Mujahideen Bangladesh (JMB) und Ansar al-Islam, die ihre Zugehörigkeit zu Daesh und Al Qaida auf dem indischen Subkontinent (AQIS) erklärten, haben Angriffe auf Angehörige religiöser Minderheiten, Akademiker, Ausländer, Menschenrechtsaktivisten und LGBTI-Personen, sowie weitere Gruppen durchgeführt (USDOS 3.3.2017; vgl. AI 22.2.2017). Medienberichten zufolge hat die Terrororganisation IS 2016 für 39 Morde die Verantwortung übernommen, der bengalische Al-Kaida-Ableger soll sich zu acht Taten bekannt haben (GIZ 5.2017). Die Sicherheitsbehörden waren zunächst nicht bereit, angemessene Schutzmaßnahmen zu veranlassen, gewährt aber in vielen Fällen inzwischen Personenschutz (AA 14.1.2016). Darüber hinaus kommt es regelmäßig zu intra- und interreligiöser Gewalt (AA 3.2017a; vgl. AI 22.2.2017). die Polizei tötete laut eigenen Angaben mindestens 45 mutmaßliche Terroristen in Schießereien (AI 22.2.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (14.1.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch

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AA - Auswärtiges Amt (3.2017a): Bangladesch, Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Bangladesch/Innenpolitik_node.html, Zugriff 9.6.2017

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AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - Bangladesh, http://www.ecoi.net/local_link/336450/479091_de.html, Zugriff 28.6.2017

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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (5.2017): Bangladesch, Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/bangladesch/geschichte-staat/#c14332, Zugriff 9.6.2017

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USDOS (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Bangladesh, http://www.ecoi.net/local_link/337142/479908_de.html, Zugriff 12.6.2017

3. Rechtsschutz/Justizwesen

Das Gerichtssystem besteht aus zwei Instanzen, den untergeordneten Gerichten (Magistrates, Session- und District Judges) und dem Obersten Gerichtshof. Beide verhandeln Zivil- und Strafrechtssachen. Das Rechtssystem beruht weitgehend auf dem englischen Common Law. Der Oberste Gerichtshof besteht aus zwei Abteilungen, dem High Court, der Verfassungsfragen verhandelt und als Berufungsinstanz zu den erstinstanzlichen Gerichten fungiert, sowie dem Appellate Court, dessen Entscheidungen für alle übrigen Gerichte bindend sind. Die Richter beider Abteilungen werden gemäß der Verfassung vom Präsidenten ernannt (ÖB New Delhi 12.2016).

Die Gerichtsbarkeit ist überlastet und sieht sich von vielen Seiten Versuchen der Einflussnahme ausgesetzt. (AA 3.2017a). Zusätzlich behindern Korruption und ein erheblicher Verfahrensrückstand das Gerichtssystem. Gerichtsverfahren sind durch eine überlange Verfahrensdauer geprägt, was viele Angeklagten bei der Inanspruchnahme ihres Rechts auf ein faires Verfahren hindert. Weiters kommt es zu Zeugenbeeinflussung und Einschüchterung von Opfern (USDOS 3.3.2017; vgl. FH 1.2017). Straffälle gegen Mitglieder der regierenden Partei werden regelmäßig zurückgezogen (FH 1.2017). Richter des Obersten Gerichtshofs haben des Öfteren ihre Unabhängigkeit demonstriert und gegen die Regierung entschieden (ÖB New Delhi 12.2016). Durch eine kürzlich erfolgte Verfassungsänderung hat nunmehr das Parlament das Recht, oberste Richter abzusetzen (AA 3.2017a).

Auf Grundlage mehrerer Gesetze ("Public Safety Act", "Law and Order Disruption Crimes Speedy Trial Act", "Women and Children Repression Prevention Act", "Special Powers Act") wurden Sondertribunale errichtet, die Fälle innerhalb eines festgesetzten Zeitrahmens erledigen müssen. Es fehlen allerdings Vorschriften für den Fall, dass sie dieser Verpflichtung nicht nachkommen. Diese "Speedy Trial" Tribunale haben Medienberichten zufolge in den vergangenen Jahren ca. 200 Personen zum Tode verurteilt (ÖB New Delhi 12.2016).

Die islamische Scharia ist zwar nicht formell als Gesetz eingeführt, spielt aber insbesondere in den Bereichen des Zivilrechts (Erbschaft, Grunderwerb, Heirat und Scheidung etc.) eine große Rolle (ÖB New Delhi 12.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (3.2017a): Bangladesch, Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Bangladesch/Innenpolitik_node.html, Zugriff 9.6.2017

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FH - Freedom House (1.2017): Freedom in the World 2017 - Bangladesh, http://www.ecoi.net/local_link/341770/485095_de.html, Zugriff 28.6.2017

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ÖB New Delhi (12.2016): Asylländerbericht

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USDOS (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Bangladesh, http://www.ecoi.net/local_link/337142/479908_de.html, Zugriff 12.6.2017

4. Sicherheitsbehörden

Die Polizei ist beim Ministerium für Inneres angesiedelt und hat das Mandat die innere Sicherheit und Recht und Ordnung aufrecht zu erhalten. Die Armee, die dem Büro des Ministerpräsidenten untersteht, ist für die äußere Sicherheit zuständig, kann aber auch für innerstaatliche Sicherheitsaufgaben herangezogen werden. Zivile Stellen hatten weiterhin effektive Kontrolle über die Streitkräfte und die Regierung verfügt über Mechanismen, Missbrauch und Korruption zu untersuchen und zu bestrafen. Diese Mechanismen werden aber nicht immer angewandt (USDOS 3.3.2017). Das Wirken der Polizei ist gekennzeichnet durch einen Mangel an Ressourcen inklusive mangelhafter Infrastruktur, Mangel an Personal, Ausbildung und Arbeitsmaterialien, Ineffizienz und Korruption (AA 14.1.2016). Die Regierung unternahm Schritte, um in der Polizei Professionalität, Disziplin, Ausbildung und Reaktionsfähigkeit zu verbessern und die Korruption zu verringern. Die Polizei hat Regeln für angemessene Gewaltausübung in ihre Grundausbildung einbezogen, um bürgernahe Polizeiarbeit umsetzen zu können (USDOS 3.3.2017).

Bangladeschs Sicherheitskräfte haben eine lange Geschichte von willkürlichen Verhaftungen, erzwungenem Verschwinden Lassen und außergerichtlichen Tötungen (HRW 12.1.2017). Obwohl gesetzlich verboten, gibt es Hinweise auf willkürliche Festnahmen, sowie auf die willkürliche Anwendung der gesetzlich erlaubten präventiven Festnahmen gemäß den Spezialgesetzen "Special Powers Act" und "Public Safety Act". Diese erlauben die 30-tägige Inhaftierung ohne Angabe von Gründen, um Taten zu verhindern, welche die nationale Sicherheit, Verteidigung, Souveränität, öffentliche Ordnung oder auch wirtschaftliche Interessen des Landes gefährden. Nach 30 Tagen sind dem Angehaltenen die Haftgründe zu nennen, oder er muss entlassen werden. Die Praxis weicht davon ab. Die Arretierten haben keinen Anspruch auf einen Rechtsbeistand. Die davon hauptsächlich betroffenen sind Aktivisten der politischen Parteien und NGO-Vertreter, die Kritik an der Regierung üben (ÖB New Delhi 12.2016). Des Weiteren gibt es Berichte von Folter und anderen Missbräuchlichen Handlungen in Polizeigewahrsam. Der "Torture and Custodial Death (Prevention) Act" von 2013 wird nur schleppend umgesetzt (AI 22.2.2017). Betroffene sehen aus Angst vor Vergeltung in der Regel davon ab, Mitglieder der Sicherheitsbehörden wegen Menschenrechtsvergehen anzuzeigen, so dass diese straflos bleiben (AA 14.1.2016).

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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