TE Bvwg Erkenntnis 2018/7/10 W209 2171589-1

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Veröffentlicht am 10.07.2018
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Entscheidungsdatum

10.07.2018

Norm

ASVG §18b
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W209 2171589-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Reinhard SEITZ als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX, XXXX, XXXX, gegen den Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt, Hauptstelle Wien, vom 29.08.2017, Zl. HVBA-XXXX, betreffend Beendigung der Selbstversicherung gemäß § 18b des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG) zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid vom 29.08.2017 ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Mit dem bekämpften Bescheid vom 29.05.2017 sprach die belangte Behörde (im Folgenden: Pensionsversicherungsanstalt) aus, dass die der Beschwerdeführerin mit Bescheid vom 06.11.2013 ab 01.01.2013 zuerkannte Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege naher Angehöriger gemäß § 18b ASVG mit 31.05.2017 ende. Begründend führte die Pensionsversicherungsanstalt aus, dass die Arbeitskraft der Beschwerdeführerin für die Pflege ihrer Schwester mit Anspruch auf Pflegegeld der Stufe 6 durch die Unterbringung in einem Pflegheim nicht mehr erheblich beansprucht werde.

2. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin binnen offener Rechtmittelfrist Beschwerde und führte darin aus, dass sich ihre Schwester zwar von Montag, 8:00 Uhr, bis Freitag, 18:30 Uhr, in stationärer Pflege befinde. In der übrigen Zeit werde jedoch die Arbeitskraft der Beschwerdeführerin nach wie vor für die häusliche Pflege ihrer Schwester beansprucht, wobei sich ein Pflegeaufwand von mindestens 20 Stunden pro Woche ergebe.

3. Am 26.09.2017 einlangend legte die Pensionsversicherungsanstalt die Beschwerde samt den Bezug habenden Verwaltungsakten dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor. In einer beigefügten Stellungnahme bestätigt die Pensionsversicherungsanstalt die Angaben der Beschwerdeführerin, verweist jedoch darauf, dass die nicht nur zeitweilige Unterbringung ihrer Schwester in einem Pflegeheim den Anspruch auf Selbstversicherung ausschließt, weil dadurch keine erhebliche Beanspruchung der Arbeitskraft der Beschwerdeführerin mehr vorliege.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Entscheidung wird folgender Sachverhalt zugrunde gelegt:

Die Beschwerdeführerin ist seit 01.01.2013 für Zeiten der Pflege ihrer Schwester, die Anspruch auf Pflegegeld der Stufe 6 hat, gemäß § 18b ASVG in der Pensionsversicherung selbstversichert.

Seit 02.05.2017 befindet sich die Schwester der Beschwerdeführerin von Montag, 8:00 Uhr, bis Freitag, 18:30 Uhr, in einem Pflegeheim.

In der übrigen Zeit wird die Schwester der Beschwerdeführerin von dieser zu Hause gepflegt. Das Ausmaß der an den Wochenenden erbrachten Pflegeleistungen (Betreuung und Hilfe) beträgt mindestens 20 Stunden.

2. Beweiswürdigung:

Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus dem Akteninhalt und wurde von den Verfahrensparteien nicht bestritten.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 414 Abs. 1 ASVG kann gegen Bescheide der Versicherungsträger in Verwaltungssachen Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben werden.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gemäß § 414 Abs. 2 ASVG entscheidet in Angelegenheiten nach § 410 Abs. 1 Z 1, 2 und 6 bis 9 ASVG das Bundesverwaltungsgericht auf Antrag einer Partei durch einen Senat; dies gilt auch für Verfahren, in denen die zitierten Angelegenheiten als Vorfragen zu beurteilen sind.

Im vorliegenden Fall liegt keine Angelegenheit vor, die auf Antrag eine Senatsentscheidung unter Beteiligung fachkundiger Laienrichter erfordert, weswegen die Entscheidung ohne Laienrichterbeteiligung durch einen Einzelrichter zu erfolgen hat.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu A)

Die im vorliegenden Beschwerdefall anzuwendende maßgebende Bestimmung des § 18b ASVG idF BGBl. I Nr. 138/2013 lautet:

"Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege naher Angehöriger

§ 18b. (1) Personen, die einen nahen Angehörigen oder eine nahe Angehörige mit Anspruch auf Pflegegeld zumindest in Höhe der Stufe 3 nach § 5 des Bundespflegegeldgesetzes oder nach den Bestimmungen der Landespflegegeldgesetze unter erheblicher Beanspruchung ihrer Arbeitskraft in häuslicher Umgebung pflegen, können sich, solange sie während des Zeitraumes dieser Pflegetätigkeit ihren Wohnsitz im Inland haben, in der Pensionsversicherung selbstversichern. Je Pflegefall kann nur eine Person selbstversichert sein. Die Pflege in häuslicher Umgebung wird durch einen zeitweiligen stationären Pflegeaufenthalt der pflegebedürftigen Person nicht unterbrochen.

(1a) Die Selbstversicherung ist für die Zeit einer Pflichtversicherung nach § 8 Abs. 1 Z 2 lit. j auf Grund des Bezuges eines aliquoten Pflegekarenzgeldes ausgeschlossen.

(2) Die Selbstversicherung beginnt mit dem Zeitpunkt, den die pflegende Person wählt, frühestens mit dem ersten Tag des Monats, in dem die Pflege aufgenommen wird, spätestens jedoch mit dem Monatsersten, der dem Tag der Antragstellung folgt.

(3) Die Selbstversicherung endet mit dem Ende des Kalendermonats,

1. in dem die Pflegetätigkeit oder eine sonstige Voraussetzung nach Abs. 1 weggefallen ist oder

2. in dem die pflegende Person den Austritt aus dieser Versicherung erklärt hat.

(4) Der Versicherungsträger hat ab dem dem Beginn der Selbstversicherung folgenden Kalenderjahr regelmäßig festzustellen, ob die Voraussetzungen für die Selbstversicherung noch gegeben sind. Die selbstversicherte Person ist verpflichtet, das Ende der Pflegetätigkeit innerhalb von zwei Wochen dem Versicherungsträger zu melden.

(5) Das Ende der Selbstversicherung steht hinsichtlich der Berechtigung zur Weiterversicherung in der Pensionsversicherung dem Ausscheiden aus der Pflichtversicherung im Sinne des § 17 Abs. 1 Z 1 lit. a gleich.

(6) Die selbstversicherte Person ist dem Zweig der Pensionsversicherung nach diesem Bundesgesetz zugehörig, in dem sie zuletzt Versicherungszeiten erworben hat. Liegen keine Versicherungszeiten in der Pensionsversicherung nach diesem Bundesgesetz vor, so ist die selbstversicherte Person der Pensionsversicherung der Angestellten zugehörig."

Fallbezogen ergibt sich daraus Folgendes:

Das Begehren der Beschwerdeführerin ist darauf gerichtet, dass die ihr ab 01.01.2013 zuerkannte Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für die häusliche Pflege ihrer Schwester durch die Unterbringung der Schwester in einem Pflegeheim nicht beendet wird.

Im vorliegenden Fall ist unstrittig, dass die Beschwerdeführerin eine nahe Angehörige, nämlich ihre Schwester (vgl. zum Angehörigenbergriff die Materialien zum SVÄG 2005, ErläutRV 1111 BlgNR 22. GP 4) pflegt, wobei Letztere Anspruch auf Pflegegeld zumindest in der Höhe der Stufe 3 - zuletzt konkret Stufe 6 - nach dem BPGG hat.

Unstrittig ist weiters, dass die Schwester von der Beschwerdeführerin an den Wochenenden in häuslicher Umgebung gepflegt wird und die Beschwerdeführerin über einen Wohnsitz im Inland verfügt. Ferner nimmt keine andere Person die Selbstversicherung für denselben Pflegefall in Anspruch.

Strittig und im Folgenden näher zu erörtern bleibt indessen, ob durch die Unterbringung des nahen Angehörigen von Montag, 8:00 Uhr, bis Freitag, 18:30 Uhr, in einem Pflegeheim der Anspruch der Beschwerdeführerin auf Selbstversicherung weggefallen ist.

Gemäß § 18b Abs. 1 letzter Satz ASVG wird die Pflege in häuslicher Umgebung durch einen zeitweiligen stationären Pflegeaufenthalt der pflegebedürftigen Person nicht unterbrochen. Daraus ist im Umkehrschluss zwar zu folgern, dass bei einer länger dauernden (also mehr als zeitweiligen) Unterbringung in stationärer Pflege nicht mehr von einer Pflege in häuslicher Umgebung im Sinne des § 18b Abs. 1 ASVG auszugehen ist, wobei als nicht mehr "zeitweilig" Unterbrechungen anzusehen sind, die sich über mehrere Monate erstrecken (vgl. Pfeil in Mosler/Müller/Pfeil (Hrsg.), Der SV-Komm § 18b ASVG Rz 5).

Im Lichte der zu § 18b ASVG ergangenen Rechtsprechung des VwGH ist jedoch davon auszugehen, dass die Voraussetzungen für die Selbstversicherung nicht bereits mit einer nur unterwöchigen Unterbringung des pflegebedürftigen nahen Angehörigen in einem Pflegeheim wegfallen.

So hat der VwGH mit Erkenntnis vom 19.01.2017, Ro 2014/08/0084, ausgesprochen, dass selbst die Inanspruchnahme einer 24-Stunden-Pflege die Selbstversicherung nach § 18b ASVG nicht zwingend ausschließt, zumal auch hier womöglich ein Teil der notwendigen Pflegeleistungen vom nahen Angehörigen verrichtet werden muss.

Gleiches muss konsequenterweise für die bloß unterwöchige Unterbringung des pflegebedürftigen nahen Angehörigen in einem Pflegeheim gelten, zumal im vorliegenden Fall an den Wochenenden Pflegeleistungen in häuslicher Umgebung erbracht werden, die das für die Annahme einer erheblichen Beanspruchung der Arbeitskraft iSd § 18b ASVG erforderliche Stundenausmaß (laut o.a. Erkenntnis des VwGH 14 Stunden wöchentlich) übersteigen.

Damit ist der Beschwerde stattzugeben und der angefochtene Bescheid, mit dem die Pensionsversicherungsanstalt aussprach, dass die der Beschwerdeführerin ab 01.01.2013 zuerkannte Selbstversicherung mit 31.05.2017 endet, ersatzlos zu beheben.

Zu B) Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 3 B-VG zulässig, weil es im vorliegenden Fall an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der im vorliegenden Fall entscheidungswesentlichen Frage mangelt, ob im Falle eines dauerhaften stationären Pflegeaufenthalts des pflegebedürftigen nahen Angehörigen trotz Weiterbestehens eines - das für die Selbstversicherung notwendige Stundenausmaß übersteigenden - häuslichen Pflegebedarfs die Voraussetzungen für die Selbstversicherung weiter vorliegen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Pflegeheim, Revision zulässig, Selbstversicherung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W209.2171589.1.00

Zuletzt aktualisiert am

18.07.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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