TE OGH 2018/6/4 10Nc5/18v

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Veröffentlicht am 04.06.2018
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr

als Vorsitzenden und die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann als weitere Richter in der Pflegschaftssache des 1. mj W*****, geboren ***** 2004, und 2. des mj P*****, geboren ***** 2005, aufgrund der vom Bezirksgericht Innere Stadt Wien verfügten Vorlage des Akts AZ 9 Ps 63/18t zur Entscheidung gemäß § 111 JN den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die mit Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 15. Februar 2018, GZ 9 Ps 15/18h-131, verfügte Übertragung der Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache betreffend die mj W***** und P***** an das Bezirksgericht Leoben wird nicht genehmigt.

Text

Begründung:

Der 2004 geborene W***** und der 2005 geborene P***** sind die Kinder des W***** Z***** und der F***** L*****. Ein Scheidungsverfahren ist anhängig. Aus der Ehe stammt weiters die am 14. 1. 2009 geborene mj S*****. Für das Pflegschaftsverfahren der drei Minderjährigen war zunächst das Bezirksgericht Innere Stadt Wien zuständig. Am 11. 4. 2016 wurden die Kinder mit Zustimmung der Eltern im Krisenzentrum untergebracht.

Die mj S***** lebt seit 4. 7. 2016 in einer Wohngemeinschaft des Jugendwohlfahrtsträgers im Sprengel des Bezirksgerichts Klosterneuburg. Die vorerst dort ebenfalls untergebrachten W***** und P***** zogen im April 2017 zu ihrer Mutter, die nunmehr im Sprengel des Bezirksgerichts Leoben lebt. Nach der Aktenlage beabsichtigt die Mutter, mit W***** und P***** im März 2018 nach Deutschland zu ziehen.

Das Bezirksgericht Innere Stadt Wien wurde zuletzt mit folgenden Anträgen befasst:

Am 24. 5. 2016 stellte das Land Wien (Amt für Jugend und Familie) als Kinder- und Jugendhilfeträger einen Antrag auf Betrauung mit der Obsorge gemäß den §§ 181, 211 ABGB wegen Gefährdung des Kindeswohls betreffend alle drei Kinder (ON 44). Am 4. 8. 2016 beantragte der Vater, ihm die Obsorge für S***** zu übertragen und stellte gleichzeitig einen Kontaktrechtsantrag hinsichtlich S***** (ON 57). Am 18. 8. 2016 beantragte die Mutter, die drei Kinder wieder in ihren Haushalt zurückzuführen (ON 60). Die über diese Anträge getroffene Entscheidung des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 11. 7. 2017, GZ 2 Ps 118/15z-87, wurde infolge Rekurses des Landes Wien und des Vaters mit Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 28. 9. 2017, GZ 48 R 269/17i-104, im Umfang der Übertragung der Obsorge allein an die Mutter sowie (teilweise) hinsichtlich der den Vater betreffenden „Kontaktrechtsaussetzung“ aufgehoben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen. Eine neuerliche Entscheidung ist noch nicht ergangen, ein psychologisches Sachverständigengutachten liegt bereits vor.

Mit Beschlüssen jeweils vom 15. 2. 2018, GZ 9 Ps 15/18h–131 und –132, übertrug das Bezirksgericht Innere Stadt Wien (nach einem Richterwechsel) die Zuständigkeit zur weiteren Führung des Pflegschaftsverfahrens hinsichtlich der mj S***** an das Bezirksgericht Klosterneuburg und hinsichtlich der mj W***** und P***** an das Bezirksgericht Leoben. Als Begründung wird jeweils ausgeführt, dass Maßnahmen zur Wahrung des Kindeswohls in enger Zusammenarbeit mit dem örtlich zuständigen Kinder- und Jugendhilfeträger zu treffen sein werden und nach einem – zum 1. 1. 2018 erfolgten – Richterwechsel die Fortsetzung des Verfahrens beim bisher zuständigen Gericht für die Minderjährigen keine Vorteile mehr biete.

Das Bezirksgericht Klosterneuburg lehnte die Übernahme der Pflegschaftssache ab; die Entscheidung des Oberlandesgerichts Wien über die Genehmigung oder Nichtgenehmigung der Übertragung ist derzeit noch ausständig.

Auch das Bezirksgericht Leoben verweigerte die Übernahme unter Hinweis auf das noch offene Obsorgeverfahren, in dem bereits eine Vielzahl von Verfahrensschritten gesetzt worden sei.

Das Bezirksgericht Innere Stadt Wien legte den – betreffend die mj W***** und P***** neu gebildeten – Akt AZ 9 Ps 63/18t dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung nach § 111 Abs 3 JN vor.

Rechtliche Beurteilung

Die vom Bezirksgericht Innere Stadt Wien verfügte Übertragung an das Bezirksgericht Leoben ist nicht gerechtfertigt.

1. Gemäß § 111 Abs 1 JN kann das Pflegschaftsgericht seine Zuständigkeit einem anderen Gericht übertragen, wenn dies im Interesse des Pflegebefohlenen gelegen erscheint, insbesondere, wenn dadurch der den Pflegebefohlenen zugedachte Schutz voraussichtlich besser verwirklicht werden kann. Dies wird in der Regel dann angenommen, wenn die Pflegschaftsaufgaben von jenem Gericht wahrgenommen werden, in dessen Sprengel der Pflegebefohlene seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.

2.1 Eine Zuständigkeitsübertragung an das Wohnsitzgericht setzt aber einen stabilen Aufenthalt des Pflegebefohlenen voraus. Steht dessen Lebensmittelpunkt noch nicht fest, wird die Übertragung als unzweckmäßig erachtet, etwa dann, wenn – wie im vorliegenden Fall – noch keine endgültige Entscheidung über die Obsorge vorliegt, der Aufenthalt des gesetzlichen Vertreters und damit des Kindes instabil und die zukünftige Lebenssituation unklar ist (6 Nc 22/15k mwN; Fucik in Fasching/Konecny3 § 111 JN Rz 7 mwN).

2.2 Gegen eine Übertragung der Zuständigkeit an das Bezirksgericht Leoben spricht aber vor allem, dass eine Teilübertragung der Zuständigkeit bei Pflegschaftsverfahren mehrerer Kinder, die aus der selben Ehe oder Lebensgemeinschaft entstammen, in der Regel als nicht zweckmäßig erachtet wird. Schon weil Informationen aus der einen Pflegschaftssache für die Erledigung der anderen Pflegschaftssache möglicherweise nützlich sein werden, ist eine Art „gespaltene“ Zuständigkeit mehrerer Pflegschaftsgerichte tendenziell zu vermeiden (RIS-Justiz RS0129854, zuletzt 10 Nc 8/16g).

3. Nach dem derzeitigen Verfahrensstand ist die Weiterführung der Obsorgeverfahren hinsichtlich der mj W***** und P***** beim Bezirksgericht Innere Stadt Wien zweckmäßig und entspricht mehr deren Wohl. Dass der beim Bezirksgericht Innere Stadt Wien seit 1. 1. 2018 zuständige Pflegschaftsrichter noch über keine detaillierte Aktenkenntnis verfügt, vermag an der Unzweckmäßigkeit der Übertragung der Zuständigkeit nichts zu ändern.

4. Die Zuständigkeitsübertragung ist daher nicht zu genehmigen.

Textnummer

E122063

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:0100NC00005.18V.0604.000

Im RIS seit

15.07.2018

Zuletzt aktualisiert am

18.07.2018
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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