TE Vwgh Erkenntnis 2000/1/27 96/21/0195

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Veröffentlicht am 27.01.2000
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Index

19/05 Menschenrechte;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;
MRK Art3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Pelant und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde der S, geboren am 29. Jänner 1967, vertreten durch Dr. Manfred Leimer, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Landstraße 38, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 29. Juni 1995, Zl. St 176-1/95, betreffend Feststellung gemäß § 54 Abs. 1 Fremdengesetz, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (der belangten Behörde) vom 29. Juni 1995 wurde gemäß § 54 Abs. 1 des Fremdengesetzes-FrG, BGBl. Nr. 838/1992, festgestellt, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, dass die Beschwerdeführerin, eine liberianische Staatsbürgerin, in Liberia gemäß § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG bedroht sei.

Nach ihrem Vorbringen bei der niederschriftlichen Einvernahme durch die Bundespolizeidirektion Linz am 27. April 1995 sei die Beschwerdeführerin von Slowenien kommend am 25. April 1995 mit Hilfe eines Schleppers unter Umgehung der Grenzkontrolle nach Österreich gelangt. Der am 26. April 1995 gestellte Asylantrag sei mit Bescheid des Bundesasylamtes Linz vom selben Tag abgewiesen worden, der dagegen erhobenen Berufung habe der Bundesminister für Inneres mit Bescheid vom 22. Mai 1995 keine Folge gegeben. Im Asylverfahren habe die Beschwerdeführerin als Fluchtgrund angegeben, dass im Jänner 1995 Uniformierte gekommen wären und ihren Ehegatten abgeholt hätten, um ihn zur Armee zu rekrutieren. Sie könnte nicht sagen, um welche Uniformierte es sich dabei gehandelt hätte. Es wären alle Männer, nicht nur ihr Ehegatte, mitgenommen worden. Sie könnte derzeit nicht nach Liberia zurück, würde jedoch dorthin zurückkehren, sobald der Bürgerkrieg beendet wäre. In der genannten Niederschrift bei der Bundespolizeidirektion Linz habe die Beschwerdeführerin angegeben, sie würde von der Polizei in Liberia gesucht, da sie ihrem Mann zur Flucht verholfen hätte. Andererseits habe sie den Wunsch geäußert, die liberianische Botschaft von dem Umstand zu verständigen, dass sie sich in Schubhaft befände. Sie persönlich hätte nie Probleme mit der Polizei gehabt und wäre auch nie eingesperrt gewesen. Sollte sie jedoch nach Liberia zurückkehren müssen, würde sie wegen der Beihilfe zur Flucht um ihr Leben fürchten.

Nach Wiedergabe der maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen führte die belangte Behörde aus, dass die Verfolgungsgründe gemäß § 37 Abs. 2 FrG deckungsgleich mit jenen seien, die den Begriff des "Flüchtlings" im Sinn des § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 ausmachten. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin lasse nicht ersehen, dass sie aus Gründen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Ansichten in Liberia bedroht wäre. Diesbezüglich könne auf das Ergebnis des bereits rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahrens und auf die Begründung der Bescheide erster und zweiter Instanz verwiesen werden.

Die Beschwerdeführerin mache im Wesentlichen die Bürgerkriegssituation in ihrem Land geltend. Der Ehegatte der Beschwerdeführerin, der gleichfalls in Öterreich aufhältig sei, könne selbst nicht sagen, ob er von der regulären Armee oder von einer Rebellengruppe zu einer fünftägigen Schießübung abgeholt worden sei. Wie die belangte Behörde schon in der Begründung ihres Berufungsbescheides hinsichtlich des Ehegatten der Beschwerdeführerin ausgeführt habe, sei der Wunsch, nicht an Kriegshandlungen teilnehmen zu müssen, zwar menschlich und verständlich, doch hätten die Bestimmungen des § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG nicht den Zweck, vor den allgemeinen Unglücksfolgen von Kriegsereignissen zu schützen. Dass die Beschwerdeführerin von Seiten des Staates Liberia der Gefahr einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder gar der Todesstrafe ausgesetzt wäre, lasse sich auf Grund ihres Vorbringens ebenfalls nicht erkennen. Die Beschwerdeführerin habe sogar verlangt, dass die Botschaft Liberias von ihrer Verwahrung in Schubhaft in Kenntnis gesetzt werde und habe darüber hinaus angeführt, persönlich nie Probleme mit der Polizei gehabt zu haben. Dass die Polizei die Beschwerdeführerin suchen würde, weil sie ihrem Mann zur Flucht verholfen hätte, gehe vom Beweiswert über eine bloße Vermutung nicht hinaus und sei andererseits auch noch kein Indiz dafür, dass sie, sollte ihr Vorbringen zutreffen, den in § 37 Abs. 1 FrG bezeichneten Gefahren ausgesetzt wäre.

Auf die allgemeine Menschenrechtssituation, wie sie im Heimatland der Beschwerdeführerin bestehe, und auf welche sie in ihrer Berufung vornehmlich hinweise, nähmen die bezeichneten Gesetzesstellen des § 37 FrG keinen Bezug.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes bzw. Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragte - unter Abstandnahme von der Erstattung einer Gegenschrift - die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

In einem Verfahren gemäß § 54 Abs. 1 FrG hat der Antragsteller mit konkreten, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerten Angaben das Bestehen einer aktuellen, also im Fall seiner Abschiebung in den im Antrag genannten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder (infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt) nicht abwendbaren Bedrohung im Sinn des § 37 Abs. 1 und/oder 2 FrG glaubhaft zu machen, und ist von der Behörde das Vorliegen konkreter Gefahren für jeden einzelnen Fremden für sich zu prüfen. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch bei der Beurteilung des Vorliegens einer Gefahr gemäß § 37 Abs. 1 und 2 FrG im Verfahren gemäß § 54 leg. cit. die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Antragstellers in diesen Staat zu beurteilen. Für diese Beurteilung ist nicht unmaßgeblich, ob etwa allenfalls gehäufte Verstöße der in § 37 Abs. 1 FrG umschriebenen Art durch den genannten Staat bekannt geworden sind. (Vgl. zum Ganzen etwa die hg. Erkenntnisse vom 27. Februar 1998, Zl. 95/21/0399, vom 5. August 1998, Zl. 98/21/0198, und vom 9. September 1999, Zl. 95/21/1034 m.w.N.)

In den Beschwerdeausführungen wird unter dem Gesichtspunkt der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht, dass die belangte Behörde verpflichtet gewesen wäre, von Amts wegen Erhebungen über die derzeitige konkrete Lage in Liberia durchzuführen, weil die Frage, ob eine Bedrohung gemäß § 37 Abs. 1 und 2 FrG vorliege, von der Menschenrechtssituation im Herkunftsland abhängig sei, in dem nach wie vor Bürgerkrieg bzw. bürgerkriegsähnliche Zustände herrschten. Diesem Ermittlungsgebot seien weder die Erstbehörde noch die belangte Behörde nachgekommen. Darüber hinaus sei der Bescheid der belangten Behörde mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit behaftet. Die belangte Behörde wäre dazu verhalten gewesen, ausgehend von den Feststellungen im Parallelverfahren des Ehegatten der Beschwerdeführerin, wonach dieser aus einem Ausbildungslager der liberianischen Armee geflüchtet sei, in Verbindung mit ihren Angaben, wonach sie ihrem Mann bei seiner Flucht behilflich gewesen sei, bei richtiger rechtlicher Beurteilung dieses Sachverhaltes gemäß § 37 Abs. 1 FrG festzustellen, dass diese Umstände einen stichhaltigen Grund darstellten, der die Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Liberia unzulässig mache. Abgesehen davon, dass die Argumentation der Erstbehörde, die Beschwerdeführerin hätte sogar verlangt, dass die Botschaft Liberias von ihrer Verwahrung in Schubhaft in Kenntnis gesetzt werde, unzutreffend sei, weil sie kein derartiges Ansinnen gestellt hätte, sei dieses Argument auch nicht überzeugend. Vielmehr seien die politischen Verhältnisse in ihrem Heimatland nach wie vor sehr instabil und sei dieses derzeit nicht in der Lage oder gewillt, seine Staatsbürger rechtsstaatlich zu schützen, weshalb ihre Besorgnis um ihr Leben, entgegen der Ansicht der Erstbehörde, sehr wohl objektiv begründet sei.

Zwar stellen die von der Beschwerdeführerin betreffend ihre konkrete Situation in Liberia behaupteten Umstände im Zusammenhang mit der Suche nach ihrem Ehegatten keine stichhaltigen Gründe für die Annahme einer Gefährdung oder Bedrohung der Beschwerdeführerin in ihrer Heimat im Sinn des § 37 Abs. 1 und 2 FrG dar. Zum Einen geht aus dem Vorbringen nämlich nicht hervor, dass das Leben oder die Freiheit der Beschwerdeführerin aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wären (§ 37 Abs. 2 FrG); zum Anderen entbehrt die behauptete Gefahr einer unmenschlichen Behandlung (§ 37 Abs. 1 FrG) in diesem Zusammenhang einer näher konkretisierten Untermauerung. Eine lapidare Behauptung in dieser Richtung reicht zur Glaubhaftmachung des Vorbringens stichhaltiger Gründe nicht hin (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 27. September 1995, Zl. 95/21/0012 ). Zum Einwand der Beschwerdeführerin, sie habe entgegen der Argumentation der Erstbehörde niemals gewünscht, die Botschaft Liberias von ihrer Verwahrung in Schubhaft in Kenntnis zu setzen, ist auf das von ihr diesbezüglich gestellte Ansinnen anlässlich der Vernehmung vor der Bundespolizeidirektion Linz am 27. April 1995 zu verweisen. Die insoweit behauptete Aktenwidrigkeit liegt somit nicht vor.

Die Beschwerdeführerin hat im Verwaltungsverfahren jedoch aus einem Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Schärding vom 14. Februar 1995 sowie aus Urteilen von vier verschiedenen Verwaltungsgerichten der Bundesrepublik Deutschland aus dem Jahr 1994 die Einschätzung der Situation in Liberia zitiert, wonach im Hinblick auf die Bürgerkriegssituation in diesem Staat für praktisch jedermann eine konkrete Gefahr für Leib und Leben bestehe und daher eine Abschiebung in diesen Staat nicht in Betracht komme.

Diesem Vorbringen hat die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid bloß damit entgegnet, dass § 37 Abs. 1 und 2 FrG auf die allgemeine Menschenrechtssituation im Heimatland der Beschwerdeführerin keinen Bezug nehme. Damit hat die belangte Behörde jedoch verkannt, dass in einem Verfahren gemäß § 54 Abs. 1 FrG das Vorliegen einer Bürgerkriegssituation beachtlich wäre, wenn in dem betreffenden Staat keine funktionierende Ordnungsmacht mehr vorhanden und damit zu rechnen ist, dass ein dorthin abgeschobener Fremder - auch ohne Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bürgerkriegspartei oder verfolgten Bevölkerungsgruppe - mit erheblicher Wahrscheinlichkeit der im § 37 Abs. 1 FrG umschriebenen Gefahr unmittelbar ausgesetzt würde, was insbesondere dann der Fall wäre, wenn aufgrund der bewaffneten Auseinandersetzungen eine derart extreme Gefahrenlage besteht, dass praktisch jedem, der in diesen Staat abgeschoben wird, Gefahren für Leib und Leben in einem Maß drohen, dass die Abschiebung im Lichte des Art. 3 EMRK unzulässig erschiene (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 26. Juni 1997, Zl. 95/21/0294, mwN).

Die belangte Behörde hat somit verabsäumt, bei der Einschätzung des für die Beschwerdeführerin im Fall ihrer Abschiebung nach Liberia bestehenden Risikos die von dieser im Verwaltungsverfahren gegebenen Hinweise betreffend eine in Liberia auf Grund der Bürgerkriegssituation für praktisch jedermann bestehende allgemeine Gefahr zu würdigen. Bei Unterbleiben dieses Versäumnisses hätte sie zu einem für die Beschwerdeführerin günstigen Bescheid kommen können. Da dieser Verfahrensmangel auf ein Verkennen der dargestellten Rechtslage zurückzuführen ist, war der angefochtenen Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 27. Jänner 2000

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1996210195.X00

Im RIS seit

20.11.2000

Zuletzt aktualisiert am

23.02.2010
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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