Entscheidungsdatum
06.07.2018Norm
AsylG 2005 §2 Abs1 Z15Spruch
W214 2170640-1/14E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. SOUHRADA-KIRCHMAYER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Syrien, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.08.2017, Zl. XXXX, zu Recht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX04.2018 zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I. Nr. 33/2013 (VwGVG), stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG 2005), der Status eines Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 (B-VG), nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein syrischer Staatsangehöriger christlich-orthodoxen Glaubens und Zugehöriger der Volksgruppe der Araber, stellte am XXXX2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei der Erstbefragung am selben Tag gab er an, aus XXXX legal ausgereist zu sein. Er habe zu seiner Frau reisen wollen, die österreichische Staatsbürgerin sei und seit 15 Jahren in Österreich lebe. Bei einer Rückkehr befürchte er, vom Islamischen Staat (IS) umgebracht zu werden, da er Christ sei. In seinem Heimatort XXXX seien in den letzten drei Wochen vor seiner Ausreise die Christen abgeschlachtet worden. Es seien bereits drei seiner Freunde, die ebenfalls Christen gewesen seien, vom IS umgebracht worden.
2. Am 08.06.2017 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (belangte Behörde vor dem Bundesverwaltungsgericht) im Beisein eines Dolmetschers für Arabisch niederschriftlich einvernommen. Er legte einen syrischen Reisepass, einen Auszug aus dem Familienregister, ein Absolvierungszeugnis der Universität XXXX, einen Auszug aus dem Register, zwei Auszüge aus dem Justizregister, einen Auszug aus dem Zivilregister und ein Abiturzeugnis vor.
Auf die Frage nach seinem Gesundheitszustand führte der Beschwerdeführer aus, dass er zurzeit keine Medikamente nehme, in Syrien aber Medikamente gegen Epilepsie genommen habe. Zurzeit habe er aber keine gesundheitlichen Probleme. Er habe seinen Wehrdienst während seines Studiums absolviert und wegen seiner Epilepsie nach vier Monaten beendet.
Er habe am XXXX2015 seine nunmehrige Ehefrau XXXX, geb. XXXX, in XXXX geheiratet. Er habe sie schon vorher gekannt und dann näher über das Internet kennen gelernt. Seine Verlobte sei im XXXX 2015 nach Syrien zurückgekehrt und dort bis XXXX2015 geblieben. Sie habe das Land alleine verlassen. Seine Ehefrau lebe schon lange in Österreich und ihr sei 2004 die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen worden. Nach den Fluchtgründen befragt führte er aus, dass er mit seiner Frau in Syrien wegen der schwierigen Umstände nicht habe leben können. Außerdem sei die Daesh in ihr Heimatgebiet einmarschiert und es seien 150 Menschen umgebracht wurden. Die Umgebung von Damaskus sei auch von Daesh kontrolliert worden, und er habe in XXXX gelebt. Vor seiner Eheschließung sei in seinen Heimatort eine ganze christliche Familie, bestehend aus sechs Personen, getötet worden. Die Daesh habe die Kontrolle über die Nachbarorte seines Heimatortes übernommen, aber auch die syrische Armee sei in ihr Gebiet einmarschiert. Seine Frau und er seien damals in den Flitterwochen gewesen und hätten dann nicht mehr nach XXXXzurück können, weil das Gebiet schwer umkämpft gewesen sei.
3. Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 10.08.2017 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 10.08.2018 erteilt (Spruchpunkt III.).
Das BFA stellte neben allgemeinen herkunftsbezogenen Länderfeststellungen und der Identität des Beschwerdeführers sowie seiner Religionszugehörigkeit fest, dass er mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet sei. Er sei legal aus Syrien ausgereist und illegal in Österreich eingereist. Der Beschwerdeführer habe seinen Wehrdienst nach vier Monaten beendet, da er davon befreit worden sei. Der Beschwerdeführer sei eine gesunde, arbeitsfähige Person. Es habe nicht festgestellt werden können, dass dem Beschwerdeführer in Syrien eine asylrelevante Verfolgung drohe.
Hingegen wurde dem Beschwerdeführer aufgrund der allgemeinen Lage in Syrien der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.
Gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG wurde dem Beschwerdeführer ein Rechtsberater zur Seite gestellt.
4. Gegen Spruchpunkt I. des oben genannten Bescheides wurde fristgerecht Beschwerde erhoben. Darin wurde die Rechtswidrigkeit des Bescheides, vor allem durch die Verletzung von Verfahrensvorschriften und die Heranziehung unzureichender Länderfeststellungen bemängelt. Insbesondere wurde - unter Zitierung zahlreiche Berichte - auf die prekäre Lage der Christen in Syrien Bezug genommen und die Gefahr einer diesbezüglichen Verfolgung des Beschwerdeführers geltend gemacht. Außerdem drohe ihm auch aufgrund einer (unterstellten) politischen Gesinnung die Gefahr einer Rückkehr nach Syrien. Weiters wurde eine mündliche Verhandlung beantragt.
5. Die gegenständliche Beschwerde und die bezughabenden Verwaltungsakten wurden von der belangten Behörde dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt.
6. Am XXXX04.2018 fand eine mündliche Verhandlung am Bundesverwaltungsgericht statt. Der Beschwerdeführer führte aus, seine Frau etwa 2008 in Syrien kennen gelernt zu haben. Danach habe er mit ihr über das Internet Kontakt gehabt. 2014 sei sie wieder nach Syrien gereist, und dann hätten sie einander näher kennen gelernt. 2015 hätten sie dann geheiratet. Seine Frau sei wegen der Bedrohung durch den IS alleine ausgereist.
Er habe viel zu erledigen gehabt und er habe sich vorbereiten und eine Möglichkeit suchen wollen, Syrien zu verlassen. Er sei von Syrien in den Libanon gegangen und von dort in die Türkei gereist. Einer seiner Brüder sei vom Militärdienst geflüchtet und befinde sich im Libanon. Sein Bruder in Syrien habe auch Probleme und wolle nicht zum Militär gehen.
Zu seinen Lebensumständen befragt führte der Beschwerdeführer aus, dass sein Leben zwischen seinem Heimatort und XXXX stattgefunden habe, in XXXX habe er seine Arbeitsstelle gehabt. Am Wochenende habe er immer in seinem Heimatort gewohnt. Er habe studiert und danach in einem Hotel in XXXX gearbeitet. In Österreich arbeite er 10 Stunden im Betrieb seines Schwiegervaters.
Zu seinen Fluchtgründen befragt führte der Beschwerdeführer aus, dass er in erster Linie Syrien verlassen habe, weil er mit seiner Frau zusammenleben wolle. Weiters müsse man in Syrien einer Partei angehören. Er habe weder zur Opposition noch zum Regime gehören wollen. Er wollte auch nicht gezwungen sein, eine Waffe zu tragen und unschuldige Leute zu töten. Deswegen sei er bedroht worden. Er habe nicht kämpfen wollen. In Österreich habe er erfahren, dass in Syrien ein neues Gesetz erlassen worden sei, dass Untaugliche wieder eine medizinische Untersuchung machen müssen. Die Rechtsvertretung des Beschwerdeführers wies darauf hin, dass das Gesetz erst nach der Befragung des Beschwerdeführers durch die belangte Behörde erlassen worden sei. Der Beschwerdeführer führte aus, dass er Angst habe, nach einer weiteren Untersuchung rekrutiert zu werden, da er ja gesund aussehe. Deshalb sei auch sein Bruder geflüchtet und auch der andere Bruder in Syrien wolle das Land verlassen. Als weiteren Asylgrund führte der Beschwerdeführer an, dass er vom Regime befragt würde, warum er in Europa gewesen sei, und dass er Probleme bekommen würde. Er habe sich - weil er den alten Reisepass verloren habe - einen neuen Reisepass ausstellen lassen, in dem nun kein Ausreisestempel enthalten sei, daher würde das syrische Regime glauben, dass er das Land illegal verlassen habe.
Zu seinem Wehrdienst in Syrien befragt führte der Beschwerdeführer aus, dass er in Wirklichkeit nur einen Monat Wehrdienst geleistet habe, die anderen drei Monate sei er medizinisch untersucht worden. Er sei im Spital gewesen, bei Untersuchungen und 50 Tage im Krankenstand. Sein Wehrdienstbuch befinde sich bei seiner Familie in Syrien. Auf die Frage ob der Beschwerdeführer jemals vom IS verfolgt worden sei, führte diese aus, dass einmal sein Dorf vom IS bedroht worden sei. Der IS habe sein Dorf gestürmt und die Kirche beschossen. Sie hätten viele Leute geschlachtet und die Bewohner des Dorfes beschimpft. Das Dorf sei ca. 10 Tage lang belagert worden. Inzwischen seien diese Orte unter der Herrschaft des Regimes. Nach seiner Familie befragt führte der Beschwerdeführer aus, dass auch seine Eltern Christen seien. Sein ganzes Heimatdorf sei christlich. Der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers wurden Länderberichte zur Möglichkeit der Abgabe einer Stellungnahme ausgehändigt
7. Mit Schreiben vom 19.04.2018 wurde von der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers eine Stellungnahme zu den Länderberichten abgegeben sowie - wie vom Gericht aufgetragen - ein Arztbrief bezüglich der Epilepsie-Erkrankung des Beschwerdeführers und eine Kopie des Wehrdienstbuches vorgelegt. In der Stellungnahme wird ausgeführt, dass der Beschwerdeführer während seines Aufenthaltes in Österreich, aber erst nach der niederschriftlichen Einvernahme durch die belangte Behörde, über Facebook davon erfahren habe, dass die syrische Regierung ein Dekret bzw. Gesetz erlassen hätte, welches normiere, dass Personen, die bereits aus gesundheitlichen Gründen aus dem Wehrdienst entlassen worden seien, sich erneut einer medizinischen Untersuchung unterziehen müssten, um festzustellen, ob die für den Wehrdienst tatsächlich ungeeignet seien. Der Beschwerdeführer sei 32 Jahre alt und im wehrfähigen Alter. Auch könne man - wie in den Länderberichten ausgeführt werde - nicht mehr uneingeschränkt auf eine Ausnahme vom Militärdienst vertrauen. Die Krankheit der Epilepsie sei dem Beschwerdeführer nicht unmittelbar anzusehen bzw. mache ihn diese nicht offensichtlich untauglich. Weiters sei in Militärbuch des Beschwerdeführers nicht dokumentiert worden, an welche Erkrankung er leide, was eine erneute medizinische Untersuchung mit ungewissem Ausgang in Syrien umso wahrscheinlicher erscheinen lasse. Der Beschwerdeführer sei entschieden dagegen, für das syrische Regime tätig zu werden. Es sei nicht ausgeschlossen, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in die Heimat der Verpflichtung zur Ableistung des Militärdienstes nachkommen müsste. Auch wurde der Beschwerdeführer als Rückkehrer und "erfolgloser" Asylbewerber der oppositionellen Gesinnung bezichtigt werden. Auch könne eine Verfolgung aus religiösen Gründen nicht ausgeschlossen werden. Insbesondere sei der syrische Staat nicht gewillt oder nicht fähig, seine Bürger/innen, insbesondere, wenn sie einer anderen Konfession angehören, vor Bedrohungen und Übergriffen seitens bewaffneter Milizen oder sonstiger Gruppierungen ausreichend zu schützen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Situation im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers:
1.1.0. Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformation (KI vom 18.5.2018 (relevant für Abschnitte 3. Sicherheitslage und 18. Rückkehr).
Präsident Baschar al-Assad hat mit russischer Unterstützung die Oberhand im syrischen Bürgerkrieg gewonnen. Große Teile des Landes, insbesondere an den Landesgrenzen, sind jedoch weiter in der Hand von Aufständischen (Standard 22.4.2018).
Nach der zwei Monate andauernden "Operation Olivenzweig" eroberten im März 2018 von der Türkei unterstützte syrische Rebellengruppierungen die Stadt Afrin, eine mehrheitlich kurdische Stadt nahe der türkischen Grenze (NYT 18.3.2018, vgl. IFK 3.2018). Zuvor baten die Kurden die syrische Regierung um Unterstützung bei der Verteidigung Afrins, woraufhin regierungstreue Einheiten, nicht jedoch die syrische Armee selbst, nach Afrin zogen (Reuters 20.2.2018). Nach der erfolgreichen Einnahme von Afrin durch türkische Truppen, kündigte die YPG den Beginn des Guerilla-Kampfes gegen die Türkei und pro-türkische Kräfte an. In den letzten Wochen erfolgten zahlreiche Anschläge (IFK 5.2018).
In den ersten Monaten des Jahres 2018 erlebte Ost-Ghouta, nahe der Hauptstadt Damaskus, die heftigste Angriffswelle der Regierung seit Beginn des Bürgerkrieges (Presse 1.4.2018). Ende Februar 2018 begann nach wochenlangen Bombardements die Bodenoffensive der Regierung auf Ost-Ghouta (IFK 3.2018). Mitte April 2018 wurde die Militäroffensive der syrischen Armee auf die Rebellenenklave von Seiten der russischen Behörden und der syrischen Streitkräfte für beendet erklärt (Standard 15.4.2018, vgl. Syria Direct 12.4.2018). Im April 2018 fand in Douma, in Ost-Ghouta, ein mutmaßlicher Giftgasangriff mit Dutzenden Todesopfern statt, für den die syrische Regierung verantwortlich gemacht wurde. Als Reaktion darauf führten die USA, Frankreich und Großbritannien Vergeltungsschläge auf Ziele in Syrien durch. Dabei handelte es sich um vermutete Chemiewaffenproduktions- und Lagerstätten (BBC News 8.4.2018, Standard 12.4.2018, IFK 5.2018 und Standard 14.4.2018).
Im April 2018 griff die syrische Armee außerdem Yarmouk und Hajar al-Aswad, etwa 8 Kilometer südlich von Damaskus an. Das Gebiet wurde vor allem von Kämpfern des sogenannten Islamischen Staates (IS) und Jabhat al-Nusra kontrolliert (Standard 20.4.2018). Die Rebellen stimmten schon bald einem Evakuierungsabkommen zu, jedoch hielten die Luftschläge weiterhin an und die bewaffneten Gruppen gaben ihr Gebiet zunächst trotz der Vereinbarungen nicht auf (TDS 23.4.2018). Mit Stand Mitte Mai wird das Gebiet noch immer von Kämpfern des IS gehalten und von der syrischen Regierung belagert (TDS 17.5.2018).
Nach dem gegenseitigen Beschuss zwischen Israel und dem Iran an der Grenze zu Syrien wächst die Sorge um eine weitere militärische Eskalation im Nahen Osten (Standard 10.5.2018).
Im Zuge der Militäroperationen zur Wiedereroberung von zentralen Gebieten Syriens versucht die Regierung zudem neue demographische Verhältnisse zu schaffen, indem sie Stadtplanungsgesetze ändert. So auch zuletzt mit Gesetz Nr. 10, das von Präsident Assad am 2. April 2018 verkündet wurde. Das Gesetz erlaubt den Behörden Zonen innerhalb ihrer Verwaltungsgrenzen für Entwicklung und Wiederaufbau vorzusehen und Immobilienentwicklungsgesellschaften zu gründen, die die Planung und Durchführung solcher Projekte überwachen (CMEC 9.5.2018). Im Zuge dessen ermöglicht das Gesetz die Enteignung von Flüchtlingen, denn gemäß dem Gesetz fallen sämtliche Grundstücke, Wohnungen und Häuser dem syrischen Staat zu, wenn deren Besitzer nicht binnen eines Monats (beginnend mit 11.4.2018) Besitzurkunden bei der dementsprechenden, neu installierten Behörde vorlegen können (VB Naher Osten 24.4.2018). Personen, die ihren Besitz beanspruchen können, erhalten Aktien der neu eingerichteten Immobiliengesellschaften, die dem geschätzten Wert ihres Besitzes entsprechen, wobei es aufgrund der aktuellen Konfliktsituation wahrscheinlich ist, dass der geschätzte Wert weit niedriger als der tatsächliche Marktwert ist (CMEC 9.5.2018). Das Gesetz erfüllt für die syrische Regierung mehrere Zwecke, darunter auch die Möglichkeit zuvor oppositionelle Gebiete in strategisch wichtigen Gegenden mit loyalen Personen zu besiedeln und so die Entstehung potentieller zukünftiger Herde des Widerstandes zu verhindern (CMEC 9.5.2018).
Quellen:
BBC News (8.4.2018): Syria War: At least 70 killed in suspected chemical attack in Douma,
http://www.bbc.com/news/world-middle-east-43686157, Zugriff 16.5.2018
CMEC - Carnegie Middle East Center - Diwan (9.5.2018): The Politics of Dispossession, http://carnegie-mec.org/diwan/76290, Zugriff 15.5.2018
TDS - The Daily Star (23.4.2018): Syrian military hits Daesh in Damascus,
http://www.dailystar.com.lb/News/Middle-East/2018/Apr-23/446356-syrian-military-hits-daesh-in-damascus.ashx, Zugriff 18.5.2018
TDS - The Daily Star (17.5.2018): Syria rebels pull out of their last besieged area,
http://www.dailystar.com.lb/News/Middle-East/2018/May-17/449751-syrian-rebels-pull-out-of-their-last-besieged-area.ashx, Zugriff 18.5.2018
IFK - Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement (3.2018): Fact Sheet Syrien - Nr. 67 - 1. Februar 2018 - 19.März 2018,
http://www.bundesheer.at/pdf_pool/publikationen/fact_sheet_syr_67_deu.pdf, Zugriff 15.5.2018
IFK - Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement (5.2018): Fact Sheet Syrien - Nr. 68 - 20. März 2018 - 10. Mai 2018, http://www.bundesheer.at/pdf_pool/publikationen/fact_sheet_syr_68_deu.pdf, Zugriff 16.5.2018
NYT - The New York Times (18.3.2018): Syrian Rebels, Backed by Turkey, Seize Control of Afrin, https://www.nytimes.com/2018/03/18/world/middleeast/afrin-turkey-syria.html, Zugriff 15.5.2018
Die Presse (1.4.2018): Ost-Ghouta: Rebellen und Russen einigen sich über Abzug der Zivilisten,
https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5398698/OstGhouta_Rebellen-und-Russen-einigen-sich-ueber-Abzug-der-Zivilisten, Zugriff 15.5.2018
Reuters (20.2.2018): Syria pro-government forces enter Afrin to aid against Turkey,
https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-syria-afrin/syria-pro-government-forces-enter-afrin-to-aid-kurds-against-turkey-idUSKCN1G41WG, Zugriff 16.5.2018
Der Standard (12.4.2018): Macron sieht Beweis für Chemiewaffeneinsatz durch Assad-Regime, https://derstandard.at/2000077784824/Weisses-Haus-zu-Syrien-Angriff-Es-ist-noch-nichts-entschieden, Zugriff 16.5.2018
Der Standard (14.4.2018): Trump: "Mission erfüllt" - USA, Frankreich und Großbritannien bombardierten Ziele in Syrien, https://derstandard.at/2000077933572/USA-Frankreich-und-Grossbritannien-bombardieren-Syrien, Zugriff 16.5.2018
Der Standard (15.4.2018): Syrische Armee verkündet Rückeroberung von Ost-Ghouta,
https://derstandard.at/2000077954344/Syrische-Armee-verkuendet-vollstaendige-Rueckeroberung-von-Ost-Ghouta, Zugriff 14.5.2018,
https://derstandard.at/2000079513508/Nach-Golan-Angriff-Israel-greift-Dutzende-iranischer-Ziele-in-Syrien, Zugriff 14.5.2018
Der Standard (20.4.2018): Letzte Rebellen um Damaskus kapitulieren, https://derstandard.at/2000078347552/Letzte-Rebellen-um-Damaskus-kapitulieren, Zugriff 15.5.2018
Der Standard (22.4.2018): Chemiewaffen-Experten nehmen in Syrien erste Proben,
https://derstandard.at/2000078388716/Gespanntes-Warten-auf-Ergebnisse-der-Giftgasexperten-in-Douma, Zugriff 15.5.2018
Der Standard (10.5.2018): Eskalation zwischen Iran und Israel schürt Kriegsangst,
https://derstandard.at/2000079513508/Nach-Golan-Angriff-Israel-greift-Dutzende-iranischer-Ziele-in-Syrien, Zugriff 14.5.2018
Syria Direct (12.4.2018): Russian authorities announce government in 'full control' of East Ghouta amidst continued evacuations, http://syriadirect.org/news/russian-authorities-announce-government-in-%e2%80%9cfull-control%e2%80%9d-of-east-ghouta-amidst-continued-evacuations/, Zugriff 15.5.2018
Syrialiveuamap (13.5.2018): Map of Syrian Civil War, https://syria.liveuamap.com/en/time/13.05.2018, Zugriff 14.5.2018
VB Naher Osten - Verbindungsbeamter des BM.I für den Nahen Osten (24.4.2018): Auskunft des VB, per E-Mail
1.1.1. Politische Lage
Die Familie al-Assad regiert Syrien bereits seit über 50 Jahren, seit Hafez al-Assad 1963 mit fünf anderen Offizieren einen Staatsstreich durchführte und sich dann 1971 als der Herrscher Syriens ernannte. Nach seinem Tod im Jahr 2000 übernahm sein Sohn, der jetzige Präsident Bashar al-Assad diese Position. Seit dieser Zeit haben Vater und Sohn keine politische Opposition geduldet. Jegliche Versuche eine politische Alternative zu schaffen wurden sofort unterbunden, auch mit Gewalt (USCIRF 26.4.2017). 2014 wurden Präsidentschaftswahlen abgehalten, welche zur Wiederwahl von Präsident Assad führten (USDOS 3.3.2017). Bei dieser Wahl gab es erstmals seit Jahrzehnten zwei weitere mögliche, jedoch relativ unbekannte, Kandidaten. Die Präsidentschaftswahl wurde nur in den von der Regierung kontrollierten Gebieten abgehalten, wodurch ein großer Teil der syrischen Bevölkerung nicht an der Wahl teilnehmen konnte. Die Wahl wurde als undemokratisch bezeichnet. Die syrische Opposition bezeichnete sie als "Farce" (Haaretz 4.6.2014; vgl. USDOS 13.4.2016).
Die syrische Verfassung sieht die Baath-Partei als die regierende Partei vor und stellt sicher, dass sie die Mehrheit in allen Regierungs- und Volksverbänden hat (USDOS 3.3.2017). Am 13.4.2016 fanden in Syrien Parlamentswahlen statt. Das Parlament wird im Vier-Jahres-Rhythmus gewählt, und so waren dies bereits die zweiten Parlamentswahlen, welche in Kriegszeiten stattfanden (Reuters 13.4.2016; vgl. France24 17.4.2017). Die in Syrien regierende Baath-Partei gewann gemeinsam mit ihren Verbündeten unter dem Namen der Koalition der "Nationalen Einheit" 200 der 250 Parlamentssitze. Die syrische Opposition bezeichnete auch diese Wahl, welche erneut nur in den von der Regierung kontrollierten Gebieten stattfand, als "Farce". Jeder der 200 Kandidaten auf der Liste der "Nationalen Einheit" bekam einen Parlamentssitz. Die Vereinten Nationen gaben an, die Wahl nicht anzuerkennen (France24 17.4.2016). Die Verfassungsreform von 2012 lockerte die Regelungen bezüglich der politischen Partizipation anderer Parteien. In der Praxis unterhält die Regierung jedoch noch immer einen mächtigen Geheimdienst- und Sicherheitsapparat zur Überwachung von Oppositionsbewegungen, die sich zu ernstzunehmenden Konkurrenten zur Regierung Assads entwickeln könnten (FH 1.2017)
Seit 2011 tobt die Gewalt in Syrien. Aus anfangs friedlichen Demonstrationen ist ein komplexer Bürgerkrieg geworden, mit unzähligen Milizen und Fronten. Die tiefer liegenden Ursachen für den Konflikt sind die Willkür und Brutalität des syrischen Sicherheitsapparats, die soziale Ungleichheit und Armut vor allem in den ländlichen Gegenden Syriens, die weit verbreitete Vetternwirtschaft und nicht zuletzt konfessionelle Spannungen (Spiegel 10.8.2016). Die Arabische Republik Syrien existiert formal noch, ist de facto jedoch in vom Regime, von der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) und von anderen Rebellen-Fraktionen oder dem sogenannten Islamischen Staat (IS) kontrollierte Gebiete aufgeteilt (BS 2016). Der IS übernahm seit 2014 vermehrt die Kontrolle von Gebieten in Deir ez-Zour und Raqqa, außerdem in anderen Regionen des Landes und rief daraufhin ein "islamisches Kalifat" mit der Hauptstadt Raqqa aus (USDOS 3.3.2017). Mitte des Jahres 2016 kontrollierte die syrische Regierung nur ca. ein Drittel des syrischen Staatsgebietes, inklusive der "wichtigsten" Städte im Westen, in denen der Großteil der Syrer, die noch nicht aus Syrien geflohen sind, leben (Reuters 13.4.2016). Verschiedene oppositionelle Gruppen mit unterschiedlichen Ideologien und Zielen kontrollieren verschiedene Teile des Landes. Vielfach errichten diese Gruppierungen Regierungsstrukturen bzw. errichten sie wieder, inklusive irregulär aufgebauter Gerichte (USDOS 3.3.2017). Seit 2016 hat die Regierung große Gebietsgewinne gemacht, jedoch steht noch beinahe die Hälfte des syrischen Territoriums nicht unter der Kontrolle der syrischen Regierung. Alleine das Gebiet, welches unter kurdischer Kontrolle steht wird auf etwa ein Viertel des syrischen Staatsgebietes geschätzt (DS 23.12.2017; vgl. Standard 29.12.2017).
Russland, der Iran, die libanesische Hisbollah-Miliz und schiitische Milizen aus dem Irak unterstützen das syrische Regime militärisch, materiell und politisch. Seit 2015 schickte Russland auch Truppen und Ausrüstung nach Syrien und begann außerdem Luftangriffe von syrischen Militärbasen aus durchzuführen. Während Russland hauptsächlich auf von Rebellen kontrollierte Gebiete abgezielt, führt die von den USA geführte internationale Koalition Luftangriffe gegen den IS durch (FH 27.1.2016; vgl. AI 24.2.2016).
Im Norden Syriens gibt es Gebiete, welche unter kurdischer Kontrolle stehen und von den Kurden Rojava genannt werden (Spiegel 16.8.2017). 2011 soll der damalige irakische Präsident Jalal Talabani ein Übereinkommen zwischen der syrischen Regierung, der iranischen Regierung und der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), deren Mitglieder die PYD gründeten, vermittelt haben: Im September 2011 stellte der iranische Arm der PKK, die Partei für ein Freies Leben in Kurdistan (Partiya Jiyana Azad a Kurdistanê - PJAK), ihren bewaffneten Kampf gegen den Iran ein. Etwa zur selben Zeit wurde die PYD in Syrien neu belebt. Informationen zahlreicher Aktivisten zufolge wurden bis zu zweihundert PKK-Kämpfer aus der Türkei und dem Irak sowie Waffen iranischer Provenienz nach Syrien geschmuggelt. Aus diesem Grundstock entwickelten sich die Volksverteidigungseinheiten (YPG). Ausgestattet mit einem bewaffneten Flügel begann die PYD, die kurdische Bevölkerung davon abzuhalten, sich effektiv an der Revolution zu beteiligen. Demonstrationen wurden aufgelöst, Aktivisten festgenommen, Büros des Kurdischen Nationalrats in Syrien, einer Dachorganisation zahlreicher syrisch-kurdischer Parteien, angegriffen. Auf diese Weise musste die syrische Armee keine "zweite Front" in den kurdischen Gebieten eröffnen und konnte sich auf die Niederschlagung der Revolution in anderen Gebieten konzentrieren. Als Gegenleistung zog das Baath-Regime Stück für Stück seine Armee und seinen Geheimdienst aus den überwiegend kurdischen Gebieten zurück. In der zweiten Jahreshälfte 2012 wurden Afrin,? Ain al-Arab (Kobanî) und die Dschazira von PYD und YPG übernommen, ohne dass es zu erwähnenswerten militärischen Auseinandersetzungen mit der syrischen Armee gekommen wäre (ES BFA 8.2017). Im März 2016 wurde die Democratic Federation of Northern Syria ausgerufen, die sich über Teile der Provinzen Hassakah, Raqqa und Aleppo und auch über Afrin erstreckte. Afrin steht zwar unter kurdischer Kontrolle, ist jedoch nicht mit dem Rest des kurdischen Gebietes verbunden (ICC 4.5.2017; vgl. IRIN 15.9.2017). Das von der PYD in den kurdischen Gebieten etablierte System wird von der PYD als "demokratische Autonomie" bzw. "demokratischer Konföderalismus" bezeichnet. "Demokratischer Konföderalismus" strebt danach, die lokale Verwaltung durch Räte zu stärken, von Straßen- und Nachbarschaftsräten über Bezirks- und Dorfräte bis hin zu Stadt- und Regionalräten. "Demokratischer Konföderalismus" muss somit als Form der Selbstverwaltung verstanden werden, in der Autonomie organisiert wird. Die Realität sieht allerdings anders aus. Tatsächlich werden in "Rojava" Entscheidungen weder von den zahlreichen (lokalen) Räten getroffen, noch von Salih Muslim und Asya Abdullah in ihrer Funktion als Co-Vorsitzende der PYD, stattdessen liegt die Macht bei der militärischen Führung im Kandilgebirge, die regelmäßig hochrangige Parteikader nach Syrien entsendet (ES BFA 8.2017 und ICC 4.5.2017). In den kurdischen Gebieten haben die Bürger durch die PYD auch Zugang zu Leistungen, wobei die Partei unter anderem die Bereitstellung von Leistungen nutzt, um ihre Macht zu legitimieren. Die Erbringung öffentlicher Leistungen variiert jedoch. In Gebieten, in denen die PYD neben Behörden der Regierung existiert, haben sich zahlreiche Institutionen entwickelt und dadurch wurden Parallelstrukturen geschaffen. In Gebieten in denen die PYD mehr Kontrolle besitzt, bleibt die Macht in der Hand der PYD zentralisiert, trotz den Behauptungen der PYD die Macht auf die lokale Ebene zu dezentralisieren (CHH 8.12.2016).
Noch sind die beiden größeren von Kurden kontrollierten Gebietsteile voneinander getrennt, das Ziel der Kurden ist es jedoch entlang der türkischen Grenze ein zusammenhängendes Gebiet unter ihre Kontrolle zu bringen (Spiegel 16.8.2016). Der Ton zwischen Assad und den an der Seite der USA kämpfenden syrischen Kurden hat sich in jüngster Zeit erheblich verschärft. Assad bezeichnete sie zuletzt als "Verräter". Das von kurdischen Kämpfern dominierte Militärbündnis der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) konterte, Assads Regierung entlasse "Terroristen" aus dem Gefängnis, damit diese "das Blut von Syrern jeglicher Couleur vergießen" könnten (Standard 29.12.2017).
Quellen:
-AI - Amnesty International (24.2.2016): Amnesty International Report 2015/16-The State of the World's Human Rights-Syria, https://www.ecoi.net/local_link/319684/458913_de.html, Zugriff 22.12.2017
-BS - Bertelsmann Stiftung (2016): Syria Country Report, http://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2016/pdf/BTI_2016_Syria.pdf, Zugriff 22.12.2017
-CHH - Chatham House (8.12.2017): Governing Rojava - Layers of Legitimacy in Syria,
https://www.chathamhouse.org/sites/files/chathamhouse/publications/research/2016-12-08-governing-rojava-khalaf.pdf, Zugriff 11.12.2017
-DS - The Daily Star (23.12.2017): Syria war winds down but tangled map belies conflict ahead,
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1.1.2. Sicherheitslage
Der im März 2011 begonnene Aufstand gegen das Regime ist in eine komplexe militärische Auseinandersetzung umgeschlagen, die grundsätzlich alle Städte und Regionen betrifft. Nahezu täglich werden landesweit Tote und Verletzte gemeldet. Die staatlichen Strukturen sind in zahlreichen Orten zerfallen und das allgemeine Gewaltrisiko ist sehr hoch (AA 27.12.2017). Grob gesagt stehen auf der Seite der syrischen Regierung Russland, der Iran, die libanesische Hisbollah und schiitische Milizen, die vom Iran im Irak, in Afghanistan und im Jemen rekrutiert werden. Auf der Seite der diversen Gruppierungen, die zur bewaffneten Opposition bzw. zu den Rebellen gehören, stehen die Türkei, die Golfstaaten, die USA und Jordanien, wobei diese Akteure die Konfliktparteien auf unterschiedliche Arten unterstützen. Zudem sind auch die Kurden in Nordsyrien und der sogenannte Islamische Staat (IS) am Konflikt beteiligt (BBC 7.4.2017).Mitte September des Jahres 2016 wurde von den USA und Russland, nach monatelangen Gesprächen, eine Waffenruhe ausgehandelt. Diese sollte ermöglichen, dass humanitäre Hilfe die Kampfgebiete erreichen kann; außerdem sollte den Luftangriffen des syrischen Regimes auf die Opposition Einhalt geboten werden. Die Waffenruhe sollte sieben Tage bestehen und galt für das syrische Regime und die Rebellen, jedoch nicht für die terroristischen Gruppierungen "Islamischer Staat" (IS) und Jabhat Fatah ash-Sham (CNN 12.9.2016). Es soll in verschiedenen Gebieten mehr als 300 Verstöße gegen die Waffenruhe gegeben haben. Nach ungefähr einer Woche wurde die Waffenruhe von der syrischen Armee bzw. vom syrischen Regime für beendet erklärt. In dieser Zeit konnten keine humanitären Hilfslieferungen die Kampfgebiete erreichen (Zeit 19.9.2016).
Versöhnungsabkommen
Die sogenannten Versöhnungsabkommen sind Vereinbarungen, die ein Gebiet, das zuvor unter der Kontrolle einer oppositionellen Gruppierung stand, offiziell wieder unter die Kontrolle des Regimes bringen. Die Regierung bietet, meist nach schwerem Beschuss oder Belagerung, ein Versöhnungsabkommen an, das an verschiedene Bedingungen geknüpft ist. Diese Bedingungen unterscheiden sich von Abkommen zu Abkommen. Manche der Vereinbarungen besagen z.B., dass Personen bzw. Kämpfer, welche sich nicht den Bedingungen der Vereinbarung unterwerfen wollen, mit ihren Familien nach Idlib evakuiert werden. Die übrigen Personen können 6 Monate lang eine Amnestie nutzen und können sich in dieser Zeit stellen, um den Militärdienst abzuleisten. Manche Vereinbarungen besagen auch, dass Männer nicht an die Front geschickt werden, sondern stattdessen bei der örtlichen Polizei eingesetzt werden. Es ist auch möglich, dass sich Personen im zurückgewonnenen Gebiet verpflichten müssen, der Regierung zur Verfügung zu stehen, für diese zu spionieren oder Ähnliches. Berichten zufolge wurden solche Zusagen von der Regierung aber bisweilen auch gebrochen, was jedoch schwer zu beweisen ist. Ein Beispiel für ein Versöhnungsabkommen waren die im März 2017 begonnenen Verhandlungen mit der Regierung über den Distrikt al-Waer in Homs. Vereinbarungen über die Freilassung von Gefangenen in der Stadt Homs durch die Regierung wurden jedoch nicht eingehalten. Nach schweren Luftschlägen durch die Regierung und nachdem auf die Freilassung der Gefangenen verzichtet wurde, wurde im April doch noch ein Abkommen erzielt, und die aufständischen Kämpfer mit ihren Familien evakuiert. Ein weiteres Beispiel für ein Versöhnungsabkommen ist die Stadt al-Sanamayn im Norden der Provinz Dara'a. Hier stellten sich mehrere bewaffnete Fraktionen, die in der Stadt aktiv waren, stellvertretend für die Bevölkerung der Stadt unter die Kontrolle des Regimes. Im Gegenzug dafür erlaubte die Regierung den Gruppierungen, als Sicherheitskräfte in der Stadt zu fungieren, und gestand zu, sich nicht in Sicherheitsfragen einzumischen. Bewohnern der Stadt zufolge blieb die Situation nach dem Versöhnungsabkommen jedoch weitgehend unverändert, da die Stadt nach Belagerung durch Regierungseinheiten, bereits zuvor ein Waffenstillstandsabkommen mit der Regierung geschlossen hatte. Die in al-Sanamayn tätigen Gruppierungen existieren somit immer noch und behielten außerdem den Großteil ihrer Waffen, greifen jedoch die Regierungseinheiten nicht mehr an. Die zuvor meist politisch motivierten Fraktionen sind nun eher mit einzelnen Klans verbunden. Zusätzlich existieren außerdem bewaffnete Banden. Zwischen diesen Fraktionen, den Banden und auch der Regierung kommt es immer wieder zu Zusammenstößen, die aber eher auf individuellen Vorfällen basieren (z.B. in Form von Vergeltungsmaßnahmen für Festnahmen, Entführungen, Mord oder Schutzgelderpressungen etc.). So kommt es trotz des Versöhnungsabkommens immer wieder zu sicherheitsrelevanten Vorfällen (BFA 8.2017).
Deeskalationszonen
Im Mai 2017 unterzeichneten Russland, der Iran und die Türkei im Rahmen der Gespräche in der kasachischen Hauptstadt Astana ein Abkommen, das die Einrichtung von sogenannten Deeskalationszonen vorsieht (BFA 8.2017). Die Deeskalationszonen sind jedoch keine vollkommen neue Strategie, sondern müssen als Fortsetzung der "Versöhnungsstrategie", die das Assad-Regime im Angesicht mehrerer fehlgeschlagener Vereinbarungen zu Waffenruhen anwendet, gesehen werden. Das Ziel bleibt jedoch unverändert "unversöhnliche" Bewaffnete Akteure und politische Gegner zu entfernen oder zu neutralisieren und die Gebiete wieder unter Regimekontrolle zu bringen (DS 23.9.2017).
Weder die syrische Regierung, noch die Opposition unterzeichneten das Abkommen von Astana. Die Gruppe Jabhat Fatah ash-Sham (ehemals Jabhat al-Nusra) ist von den Vereinbarungen ausgenommen. Also wird die Regierung Gebiete, in denen Jabhat Fatah ash-Sham aktiv ist, weiterhin bombardieren. Auch der IS ist von der Vereinbarung ausgenommen: Die syrische Regierung gab an, weiterhin gegen "Terroristen" zu kämpfen, und auch die von den USA geleitete Kampagne wird weiterhin den IS mit Luftschlägen bekämpfen. Die Deeskalationszonen erlauben es der Regierung, ihre Truppen neu zu organisieren. Es gibt noch keinen klaren Mechanismus, um Konflikte zu lösen und auf Verletzungen des Deeskalationsabkommens zu reagieren (BFA 8.2017). Die Deeskalationszonen werden auch nicht unter einer gemeinsamen Richtlinie beschlossen, sondern jede Zone existiert unter individuellen Bedingungen (DS 23.9.2017). Im Rahmen der Astana-Gespräche und zusätzlich der "Amman-Diskussionen", zwischen den USA, Russland und Jordanien, wurden vier Deeskalationszonen ausgehandelt: Eine Zone in der Provinz Idlib und Teilen der Provinzen Lattakia, Hama und Aleppo; eine Zone im Norden der Provinz Homs; eine Zone in Ost-Ghouta in Rif-Dimashq (Damaskus-Umland) und eine Zone in Teilen Südsyriens in den Provinzen Dara'a und Quneitra (UNOCHA 11.2017; vgl. CRS 13.10.2017; vgl. NYT 18.11.2017; vgl. DS 23.9.2017).
In Dara'a im Süden Syriens kam es zu Beginn zu einer Deeskalation, jedoch gab es auch hier bereits zuvor einen Rückgang der Kampfhandlungen. Anfang Juni 2017 kam es in Dara'a jedoch wieder zu schweren Kampfhandlungen zwischen regierungstreuen Kämpfern und Rebelleneinheiten (BFA 8.2017). Die Deeskalationszone im Süden birgt nichtsdestotrotz das größte Potential für die Verhandlung einer längerfristigen Lösung zum Großteil aufgrund des Interesses internationaler Akteure, die an den Verhandlungen beteiligt waren. Neben Iran, Türkei und Russland waren auch die USA und Jordanien beteiligt und auch Israel hat ein Interesse am Bestehen dieser Deeskalationszone (DS 23.9.2017). Seit August 2017 findet jedoch eine Welle an Attentaten gegen politische und bewaffnete Oppositionelle statt, wobei es Hinweise gibt, dass al-Qaida bzw. mit ihr verbündete Gruppierungen diese durchgeführt haben. Al-Qaida versucht so, die Opposition zu schwächen und sich in Südsyrien zu etablieren. Hierbei nutzt die Gruppierung auch die Entscheidung der Trump-Administration aus, laut welcher ein Programm zur Unterstützung von Oppositionskämpfern gestrichen werden soll, wodurch nicht-jihadistische Fraktionen geschwächt werden (ISW 22.11.2017). Im Mai 2017 entsandte al-Qaida etwa 30 hochrangige Funktionäre nach Südsyrien (ISW 3.8.2017). Weiteres Konfliktpotential besteht im Süden Syriens zudem mit Israel. Israel führte wiederholt Luftschläge auf syrisches Gebiet durch, damit soll gegen die Präsenz der libanesischen schiitischen Hisbollah auf syrischem Staatsgebiet nahe israelischem Staatsgebiet vorgegangen werden (Standard 3.11.2017; vgl. Spiegel 5.12.2017).
Nachdem die Zonen beschlossen wurden, begannen in Ost-Damaskus Deeskalationsmaßnahmen, jedoch wurde in dieser Gegend gleichzeitig ein Versöhnungsabkommen geschlossen (BFA 8.2017). Ost-Ghouta ist jedoch noch immer belagert, und die Regierung beschränkt die Lieferung von Hilfsgütern, Nahrungsmitteln und Medikamenten stark. Im Februar 2017 konnte die Regierung Tunnel schließen, durch welche die Bewohner Ost-Ghoutas zuvor noch Personen, Treibstoff, Medikamente, jedoch auch Zigaretten, Narkotika und Munition schmuggeln konnten (IRIN 19.12.2017). Im April-Mai 2016 und April 2017 kam es in Ost-Ghouta zu Zusammenstößen zwischen den beiden dominanten Gruppen Jaysh al-Islam und Failaq ar-Rahman. Nach Einrichtung der Deeskalationszone traf Russland im Juni 2017 Vereinbarungen mit den beiden Gruppierungen, die Situation scheint jetzt jedoch noch schlimmer als vor der Einrichtung der Deeskalationszone zu sein (IRIN 19.12.2017). Zwischenzeitlich kam es zu einem Rückgang der Kämpfe, die syrische Regierung hielt aber an der Belagerung fest und nahm Mitte November 2017 die Luftangriffe auf das Gebiet wieder auf (Standard 27.12.2017). Die Kampfhandlungen in Ost-Ghouta halten an, wobei sie sich in Gebieten, die von Jaysh al-Islam kontrolliert werden, relativ gesehen verringerten und sich der Konflikt in Gebieten, die von Failaq ar-Rahman kontrolliert werden, intensiviert hat (IRIN 19.12.2017).
Das Ausmaß der Kampfhandlungen in den Provinzen Hama, Homs und Idlib blieb vorerst gleich oder stieg sogar an (BFA 8.2017). Die Deeskalationszone im nördlichen Homs und südlichen Hama wurde im Rahmen der "Kairo-Diskussionen" bekannt gegeben, jedoch wurde die Ankündigung von den Akteuren vor Ort abgelehnt, weil sie sich durch die Verhandlungspartner der Opposition nicht repräsentiert sahen. Insgesamt erscheint es nicht wahrscheinlich, dass die Zone längerfristig eine oppositionelle Enklave bleiben wird (DS 23.9.2017).
Die Deeskalationszone in Idlib soll von Russland, Türkei und Iran überwacht werden (DS 23.9.2017). Die mit al-Qaida in Verbindung stehende islamistische Gruppierung Hay'at Tahrir ash-Sham ist die mächtigste Gruppe in dieser Deeskalationszone und dominiert vergleichsweise moderatere Gruppierungen die sich selbst als zur Freien Syrischen Armee gehörig bezeichnen (NYT 18.11.2017). Im September und Oktober 2017 intensivierte Russland die Anzahl der Luftschläge auf die Provinz Idlib, um Gruppen, die gegen das Regime eingestellt sind, dazu zu bewegen ein Waffenstillstandsabkommen oder die Deeskalationszone zu akzeptieren (ISW 16.10.2017). Von Russland unterstützte syrische Einheiten starteten Ende 2017 eine Offensive gegen Militanten und deren Verbündete in Idlib. UN OCHA berichtete im Januar 2018 von mehr als 200.000 Personen, die durch die Offensive vertrieben wurden (DS 16.1.2018).
Ost-Ghouta und die Provinz Idlib, die wie zuvor beschrieben, beide von Rebellen kontrolliert bzw. von radikal-islamischen Milizen dominiert werden, sind im Januar 2017 hart umkämpft. In Ost-Ghouta eskalierten zu diesem Zeitpunkt die Gefechte, nachdem Rebellen einen Stützpunkt der Armee einkreisen konnten (Zeit 7.1.2018).
Der "Islamische Staat" (IS)
Im November 2017 brachte die syrische Armee Deir ez-Zour, das zuvor vom IS besetzt war, wieder unter seine Kontrolle (BBC 12.12.2017). Der IS verlor 2017 beinahe sein ganzes Territorium in Syrien und im Irak (Reuters 27.12.2017a).
Analysten gehen außerdem davon aus, dass der IS sich bereits auf eine neue Phase vorbereitet und sich zu der Art von Untergrundbewegung zurückentwickelt, die sie in ihren Anfängen war (NYT 17.10.2017).
Die russischen Militäreinsätze
Im Dezember 2017 verkündete das russische Verteidigungsministerium, dass das syrische Territorium "komplett vom IS befreit sei" und somit das Ziel ihres Einsatzes in Syrien, das Zurückdrängen des IS, erfüllt sei (Standard 7.12.2017; vgl. BBC 12.12.2017). Kurze Zeit später gab es jedoch Berichte, dass es dem IS nach Kämpfen mit Hay'at Tahrir ash-Sham gelang mehrere Dörfer in den Provinzen Idlib und Hama zu erobern (Standard 9.12.2017). Der russische Präsident Putin ordnete Mitte Dezember auch den Abzug eines "Großteils der russischen Truppen" aus Syrien an (BBC 13.12.2017; vgl. Standard 21.12.2017). Russland wird jedoch weiterhin zwei Militärbasen in Syrien betreiben, die Luftwaffenbasis Hmeimim und die Marinebasis in Tartus, und somit eine permanente militärische Präsenz in Syrien unterhalten (BBC 13.12.2017; vgl. DS 26.12.2017; vgl. Standard 21.12.2017).
Die achte Runde der UN-geführten Friedensverhandlungen in Genf brachte keine Ergebnisse. Die oppositionelle Verhandlergruppe erklärte, dass Assad nicht Teil einer Übergangslösung in Syrien sein könne, worauf die regierungstreue Delegation der Ansicht war, dass es nichts mehr zu verhandeln gäbe (Standard 15.12.2017).
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-Der Standard (6.11.2016): Miliz: Offensive auf syrische IS-Hochburg Raqqa begonnen,
http://derstandard.at/2000047036591/Miliz-Offensive-auf-syrische-IS-Hochburg-Raqqa-begonnen, Zugriff 27.12.2017
-Der Standard (7.12.2017): Moskau verkündet komplette Befreiung Syriens vom IS,
https://derstandard.at/2000069812571/Moskau-Syrien-komplett-vom-IS-befreit?ref=rec, Zugriff 29.12.2017
-Der Standard (9.12.2017): Aktivisten: IS-Miliz wieder zurück in syrischer Provinz Idlib,
https://derstandard.at/2000069923966/Aktivisten-IS-Miliz-wieder-zurueck-in-syrischer-Provinz-Idlib?ref=rec, Zugriff 3.