Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Harald Stelzer und Wolfgang Cadilek als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Mag. S*****, gegen die beklagte Partei N***** GmbH, *****, vertreten durch Celar Senoner Weber-Wilfert Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 27.931,51 EUR brutto sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse: 27.355,28 EUR) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 23. Februar 2018, GZ 10 Ra 95/17i-27, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1. Nach ständiger Rechtsprechung stellt die Beurteilung, ob im Einzelfall ein Kündigungs- oder Entlassungsgrund verwirklicht wurde, keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar (RIS-Justiz RS0106298), es sei denn, dem Berufungsgericht wäre bei seiner Entscheidung eine auffallende Fehlbeurteilung unterlaufen.
2. Ein Verstoß gegen das Konkurrenzverbot des § 7 Abs 1 AngG kann den Entlassungsgrund des § 27 Z 3 AngG verwirklichen. Dieser ist dann anzunehmen, wenn der Angestellte ein selbständiges kaufmännisches Unternehmen betreibt oder im Geschäftszweige des Dienstgebers für eigene oder fremde Rechnung Handelsgeschäfte macht.
Davon, dass die Klägerin ein selbständiges kaufmännisches Unternehmen betrieben hat, geht auch die Revision nicht aus. Es bestehen aber auch keine Bedenken gegen die Rechtsmeinung der Vorinstanzen, dass die Klägerin, die für die Beklagte als Pharmareferentin für Humanarzneimittel tätig war, durch ihre stundenweise Arbeit bei zwei Tierärzten, auch wenn diese gelegentlich mit der Abgabe von Medikamenten für Tiere verbunden war, keine Handelsgeschäfte im Geschäftszweig der Beklagten tätigte. Unabhängig davon, ob bei diesem Sachverhalt überhaupt von „Handelsgeschäften“ gesprochen werden kann, handelt die Beklagte selbst nur mit Humanarzneimitteln. Der Begriff des „Geschäftszweiges“ ist aber eng auszulegen und nur auf die vom Arbeitgeber tatsächlich entfaltete Geschäftstätigkeit zu beziehen (RIS-Justiz RS0027854). Dass eine frühere Konzernschwester der Beklagten, zu der die Klägerin in keiner Vertragsbeziehung steht, auch mit Tierarzneimitteln handelte, ist daher ebenfalls nicht von Relevanz.
3. Eine über die Bestimmung des § 7 Abs 1 AngG hinausgehende Beschränkung der privaten Betätigungsfreiheit (insbesondere auch eine Verpflichtung zur Unterlassung von Nebenbeschäftigungen) vermag, selbst wenn sie vertraglich vereinbart ist, keine Erweiterung des Entlassungstatbestands des § 27 Z 3 AngG zu bewirken. Nur bei Vorliegen der dafür notwendigen besonders erschwerenden Voraussetzungen kann in einer Nebenbeschäftigung, die entgegen einer wirksamen vertraglichen Verpflichtung ausgeübt wird, ein Vertrauensmissbrauch iSd § 27 Z 1 AngG erblickt werden (RIS-Justiz RS0027828; vgl auch RS0027833).
Unter den Tatbestand der Vertrauensunwürdigkeit iSd § 27 Z 1 letzter Fall AngG fällt jede Handlung oder Unterlassung eines Angestellten, die mit Rücksicht auf ihre Beschaffenheit und auf ihre Rückwirkung auf das Arbeitsverhältnis den Angestellten des dienstlichen Vertrauens seines Arbeitgebers unwürdig erscheinen lässt, weil dieser befürchten muss, dass der Angestellte seine Pflichten nicht mehr getreulich erfüllen werde, sodass dadurch die dienstlichen Interessen des Arbeitgebers gefährdet sind (RIS-Justiz RS0029547). Bei der Beurteilung der Vertrauensunwürdigkeit kommt es vor allem darauf an, ob für einen Dienstgeber vom Standpunkt vernünftigen kaufmännischem Ermessens die gerechtfertigte Befürchtung bestand, dass seine Belange durch den Angestellten gefährdet seien, wobei nicht das subjektive Empfinden des Dienstgebers entscheidet, sondern an das Gesamtverhalten des Angestellten ein objektiver Maßstab anzulegen ist, der nach den Begleitumständen des einzelnen Falls und nach der gewöhnlichen Verkehrsauffassung angewendet zu werden pflegt (RIS-Justiz RS0029833; vgl auch RS0029733). Nicht jede Verletzung arbeitsvertraglicher Verpflichtungen erfüllt automatisch den Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit. Anders als beim Entlassungsgrund der Untreue im Dienst kann die Vertrauenswirkung auch auf Handlungen des Angestellten beruhen, die mit dem Dienstverhältnis in keinem unmittelbaren Zusammenhang stehen (RIS-Justiz RS0029333). Das Verhalten muss aber so beschaffen sein, dass es nach den Umständen des Falls das dienstliche Vertrauen des Dienstgebers zu beeinflussen vermag (9 ObA 78/12d ua).
Die Beurteilung der Vorinstanzen, die ausgehend von diesen rechtlichen Grundsätzen im konkreten Fall eine solche Vertrauensunwürdigkeit verneinten, ist jedenfalls vertretbar. Abgesehen davon, dass durch die – teilweise unentgeltliche – Arbeit der Klägerin bei zwei Tierärzten keine konkurrenzierende Tätigkeit entfaltet wurde, lässt sich auch aus der Revision nicht ableiten, welche anderen Interessen der Beklagten gefährdet wurden. Die Tätigkeit der Klägerin als Pharmareferentin für Humanarzneimittel und ihr stundenweiser Einsatz als Tierärztin haben keine Berührungspunkte. Da die Klägerin bei der Beklagten keine Arbeitszeiten einzuhalten, sondern nur ein bestimmtes Kontingent an Arztbesuchen zu erfüllen hatte, ist auch nicht ersichtlich, inwieweit ihre nur in zeitlich geringem Umfang ausgeübte Beschäftigung als Tierärztin ihre Arbeit für die Beklagte nachteilig beeinflussen hätte können.
Wenn in der Revision darauf verwiesen wird, dass gerade Außendienstmitarbeiter besonderes Vertrauen genießen, weil eine Überwachung ihrer Arbeitszeit nicht oder nur erschwert möglich ist, ist dies zwar richtig (vgl Arb 10.017). Der Klägerin ist jedoch auch nach diesem strengen Maßstab nach den konkreten Feststellungen kein Verhalten vorzuwerfen, das Zweifel an der Erfüllung ihrer zeitlichen oder inhaltlichen Arbeitsverpflichtung gegenüber der Beklagten, der Richtigkeit ihrer Aufzeichnungen oder Abrechnungen begründen könnte.
Soweit die Revision davon ausgeht, dass die Klägerin das Telefon der Tierarztpraxis auf ihr Diensttelefon umleitete und daraus eine Beeinträchtigung ihrer vertraglichen Verpflichtungen ableiten will, geht sie nicht vom festgestellten Sachverhalt aus, wonach diese Umleitung nur einmal irrtümlich, durch jemand anderen als die Klägerin erfolgte.
4. Inwiefern das Verhalten der Klägerin den Tatbestand der Untreue im Dienst erfüllen soll, lässt sich auch aus der Revision nicht ableiten. Dieser setzt einen vorsätzlichen und pflichtwidrigen Verstoß gegen die dienstlichen Interessen des Arbeitgebers voraus (RIS-Justiz RS0029506 ua). Nach ständiger Rechtsprechung muss der Vorsatz des Arbeitnehmers nicht nur auf die den Verstoß begründende Handlung oder Unterlassung gerichtet sein, sondern auch die Richtung dieses Verstoßes, nämlich die den Interessen des Arbeitgebers abträgliche Eignung der Handlung (Unterlassung) umfassen. Dem Arbeitnehmer muss überdies die Pflichtwidrigkeit seines Verhaltens bewusst sein (RIS-Justiz RS0029375). Diese Voraussetzungen sind aber nach den Feststellungen nicht erfüllt.
5. Aus dem Arbeitsvertrag besteht für den Arbeitnehmer die Verpflichtung, sich im Fall einer Krankheit und einer dadurch ausgelösten Arbeitsunfähigkeit so zu verhalten, dass die Arbeitsfähigkeit möglichst bald wiederhergestellt wird (RIS-Justiz RS0060869). Schon die Eignung des Verhaltens, den Krankheitsverlauf negativ zu beeinflussen oder den Heilungsprozess zu verzögern, kann den Entlassungsgrund verwirklichen. Wesentlich bleibt aber, dass das objektiv sorgfaltswidrige Verhalten dem Arbeitnehmer auch subjektiv vorwerfbar ist (RIS-Justiz RS0029337 [T13]). Ein Dienstnehmer darf ärztlichen Anordnungen jedenfalls nicht schwerwiegend bzw betont und im erheblichen Maß zuwiderhandeln und die nach der allgemeinen Lebenserfahrung allgemein üblichen Verhaltensweisen im Krankenstand nicht betont und offenkundig verletzen.
Die Beklagte wirft der Klägerin vor, dass sie während eines mehrwöchigen Krankenstands nach einer Halluxoperation, aufgrund derer sie nicht Auto fahren und daher ihrer Tätigkeit bei der Beklagten nicht nachgehen konnte, nach ärztlicher Anweisung aber „gehen und sich bewegen sollte“, (in der vierten Woche nach der Operation) zwei Stunden – im Wesentlichen unentgeltlich – als Tierärztin arbeitete. Wenn die Vorinstanzen darin keinen schwerwiegenden Verstoß gegen die Verhaltenspflichten im Krankenstand sehen, weil die Klägerin weder ärztlicher Anordnungen noch der allgemeinen Lebenserfahrung zuwider handelte, ist das auch bei einem allenfalls nicht auszuschließenden Infektionsrisiko nicht zu beanstanden. Auch für die Beklagte war die Klägerin während ihres aufrechten Krankenstands mehrere Stunden administrativ tätig. Dass damit jeweils eine andere Belastung einhergeht als mit einer stundenlangen Anreise zu und mehrtägiger Teilnahme an einer Konferenz, die die Klägerin vom Ergebnis einer Physiotherapiesitzung abhängig machen wollte, ist offenkundig.
7. Die außerordentliche Revision ist daher mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Entscheidung nicht.
Textnummer
E122022European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:008OBA00018.18G.0529.000Im RIS seit
16.07.2018Zuletzt aktualisiert am
07.03.2019