Entscheidungsdatum
02.07.2018Norm
AsylG 2005 §7 Abs1Spruch
W208 2196968-1/2E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Ewald SCHWARZINGER über die Beschwerde von XXXX, geboren XXXX, Staatsangehörigkeit AFGHANISTAN, vertreten durch ARGE RECHTSBERATUNG DIAKONIE UND VOLKSHILFE, gegen den Bescheid des BUNDESAMTES FÜR FREMDENWESEN UND ASYL, Regionaldirektion XXXX, vom 02.05.2018, Zl. XXXX, beschlossen:
A) Der Bescheid wird gemäß § 28 Abs 3 VwGVG aufgehoben und zur
neuerlichen Entscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
1. Die männliche beschwerdeführende Partei (im Folgenden: bP) stellte am 02.10.2013 einen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 2 Abs 1 Z 13 des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005).
Mit rechtskräftigem Bescheid des Bundesasylamtes vom XXXX2013 wurde der bP der Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 zuerkannt.
Am 03.04.2015 leitete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) ein Aberkennungsverfahren ein.
Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX2015 wurde die bP zu einer Freiheitsstrafe von 12 Jahren verurteilt.
Am 26.04.2018 wurde die bP vom BFA einvernommen.
2. Das BFA hat mit dem im Spruch angeführten Bescheid vom 02.05.2018 der bP den mit Bescheid vom XXXX2013 zuerkannten Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Absatz 1 Ziffer 1 Asylgesetz 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, aberkannt und gemäß § 7 Absatz 4 AsylG festgestellt, dass ihr die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Absatz 1 Ziffer 2 AsylG der bP der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde der bP gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs 1 Z 4 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) wurde gegen die bP eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach AFGHANISTAN zulässig ist (Spruchpunkt V.) und dass gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG die Frist für ihre freiwillige Ausreise 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 53 Abs 3 Z 5 FPG wurde gegen die bP ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).
Hinsichtlich des festgestellten Sachverhaltes ist im Bescheid das Folgende angeführt:
"Zu Ihrer Person:
Ihre Identität steht fest. Sie heißen XXXX und sind am XXXX geboren.
Sie sind afghanischer Staatsangehöriger und sprechen Paschtu.
Sie stammen aus der Provinz Paktia, sind sunnitischer Moslem und gehören der Volksgruppe der Paschtunen an.
Sie leiden an keiner lebensbedrohlichen Erkrankung.
Sie haben noch verwandtschaftliche Anknüpfungspunkte in Afghanistan.
Sie wurden in Österreich straffällig.
Sie wurden wegen Mordes verurteilt.
Zu den Gründen für die Aberkennung des Status des Asylberechtigten und Ihrer Situation im Fall Ihrer Rückkehr:
Es konnte nicht festgestellt werden, dass Sie in Ihrem Herkunftsland Afghanistan einer Verfolgung ausgesetzt wären.
Es liegt in Ihrem Fall keine Gefährdungslage in Bezug auf Afghanistan vor.
In Ihrem Fall besteht zudem eine taugliche innerstaatliche Fluchtalternative. Sie können Ihren Lebensunterhalt in Kabul bestreiten.
Sie sind arbeitsfähig.
Zu Ihrem Privat- und Familienleben:
Sie leben derzeit im Gefängnis. Sie befinden sich seit XXXX2016 im Gefängnis.
Sie haben kaum Deutschkenntnisse.
Ihre Eltern und Ihr Bruder sind in Österreich asylberechtigt.
Zu den Gründen für die Erlassung des Einreiseverbots:
Sie sind straffällig geworden und wegen Mordes zu einer Freiheitsstrafe von 12 Jahren verurteilt worden."
Weiters finden sich Feststellungen zum Herkunftsstaat, welche unter Zugrundelegung von Auszügen aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017 (zuletzt aktualisiert am 30.01.2018) getroffen wurden.
Zur Beweiswürdigung ist im Wesentlichen das Folgende angeführt:
"Betreffend die Feststellungen zu Ihrer Person:
Ihre behauptete Identität, Ihren Namen und Geburtsdatum betreffend, konnte aufgrund geeigneter Dokumente (Reisepass) festgestellt werden, so heißen Sie XXXX und sind am XXXX geboren.
Die restlichen Feststellungen zu Ihrer Person konnten aufgrund Ihrer widerspruchsfreien und plausiblen Angaben getroffen werden, zumal kein Grund ersichtlich wurde, weshalb Sie in diesem Zusammenhang nicht der Wahrheit entsprechende Angaben gemacht haben sollten.
Dass Sie in Österreich strafrechtlich angefallen sind, stellt Amtswissen dar. So wurden Sie wegen Mordes verurteilt und sitzen derzeit in der Justizanstalt Ihre Haftstrafe ab. Sie wurden wegen diesem Verbrechen zu 12 Jahre Haft verurteilt.
Betreffend die Feststellungen zu den Gründen für die Aberkennung des Status des Asylberechtigten und zu Ihrer Situation im Fall Ihrer Rückkehr:
Zur Einleitung des Aberkennungsverfahrens ist die Behörde amtswegig verpflichtet, wenn ein Asylausschlussgrund vorliegt.
In Ihrem Fall liegt ein solcher Ausschlussgrund vor, da Sie am XXXX2015 wegen eines besonders schweren Verbrechens (Mord §75 StGB) rechtskräftig verurteilt worden sind.
Es ist somit für die Behörde klar erkennbar, dass stichhaltige Gründe vorliegen Sie als Gefahr für die Gemeinschaft auf Grund Ihrer strafbaren Handlungen zu erkennen.
Zu allererst musst festgehalten werden, dass Sie in der Einvernahme bezüglich des Aberkennungsverfahrens nicht wirklich mitgewirkt haben. So verweigerten Sie mehrfach Antworten, gaben nichts zu Ihrem Lebenslauf an. Auch verweigerten Sie ohne die Angabe von Gründen die Unterschrift des Einvernahmeprotokolls, was ebenso darauf schließen lässt, dass Sie einfach nicht mitwirken wollten. Wenn Sie nicht mitwirken wollen, kann auch davon ausgegangen werden, dass Sie keine Gefährdungslage in Afghanistan zu befürchten haben, denn sonst hätten Sie dies von sich aus ausführlich erzählt und auch alle weiteren Angaben gemacht.
Sie seien nur nach Österreich gereist, weil Ihr Vater hierzulande einen Status erhalten hat, gaben Sie in Ihren ersten Verfahren somit keine individuelle Gefährdungslage an. Demnach sind Sie nur aufgrund der Familieneigenschaft zu Ihrem Vater, nach Österreich gekommen, meinten bei Ihrer ersten Einvernahme sogar, dass Sie keine eigenen Fluchtgründe haben würden. Die Gründe, weswegen Ihrem Vater schlussendlich Asyl gewährt wurde, betreffen nur diesen und nicht Sie, als Familienangehörigen, zumal nur Ich Vater bedroht worden sein soll. Der damals geschilderte Vorfall, als Sie geschlagen worden seien, hatte ebenso das Ziel, Ihren Vater zu erreichen, wobei dieser nicht mehr in Ihrem Heimatland aufhältig gewesen sei. Demnach wurden Sie nicht persönlich bedroht und ergibt sich deswegen auch keine Gefährdungslage für Sie persönlich, wenn Sie in Ihr Heimatland zurückkehren würden.
Auch Ihre zweite vermeintliche Gefährdungslage, welche Sie nur kurz angesprochen haben, jedoch nicht weiter ausgeführt haben, ist nicht glaubhaft. So meinten Sie nämlich, dass Sie, die Familie des Mannes, welchen Sie in Österreich umgebracht haben, sich an Ihnen rächen könnte. Sie kennen diese Familie jedoch nicht, haben diese noch nie gesehen, wissen nicht wo diese wohnt und somit ist es auch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen, dass die Familie, Sie kennen würde. Demnach hätten Sie auch von dieser Familie nichts zu befürchten, zumal diese eben nicht wissen würde, wer Sie sind. Sie könnten demnach in Kabul Sicherheit erlangen und dort Ihren Lebensunterhalt bestreiten.
Es kann somit nicht davon ausgegangen werden, dass Sie bei einer Rückkehr eine Bedrohung zu befürchten hätten. Da Sie eben nur aufgrund der Familieneigenschaft zu Ihrem Vater Asyl bekommen haben, haben Sie keine Gefährdungslage in Afghanistan zu befürchten, außer eine solche würde sich aus Ihren persönlichen Merkmalen ableiten lassen. Hierzu gaben Sie nicht an, ist demnach nicht ersichtlich, dass Sie irgendwelche Probleme in Afghanistan zu befürchten haben. Weiters ist Ihre vage individuelle Gefährdungslage, bezüglich der Familie des von Ihnen Getöteten, nicht glaubhaft, weil diese Familie Sie eben nicht kennen würde. Demnach haben Sie auch von diesen Personen nichts zu befürchten. Sie haben somit absolut keine persönliche Gefährdungslage in Afghanistan zu befürchten.
Dass Sie den Lebensunterhalt in Kabul bestreiten können, konnte aufgrund der entsprechenden Länderfeststellungen festgestellt werden. Es besteht kein Zweifel, dass Sie als erwachsener, gesunder und arbeitsfähiger Mann im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan, in Kabul den Unterhalt für sich bestreiten könnten, umso mehr Sie die dortige Sprache sprechen und auch mit der dort ansässigen Kultur vertraut sind, was für Österreich nicht der Fall ist. Mit Sicherheit kennen Sie die afghanischen Traditionen und Gepflogenheiten und müsste es Ihnen aufgrund dessen möglich sein, in Ihre Heimat zurückzukehren, um sich dort ein neues Leben aufzubauen, zumal Sie auch noch über verwandtschaftliche Anknüpfungspunkte in Afghanistan verfügen. So würde sich ein Onkel mütterlicherseits von Ihnen, in Kabul aufhalten, welcher Sie mit Sicherheit unterstützen könnte. Es ist also nichts ersichtlich, was Sie in eine ausweglose Situation bringen würde. Sie könnten somit Ihren Lebensunterhalt in Kabul bestreiten, umso mehr Sie diese Stadt absolut sicher erreichen können würden. Selbst Ihre im Ausland aufhältige Familie könnte Sie finanziell unterstützen, umso mehr es in Afghanistan ein funktionierendes Bankwesen geben würde.
Die Feststellung Ihres Gesundheitszustandes und zu Ihrer Arbeitsfähigkeit konnte aufgrund Ihrer in diesem Zusammenhang nachvollziehbaren Angaben getroffen werden. Hier meinten Sie, dass Sie gesund seien und ebenso arbeiten gehen könnten.
Betreffend die Feststellungen zu Ihrem Privat- und Familienleben:
Ihre Aussagen zu Ihrem Privat und Familienleben in Österreich waren nachvollziehbar und deshalb als glaubhaft festzustellen.
Weiters konnte festgestellt werden, dass Sie kaum Deutsch sprechen, umso mehr Sie im Rahmen der Einvernahme nicht einmal versucht haben, eine Antwort auf Deutsch zu geben. Es kann somit davon ausgegangen werden, dass Sie kein Deutsch sprechen.
Betreffend die Feststellungen zur Lage in Ihrem Herkunftsstaat:
[...]
Betreffend die Feststellungen zu den Gründen für die Erlassung des Einreiseverbots:
Aufgrund der Aktenlage und des Gerichtsurteils konnte die Feststellung zum Einreiseverbot getroffen werden."
3. Gegen den am 08.05.2018 zugestellten Bescheid wurde von der gemäß § 52 Abs 1 BFA-VG der bP zur Seite gestellten und im Spruch genannte Rechtsberatungsorganisation (Vollmacht und Zustellvollmacht vom 22.05.2018) am 26.05.2018 beim BFA Beschwerde eingebracht.
4. Die gegenständliche Beschwerde und die bezughabenden Verwaltungsakten wurden dem BVwG am 28.05.2018 vom BFA vorgelegt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Zulässigkeit und Verfahren
Die Beschwerde wurde gemäß § 7 Abs 4 VwGVG innerhalb der gesetzlichen Frist bei der Behörde eingebracht. Anhaltspunkte für eine Unzulässigkeit der Beschwerde sind nicht hervorgekommen.
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gemäß § 28 Abs 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.
§ 28 VwGVG lautet (Auszug, Hervorhebungen durch BVwG):
"(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist."
Gemäß § 31 Abs 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.
Gemäß § 24 Abs 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG kann eine Verhandlung entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist. Im Falle der Stattgabe einer Beschwerde, anders als bei einer Abänderung, kann damit eine mündliche Verhandlung entfallen (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren 2013, § 24 VwGVG, Anm 8). Letzteres ist hier der Fall.
Zu A)
2. Gesetzliche Grundlagen und Judikatur
2.1. Wie bereits oben dargestellt, kann gemäß § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat.
2.2. Der VwGH hat dazu ua folgende einschlägige Aussagen getroffen:
Angesichts des in § 28 VwGVG 2014 insgesamt verankerten Systems stellt die nach § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG 2014 bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs 3 VwGVG 2014 verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG 2014 insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063; 10.09.2014, Ra 2014/08/0005).
2.3. Die relevanten Bestimmungen des AsylG lauten (auszugsweise):
"§ 6. (1) Ein Fremder ist von der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ausgeschlossen, wenn [...]
4. er von einem inländischen Gericht wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden ist und wegen dieses strafbaren Verhaltens eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeutet.
[...]
§ 7. (1) Der Status des Asylberechtigten ist einem Fremden von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn
1.-ein Asylausschlussgrund nach § 6 vorliegt;
[...]
§ 10. (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn
[...]
4. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt [...]"
2.4. § 9 Abs 1 bis 3 BFA-VG lauten:
"(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl I Nr 100/2005) verfügen, unzulässig wäre."
2.5. Nach der höchstgerichtlichen Judikatur erfordert die Beurteilung dieser Fragen die Feststellung der aktuellen persönlichen, sozialen und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privat- und Familienleben eines jeden Menschen konstitutiv sind (intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen das Einwanderungsrecht, Erfordernisse der öffentlichen Ordnung sowie die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand), und kommen der Frage nach dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu. Auch der zeitlichen Komponente kommt eine zentrale Rolle zu, da - abseits familiärer Umstände - eine von Art 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist (vgl VfGH 29. 09. 2007, B 1150/07; 12. 06. 2007, B 2126/06; VwGH 26. 6. 2007, 2007/01/479; 26. 1. 20006, 2002/20/0423; 17. 12. 2007, 2006/01/0216; Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention2, 194; Frank/Anerinhof/Filzwieser, Asylgesetz 20053, 282ff).
2.6. Nach § 50 Abs 1 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art 2 oder 3 der EMRK oder das Protokoll Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.
Nach § 50 Abs 2 FPG ist die Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl Nr 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl Nr 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).
Nach § 50 Abs 3 FPG ist die Abschiebung in einen Staat unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.
Für die Beurteilung eines drohenden Verstoßes gegen Art 2 oder 3 EMRK setzt die Rechtsprechung des VwGH eine Einzelfallprüfung voraus. In diesem Zusammenhang sind konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr ("real risk") insbesondere einer gegen Art 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (vgl. etwa VwGH 08.09.2016, Ra 2016/20/0063; 19.06.2017, Ra 2017/19/0095; 18.10.2017/19/0157mwN).
Grundsätzlich liegt die Beweislast für das Vorliegen eines realen Risikos in Bezug auf individuelle Gefährdungsmomente für eine Person grundsätzlich bei dieser (EGMR 23.08.2016, Nr 59166/12, J.K. u. a./Schweden, RNr 91 und 96). In diesem Zusammenhang sind aber die Schwierigkeiten, mit denen ein Asylwerber bei der Beschaffung von Beweismitteln konfrontiert ist, in Betracht zu ziehen. Bei einem entsprechend substantiierten Vorbringen des Asylwerbers, weshalb sich seine Lage von anderen Personen im Herkunftsstaat unterscheidet (vgl RNr 94), ist im Zweifel zu seinen Gunsten zu entscheiden (aaO, RNr 97).
2.7. Der mit "Einreiseverbot" betitelte § 53 FPG lautet (auszugsweise) wie folgt:
"§ 53. (1) Mit einer Rückkehrentscheidung kann vom Bundesamt mit Bescheid ein Einreiseverbot erlassen werden. Das Einreiseverbot ist die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten.
(Anm.: Abs. 1a aufgehoben durch BGBl. I Nr. 68/2013)
[...]
(3) Ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 ist für die Dauer von höchstens zehn Jahren, in den Fällen der Z 5 bis 9 auch unbefristet zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt. Als bestimmte Tatsache, die bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes neben den anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen relevant ist, hat insbesondere zu gelten, wenn
1. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten, zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist;
2. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht wegen einer innerhalb von drei Monaten nach der Einreise begangenen Vorsatztat rechtskräftig verurteilt worden ist;
3. ein Drittstaatsangehöriger wegen Zuhälterei rechtskräftig verurteilt worden ist;
4. ein Drittstaatsangehöriger wegen einer Wiederholungstat oder einer gerichtlich strafbaren Handlung im Sinne dieses Bundesgesetzes oder des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes rechtskräftig bestraft oder verurteilt worden ist;
5. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;
6. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB) oder eine Person zur Begehung einer terroristischen Straftat anleitet oder angeleitet hat (§ 278f StGB);
7. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet oder
8. ein Drittstaatsangehöriger öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt oder
9. der Drittstaatsangehörige ein Naheverhältnis zu einer extremistischen oder terroristischen Gruppierung hat und im Hinblick auf deren bestehende Strukturen oder auf zu gewärtigende Entwicklungen in deren Umfeld extremistische oder terroristische Aktivitäten derselben nicht ausgeschlossen werden können, oder auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass er durch Verbreitung in Wort, Bild oder Schrift andere Personen oder Organisationen von seiner gegen die Wertvorstellungen eines europäischen demokratischen Staates und seiner Gesellschaft gerichteten Einstellung zu überzeugen versucht oder versucht hat oder auf andere Weise eine Person oder Organisation unterstützt, die die Verbreitung solchen Gedankengutes fördert oder gutheißt.
(4) Die Frist des Einreiseverbotes beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise des Drittstaatsangehörigen.
(5) Eine gemäß Abs. 3 maßgebliche Verurteilung liegt nicht vor, wenn sie bereits getilgt ist. § 73 StGB gilt.
(6) Einer Verurteilung nach Abs. 3 Z 1, 2 und 5 ist eine von einem Gericht veranlasste Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gleichzuhalten, wenn die Tat unter Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes begangen wurde, der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht."
2.8. Nach ständiger Rechtsprechung des VwGH ist bei der Erstellung der für jedes Einreiseverbot zu treffenden Gefährdungsprognose das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl etwa VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0289, mit Verweis auf E 24.03.2015, Ra 2014/21/0049). Ebenso ist bei der Entscheidung über die Länge des Einreiseverbotes die Dauer der von der bP ausgehenden Gefährdung zu prognostizieren. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist für die Annahme eines Wegfalls der sich durch das bisherige Fehlverhalten manifestierten Gefährlichkeit in erster Linie das Verhalten in Freiheit maßgeblich. Das gilt auch im Fall einer erfolgreich absolvierten Therapie (vgl VwGH 17.11.2016, Ra 2016/21/0193, mit Verweis auf B 05.09.2016, Ra 2016/21/0262). Außerdem ist auf die privaten und familiären Interessen der bP Bedacht zu nehmen (vgl VwGH 20.12.2016, Ra 2016/21/0109).
3. Beurteilung des konkreten Sachverhaltes
3.1. Im vorliegenden Fall erweist sich der angefochtene Bescheid in Bezug auf den ermittelten Sachverhalt aus folgenden Gründen als mangelhaft:
Gemäß § 18 Abs 1 AsylG 2005 hat die Behörde in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amts wegen beizuschaffen.
Für die Anwendung des § 13 Abs. 2 zweiter Fall AsylG 1997 (entspricht § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005) müssen kumulativ vier Voraussetzungen erfüllt sein, damit ein Flüchtling trotz drohender Verfolgung in den Herkunftsstaat verbracht werden darf: Er muss erstens ein besonders schweres Verbrechen verübt haben, dafür zweitens rechtskräftig verurteilt worden und drittens gemeingefährlich sein, und schließlich müssen die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung seine Interessen am Weiterbestehen des Schutzes durch den Zufluchtsstaat überwiegen. Es genügt nicht, wenn ein abstrakt als "schwer" einzustufendes Delikt verübt worden ist. Die Tat muss sich im konkreten Einzelfall als objektiv und subjektiv besonders schwer wiegend erweisen. In gravierenden Fällen schwerer Verbrechen ist bereits ohne umfassende Prüfung der einzelnen Tatumstände eine eindeutige Wertung als schweres Verbrechen mit negativer Zukunftsprognose zulässig (vgl. VwGH 23.9.2009, 2006/01/0626 mwN; VwGH 05.04.2018, Ra 2017/19/0531).
Auch wäre gegebenenfalls, den Anforderungen der Rsp (vgl zB VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001, 23.03.2017, Ra 2017/21/0004; EGMR 13.12.2016, Paposhvilli gg Belgien, 41738/10) entsprechend, auf Grundlage aktueller Ermittlungen zu klären, ob eine Abschiebung ohne Verletzung des Art 2 und 3 EMRK (keine reale Gefahr im Hinblick auf die konkrete Situation der bP) bzw des § 11 AsylG (Zumutbarkeit der IFA) möglich ist.
Der bP wurde mit rechtskräftigem Bescheid der Status des Asylberechtigten gemäß § 34 Abs 2 AsylG aufgrund der Zuerkennung desselben Status an ihre Mutter zuerkannt. Das Vorliegen etwaiger "eigener" Asylgründe der bP wurde zum damaligen Zeitpunkt nicht geprüft.
Die bP behauptete in ihrer Einvernahme am 26.04.2018 eine Bedrohung durch die Taliban im Falle ihrer Rückkehr nach Afghanistan. Aus dem Protokoll über die am 06.11.2013 erfolgte Einvernahme der bP zu ihrem damaligen Antrag auf internationalen Schutz geht hervor, dass diese bereits damals eine Bedrohung ihrer ganzen Familie durch die Taliban behauptete. Das BFA nimmt zwar in seiner Beweiswürdigung kurz Bezug auf die Einvernahme der bP in dem Verfahren über ihren Antrag auf internationalen Schutz. Jedoch hat es nicht ermittelt, aus welchem Grund dem Vater der bP Asyl zuerkannt wurde, sowie, ob die dafür maßgeblichen Tatsachen auf eine (aktuelle) asylrelevante Verfolgung auch der bP schließen lassen.
Das BFA hat zudem jegliche Ermittlungen zur Gefahr der Blutrache durch Angehörige des von der bP ermordeten Paschtunen unterlassen, obwohl die bP in ihrer Einvernahme (Seite 4 des Protokolls) behauptet hat, man könne sich im Falle ihrer Rückkehr nach Kabul an ihr rächen. Schon aufgrund des Strafverfahrens und des betreffenden Gerichtsaktes ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Familie des Opfers die Identität des Täters kennt oder es ihr zumindest möglich ist, diese zu ermitteln. Vor diesem Hintergrund ist die Annahme des BFA, es sei "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen", dass die Familie des Opfers die bP "kennen würde", nicht nachvollziehbar (Bescheid Seite 51). Aus diesem Grund hat es auch zu der Frage, ob sich Verwandte des Opfers in Afghanistan befinden, von denen die Gefahr der Ausübung der Blutrache ausgeht, jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen.
Die Schlussfolgerung des BFA, aufgrund mangelnder Mitwirkung der bP im Verfahren könne davon ausgegangen werden, dass sie keine Gefährdungslage in Afghanistan zu befürchten habe, greift zu kurz, zumal die bP eine solche Gefährdung (nämlich durch die Taliban sowie durch die Familie des Opfers) durchaus behauptete und das BFA auf dieser Grundlage zur Vornahme diesbezüglicher Ermittlungen verpflichtet war.
Das BFA hat zwar die Tatsache der strafgerichtlichen Verurteilung der bP nach § 75 StGB festgestellt, jedoch keinerlei Feststellungen zum Tathergang getroffen. Im Verwaltungakt liegt das Straferkenntnis auch nicht ein. Eine Gefährdungsprognose ist im angefochtenen Bescheid nicht enthalten und auf Grundlage des festgestellten Sachverhalts nicht möglich. Zwar ist nach der oa Judikatur des VwGH in gravierenden Fällen schwerer Verbrechen bereits ohne umfassende Prüfung der einzelnen Tatumstände eine eindeutige Wertung als schweres Verbrechen mit negativer Zukunftsprognose zulässig. Da jegliche Feststellung zu den Umständen der Tat unterblieben ist, muss jedoch zum aktuellen Zeitpunkt dahingestellt bleiben, ob gegenständlich ein solch gravierender Fall vorliegt.
Die Ermittlungen zum Privat- und Familienleben der bP sowie zu deren Deutschkenntnissen und Integration blieben ebenso mangelhaft.
Zur Feststellung, dass die bP kaum Deutsch spreche, führt das BFA beweiswürdigend aus, die bP habe im Rahmen der Einvernahme nicht einmal versucht, eine Antwort auf Deutsch zu geben. Die bP wurde gemäß der Niederschrift über die Einvernahme, welche in Anwesenheit eines Dolmetschers stattfand, jedoch gar nicht aufgefordert, ihre Deutschkenntnisse zu demonstrieren.
Das BFA stellte fest, dass die Eltern und der Bruder der bP in Österreich asylberechtigt seien, führt jedoch im Rahmen der rechtlichen Beurteilung aus, die bP habe zwar Verwandtschaft in Österreich, sehe diese aber nur gelegentlich, zumal sie "eben im Gefängnis säße" (Seite 60 des bekämpften Bescheides). Dem ist entgegen zu halten, dass die Verbüßung einer Freiheitsstrafe naturgemäß den Kontakt des Inhaftierten zu seinen Familienangehörigen limitiert bzw erschwert. Allein aufgrund dieser Tatsache darf jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass die bP über kein berücksichtigungswürdiges Familienleben in Österreich verfügt. Dies umso weniger, als es sich bei den in Österreich aufhältigen Verwandten der bP um ihre nächsten Angehörigen (Eltern und Bruder) handelt.
Somit liegen keine hinreichenden Feststellungen zur Beurteilung des Privat- und Familienlebens iSd Art 8 EMRK vor bzw mangelt es einer ein solches verneinenden Feststellung an einer hinreichenden Begründung.
Im vorliegenden Fall treffen die oa Voraussetzungen für eine Zurückverweisung gemäß § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG zu. Die Verwaltungsbehörde hat trotz konkreter Anhaltspunkte erforderliche Ermittlungstätigkeiten unterlassen bzw bloß ansatzweise ermittelt.
Der angefochtene Bescheid erweist sich somit in Bezug auf den ermittelten Sachverhalt als mangelhaft.
Es liegt nicht im Sinne des Gesetzes, insbesondere unter Berücksichtigung des Umstandes, dass das BFA als Spezialbehörde für die Ermittlung relevanter Tatsachen zur Situation in den betreffenden Staaten samt den Quellen zuständig ist, dass eine ernsthafte Prüfung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes erst beim BVwG beginnen und zugleich enden soll.
Folgende Fragen werden anhand der durchzuführenden Ermittlungen insbesondere noch zu klären sein:
Bestünde im Falle der Rückkehr der bP nach Afghanistan die Gefahr einer Verfolgung durch die Taliban oder einer sonstigen asylrelevanten Verfolgung? Stünde der bP diesfalls eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung?
Befinden sich Verwandte des Opfers in Afghanistan, von denen die Gefahr der Ausübung der Blutrache an der bP ausgeht? Stünde der bP diesfalls (auch diesbezüglich) eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung?
Zur strafgerichtlichen Verurteilung der bP nach § 75 StGB: Welcher Tathergang wurde im strafgerichtlichen Verfahren festgestellt?
Wie hat sich die bP bisher während der Haft verhalten?
Auf welche Unterstützungsmöglichkeiten (in Österreich und Afghanistan) kann die bP nach einer Entlassung zurückgreifen?
Wie ist der Kontakt der bP zu ihren in Österreich lebenden Angehörigen beschaffen, welcher Kontakt besteht zu ihrer erweiterten Familie (Verwandten) in Afghanistan? Wie ist deren jeweilige wirtschaftliche Situation?
Welcher Art und Intensität sind die (sonstigen) sozialen Kontakte der bP in Österreich?
Welche konkreten Integrationsbemühungen hat sie seit ihrem Eintreffen in Österreich gesetzt, was davon kann bescheinigt werden (einschließlich Deutschkenntnisse)?
Wie ist der Gesundheitszustand der bP; ist sie arbeitsfähig? Hierbei wird auch zu berücksichtigen sein, dass in der Beschwerde [Seite 3] eine schwere psychische Beeinträchtigung der bP sowie deren Behandlung mit Psychopharmaka vorgebracht wird. Weiters behauptet die bP in einem der Beschwerde beiliegenden handschriftlichen Schreiben das Vorliegen einer schweren Magenerkrankung sowie Verdauungsprobleme.
Im Fall einer Erkrankung der bP: Welche medizinischen Behandlungsmöglichkeiten bestehen in Afghanistan?
Ergänzend wird auf das Gebot einer sachlichen Verfahrensführung hingewiesen (vgl insb die Äußerung des Leiters der Amtshandlung in der Niederschrift über die Einvernahme vom 26.04.2018, Seite 4 oben).
Vor dem Hintergrund verwaltungsökonomischer Überlegungen und der Effizienzkriterien des § 39 Abs 2 AVG war von der Möglichkeit des Vorgehens nach § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG Gebrauch zu machen und der angefochtene Bescheid an die belangte Behörde zur Durchführung der genannten Ermittlungen und Erlassung eines neuen Bescheides zurückzuverweisen.
Dass eine unmittelbare Beweisaufnahme durch das BVwG im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre, ist - auch angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht ersichtlich. Die Voraussetzungen des § 28 Abs 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben.
Vor dem Hintergrund verwaltungsökonomischer Überlegungen und der Effizienzkriterien des § 39 Abs 2 AVG war daher von der Möglichkeit des Vorgehens nach § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG Gebrauch zu machen und der angefochtene Bescheid an die belangte Behörde zur Durchführung der genannten Ermittlungen und Erlassung eines neuen Bescheides zurückzuverweisen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Auf die dargestellte Judikatur darf verwiesen werden.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, individuelleEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W208.2196968.1.00Zuletzt aktualisiert am
13.07.2018