TE Bvwg Beschluss 2018/7/3 G308 2172460-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 03.07.2018
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

03.07.2018

Norm

B-VG Art.133 Abs4
FPG §67
VwGVG §28 Abs3

Spruch

G308 2172460-1/5E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin MMag. Angelika PENNITZ als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX, geboren am XXXX, Staatsangehörigkeit: Kroatien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.09.2017, Zahl XXXX, betreffend Aufenthaltsverbot:

A) In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid zur Gänze aufgehoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Republik Kroatien und weist beginnend mit 01.07.1989 im Bundesgebiet sozialversicherungspflichtige Erwerbstätigkeiten sowie Zeiten des Bezuges von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung auf. Aus dem Auszug aus dem Zentralen Melderegister gehen Wohnsitzmeldungen des Beschwerdeführers im Bundesgebiet beginnend mit 03.04.2001 hervor. Zumindest seit 07.02.2006 verfügt der Beschwerdeführer über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EG" welcher ihm am 07.02.2011 mit Gültigkeit bis 06.02.2016 verlängert wurde.

1.1. Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom XXXX.2015, Zahl XXXX, rechtskräftig am XXXX.2015, wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens der versuchten absichtlich schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs. 1 StGB, des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB, des Vergehens der Sachbeschädigung nach

§ 125 StGB und der Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 und Abs. 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten, davon 12 Monate bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren nachgesehen, strafgerichtlich verurteilt sowie die Bewährungshilfe angeordnet

Der Beschwerdeführer wurde am XXXX.11.2015 bedingt aus der Strafhaft entlassen und die Bewährungshilfe mit Beschluss des Landesgerichtes XXXX vom XXXX.2017, Zahl XXXX, wieder aufgehoben.

1.2. Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom XXXX.2016, Zahl XXXX, rechtskräftig am XXXX.2016 wurde der Beschwerdeführer in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs. 1 StGB eingewiesen, da er unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes (§ 11 StGB), der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad, nämlich einer wahnhaften Störung, beruht eine Tat begangen hat, die ihm außer diesem Zustand als das Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 und Abs. 2 erster Fall StGB zuzurechnen wäre und die mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist.

2. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 12.09.2017, dem Beschwerdeführer im Stande der Anstaltsunterbringung am 20.09.2017 zugestellt, wurde über den Beschwerdeführer gemäß § 67 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.), dem Beschwerdeführer gemäß § 70 Abs. 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub nicht erteilt (Spruchpunkt II.) und einer Beschwerde gegen dieses Aufenthaltsverbot gemäß

§ 18 Abs. 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.). Begründend wurde im Wesentlichen auf die strafgerichtlichen Verurteilungen bzw. die Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher verwiesen und festgestellt, dass sich der Beschwerdeführer seit dem Jahr 2001 im Bundesgebiet aufhalte und auch hier über Wohnsitze verfügt habe. Er sei im Bundesgebiet über Jahre als Hilfsarbeiter erwerbstätig gewesen und habe ein monatliches Nettoeinkommen von EUR 780,-- erwirtschaftet. Der Beschwerdeführer sei geschieden und habe zwei Söhne, wobei er für einen sorgepflichtig sei. Er verfüge in Bosnien und Herzegowina über ein Haus im Wert von EUR 50.000,--. Es sei davon auszugehen, dass er aufgrund seiner Familienangehörigen seinen Hauptwohnsitz und Lebensmittelpunkt nach der Haftentlassung wieder in seinem Heimatland haben werde. Die Anbindungen des Beschwerdeführers in Kroatien würden damit allfällige Anknüpfungspunkte in Österreich überwiegen. Aufgrund des Hauses in Bosnien und Herzegowina sei auch von dortigen sozialen und privaten Anknüpfungspunkten auszugehen. Die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung würden die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet überwiegen. Der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet stelle eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar, die eine sofortigen Umsetzung des Aufenthaltsverbotes nötig mache, sodass dem Beschwerdeführer weder ein Durchsetzungsaufschub noch die aufschiebende Wirkung habe erteilt werden können.

3. Dagegen wurde mit dem, bei der belangten Behörde am 26.09.2017 eingelangten, Schreiben des Beschwerdeführers vom 22.09.2017 fristgerecht Beschwerde erhoben. Der Beschwerdeführer brachte darin vor, in seinem Heimatland über keinerlei Anknüpfungspunkte mehr zu verfügen und sich seit 26 Jahren in Österreich aufzuhalten, wo auch seine gesamte Familie lebe. Er habe zwei in Österreich lebende Kinder, sei psychisch krank und derzeit in einem forensischen Zentrum untergebracht. In seinem Heimatland sei die dringend benötigte medizinische Versorgung des Beschwerdeführers nicht gewährleistet, zumal der Beschwerdeführer unter Demenz leide und der Beschwerdeführer über keinerlei Familienangehörigen verfüge, der ihn dort unterstützen könnte. Er wolle weiterhin in Österreich leben und beantrage daher sinngemäß, den angefochtenen Bescheid aufzuheben.

4. Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht vom Bundesamt vorgelegt und langten dort am 05.10.2017 ein.

5. Der Beschwerdeführer wurde am 31.03.2018 unter neuerlicher Anordnung der Bewährungshilfe bedingt auf eine Probezeit von fünf Jahren aus der Anstaltsunterbringung entlassen.

6. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 23.03.2018, Zahl G308 2172460-1/3Z, wurde der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 5 und Abs. 6 BFA-VG die aufschiebende Wirkung wieder zuerkannt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

Der relevante Sachverhalt ergibt sich aus den unter Punkt I. getroffenen Ausführungen.

2. Beweiswürdigung:

Der festgestellte Sachverhalt steht aufgrund der außer Zweifel stehenden und von den Parteien nicht beanstandeten Aktenlage fest.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

3.1. Gemäß § 28 Absatz 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Absatz 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Absatz 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen, im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Ausführlich hat sich der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014,

Ro 2014/03/0063, (ebenso VwGH 27.01.2015, Ro 2014/22/0087) mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet:

Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stelle die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis stehe diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat.

Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. VwGH 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063).

Gemäß § 60 AVG sind in der Begründung eines Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Die Begründung eines Bescheides bedeutet die Bekanntgabe der Erwägungen, aus denen die Behörde zur Überzeugung gelangt ist, dass ein bestimmter Sachverhalt vorliegt und dass damit der Tatbestand einer bestimmten Rechtsnorm verwirklicht ist. Die Begründung eines Bescheides hat Klarheit über die tatsächlichen Annahmen der Behörde und ihre rechtlichen Erwägungen zu schaffen. In sachverhaltsmäßiger Hinsicht hat sie daher alle jene Feststellungen in konkretisierter Form zu enthalten, die zur Subsumierung dieses Sachverhaltes unter die von der Behörde herangezogene Norm erforderlich sind. Denn nur so ist es möglich, den Bescheid auf seine Rechtsrichtigkeit zu überprüfen (VwGH 23.11.1993, Zl. 93/04/0156; 13.10.1991, Zl. 90/09/0186; 28.07.1994, Zl. 90/07/0029).

Wie sich aus den folgenden Erwägungen ergibt, ist dies in der gegenständlichen Rechtssache vom Bundesamt jedoch in qualifizierter Weise unterlassen worden.

3.2. Das von der belangten Behörde durchgeführte Ermittlungsverfahren erweist sich in wesentlichen Punkten als mangelhaft:

3.2.1. Der mit "Unionsrechtliches Aufenthaltsrecht von EWR-Bürgern für mehr als drei Monate" betitelte § 51 NAG lautet:

"§ 51. (1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie

1. in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind;

2. für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen, oder

3. als Hauptzweck ihres Aufenthalts eine Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung bei einer öffentlichen Schule oder einer rechtlich anerkannten Privatschule oder Bildungseinrichtung absolvieren und die Voraussetzungen der Z 2 erfüllen.

(2) Die Erwerbstätigeneigenschaft als Arbeitnehmer oder Selbständiger gemäß Abs. 1 Z 1 bleibt dem EWR-Bürger, der diese Erwerbstätigkeit nicht mehr ausübt, erhalten, wenn er

1. wegen einer Krankheit oder eines Unfalls vorübergehend arbeitsunfähig ist;

2. sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach mehr als einjähriger Beschäftigung der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt;

3. sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach Ablauf seines auf weniger als ein Jahr befristeten Arbeitsvertrages oder bei im Laufe der ersten zwölf Monate eintretender unfreiwilliger Arbeitslosigkeit der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt, wobei in diesem Fall die Erwerbstätigeneigenschaft während mindestens sechs Monaten erhalten bleibt, oder

4. eine Berufsausbildung beginnt, wobei die Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft voraussetzt, dass zwischen dieser Ausbildung und der früheren beruflichen Tätigkeit ein Zusammenhang besteht, es sei denn, der Betroffene hat zuvor seinen Arbeitsplatz unfreiwillig verloren.

(3) Der EWR-Bürger hat diese Umstände, wie auch den Wegfall der in Abs. 1 Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen der Behörde unverzüglich, bekannt zu geben. Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, die näheren Bestimmungen zur Bestätigung gemäß Abs. 2 Z 2 und 3 mit Verordnung festzulegen."

Der mit "Bescheinigung des Daueraufenthalts von EWR-Bürgern" betitelte § 53a NAG lautet:

"§ 53a. (1) EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§ 51 und 52), erwerben unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen gemäß §§ 51 oder 52 nach fünf Jahren rechtmäßigem und ununterbrochenem Aufenthalt im Bundesgebiet das Recht auf Daueraufenthalt. Ihnen ist auf Antrag nach Überprüfung der Aufenthaltsdauer unverzüglich eine Bescheinigung ihres Daueraufenthaltes auszustellen.

(2) Die Kontinuität des Aufenthalts im Bundesgebiet wird nicht unterbrochen von

1. Abwesenheiten von bis zu insgesamt sechs Monaten im Jahr;

2. Abwesenheiten zur Erfüllung militärischer Pflichten oder

3. durch eine einmalige Abwesenheit von höchstens zwölf aufeinander folgenden Monaten aus wichtigen Gründen wie Schwangerschaft und Entbindung, schwerer Krankheit, eines Studiums, einer Berufsausbildung oder einer beruflichen Entsendung.

(3) Abweichend von Abs. 1 erwerben EWR-Bürger gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 vor Ablauf der Fünfjahresfrist das Recht auf Daueraufenthalt, wenn sie

1. zum Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Erwerbsleben das Regelpensionsalter erreicht haben, oder Arbeitnehmer sind, die ihre Erwerbstätigkeit im Rahmen einer Vorruhestandsregelung beenden, sofern sie diese Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet mindestens während der letzten zwölf Monate ausgeübt und sich seit mindestens drei Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben;

2. sich seit mindestens zwei Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben und ihre Erwerbstätigkeit infolge einer dauernden Arbeitsunfähigkeit aufgeben, wobei die Voraussetzung der Aufenthaltsdauer entfällt, wenn die Arbeitsunfähigkeit durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit eingetreten ist, auf Grund derer ein Anspruch auf Pension besteht, die ganz oder teilweise zu Lasten eines österreichischen Pensionsversicherungsträgers geht, oder

3. drei Jahre ununterbrochen im Bundesgebiet erwerbstätig und aufhältig waren und anschließend in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erwerbstätig sind, ihren Wohnsitz im Bundesgebiet beibehalten und in der Regel mindestens einmal in der Woche dorthin zurückkehren;

Für den Erwerb des Rechts nach den Z 1 und 2 gelten die Zeiten der Erwerbstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union als Zeiten der Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet. Zeiten gemäß § 51 Abs. 2 sind bei der Berechnung der Fristen zu berücksichtigen. Soweit der Ehegatte oder eingetragene Partner des EWR-Bürgers die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt oder diese nach Eheschließung oder Begründung der eingetragenen Partnerschaft mit dem EWR-Bürger verloren hat, entfallen die Voraussetzungen der Aufenthaltsdauer und der Dauer der Erwerbstätigkeit in Z 1 und 2.

(4) EWR-Bürger, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 sind, erwerben ebenfalls das Daueraufenthaltsrecht, wenn der zusammenführende EWR-Bürger das Daueraufenthaltsrecht gemäß Abs. 3 vorzeitig erworben hat oder vor seinem Tod erworben hatte, sofern sie bereits bei Entstehung seines Daueraufenthaltsrechtes bei dem EWR-Bürger ihren ständigen Aufenthalt hatten.

(5) Ist der EWR-Bürger gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 im Laufe seines Erwerbslebens verstorben, bevor er gemäß Abs. 3 das Recht auf Daueraufenthalt erworben hat, so erwerben seine Angehörigen, die selbst EWR-Bürger sind und die zum Zeitpunkt seines Todes bei ihm ihren ständigen Aufenthalt hatten, das Daueraufenthaltsrecht, wenn

1. sich der EWR-Bürger zum Zeitpunkt seines Todes seit mindestens zwei Jahren im Bundesgebiet ununterbrochen aufgehalten hat;

2. der EWR-Bürger infolge eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit verstorben ist, oder

3. der überlebende Ehegatte oder eingetragene Partner die österreichische Staatsangehörigkeit nach Eheschließung oder Begründung der eingetragenen Partnerschaft mit dem EWR-Bürger verloren hat."

3.2.2. Gemäß § 66 Abs. 1 FPG können EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; oder sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben; im letzteren Fall ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt."

Der mit "Aufenthaltsverbot" betitelte § 67 FPG in der geltenden Fassung des Fremdenrechts-Änderungsgesetzes 2017 (FrÄG 2017), BGBl. I. Nr. 145/2017, lautet:

"§ 67. (1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

(2) Ein Aufenthaltsverbot kann, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden.

(3) Ein Aufenthaltsverbot kann unbefristet erlassen werden, wenn insbesondere

1. der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;

2. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB);

3. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet oder

4. der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt.

(4) Bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes ist auf die für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen. Die Frist des Aufenthaltsverbotes beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise.

(Anm.: Abs. 5 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 87/2012)"

Der die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegenüber EWR-Bürger regelnde § 86 Abs. 1 FPG idF BGBl. I Nr. 100/2005, der von 01.01.2006 bis 31.12.2009 in Geltung war, lautete wie folgt:

"Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen freizügigkeitsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes ihren Hauptwohnsitz ununterbrochen seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist."

§ 86 Abs. 1 FPG idF BGBl. I Nr. 100/2005 sah zwei unterschiedliche Gefährdungsmaßstäbe - als Bezugspunkt für die für jedes Aufenthaltsverbot Voraussetzung bildende Gefahrenprognose - vor. Einerseits (nach dem ersten und zweiten Satz) die Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, wobei eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche, ein Grundinteresse der Gesellschaft berührende Gefahr auf Grund eines persönlichen Verhaltens des betreffenden Fremden vorliegen musste, und andererseits (nach dem fünften Satz) - wenn der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes seinen Hauptwohnsitz ununterbrochen seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatte - darüber hinausgehend eine nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet.

Der nunmehr in Geltung befindliche § 67 Abs. 1 FPG fünfter Satz kommt schon dann zur Anwendung, wenn der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige einen zehnjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Auch die in § 86 Abs. 1 fünfter Satz FPG noch enthaltene Wendung "vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes" findet sich in der nunmehrigen Bestimmung des § 67 Abs. 1 FPG nicht mehr, sodass eine solche Einschränkung seither nicht (mehr) Platz zu greifen hat (vgl VwGH 24.03.2015, Ro 2014/21/0079 mwN).

§ 67 Abs. 1 FrPolG 2005 idF FrÄG 2011 enthält somit zwei Stufen für die Gefährdungsprognose, nämlich einerseits (nach dem ersten und zweiten Satz) die Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, wobei eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche, ein Grundinteresse der Gesellschaft berührende Gefahr auf Grund eines persönlichen Verhaltens vorliegen muss, und andererseits (nach dem fünften Satz) die nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit der Republik Österreich im Fall von EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen mit mindestens zehnjährigem Aufenthalt im Bundesgebiet (bzw. im Fall von Minderjährigen). Es muss aber angenommen werden, dass hinsichtlich Personen, die das Daueraufenthaltsrecht erworben haben, nicht nur bei der Ausweisung, sondern (arg. a minori ad maius) auch bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes der in Art. 28 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie und § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FrPolG 2005 idF FrÄG 2011 vorgesehene Maßstab - der im abgestuften System der Gefährdungsprognosen zwischen jenen nach dem ersten und dem fünften Satz des § 67 Abs. 1 FrPolG 2005 idF FrÄG 2011 angesiedelt ist - heranzuziehen ist. Dies gebietet im Anwendungsbereich der Unionsbürgerrichtlinie eine unionsrechtskonforme Interpretation, weil das Aufenthaltsverbot eine Ausweisungsentscheidung im Sinn der Richtlinie beinhaltet.

Für Unionsbürger und ihre Familienangehörigen, die das Recht auf Daueraufenthalt genießen, bestimmt aber Art. 28 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie, dass eine Ausweisung nur aus "schwerwiegenden" Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verfügt werden darf, wobei zwar auch hier gemäß Art. 27 Abs. 2 der Richtlinie auf das persönliche Verhalten abzustellen ist, das eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen muss, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, insgesamt aber ein größeres Ausmaß an Gefährdung verlangt wird. Diese Vorgaben der Unionsbürgerrichtlinie wurden im FrPolG 2005 insofern umgesetzt, als nach dessen § 66 Abs. 1 idF FrÄG 2011 die Ausweisung von EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen, die bereits das Daueraufenthaltsrecht erworben haben, nur dann zulässig ist, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt (VwGH 13.12.2012, 2012/21/0181; 15.09.2016, Ra 2016/21/0262).

3.2.3. Vor dem Hintergrund der zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH) ist daher für die Frage des heranzuziehenden Gefährdungsmaßstabes die Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet maßgeblich. Dazu hat die belangte Behörde keine ausreichenden Feststellungen getroffen, die Ermittlungen haben sich diesbezüglich auf die Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister beschränkt.

Zwar hat die belangte Behörde festgestellt, dass sich der Beschwerdeführer seit "2001" im Bundesgebiet aufhalte (somit hätte das Bundesamt aber jedenfalls auch zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung von einem mehr als zehnjährigen Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet und damit von dem eigentlich heranzuziehenden Gefährdungsmaßstab des

§ 67 Abs. 1 5. Satz FPG ausgehen müssen), jedoch hat das Bundesamt keine näheren Feststellungen zum Zeitpunkt der Einreise, dem jeweiligen Aufenthaltsstatus, der tatsächlichen Aufenthaltsdauer sowie etwaigen Unterbrechungen getroffen. Dies obwohl vom Beschwerdeführer im Rahmen des ihm gewährten schriftlichen Parteiengehörs einerseits angeführt wurde, sich seit 26 Jahren im Bundesgebiet aufzuhalten und von ihm ein Sozialversicherungsdatenauszug vorgelegt wurde, aus welchem erhebliche Zeiten der Erwerbstätigkeit sowie des Bezuges von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung beginnend mit 01.07.1989 aufscheinen.

Gemäß ihrem Einleitungssatz bezieht sich die Bestimmung des § 9 Abs. 4 BFA-VG 2014 idF FrÄG 2015 lediglich auf Drittstaatsangehörige, also auf Fremde, die nicht EWR-Bürger oder Schweizer Bürger sind (§ 2 Abs. 1 Z 20b AsylG 2005 iVm § 2 Abs. 2 BFA-VG 2014). Demzufolge wird dann auch als einzige aufenthaltsbeendende Maßnahme, die in den Fällen der Z 1 und 2 nicht erlassen werden darf, eine Rückkehrentscheidung angesprochen. Dessen ungeachtet kann es aber zur Vermeidung von sonst nicht auflösbaren Wertungswidersprüchen nicht zweifelhaft sein, dass § 9 Abs. 4 BFA-VG 2014 über seinen Wortlaut hinaus - entsprechend modifiziert verstanden - auch jenen Personenkreis umfasst, gegen den eine Ausweisung nach § 66 FPG 2005 oder ein Aufenthaltsverbot nach § 67 FPG 2005 in Betracht käme (also EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige; vgl. VwGH vom 09.11.2011, 2011/22/0264). § 9 Abs. 4 BFA-VG 2014 normiert demnach allgemein, wann trotz einer von einem Fremden ausgehenden Gefährdung eine aufenthaltsbeendende Maßnahme keinesfalls erlassen werden darf. In der Fassung des FrÄG 2015 stellt diese Bestimmung den - vorläufigen - Schlusspunkt einer Entwicklung dar, die durch den Wechsel zwischen absolut und relativ gefassten Aufenthaltsverfestigungstatbeständen (relativ in dem Sinn, dass es ergänzend noch darauf ankommt, dass dem Fremden keine spezifische Gefährdung anzulasten ist) gekennzeichnet ist (vgl. VwGH vom 30.06.2016, Ra 2016/21/0050).

In Anbetracht des Vorbringens des Beschwerdeführers und seiner Sozialversicherungsdaten im Bundesgebiet, welche auf einen möglicherweise weitaus längeren Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet hinweisen, als die belangte Behörde angenommen hat, wäre daher zudem das Vorliegen einer allfälligen Aufenthaltsverfestigung im Sinne des § 9 Abs. 4 BFA-VG (dabei insbesondere Z 1 leg. cit.) zu prüfen gewesen.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wird daher im fortgesetzten Verfahren Ermittlungen zur konkreten Aufenthaltsdauer, dem jeweiligen Aufenthaltsstatus sowie dazu durchzuführen haben, ob dem Beschwerdeführer womöglich vor Verwirklichung des in § 9 Abs. 4 Z 1 BFA-VG normierten maßgeblichen Sachverhalts bereits die Staatsbürgerschaft nach § 10 Abs. 1 StbG in der jeweils geltenden Fassung zuerkannt hätte werden können, daher eine etwaige Aufenthaltsverfestigung sowie - im Falle deren Verneinung - das Vorliegen der Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbots nach dem Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG zu prüfen haben.

Dabei ist die belangte Behörde einerseits auf § 53a Abs. 1 und Abs. 2 NAG zu verweisen, wonach bei Personen, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt, die Kontinuität des Aufenthalts im Bundesgebiet nicht unterbrochen wird bei einer Abwesenheit bis zu insgesamt sechs Monaten im Jahr.

Weiters wird darauf hingewiesen, dass sich der VwGH mit der Frage, wann "schwerwiegende Gründe der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit" iSd Unionsbürgerrichtlinie (RL 2004/38/EG) bzw. des § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG vorliegen, unter anderem auch im Erkenntnis vom 13.12.2012, 2012/21/0181, auseinandergesetzt hat und dabei auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom 23.11.2010, Rs C-145/09 (Panagiotis Tsakouridis) verweist.

Falls nicht schon eine Aufenthaltsverfestigung des Beschwerdeführers im Sinne des § 9 Abs. 4 BFA-VG zu bejahen ist, wird das Bundesamt zur Erstellung einer Gefährdungsprognose im Sinne des § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG auch den konkreten Gesundheits- und Geisteszustand des Beschwerdeführers samt entsprechender Diagnosen unter Einholung der gerichtlichen sowie behördlichen Sachverständigengutachten (so etwa das Sachverständigengutachten der Pensionsversicherungsanstalt über die Gewährung der Invaliditätspension oder das im Rahmen des Strafverfahrens und der Einweisung des Beschwerdeführers in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher erstellte Gutachten) zu erheben haben, zumal sich der Beschwerdeführer laut dem letzten aktenkundigen Strafurteil bei Tatbegehung aufgrund seiner psychiatrischen Erkrankungen in einem die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Geisteszustand (krankhafte Wahnvorstellungen) befunden hat.

Der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers ist im konkreten Fall jedoch nicht nur für die Erstellung einer allfälligen Gefährdungsprognose von Bedeutung, sondern ist sowohl für die Beurteilung des Privat- und Familienlebens des Beschwerdeführers im Bundesgebiet als auch für die Beurteilung der Zumutbarkeit bzw. Möglichkeit einer Rückkehr nach Kroatien oder Bosnien und Herzegowina maßgeblich.

Darüber hinaus unterließ es das Bundesamt, weitere Ermittlungen hinsichtlich der konkreten familiären und sozialen aber auch finanziellen Situation des Beschwerdeführers anzustrengen und hat dem Umstand seines Privat- und Familienlebens im Bundesgebiet zu geringe bzw. überhaupt keine Bedeutung beigemessen. Insbesondere folgert das Bundesamt lediglich aus dem Umstand, dass dem Beschwerdeführer - angeblich - ein Haus im Wert von EUR 50.000,-- in Bosnien und Herzegowina gehören sollte, dass er dort auch über familiäre oder soziale Anknüpfungspunkte verfügen müsse und somit auch nach Bosnien und Herzegowina zurückkehren könnte. Dies auch, ohne weiters in Betracht zu ziehen, dass der Beschwerdeführer Staatsangehöriger Kroatiens ist. Ohne Erhebungen zu familiären und privaten Bindungen in Kroatien durchzuführen oder entsprechende Feststellungen zu treffen, folgert das Bundesamt zudem entgegen dem Vorbringen des Beschwerdeführers, dort über keine Anknüpfungspunkte mehr zu verfügen, dass die privaten und familiären Anknüpfungspunkte des Beschwerdeführers in Kroatien jene im Bundesgebiet überwiegen würden.

Im Rahmen des von der belangten Behörde dem Beschwerdeführer zugesendeten schriftlichen Parteiengehörs wurde der Beschwerdeführer nur zur Bekanntgabe persönlicher Verhältnisse und familiärer Bindungen aufgefordert. Hingegen wurde der Beschwerdeführer weder zu vorhandenen kernfamiliären Bindungen und deren konkreter und tatsächlicher Ausgestaltung befragt, noch wurden hinreichende Ermittlungsschritte in diese Richtung getätigt.

Die bloße Feststellung, dass der Beschwerdeführer geschieden ist, für einen etwa 15-jährigen Sohn sorgepflichtig ist und dass die Ex-Ehegattin und zwei Söhne des Beschwerdeführers im Bundesgebiet leben, genügt insbesondere in Bezug auf die Kinder des Beschwerdeführers (vgl. Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art 8 MRK, ÖJZ 2007/74, 860f) - zur Beurteilung des Privat- und Familienlebens iSd. Art 8 EMRK nicht, und mangelt es einer, ein solches verneinenden, Feststellung an einer hinreichenden Begründung.

Der Beschwerdeführer hat seinem Vorbringen nach zwei volljährige Söhne in Österreich. Inwiefern er für einen von diesen noch sorgepflichtig sei sollte, wurde nicht ermittelt. Vor dem Hintergrund der den strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers zugrundeliegenden Straftaten, welche sich beide im Rahmen des Familienlebens des Beschwerdeführers zu seiner geschiedenen Ehegattin und einem seiner Söhne bzw. seinem Nachbarn ereignet haben, hat das Bundesamt auch nicht festgestellt, wie sich nunmehr der Kontakt des Beschwerdeführers zu seiner Familie - insbesondere den Kindern und der Ex-Ehegattin - gestaltet und ob er von dieser in irgendeiner Art Unterstützung erfährt (oder umgekehrt). Zur Beurteilung der Ausgestaltung des konkreten Privat- und Familienlebens des Beschwerdeführers hätte es auch diesbezüglich näheren Ermittlungen bedurft.

Mit Blick auf die in Verwaltungsverfahren geltenden Grundsätze, insbesondere jenes der Offizialmaxime und der materiellen Wahrheit, (vgl. Walter/Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahren9 (2011), Rz 315ff), wonach die belangte Behörde zur amtswegigen Ermittlung des verfahrensrelevanten Sachverhaltes verpflichtet ist, wäre es der belangten Behörde mit Hinblick auf ihre mangelhaften Ermittlungen und unterlassenen Feststellungen sohin verwehrt gewesen, den gegenständlichen Sachverhalt als im Sinne eines umfassenden Ermittlungsverfahrens hinreichend geklärt anzusehen. Die belangte Behörde hätte hinreichende Feststellungen zu treffen, diese zu begründen und durch Subsumtion des erhobenen Sachverhaltes unter die einschlägigen rechtlichen Normen eine Entscheidung zu treffen und diese hinreichend und nachvollziehbar zu begründen gehabt. (vgl. VwGH 13.2.1991, 90/03/0112; 17.8.2000, 99/12/0254; 3.9.2002, 2002/09/0055: wonach rechtliche Beurteilungen auf getroffene Feststellungen zu beruhen haben.)

Da die belangte Behörde all dies jedoch unterlassen hat, erweist sich deren Entscheidung sohin als gravierend mangelhaft.

3.2.4. Aus Sicht des Gerichts verstößt das Vorgehen der belangten Behörde im konkreten Fall somit gegen die in § 37 iVm § 39 Abs. 2 AVG 2005 determinierten Ermittlungspflichten, wonach diese den maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln und festzustellen hat.

Im gegenständlichen Fall ist der angefochtene Bescheid des Bundesamtes und das diesem zugrundeliegende Verfahren aufgrund der Unterlassung der notwendigen Ermittlungen zu wesentlichen Punkten und hinreichender Begründung somit als mangelhaft zu bewerten. Weder erweist sich der Sachverhalt in Verbindung mit der Beschwerde als geklärt, noch ergibt sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspräche. Im Gegenteil ist das Verfahren vor dem Bundesamt mit den oben dargestellten Mängeln behaftet. Weitreichende Erhebungen, welche grundsätzlich von der belangten Behörde durchzuführen sind, wären demnach durch das Bundesverwaltungsgericht zu tätigen. In Anbetracht des Umfanges der noch ausstehenden Ermittlungen würde deren Nachholung durch das erkennende Gericht ein Unterlaufen der vorgesehenen Konzeption des Bundesverwaltungsgerichtes als gerichtliche Rechtsmittelinstanz bedeuten. Besondere Gesichtspunkte, die aus der Sicht des Bundesverwaltungsgerichts gegen eine Kassation des angefochtenen Bescheides sprechen würden, sind im vorliegenden Fall nicht erkennbar.

3.2.5. Der Verwaltungsgerichtshof hat zudem zum Durchsetzungsaufschub und zur aufschiebenden Wirkung ausgeführt, dass gesondert zu begründen ist, inwieweit die sofortige Ausreise des Beschwerdeführers nach § 86 Abs. 3 FPG (Dursetzungsaufschub, Rechtslage vor Inkrafttreten des FrÄG 2011) geboten sein soll. Die auf die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung Bezug nehmenden Überlegungen, die schon bei der Entscheidung über die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes anzustellen sind, vermögen die Begründung für die Versagung eines Durchsetzungsaufschubes nicht zu ersetzen. Gleiches gilt für die enthaltenen Überlegungen zum Ausschluss einer aufschiebenden Wirkung der Berufung, weil die aufschiebende Wirkung einer Berufung und die Gewährung eines einmonatigen Durchsetzungsaufschubes von ihren Zwecken und ihren Wirkungen her nicht vergleichbar sind (VwGH 21.11.2006, 2006/21/0171 mwN).

Eine derartige Begründung ist im angefochtenen Bescheid weder hinsichtlich des vorwerfbaren Verhaltens noch hinsichtlich Durchsetzungsaufschubes und der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung enthalten.

3.2.6. Zusammenfassend ist der belangten Behörde vorzuwerfen, dass sie die für die Begründung des Bescheides erforderliche Sorgfalt vermissen lässt und dieser damit nicht den Erfordernissen einer umfassenden und in sich schlüssigen Begründung einer negativen behördlichen Entscheidung entspricht (vgl. § 60 iVm. § 58 Abs. 2 AVG).

Aus den dargelegten Gründen war daher spruchgemäß der angefochtene Bescheid des Bundesamtes gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zu beheben und die gegenständliche Rechtssache an das Bundesamt als zuständige erstinstanzliche Behörde zur neuerlichen Entscheidung zurückzuverweisen. Das Bundesamt wird in dem neuerlich zu führenden Verfahren Bezug habende Ermittlungsschritte, insbesondere hinsichtlich der Aufenthaltsdauer, des Aufenthaltsstatus, des allfälligen Vorliegens einer Aufenthaltsverfestigung, seines konkreten physischen und psychischen Gesundheitszustandes und dessen Auswirkungen bzw. Behandlungsbedürftigkeit sowie zu den persönlichen und familiären Bezügen des Beschwerdeführers in Österreich, Kroatien und Bosnien und Herzegowina vorzunehmen und den dabei erhobenen Sachverhalt sowie die vorgelegten Beweismittel, allenfalls mit Setzung von weiteren, über das gewährte schriftliche Parteiengehör hinausgehenden, Ermittlungsschritten rechtlich unter die konkret anzuwendenden Normen und den richtigen Gefährdungsmaßstab zu subsumieren und zu würdigen haben.

3.3. Entfall der mündlichen Verhandlung

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Im gegenständlichen Verfahren konnte eine mündliche Verhandlung unterbleiben, da das Bundesverwaltungsgericht die Voraussetzungen des § 24 Abs. 2 Z 1 Halbsatz VwGVG als gegeben erachtet, zumal bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit der Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Schlagworte

Aufenthaltsverbot aufgehoben, Ermittlungspflicht, familiäre
Situation, Gefährdungsprognose, gesundheitliche Beeinträchtigung,
Interessenabwägung, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:G308.2172460.1.01

Zuletzt aktualisiert am

13.07.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten