Index
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);Norm
ABGB §167 Abs3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler, den Hofrat Dr. Strohmayer, die Hofrätin Dr. Julcher sowie die Hofräte Mag. Berger und Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision des J H, vertreten durch den Sachwalter Dr. Paul Delazer, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Maximilianstraße 2/1, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. September 2015, I403 2108163- 1/11E, betreffend Widerruf der Zuerkennung von Notstandshilfe und Verpflichtung zum Rückersatz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Arbeitsmarktservice Innsbruck), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Der Revisionswerber hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 553,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet wird.
Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
Gemäß § 34 Abs. 1a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
2. Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde des Revisionswerbers gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 12. März 2015, mit dem gegenüber dem Revisionswerber ausgesprochen worden war, dass der Bezug der Notstandshilfe für Mai 2010 und für Jänner bis April 2012 gemäß § 38 iVm. § 24 Abs. 2 AlVG widerrufen und der Revisionswerber zur Rückzahlung der unberechtigt empfangenen Notstandshilfe von EUR 3.178,91 gemäß § 38 iVm. § 25 Abs. 1 AlVG verpflichtet werde, als unbegründet ab.
Das Verwaltungsgericht begründete die Entscheidung im Wesentlichen damit, dass der Revisionswerber die Notstandshilfe zu Unrecht bezogen habe, weil er im Mai 2010 mehr als eine geringfügige Beschäftigung ausgeübt und daraus ein die Geringfügigkeitsgrenze des § 5 Abs. 2 ASVG übersteigendes Einkommen erzielt habe, sowie weil er von Jänner bis April 2012 in einem vollversicherungspflichtigen Dienstverhältnis gestanden sei und dafür ein über der Geringfügigkeitsgrenze liegendes Einkommen bezogen habe. Dem Sachwalter sei auf Grund der Zahlungseingänge auf dem von ihm beaufsichtigten Konto bewusst gewesen, dass der Revisionswerber in den genannten Zeiträumen ein über der Geringfügigkeitsgrenze liegendes Einkommen aus Dienstverhältnissen erzielt und daher keinen Anspruch auf Notstandshilfe habe. Der Sachwalter habe es unterlassen, die belangte Behörde über die Dienstverhältnisse bzw. die daraus bezogenen Einkünfte (rechtzeitig) in Kenntnis zu setzen. Er habe daher den unberechtigten Bezug der Notstandshilfe durch Verschweigung maßgebender Tatsachen herbeigeführt. Unter Berücksichtigung der bereits erfolgten Einbehalte ergebe sich eine noch offene Forderung von EUR 2.247,70.
Das Verwaltungsgericht sprach weiters aus, dass die Revision nicht zulässig sei.
3. Gegen dieses Erkenntnis - soweit damit der Revisionswerber zum Rückersatz der zu Unrecht empfangenen Notstandshilfe verpflichtet wurde (der Widerruf blieb unangefochten) - wendet sich die außerordentliche Revision, zu der die belangte Behörde nach Einleitung des Vorverfahrens eine Revisionsbeantwortung erstattete.
In der Revision wird ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs bzw. das Fehlen einer solchen Rechtsprechung in mehreren Punkten behauptet. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG wird dabei jedoch nicht aufgezeigt.
4.1. Der Revisionswerber macht geltend, es fehle Rechtsprechung zu der Frage, ob ein Sachwalter das Eingehen von Geldbeträgen auf dem Sachwalterkonto von einem möglichen Arbeitgeber dem Arbeitsmarktservice auch dann zu melden habe, wenn er - wie hier - keinen Dienstvertrag abgeschlossen oder genehmigt habe und somit kein Dienstverhältnis im Rechtssinn, das nach § 12 Abs. 3 AlVG der Behörde anzuzeigen wäre, vorliege.
4.2. Der aufgeworfenen Rechtsfrage kommt schon deshalb keine Bedeutung zu, weil - wie in der Folge zu zeigen sein wird - der Revisionswerber zu Unrecht davon ausgeht, dass keine wirksamen Dienstverhältnisse vorgelegen seien.
Für den Revisionswerber ist ein Sachwalter bestellt, der mit der Besorgung eines Kreises von Angelegenheiten - unter anderem der Vertretung gegenüber privaten Vertragspartnern sowie der Einkommens- und Vermögensverwaltung - betraut ist. Da der Revisionswerber nicht vollkommen handlungsunfähig, sondern nur beschränkt geschäftsfähig ist, sind die von ihm allein im Wirkungsbereich des Sachwalters abgeschlossenen Dienstverträge nicht absolut nichtig, sondern bis zur Genehmigung durch den Sachwalter schwebend unwirksam (vgl. §§ 865 Satz 2, 280 ABGB; OGH RIS-Justiz RS0014653, RS0049099, RS0049181; 10.5.1994, 4 Ob 525/94 = SZ 67/86).
Die nachträgliche Genehmigung durch den Sachwalter kann als einseitige Willenserklärung ausdrücklich oder stillschweigend dem Vertragspartner oder auch der behinderten Person gegenüber erfolgen; so ist etwa eine schlüssige Genehmigung eines von der behinderten Person abgeschlossenen Mietvertrags durch den Sachwalter darin zu erblicken, dass dieser die daraus erfließenden Einkünfte der behinderten Person zur Verfügung stellt (vgl. OGH RIS-Justiz RS0049010; 24.4.2001, 1 Ob 62/01a). Vorliegend musste dem Sachwalter nach den getroffenen Feststellungen auf Grund der Lohneingänge auf dem von ihm beaufsichtigten Konto bewusst sein, dass der Revisionswerber in den relevanten Zeiträumen in Beschäftigungsverhältnissen stand. Indem der Sachwalter ohne Widerspruch über die erzielten Lohneingänge für Zwecke des Revisionswerbers (etwa Unterhaltszahlungen für ein Kind) verfügte, hat er die vom Revisionswerber allein abgeschlossenen schwebend unwirksamen Dienstverträge nachträglich konkludent genehmigt (wie der Sachwalter letztlich auch bei seiner Einvernahme am 9. April 2014 einräumte).
Das wirksame Zustandekommen der Dienstverträge war von keiner gerichtlichen Genehmigung abhängig, ist doch eine solche nur in wichtigen die Person des Pflegebefohlenen betreffenden Angelegenheiten vonnöten (vgl. § 275 Abs. 2 sowie zur Unterscheidung von ordentlichem und außerordentlichem Wirtschaftsbetrieb § 167 Abs. 3 ABGB, der auch für die Rechte und Pflichten eines Sachwalters gilt (RIS-Justiz RS0048207)). Ob ein Geschäft zum ordentlichen Wirtschaftsbetrieb gehört oder nicht (und damit einer gerichtlichen Genehmigung bedarf), hängt stets von den Umständen des Einzelfalls ab; maßgebende Kriterien sind das wirtschaftliche Risiko, die Üblichkeit, die Vorläufigkeit oder Endgültigkeit einer Maßnahme sowie deren Dauer (vgl. OGH RIS-Justiz RS0048151 (T6), RS0048207 (T17, T18); 28.4.2015, 5 Ob 175/14t). Vorliegend kann der Abschluss der betreffenden Dienstverträge dem ordentlichen Wirtschaftsbereich zugerechnet werden, zumal mit dem Eingehen der Beschäftigungsverhältnisse ein zu berücksichtigendes wirtschaftliches Risiko nicht verbunden war, eine weitergehende Bindung nicht vorlag (wie die tatsächlich kurze Dauer der betreffenden Dienstverhältnisse zeigt) und die Aufnahme von Beschäftigungsverhältnissen (zur Verrichtung von Hilfsdiensten) auch für eine behinderte Person nicht als unüblich bzw. ungewöhnlich zu erachten ist. Folglich handelte es sich fallbezogen nicht um Geschäfte von größerer Wichtigkeit außerhalb des ordentlichen Wirtschaftsbereichs, sodass eine sachwalterschaftsgerichtliche Genehmigung nicht erforderlich war.
4.3. Davon ausgehend ist jedoch - wie das Verwaltungsgericht ohne Rechtsirrtum erkannte - vom Vorliegen wirksamer Dienstverträge auszugehen, die gegenüber der belangten Behörde im Sinn des § 25 Abs. 1 AlVG durch Unterlassung der nach § 50 Abs. 1 AlVG gebotenen Meldungen verschwiegen wurden, was zur Rückforderung der Notstandshilfe führt (vgl. etwa VwGH 21.12.2005, 2005/08/0100).
5.1. Der Revisionswerber macht geltend, das angefochtene Erkenntnis sei in sich widersprüchlich, da im Spruch die Pflicht zur Rückzahlung von EUR 3.178,91 ausgesprochen werde, in der Begründung hingegen festgehalten sei, dass bereits ein Teilbetrag von EUR 931,21 einbehalten worden sei und daher nur die Differenz von EUR 2.247,70 zurückzuzahlen sei.
5.2. Dem ist - im Hinblick auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu den §§ 24 Abs. 2, 25 Abs. 1 AlVG (vgl. VwGH 16.11.2011, 2008/08/0102; 23.5.2012, 2011/08/0008) - zu entgegnen, dass der Widerruf der Leistung jenen Betrag zu umfassen hat, der sich aus der Differenz zwischen der Summe der ursprünglich zuerkannten und an die Partei gezahlten Geldleistung einerseits und der Summe der entsprechend berichtigten Leistung andererseits für den Zeitraum, für den der Widerruf ausgesprochen wurde, ergibt. Ob und in welchem Ausmaß der Rückforderungsanspruch - gegebenenfalls durch teilweisen Einbehalt von Leistungen - tatsächlich bereits berichtigt und dadurch verringert wurde, ist indessen eine Frage der Abrechnung, die in den Spruch aufgenommen werden kann, aber nicht aufgenommen werden muss. Anderes würde gelten, wenn ein Abrechnungsbescheid über die nach Aufrechnungen, Einbehalten bzw. Zahlungen zu einem bestimmten Zeitpunkt tatsächlich noch aushaftende Summe ausdrücklich verlangt wird, was hier allerdings nicht der Fall ist.
6.1. Der Revisionswerber moniert, die Rückforderung der Notstandshilfe für Mai 2010 sei im Hinblick darauf, dass das Verwaltungsgericht erst am 28. September 2015 entschieden habe, nach § 25 Abs. 6 AlVG (aF) bereits verjährt.
6.2. Gemäß § 25 Abs. 6 AlVG - in der Fassung vor dem Sozialversicherungs-Änderungsgesetz 2017 (BGBl. I Nr. 38/2017), welche auf Grund der vom Verwaltungsgerichtshof vorzunehmenden Prüfung des angefochtenen Erkenntnisses des Verwaltungsgerichts nach der im Zeitpunkt seiner Erlassung maßgeblichen Sach- und Rechtslage (vgl. VwGH 11.11.2016, Ro 2016/12/0010) hier anzuwenden ist - ist (unter anderem) eine Verpflichtung zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen für Zeiträume unzulässig, die länger als fünf Jahre, gerechnet ab der Kenntnis des maßgeblichen Sachverhalts durch die regionale Geschäftsstelle, zurückliegen.
Gegenständlich hat die belangte Behörde bereits mit Bescheid vom 12. März 2015 den Widerruf der Zuerkennung der Notstandshilfe sowie die Verpflichtung zum Rückersatz für die betreffenden Zeiträume (Mai 2010 sowie Jänner bis April 2012) ausgesprochen. Schon im Hinblick darauf wurde aber - unabhängig vom maßgeblichen Zeitpunkt der Kenntnis der Behörde (vgl. VwGH 28.3.2012, 2009/08/0082) - der Zeitraum von fünf Jahren keinesfalls überschritten. Der erhobene Verjährungseinwand ist daher nicht begründet.
7.1. Der Revisionswerber bemängelt, dem Sachwalter sei bei einer Vorsprache beim Verwaltungsgericht im Rahmen des Parteienverkehrs die Akteneinsicht unter Hinweis auf eine damals stattgefundene "Besprechung" verweigert worden, und er sei um die vorherige Vereinbarung eines Termins zur Vornahme der Akteneinsicht ersucht worden. Der Revisionswerber rügt weiters, seine Ladung zur mündlichen Verhandlung sei nicht im Wege des Sachwalters zugestellt worden und daher nicht wirksam erfolgt; der Sachwalter habe deshalb auf eine kurz vor der Verhandlung ergangene Mitteilung des Dienstgebers über die Unabkömmlichkeit des Revisionswerbers bei der Arbeit nicht mehr reagieren und dessen persönliche Teilnahme nicht erwirken können. Der Revisionswerber moniert ferner, auf Grund der Einlasskontrollen beim Verwaltungsgericht und der Pflicht zum Vorzeigen eines Ausweises bzw. der namentlichen Erfassung der Besucher werde die Volksöffentlichkeit der Verhandlung auf inakzeptable Weise eingeschränkt.
7.2. Bei einer behaupteten Mangelhaftigkeit des Verfahrens setzt die Zulässigkeit der Revision neben einem eine grundsätzliche Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufwerfenden Verfahrensmangel voraus, dass die Revision auch von der Lösung der geltend gemachten Rechtsfrage abhängt. Davon kann freilich nur dann ausgegangen werden, wenn auch die Relevanz des Mangels für den Verfahrensausgang - im Sinn seiner Eignung, bei einem mängelfreien Verfahren zu einer anderen für den Revisionswerber günstigeren Sachverhaltsgrundlage zu führen - konkret dargetan wird (vgl. VwGH 16.8.2016, Ra 2015/08/0074).
Eine - wie hier - nicht weiter konkretisierte und substanziierte Behauptung von Verfahrensmängeln reicht indessen nicht aus, um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufzuzeigen, von deren Lösung das rechtliche Schicksal der Revision abhängt (vgl. VwGH 27.4.2017, Ra 2016/22/0119). Der Revisionswerber legt insbesondere nicht dar, inwiefern das Verwaltungsgericht bei Vermeidung jener Umstände, in denen er eine Mangelhaftigkeit erblicken will, etwa durch ein weitergehendes Vorbringen und zusätzliche Beweisaufnahmen, zu einem für ihn günstigeren Verfahrensergebnis gelangt wäre.
8. Insgesamt wird daher in der Revision keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war deshalb zurückzuweisen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG, insbesondere auf § 51 VwGG, in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 20. Juni 2018
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2015080153.L00Im RIS seit
13.07.2018Zuletzt aktualisiert am
29.11.2018