TE OGH 2018/5/29 1Ob14/18t

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Veröffentlicht am 29.05.2018
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. E. Solé, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. M***** B*****, und 2. H***** B*****, beide *****, beide vertreten durch die Gheneff - Rami - Sommer Rechtsanwälte OG, Klagenfurt am Wörthersee, gegen die beklagte Partei Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen 127.530 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 19. Dezember 2017, GZ 14 R 83/17d-16, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 3. April 2017, GZ 31 Cg 23/16d-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Bei der Auslegung von nicht in die Kompetenz der ordentlichen Gerichte fallenden Rechtsmaterien kommt dem Obersten Gerichtshof zum einen keine Leitfunktion zu (RIS-Justiz RS0116438; vgl RS0123321); zum anderen ist die Prüfung der Vertretbarkeit einer Rechtsauffassung als Verschuldenselement – ebenso wie die Beurteilung, ob ein offenkundiger Verstoß gegen das Unionsrecht vorliegt – ganz von den Umständen des Einzelfalls abhängig und entzieht sich deshalb regelmäßig einer Beurteilung als erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO (1 Ob 43/17f mwN; RIS-Justiz RS0110837). Der Umstand, dass weitere Gerichtsverfahren zu derselben Rechtsfrage anhängig sind, bewirkt ebenfalls noch nicht ihre Erheblichkeit im Sinn der genannten Bestimmung (9 ObA 49/14t = RIS-Justiz RS0042816 [T5]).

2.1. Ein Amtshaftungsanspruch kann dadurch entstehen, dass ein inländisches Organ unmittelbar anzuwendendes Unionsrecht vorwerfbar nicht oder nicht richtig anwendet, etwa weil es die ständige Rechtsprechung des EuGH missachtet (RIS-Justiz RS0114183). Ganz allgemein begründet nur eine unvertretbare Rechtsanwendung Amtshaftungsansprüche (RIS-Justiz RS0049912; RS0049955; RS0049969; RS0050216). Das gilt auch für Ansprüche aufgrund einer falschen Rechtsbelehrung (RIS-Justiz RS0049814). Sind gesetzliche Bestimmungen nicht vollkommen eindeutig, enthalten sie Unklarheiten über die Tragweite des Wortlauts und steht zudem eine höchstrichterliche Rechtsprechung als Entscheidungshilfe nicht zur Verfügung, kommt es darauf an, ob bei pflichtgemäßer Überlegung das Handeln als vertretbar bezeichnet werden kann. Unvertretbarkeit der Rechtsansicht und damit ein Verschulden des Organs wird demnach angenommen, wenn die Entscheidung oder Verhaltensweise des Organs von einer klaren Rechtslage oder einer ständigen Rechtsprechung ohne sorgfältige Überlegung der Gründe abweicht (RIS-Justiz RS0049951 [T4]).

2.2. Der für eine Staatshaftung der Mitgliedstaaten bei Verletzung des Unionsrechts erforderliche hinreichend qualifizierte Verstoß gegen das Unionsrecht setzt nach der Rechtsprechung des EuGH (Urteil Fuß, C-429/09, ECLI:EU:C:2010:717, Rn 51 f mwN) voraus, dass der Mitgliedstaat die Grenzen, die seinem Ermessen gesetzt sind, offenkundig und erheblich überschritten hat, wobei zu den insoweit zu berücksichtigenden Gesichtspunkten insbesondere das Maß an Klarheit und Genauigkeit der verletzten Vorschrift sowie der Umfang des Ermessensspielraums gehören, den die verletzte Vorschrift den nationalen Behörden belässt. Ein Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht ist jedenfalls dann hinreichend qualifiziert, wenn die einschlägige Rechtsprechung des EuGH vorwerfbar verkannt wurde (RIS-Justiz RS0114183 [T3]; zuletzt 1 Ob 43/17f). Die von diesem Gerichtshof zur Haftung eines Mitgliedstaats für Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht entwickelten Grundsätze gelten für alle Staatsgewalten unabhängig davon, welches mitgliedstaatliche Organ durch sein Verhalten oder Unterlassen den Verstoß begangen hat (Urteil Köbler, C-224/01, ECLI:EU:C:2003:513, Rn 31). Damit kommt es nicht darauf an, ob der den Schaden verursachende Verstoß den Gesetzgeber, den Gerichten oder der Verwaltung anzulasten ist. Nach der Rechtsprechung des EuGH kommt es nicht auf die Prüfung der Richtigkeit einer Entscheidung an, sondern auf die Offenkundigkeit des Verstoßes (C-224/01, Rn 53, 56; C-429/09, Rn 51 f; 1 Ob 43/17f mwN).

3. Die klagenden Landwirte stützen ihre Ansprüche gegen den Bund zusammengefasst darauf, dass die Agrarmarkt Austria (AMA) als dessen Organ entgeltliche Übertragungen der Milchquote zwischen Erzeugerbetrieben hätte unterbinden müssen.

Das Berufungsgericht entschied in vertretbarer Weise, weder im Unionsrecht noch im nationalen Recht finde sich ein Hinweis darauf, dass die Zahlung von Entgelt an den Abgeber für seine Zustimmung zur Übertragung einer Milchquote unzulässig sei. Auch aus dem Normzweck könne ein Verbot entgeltlicher Weitergabe von Milchquoten nicht abgeleitet werden. Der EuGH (Urteil Demand, C-186/96, ECLI:EU:C:1998:609, Rn 17, 35: Zahlung von Entgelt an die Behörde für die Zuteilung einer „frei gewordenen“ Milchquote) billige die entgeltliche Übertragung von Milchquoten. Dessen von den Klägern herangezogene Urteil C-416/01 (ACOR, ECLI:EU:C:2003:631) betreffe die Übertragung von Quoten im Zuckersektor und sei mit dem Milchquotenerwerb durch die Kläger nicht zu vergleichen. Der EuGH habe in dieser Entscheidung ausdrücklich offen gelassen, ob die in diesem Urteil angestellten Betrachtungen zur grundsätzlichen Unentgeltlichkeit der Quote überhaupt auf den Milchmarkt übertragbar seien (Rn 60 [und 61]).

Die Kläger vermögen keine nationale oder unionsrechtliche Rechtsvorschrift anzuführen, die einen eindeutigen Hinweis auf die Unzulässigkeit der entgeltlichen Übertragung von Milchquoten ergäbe. Art 8 der Verordnung (EWG) Nr 3950/92 des Rates vom 28. 12. 1992 über die Erhebung einer Zusatzabgabe im Milchsektor ermöglichte in Abweichung vom Prinzip der Betriebsbezogenheit der Milchquote eine Flexibilisierung bei der Übertragung der Quoten. Diese Bestimmung sah ausdrücklich die Möglichkeit vor, dass ein Milcherzeuger seine Referenzmengen gegen Vergütung aufgibt und sie sich ein anderer gegen Entgelt zuteilen lässt. Das gilt auch für Art 18 der Verordnung (EG) Nr 1788/2003 des Rates vom 29. 9. 2003 über die Erhebung einer Abgabe im Milchsektor und für Art 75 der Verordnung (EG) Nr 1234/2007 des Rates vom 22. 10. 2007 über eine gemeinsame Organisation der Agrarmärkte und mit Sondervorschriften für bestimmte landwirtschaftliche Erzeugnisse (Verordnung über die einheitliche GMO). Erwägungsgrund 20 der Verordnung (EG) Nr 1788/2003 erwähnt sogar die Übertragung durch individuelle Transaktion zwischen den Erzeugern, zu denen die Verordnung Alternativen schaffen will.

4. Die von den Klägern angeregte Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH zur Abklärung, ob die Grundsätze des Regimes der Zuckerquote nach der Entscheidung ACOR auch auf das Regime der Milchquote zu übertragen seien, ist weder für die Entscheidung über den auf Amtshaftung noch über den auf Staatshaftung gestützten Anspruch erforderlich. Nach der Rechtsprechung des EuGH kommt es – wie dargelegt – auch bei einem Staatshaftungsanspruch nicht auf die Richtigkeit der Entscheidung an, sondern auf die Offenkundigkeit des Verstoßes, den aber die Kläger nicht aufzuzeigen vermögen.

5. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

Textnummer

E121989

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:0010OB00014.18T.0529.000

Im RIS seit

13.07.2018

Zuletzt aktualisiert am

13.07.2018
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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