Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.-Prof. Dr. Brenn, Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S***** O*****, vertreten durch Dr. Bernhard Fink und andere Rechtsanwälte in Klagenfurt am Wörthersee, gegen die beklagten Parteien 1. M***** GmbH & Co KG, 2. M***** GmbH, beide *****, vertreten durch Dr. Hans Herwig Toriser, Rechtsanwalt in Klagenfurt am Wörthersee, wegen 11.726,64 EUR sA und Feststellung (Streitwert 5.000 EUR), über die Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 21. März 2018, GZ 4 R 208/17s-60, womit das Zwischenurteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 31. Oktober 2017, GZ 48 Cg 6/15w-55, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die Beklagten sind zur ungeteilten Hand schuldig, der Klägerin die mit 1.292,69 EUR (darin 215,45 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Die Klägerin ließ sich im Studio der Beklagten eine Tätowierung stechen. Davor füllte sie ein Einwilligungsformblatt aus, in dem ua bekannte Allergien abgefragt wurden. Die von der Klägerin bekannt gegebenen Allergien beurteilte der Tätowierer der Beklagten als nicht kontraindikativ. Vor der Tätowierung wurde die Klägerin nicht über allfällige Risiken aufgeklärt, insbesondere nicht darüber, dass es zu allergischen und entzündlichen Hautreaktionen kommen könne. Wäre sie aufgeklärt worden, hätte sie eine Probestechung durchführen lassen und sich schlussendlich gegen die Tätowierung entschieden. In weiterer Folge kam es bei der Klägerin zu solchen Hautreaktionen, die ärztlich bzw chirurgisch versorgt werden mussten.
Die Klägerin begehrt – soweit in dritter Instanz relevant – Schadenersatz wegen fehlerhafter Aufklärung über die Risiken einer Tätowierung.
Die Vorinstanzen gaben der Klage mit Zwischenurteil dem Grunde nach statt. § 2 Abs 2 der Verordnung über Ausübungsregeln für das Piercen und Tätowieren durch Kosmetik-(Schönheitspflege)-Gewerbetreibende (BGBl II Nr 141/2003) verpflichte den Tätowierer, den Kunden vor Erteilung dessen Einwilligung über die Risiken einer Tätowierung aufzuklären. Diese Aufklärung habe nach Abs 3 leg cit insbesondere auch die Möglichkeit allergischer oder entzündlicher Reaktionen zu umfassen. Da der Mitarbeiter der Beklagten dies unterlassen habe, hafteten sie für den Schaden der Klägerin analog der Rechtsprechung zu fehlerhaften Einwilligungen in Arzthaftungsfällen.
Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision mangels höchstgerichtlicher Judikatur zur Frage zu, ob die zur Arzthaftung entwickelten Grundsätze der Rechtsprechung betreffend die Aufklärungsverpflichtung vor Eingriffen in die körperliche Integrität analog auf den Berufsstand des Tätowierers anzuwenden seien.
Die dagegen erhobene Revision der Beklagten ist ungeachtet des – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Zulassungsausspruchs des Berufungsgerichts nicht zulässig.
Rechtliche Beurteilung
1. § 2 der von den Vorinstanzen angewendeten VO BGBl II Nr 141/2003 lautet:
§ 2. (1) Das Piercen und Tätowieren bedürfen der rechtswirksamen schriftlichen Einwilligung der zu piercenden oder der zu tätowierenden Person.
[...]
(2) Vor Einholung der schriftlichen Einwilligung gemäß Abs. 1 sind die zu piercende Person, [...], oder die zu tätowierende Person über die mit dem Piercen und Tätowieren verbundenen Risken aufzuklären. Eine schriftliche Bestätigung über die erfolgte Aufklärung hat zu erfolgen. Im Falle von Komplikationen nach dem erfolgten Pierc- bzw. Tätowiervorgang ist dem Betroffenen das Aufsuchen eines Arztes anzuraten.
(3) Eine Aufklärung hat insbesondere über die erforderliche Nachbehandlung der gepiercten bzw. tätowierten Körperregion, mögliche unerwünschte Reaktionen nach Vornahme des Piercings oder der Tätowierung wie allergische und entzündliche Reaktionen sowie die Möglichkeit zur Entfernung des Piercings und der Tätowierung sowie der damit verbundenen Gefahren zu erfolgen.
2. Ungeachtet dessen, ob Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einer konkreten Fallgestaltung besteht, liegt schon dann keine erhebliche Rechtsfrage vor, wenn das Gesetz selbst eine klare, das heißt eindeutige Regelung trifft (RIS-Justiz RS0042656, RS0107348). Bereits § 2 VO BGBl II Nr 141/2003 stützt die von den Vorinstanzen bejahte Verpflichtung des Tätowierers, die zu tätowierende Person zu allergischen und entzündlichen Hautreaktionen aufzuklären.
3.1 Davon abgesehen wurde vom Obersten Gerichtshof bereits klargestellt, dass es sich bei einer Tätowierung um einen Eingriff in die körperliche Integrität einer Person handelt, die ohne vorausgegangene ausreichende Erklärung der Person rechtswidrig ist und zu Schadenersatz berechtigt (2 Ob 89/99y [Tätowierung im Lippenbereich]). Nach gesicherter Rechtsprechung ist eine Einwilligung nur dann ausreichend, wenn der Erklärende in der Lage ist, die Risiken und die Tragweite des Eingriffs ausreichend zu überblicken, weshalb ein Eingriff ohne ausreichende Aufklärung rechtswidrig ist (RIS-Justiz RS0026473). Diese Grundsätze gelten allgemein und nicht nur für ärztliche Eingriffe (RIS-Justiz RS0026511 [insb T2, T3, T4]: „auch bei ärztlichen Eingriffen“).
3.2 Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass auch eine Tätowierung als Beeinträchtigung der körperlichen Integrität eine Einwilligung nach ausreichender Aufklärung voraussetzt, hält sich im Rahmen der Judikatur und bedarf auch deshalb keiner Korrektur durch gegenteilige Sachentscheidung.
4. Der Umfang der Aufklärungspflicht bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls und wirft – von krassen Fehlentscheidungen abgesehen – keine erhebliche Rechtsfrage auf (RIS-Justiz RS0026529). Nach gesicherter Rechtsprechung ist eine Aufklärung jedenfalls über typische Risiken des Eingriffs geboten (RIS-Justiz RS0026340 [T12], RS0026581). Die Vorinstanzen haben aufgrund der Feststellung, wonach es sich bei der allergischen Reaktion der Klägerin wegen des Einsatzes der roten Tinte um ein typisches Risiko (arg „nicht ungewöhnlich“) gehandelt hat, eine entsprechende Aufklärungspflicht jedenfalls vertretbar bejaht.
5. Auch die vom Berufungsgericht vertretene Rechtsansicht, dass ein Tätowierer als Sachverständiger im Sinne der Norm des § 1299 ABGB, die für alle Berufe gilt, die eine besondere Sachkenntnis erfordern (RIS-Justiz RS0026514), für die typischen Fähigkeiten seines Berufungsstandes haftet und daher auch in der Lage sein muss, im Einklang mit den für ihn maßgeblichen öffentlich-rechtlichen Bestimmungen über ein typisches (gesundheitliches) Risiko aufzuklären, deckt sich mit der Judikatur (vgl RIS-Justiz RS0023511 [T7]; 1 Ob 600/93; 2 Ob 81/00a) und ist nicht korrekturbedürftig.
6. Das behauptete Abweichen der Vorinstanzen von einer Entscheidung des Landgerichts Coburg kann die Zulässigkeit des Rechtsmittels schon deshalb nicht stützen, weil nach § 502 Abs 1 ZPO auf die Judikatur des Obersten Gerichtshofs abzustellen ist.
7. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat in der Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.
Textnummer
E122004European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:0040OB00115.18T.0611.000Im RIS seit
13.07.2018Zuletzt aktualisiert am
13.05.2019