Entscheidungsdatum
28.06.2018Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W182 2190966-1/10E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. PFEILER über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Volksrepublik China, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung, Diakonie - Flüchtlingshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.02.2018, Zl. 1164950002/170973278, nach einer mündlichen Verhandlung nach § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBI. I. Nr 33/2013 idgF, zu Recht erkannt:
A)
I. Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, und §§ 52 Abs. 2 Z 2 und Abs.9, 46 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, als unbegründet abgewiesen.
II. Gemäß § 55 Abs. 2 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.
III. Im Übrigen wird der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt VIII. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und der Spruchpunkt gemäß § 53 FPG ersatzlos behoben.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz
(B-VG), BGBl. I Nr. 1/1930 idgF, nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1.1. Die Beschwerdeführerin (im Folgenden: BF) ist Staatsangehörige der Volksrepublik China, gehört der mandschurischen Volksgruppe an, ist ohne religiöses Bekenntnis, reiste im Juni 2016 illegal ins Bundesgebiet ein und stellte am 21.08.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz.
In einer Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 22.08.2017 brachte die BF zu ihren Fluchtgründen im Wesentlichen vor, dass sie nicht nach China zurückkehren wolle, weil ihr geschiedener Mann sie schon oft verletzt habe und sie töten wolle. Bei ihrer Einvernahme beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt) am 14.02.2018 gab sie zunächst lediglich an, in Österreich bleiben und leben zu wollen; sie wolle keine finanzielle Belastung sein und selbst arbeiten. Im Fall der Rückkehr nach China befürchte sie, dass ihr Exmann sie töten wolle. Sie habe von Landsleuten etwa im Oktober 2017 gehört, dass dieser auch ihre Schwester bedroht und auf deren Wohnungstür mit einer Axt eingeschlagen habe. Ihre ältere Schwester habe nämlich die Tochter der BF quasi adoptiert. Die BF wage nicht, ihre Schwester zu kontaktieren, da sonst ihr Exmann kommen und Probleme machen würde. Sie habe in China zwei bzw. sechs Jahre die Grundschule besucht und sei danach etwa 10 Jahre als ausgebildete Köchin erwerbstätig gewesen. In China lebe noch ihre etwa 10-jährige Tochter, für welche ihr (geschiedener) Ehegatte das Sorgerecht habe. Dazu gab sie weiter ausdrücklich an, dass sie nicht standesamtlich verheiratet gewesen seien und es weder eine Ehe- noch eine Scheidungsurkunde gebe. Die BF stamme aus der Provinz XXXX und habe vor ihrer Ausreise in Shanghai und in XXXX gewohnt. Ihr Exmann könne sie überall in China finden. Ihr Exmann sei ein "Vandale" und habe auch Kollegen, welche sie ausfindig machen könnten; er habe sie auch in Schanghai gefunden und sie dort oft aufgesucht. Sie habe ihn damals schon bei der Polizei angezeigt; die Polizei nehme diese Sache nicht auf. Ihre Schwester sei als Putzfrau für öffentliche Einrichtungen tätig. Vor der Antragstellung sei sie schwarz als Hilfsköchin in chinesischen Restaurants ohne Ruhetag beschäftigt gewesen und habe in einer Wohngemeinschaft mit Landsleuten gewohnt. Sie habe den vorliegenden Asylantrag gestellt, um ihren Aufenthalt im Bundesgebiet zu legitimieren. Sie sei aktuell in Österreich als Prostituierte erwerbstätig.
Die BF konnte keine Personaldokumente aus China vorlegen.
1.2. Mit dem nunmehr angefochtenen, oben angeführten Bescheid des Bundesamtes wurde der Antrag auf internationalen Schutz der BF gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat VR China (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG 2005 wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.), wobei gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt wurde, dass die Abschiebung der BF gemäß § 46 FPG in die VR China zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde ausgeführt, dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise der BF bestehe (Spruchpunkt VI.). Einer Beschwerde wurde gemäß § 18 Abs. 1 Z 2 und 4 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VII.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG wurde gegen die BF ein auf die Dauer von 5 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VIII.) Das Bundesamt ging von der Unglaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens aus und begründete dies im Wesentlichen mit widersprüchlichen, in sich nicht schlüssigen Angaben sowie im Kern vagen und unkonkreten Aussagen der BF. Diese Einschätzung würde auch durch den späten Zeitpunkt ihrer Antragstellung noch weiter untermauert werden. Im Übrigen wurde ihre Fluchtvorbringen als nicht asylrelevant erachtet, weil sie die Hilfe der grundsätzlich schutzfähigen bzw -willigen Behörden im Herkunftsstaat in Anspruch nehmen oder sich in einer anderen Stadt oder Region niederlassen hätte können. Auch sei die im Wesentlichen gesunde und arbeitsfähige BF in der Lage, wie vor ihrer Ausreise ihren Lebensunterhalt zu bestreiten und würde im Herkunftsstaat nicht in eine Art. 3 EMRK relevante Situation geraten. Mangels Familienlebens und eines schützenswerten Privatlebens im Bundesgebiet wurde eine Rückkehrentscheidung nicht als ungerechtfertigter Eingriff im Sinne des Art. 8 EMRK erachtet und die Ausweisung der BF ausgesprochen. Die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung erfolgte wegen der missbräuchlichen Antragstellung auf internationalen Schutz zur Legitimation ihres Aufenthaltes im Bundesgebiet sowie der von ihr wegen ihrer bisherigen Schwarzarbeit, ihres bisherigen illegalen Aufenthaltes und des Fehlens einer aufrechten Meldeadresse bis zur Antragstellung ausgehenden Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit. Ferner habe sie am 14.02.2018 keine Fluchtgründe angegeben und seien ihre unglaubwürdigen Angaben zu Problemen mit dem Exmann nicht GFK-relevant und die sofortige Umsetzung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme geboten. Da sich aus dem Verhalten der BF ihr Unwille erkennen lasse, sich an die österreichische Rechtsordnung zu halten, stelle ihr Aufenthalt im Bundesgebiet eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar und sei ein auf fünf Jahre befristetes Einreisverbot zu verhängen gewesen.
Mit Verfahrensanordnung vom 20.02.2018 wurde der BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG ein Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.
1.3. Gegen den Bescheid wurde seitens der Rechtsvertretung der BF für diese binnen offener Frist Beschwerde erhoben. Darin wurde der gegenständliche Bescheid zur Gänze angefochten und inhaltliche Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht und die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung beantragt. Die Länderfeststellungen im angefochtenen Bescheid seien unvollständig und teilweise unrichtig bzw. würden sich nicht auf das konkrete Vorbringen der BF beziehen. Außerdem habe die Behörde es unterlassen, sich genauer mit der Situation von alleinstehenden Frauen und Gewalt gegen Frauen in China auseinanderzusetzen. Sodann wurde zur Gewalt gegen Frauen in China aus dem FCO Annual Report vom April 2013 zitiert und ausgeführt, dass die BF in China keinen Kontakt zu ihren Angehörigen habe und alleinstehend sei. Sie habe auf Grund der Misshandlungen durch den Exmann immer wieder umziehen müssen und dadurch hohe Schulden abzuzahlen. Bis heute spiele in China bei der Existenzsicherung vor allem die Familie eine große Rolle. Zudem sei die BF weiterhin gefährdet, von ihrem Exmann geschlagen und misshandelt zu werden. Sie habe keine ausreichende Hilfe von der Polizei erhalten, da diese korrupt sei und sehr ineffizient arbeite. Gerade gegenüber Frauen sei diese oft sexistisch eingestellt und schütze die Täter. Ferner stelle das Meldewesen (Hukou) für Rückkehrer ein enormes Problem dar. Der BF wäre es nicht möglich, sich nach ihrer Rückkehr zu registrieren, da ihre Verfolger sonst auf sie aufmerksam würden; sie hätte sodann jedoch keinen Zugang zu Leistungen wie Sozial- und Krankenversicherung, was unzumutbar sei, sodass keine innerstaatliche Fluchtalternative bestehe. Die BF habe vorgebracht, von ihrem gewalttätigen Exmann geschlagen und mehrfach verletzt worden zu sein. Auch ihre Schwester sei von ihm bedroht worden. Die BF habe auch angegeben, dass dieser sehr einflussreich sei und sie mit Hilfe seiner Kontakte ausfindig machen könne. Zu den Ausführungen, dass die BF im Fall einer tatsächlich vorliegenden Bedrohung bereits früher einen Asylantrag gestellt hätte, sei auszuführen, dass sie keine Kenntnis des österreichischen Rechtswesens gehabt und die gesamte Flucht für sie organisiert worden sei; es sei ihr nicht mitgeteilt worden, dass noch weitere Schritte nötig wären. Die BF habe ihr Vorbringen sehr detailliert und lebensnah gestaltet und über die lebensbedrohliche Situation in China frei gesprochen. Der Beweiswürdigung sei ein Abgleich mit den Länderberichten nicht zu entnehmen, dementsprechend auch keine Aussagen über die Plausibilität ihres Vorbringens. Hätte die Behörde ein mängelfreies Ermittlungsverfahren durchgeführt, wäre sie zum Ergebnis gelangt, dass die BF der sozialen Gruppe der alleinstehenden Frauen angehöre. Sie sei in China von ihrem spielsüchtigen Ex-Freund bestohlen, erpresst und bedroht worden. Der Ex-Freund der BF habe als Polizist gearbeitet und auch Verbindungen zur chinesischen Mafia gehabt; die BF sei von ihm mit dem Umbringen bedroht worden. Auf Grund der Korruption in China sowie der nicht unabhängigen Justiz sei es der BF nicht möglich, sich an die Behörden zu wenden. Es bestehe auch keine innerstaatliche Schutzalternative, da sie infolge der Korruption schnell im Land aufgespürt werden könnte. Zur Hukou-Problematik wurde auf eine ACCORD-Anfragebeantwortung vom 27.02.2009 verwiesen. Die Wohnregistrierung der BF sei erloschen. Bei einer Rückkehr würden der BF Schwierigkeiten mit den Heimatbehörden drohen. Sie sei ohne Arbeit und ohne realisierbaren Familienanschluss, weshalb ihr unweigerlich eine existenzielle Notlage drohe. Ferner habe die Behörde genauere Ermittlungen zum Privat- und Familienleben der BF unterlassen. Die BF sei der behördlich bewilligten Prostitution nachgegangenen und selbsterhaltungsfähig. Entgegen der gesetzliche Vorgaben sei nicht nachvollziehbar begründet worden, warum gegen die BF eine Rückkehrentscheidung und ein Einreiseverbot erlassen worden seien. Die Behörde habe es vollständig unterlassen, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob von der BF eine Gefahr ausgehe und wie lange diese zu prognostizieren wäre. Auch lasse die Behörde eine nachvollziehbare Begründung vermissen, wieso im konkreten Fall das Einreiseverbot in der Höhe von 5 Jahren notwendig sei. Die BF sei nicht straffällig geworden und lägen darüber hinaus asylrelevante Fluchtgründe vor, sodass die Voraussetzungen für die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung nicht vorlägen. Es wurde beantragt, eine mündliche Beschwerdeverhandlung durchzuführen.
1.4. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 09.04.2018, Zl. W182 2190966-1/3Z, wurde der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
1.5. In der öffentlichen mündlichen Verhandlung am 12.06.2018 beim Bundesverwaltungsgericht, zu der ein Vertreter des Bundesamtes entschuldigt nicht erschienen ist, wurde Beweis aufgenommen durch Einvernahme der BF in Anwesenheit ihrer Rechtsvertretung und einer Dolmetscherin der chinesischen Sprache, weiters durch Einsichtnahme in die Verwaltungsakten des Bundesamtes sowie in den Akt des Bundesverwaltungsgerichtes, wobei das Bundesamt lediglich schriftlich die Abweisung der Beschwerde beantragte. Die BF brachte hinsichtlich ihrer Fluchtgründe wie bisher vor.
Mit der BF wurden in der Verhandlung aktuelle Länderberichte zum Herkunftsstaat erörtert.
Nach dem Schluss dieser Verhandlung wurde gemäß § 29 Abs.2 VwGVG das Erkenntnis zu den Spruchpunkten I. und II. samt den wesentlichen Entscheidungsgründen verkündet und die Rechtsmittelbelehrung erteilt. Daraufhin wurde seitens der Rechtsvertretung die Zustellung der Ausfertigung des Erkenntnisses nach § 29 Abs. 2a VwGVG beantragt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Aufgrund der der Entscheidung zu Grunde liegenden Akten des Bundesamtes samt Beschwerdeschrift sowie des Bundesverwaltungsgerichtes steht nachstehender entscheidungswesentlicher Sachverhalt als erwiesen fest:
Die BF ist Staatsangehörige der Volksrepublik China, gehört der Volksgruppe der Man an und ist ohne religiöses Bekenntnis. Ihre Identität steht nicht fest.
Die 40-jährige BF ist arbeitsfähig und verfügt über eine etwa 6-jährige Schulbildung und eine Berufsausbildung sowie langjährige Berufserfahrung als Köchin. Sie hat aktuell keine lebensbedrohenden Krankheiten geltend gemacht. Die BF verfügt im Herkunftsstaat über familiäre Anknüpfungspunkte (zumindest Schwester, Tochter) sowie über ein soziales Netz.
Die unbescholtene BF hält sich seit etwa 2 Jahren im Bundesgebiet auf. In Österreich halten sich keine Familienangehörigen oder Verwandte der BF auf. Sie bezieht keine Grundversorgung und finanziert ihren Aufenthalt durch Erwerbstätigkeit im Rotlichtmilieu. Sie ist in keinem Verein oder einer Organisation tätig.
Sie lebt im Bundesgebiet nicht in einer familienähnlichen Beziehung und hat auch keinen Freundeskreis, dem österreichische Staatsbürger angehören. Sie hat bereits einen Deutschkurs auf dem Niveau A1 besucht, jedoch noch keine Prüfung abgelegt.
Das Fluchtvorbringen der BF, vor ihrem Ex-Lebensgefährten geflüchtet zu sein, hat sich als nicht glaubwürdig erwiesen.
Zur Situation im Herkunftsland wird von folgenden Feststellungen ausgegangen:
Politische Lage
Die Volksrepublik China ist mit geschätzten 1,374 Milliarden Einwohnern (Stand Juli 2016) und einer Fläche von 9.596.960 km² der bevölkerungsreichste Staat der Welt (CIA 26.7.2017).
China ist in 22 Provinzen, die fünf Autonomen Regionen der nationalen Minderheiten Tibet, Xinjiang, Innere Mongolei, Ningxia und Guangxi, sowie vier regierungsunmittelbare Städte (Peking, Shanghai, Tianjin, Chongqing) und zwei Sonderverwaltungsregionen (Hongkong, Macau) unterteilt. Nach dem Grundsatz "Ein Land, zwei Systeme", welcher der chinesisch-britischen "Gemeinsamen Erklärung" von 1984 über den Souveränitätsübergang im Jahr 1997 zugrunde liegt, kann Hongkong für 50 Jahre sein bisheriges Gesellschaftssystem aufrecht erhalten und einen hohen Grad an Autonomie genießen. Trotz starker öffentlicher Kritik in Hongkong hält die chinesische Regierung bezüglich einer möglichen Wahlrechtsreform für eine allgemeine Wahl des Hongkonger Regierungschefs (Chief Executive) an den Vorgaben fest, die der Ständige Ausschuss des Pekinger Nationalen Volkskongresses 2014 zur Vorabauswahl von Kandidaten gemacht hat. Dies hat in Hongkong zur Blockade der vorgesehenen Reform geführt und zu einem Erstarken von Bestrebungen nach größerer Autonomie, vereinzelt sogar zu Rufen nach Unabhängigkeit, auf die Peking scharf reagiert. Nach einem ähnlichen Abkommen wurde Macau am 20. Dezember 1999 von Portugal an die Volksrepublik China zurückgegeben. Die Lösung der Taiwanfrage durch friedliche Wiedervereinigung bleibt eines der Hauptziele chinesischer Politik (AA 4.2017a).
Gemäß ihrer Verfassung ist die Volksrepublik China ein "sozialistischer Staat unter der demokratischen Diktatur des Volkes, der von der Arbeiterklasse geführt wird und auf dem Bündnis der Arbeiter und Bauern beruht" (AA 4.2017a). China ist ein autoritärer Staat, in dem die Kommunistische Partei (KP) verfassungsmäßig die höchste Autorität ist. Beinahe alle hohen Positionen in der Regierung sowie im Sicherheitsapparat werden von Mitgliedern der KP gehalten (USDOS 3.3.2017). Die KP ist der entscheidende Machtträger. Nach dem Parteistatut wählt der alle fünf Jahre zusammentretende Parteitag das Zentralkomitee (376 Mitglieder, davon 205 mit Stimmrecht), das wiederum das Politbüro (25 Mitglieder) wählt. Ranghöchstes Parteiorgan und engster Führungskern ist der zurzeit siebenköpfige "Ständige Ausschuss" des Politbüros. Dieser gibt die Leitlinien der Politik vor. Die Personalvorschläge für alle diese Gremien werden zuvor im Konsens der Parteiführung erarbeitet (AA 4.2017a; vgl. USDOS 3.3.2017).
An der Spitze der Volksrepublik China steht der Staatspräsident, der gleichzeitig Generalsekretär der KP und Vorsitzender der Zentralen Militärkommission ist und somit alle entscheidenden Machtpositionen auf sich vereinigt. Der Ministerpräsident (seit März 2013 Li Keqiang) leitet den Staatsrat, die eigentliche Regierung. Er wird von einem "inneren Kabinett" aus vier stellvertretenden Ministerpräsidenten und fünf Staatsräten unterstützt. Der Staatsrat fungiert als Exekutive und höchstes Organ der staatlichen Verwaltung. Alle Mitglieder der Exekutive sind gleichzeitig führende Mitglieder der streng hierarchisch gegliederten Parteiführung (Ständiger Ausschuss, Politbüro, Zentralkomitee), wo die eigentliche Strategiebildung und Entscheidungsfindung erfolgt (AA 4.2017a).
Der 3.000 Mitglieder zählende Nationale Volkskongress (NVK) wird durch subnationale Kongresse für fünf Jahre gewählt. Er wählt formell den Staatspräsidenten für fünf Jahre und bestätigt den Premierminister, der vom Präsidenten nominiert wird (FH 1.2017a). Der NVK ist formal das höchste Organ der Staatsmacht. NVK-Vorsitzender ist seit März 2013 Zhang Dejiang (AA 4.2017a). Der NVK ist jedoch vor allem eine symbolische Einrichtung. Nur der Ständige Ausschuss trifft sich regelmäßig, der NVK kommt einmal pro Jahr für zwei Wochen zusammen, um die vorgeschlagene Gesetzgebung anzunehmen (FH 1.2017a). Eine parlamentarische oder sonstige organisierte Opposition gibt es nicht. Die in der sogenannten Politischen Konsultativkonferenz organisierten acht "demokratischen Parteien" sind unter Führung der KP Chinas zusammengeschlossen; das Gremium hat lediglich eine beratende Funktion (AA 4.2017a).
Beim 18. Kongress der KP China im November 2012 wurde, nach einem Jahrzehnt, ein Führungswechsel vollzogen (AI 23.5.2013). Bei diesem Parteitag wurden die Weichen für einen Generationswechsel gestellt und für die nächsten fünf Jahre ein neues Zentralkomitee, Politbüro und ein neuer Ständiger Ausschuss bestimmt (AA 4.2017a). Xi Jinping wurde zum Generalsekretär der KP und zum Vorsitzenden der Zentralen Militärkommission gekürt. Seit dem 12. Nationalen Volkskongress im März 2013 ist Xi Jinping auch Präsident Chinas (AA 4.2017a; vgl. FH 1.2017a). Er hält damit die drei einflussreichsten Positionen (USDOS 3.3.2017). Die neue Staatsführung soll - wenngleich die Amtszeit offiziell zunächst fünf Jahre beträgt - mit der Möglichkeit einer Verlängerung durch eine zweite, ebenfalls fünfjährige, Amtsperiode bis 2022 (und möglicherweise auch darüber hinaus) an der Macht bleiben (HRW 12.1.2017). Vorrangige Ziele der Regierung sind eine weitere Entwicklung Chinas und Wahrung der politischen und sozialen Stabilität durch Machterhalt der KP. Politische Stabilität gilt als Grundvoraussetzung für wirtschaftliche Reformen. Äußere (u.a. nachlassende Exportkonjunktur) und innere (u.a. alternde Gesellschaft, Umweltschäden, Wohlfahrtsgefälle) Faktoren machen weitere Reformen besonders dringlich. Die Rolle der Partei in allen Bereichen der Gesellschaft soll gestärkt werden. Gleichzeitig laufen Kampagnen zur inneren Reformierung und Stärkung der Partei. Prioritäten sind Kampf gegen die Korruption und Verschwendung, Abbau des zunehmenden Wohlstandsgefälles, Schaffung nachhaltigeren Wachstums, verstärkte Förderung der Landbevölkerung, Ausbau des Bildungs- und des Gesundheitswesens, Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und insbesondere Umweltschutz und Nahrungsmittelsicherheit. Urbanisierung ist und bleibt Wachstumsmotor, bringt aber gleichzeitig neue soziale Anforderungen und Problemlagen mit sich. Erste Ansätze für die zukünftige Lösung dieser grundlegenden sozialen und ökologischen Entwicklungsprobleme sind sichtbar geworden, haben deren Dimension aber zugleich deutlich aufgezeigt (AA 4.2017a).
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Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (4.2017a): China - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/China/Innenpolitik_node.html#doc334570bodyText5, Zugriff 2.8.2017
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AI - Amnesty International (23.5.2013): Amnesty International Annual Report 2013 - China,
http://www.refworld.org/docid/519f51a96b.html, Zugriff 2.8.2017
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CIA - Central Intelligence Agency (26.7.2017): The World Factbook
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China,
https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/ch.html, Zugriff 2.8.2017
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FH - Freedom House (1.2017a): Freedom in the World 2017 - China, http://www.ecoi.net/local_link/339947/483077_de.html, Zugriff 2.8.2017
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HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - China, http://www.ecoi.net/local_link/334766/476520_de.html, Zugriff 28.8.2017
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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Reports on Human Rights Practices 2016 - China (includes Tibet, Hong Kong, and Macau), http://www.ecoi.net/local_link/337277/480051_de.html, Zugriff 2.8.2017
Rechtsschutz/Justizwesen
Die Führung unternimmt Anstrengungen, das Rechtssystem auszubauen. Dem steht jedoch der Anspruch der Kommunistischen Partei (KP) auf ungeteilte Macht gegenüber. Gewaltenteilung und Mehrparteiendemokratie werden ausdrücklich abgelehnt. Von der Verwirklichung rechtsstaatlicher Normen und einem Verfassungsstaat ist China noch weit entfernt. Im Alltag sind viele Chinesen weiterhin mit Willkür und Rechtlosigkeit konfrontiert (AA 4.2017a). Eine unabhängige Strafjustiz existiert in China folglich nicht. Strafrichter und Staatsanwälte unterliegen der politischen Kontrolle von staatlichen Stellen und Parteigremien (AA 15.12.2016). Die Kontrolle der Gerichte durch politische Institutionen ist ein verfassungsrechtlich verankertes Prinzip (ÖB 11.2016). Die KP dominiert das Rechtssystem auf allen Ebenen und erlaubt Parteifunktionären, Urteile und Verurteilungen zu beeinflussen. Die Aufsicht der KP zeigt sich besonders in politisch heiklen Fällen durch die Anwendung sog. "Leitlinien". Während Bürger in nicht-politischen Fällen ein gewisses Maß an fairer Entscheidung erwarten können, unterliegen diejenigen, die politisch sensible Fragen oder die Interessen mächtiger Gruppen berühren, diesen "Leitlinien" der politisch-juristischen Ausschüsse (FH 1.2017a). Seit dem vierten Jahresplenum des 18. Zentralkomitees 2014 betont die Führung die Rolle des Rechts und ergriff Maßnahmen zur Verbesserung der Qualität gerichtlicher Verfahren und zum Aufbau eines "sozialistisches Rechtssystem chinesischer Prägung" unter dem Motto "yi fa zhi guo", wörtlich "den Gesetzen entsprechend das Land regieren". Echte Rechtsstaatlichkeit im Sinne der Achtung des Legalitätsprinzips in der Verwaltung und der Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit wird dabei aber dezidiert abgelehnt. Das in den Beschlüssen reflektierte Verständnis von Recht soll die Macht des Staates, dh. der Partei, keinesfalls einschränken, sondern vielmehr stärken (ÖB 11.2016).
Die wichtigste Einrichtung der KP zur Kontrolle des Rechtssystems ist die Kommission des Zentralkomitees für Politik und Recht (ZKPR). Das ZKPR ist in unterschiedlichen Unter-Formaten auf jeder gerichtlichen Ebene verankert, wobei die jeweiligen Ebenen der übergeordneten Ebene verantwortlich sind. Die Macht des Komitees, das auf allen Ebenen auf Verfahren Einfluss nimmt, wurde auch seit den Beschlüssen des Vierten Plenums der KP im Oktober 2014 bewusst nicht angetastet (ÖB 11.2016).
Die Richter-Ernennung erfolgt auf Provinzebene durch Rechtskomitees, welchen hochrangige Partei-Funktionäre angehören und welche von einem KP-Inspektorat überwacht werden. Richter sind verpflichtet, über Einflussnahmen seitens lokaler Politiker auf Verfahren Bericht zu erstatten. Es ist für Richter schwierig, zwischen "Unabhängigkeit" von lokalen politischen Einflüssen, und Loyalität zur KP-Linie (welche regelmäßig miteinander und mit einflussreichen Wirtschafts- und Privatinteressen verbunden sind) zu navigieren. Trotz laufender Reformbemühungen gibt es - vor allem auf unterer Gerichtsebene - noch immer einen Mangel an gut ausgebildeten Richtern (ÖB 11.2016).
Ein umfassender Regelungsrahmen unterhalb der gesetzlichen Ebene soll "Fehlverhalten" von Justizbeamten und Staatsanwälten in juristischen Prozessen unterbinden. Das Oberste Volksgericht (OVG) unter seinem als besonders "linientreu" geltenden Präsidenten und die Oberste Staatsanwaltschaft haben in ihren Berichten an den Nationalen Volkskongress im März 2014 in erster Linie gefordert, "Falschurteile" der Gerichte zu verhindern, die Richterschaft an das Verfassungsverbot von Folter und anderen Zwangsmaßnahmen bei Vernehmungen zu erinnern und darauf hinzuweisen, dass Verurteilungen sich nicht allein auf Geständnisse stützen dürfen. Die Regierung widmet sowohl der juristischen Ausbildung als auch der institutionellen Stärkung von Gerichten und Staatsanwaltschaften seit mehreren Jahren große Aufmerksamkeit (AA 15.12.2016).
Das umstrittene System der "Umerziehung durch Arbeit" ("laojiao") wurde aufgrund entsprechender Beschlüsse des 3. Plenums des ZK im November 2013 offiziell am 28.12.2013 abgeschafft. Es liegen Erkenntnisse vor, wonach diese Haftanstalten lediglich umbenannt wurden, etwa in Lager für Drogenrehabilitation, rechtliche Erziehungszentren oder diese als schwarze Gefängnisse weiter genutzt werden (AA 15.12.2016).
Mit der letzten großen Novellierung 2013 sieht die Strafprozessordnung genaue Regeln für Festnahmen vor, führt den "Schutz der Menschenrechte" an und verbietet Folter und Bedrohung bzw. Anwendung anderer illegaler Methoden zur Beweisermittlung. Es besteht jedoch eine teilweise erhebliche Divergenz zwischen den Rechtsvorschriften und deren Umsetzung, und werden diese zum Zwecke der Unterdrückung von politisch unliebsamen Personen instrumentalisiert. Laut Strafprozessordnung müssen auch im Falle einer Festnahme wegen Terrorismus, der Gefährdung der Staatssicherheit oder der schwerwiegenden Korruption die Angehörigen von in Untersuchungshaft sitzenden Personen innerhalb von 24 Stunden über die Festnahme informiert werden, nicht jedoch über den Grund der Festnahme oder über den Aufenthaltsort. Zudem besteht diese Informationspflicht nicht, wenn durch diese Information die Ermittlungen behindert würden - in diesen Fällen müssen Angehörige erst nach 37 Tagen informiert werden. Was eine "Behinderung der Ermittlung" bedeutet, liegt im Ermessen der Polizei, es gibt kein Rechtsmittel dagegen. Da Verdächtige sich formell in Untersuchungshaft befindet, muss der Ort der Festhaltung laut Gesetz auch in diesen Fällen eine offizielle Einrichtung sein. Der Aufenthaltsort kann auch außerhalb offizieller Einrichtungen liegen. Diese Möglichkeit wurde mit der Strafprozessnovelle 2012 eingeführt und von Rechtsexperten wie dem Rapporteur der UN-Working Group on Enforced or Involuntary Disappearances wegen des inhärenten Folterrisikos als völkerrechtswidrig kritisiert (ÖB 11.2016; vgl. AI 22.2.2017).
Willkürliche Verhaftungen oder Hausarrest ("soft detention") ohne gerichtliche Verfahren kommen häufig vor. Die Staatsorgane griffen verstärkt auf den "Hausarrest an einem festgelegten Ort" zurück - eine Form der geheimen Inhaftierung ohne Kontakt zur Außenwelt, die es der Polizei erlaubt, eine Person für die Dauer von bis zu sechs Monaten außerhalb des formellen Systems, das die Inhaftierung von Personen regelt, und ohne Zugang zu einem Rechtsbeistand der eigenen Wahl, zu Familienangehörigen oder anderen Personen der Außenwelt festzuhalten. Dadurch wurden diese Personen der Gefahr ausgesetzt, gefoltert oder anderweitig misshandelt zu werden. Diese Inhaftierungspraxis dient dazu, die Tätigkeit von Menschenrechtsverteidigern - einschließlich der von Rechtsanwälten, politisch engagierten Bürgern und Angehörigen von Religionsgemeinschaften - zu unterbinden (ÖB 11.2016; vgl. AA 15.12.2016, AI 22.2.2017).
Im Zusammenhang mit verwaltungsstrafrechtlich bewehrten rechtswidrigen Handlungen kann die Polizei zudem "Verwaltungsstrafen" verhängen. Diese Strafen reichen von Ermahnungen über Geldbußen bis hin zu einer "Verwaltungshaft" (ohne richterliche Entscheidung) von bis zu 15 Tagen. Der Aufenthalt in den offiziell nicht existenten "black jails" kann zwischen wenigen Tagen und in einigen Fällen langjährigen Haftaufenthalten variieren (AA 15.12.2016).
Das 2013 in Kraft getretene revidierte Strafverfahrensgesetz verbessert v.a. die Stellung des Verdächtigen/Angeklagten und der Verteidigung im Strafprozess; die Umsetzung steht aber in der Praxis in weiten Teilen noch aus. Auch der Zeugenschutz wird gestärkt. Chinesische Experten gehen davon aus, dass die Durchsetzung dieser Regeln viele Jahre erfordern wird (AA 15.12.2016). Der Schutz jugendlicher Straftäter wurde erhöht (ÖB 11.2014).
2014 wurden schrittweise weitere Reformen eingeleitet, darunter die Anordnung an Richter, Entscheidungen über ein öffentliches Onlineportal zugänglich zu machen sowie ein Pilotprojekt in sechs Provinzen um die Aufsicht über Bestellungen und Gehälter auf eine höhere bürokratische Ebene zu verlagern. Beim vierten Parteiplenum im Oktober 2014 standen Rechtsreformen im Mittelpunkt. Die Betonung der Vorherrschaft der Partei über das Rechtssystem und die Ablehnung von Aktionen, die die Unabhängigkeit der Justiz erhöhen würden, wurde jedoch beibehalten. Dies führte zu Skepsis hinsichtlich der tatsächlichen Bedeutung der Reform (FH 1.2015a).
Das chinesische Strafgesetz hat die früher festgeschriebenen "konterrevolutionären Straftaten" abgeschafft und im Wesentlichen durch Tatbestände der "Straftaten, welche die Sicherheit des Staates gefährden" (Art. 102-114 chin. StG) ersetzt. Danach können vor allem Personen bestraft werden, die einen politischen Umsturz/Separatismus anstreben oder das Ansehen der VR China beeinträchtigen. Gerade dieser Teil des Strafgesetzes fällt durch eine Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe auf (AA 15.12.2016). Die Regierung hat weitere Gesetze zur nationalen Sicherheit ausgearbeitet und verabschieden lassen, die eine ernste Gefahr für den Schutz der Menschenrechte darstellen. Das massive landesweite Vorgehen gegen Menschenrechtsanwälte und politisch engagierte Bürger hielt das ganze Jahr über an (AI 22.2.2017). Prozesse, bei denen die Anklage auf Terrorismus oder "Verrat von Staatsgeheimnissen" lautet, werden unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt. Was ein Staatsgeheimnis ist, kann nach chinesischer Gesetzeslage auch rückwirkend festgelegt werden. Angeklagte werden in diesen Prozessen weiterhin in erheblichem Umfang bei der Wahrnehmung ihrer Rechte beschränkt. U.a. wird dem Beschuldigten meist nicht erlaubt, Verteidiger seiner Wahl zu beauftragen; nur in seltenen Ausnahmefällen wird vom Gericht überhaupt eine Verteidigung bestellt (AA 15.12.2016).
Auch 2016 setzten sich die Übergriffe der Behörden auf Menschenrechtsanwälte das ganze Jahr hindurch mit Verhaftungen und strafrechtlichen Verfolgungen fort (FH 1.2017a). Rechtsanwälte, die in kontroversen Fällen tätig wurden, mussten mit Drangsalierungen und Drohungen seitens der Behörden rechnen, und in einigen Fällen wurde ihnen die weitere berufliche Tätigkeit verboten. Dies hatte zur Konsequenz, dass der Zugang der Bürger zu einem gerechten Gerichtsverfahren sehr stark eingeschränkt war. Mangelhafte nationale Gesetze und systemische Probleme im Strafrechtssystem hatten weitverbreitete Folter und anderweitige Misshandlungen sowie unfaire Gerichtsverfahren zur Folge (AI 22.2.2017).
Seit der offiziellen Abschaffung der administrativen "Umerziehung durch Arbeit" im Jänner 2014 werden Menschenrechtsaktivisten vermehrt auf Basis der Strafrechtstatbestände der Unruhestiftung oder des Separatismus verurteilt und somit in Strafhaft gesperrt, wobei aufgrund der vagen Tatbestände ein strafrechtsrelevanter Sachverhalt relativ leicht kreiert werden kann (ÖB 11.2016). Häufig wurden Anklagen wegen "Untergrabung der staatlichen Ordnung", "Untergrabung der Staatsmacht", "Anstiftung zum Separatismus" "Anstiftung zu Subversion" oder "Weitergabe von Staatsgeheimnissen", sowie "Weitergabe nachrichtendienstlicher Informationen an das Ausland" erhoben und langjährige Gefängnisstrafen verhängt (ÖB 11.2016; vgl. AI 22.2.2017).
Wegen der mangelnden Unabhängigkeit der Justiz wählen viele Betroffene von Behördenwillkür den Weg der Petition bei einer übergeordneten Behörde (z.B. Provinz- oder Zentralregierung). Petitionen von Bürgern gegen Rechtsbrüche lokaler Kader in den Provinzen nehmen zu. Allein in Peking versammeln sich täglich Hunderte von Petenten vor den Toren des staatlichen Petitionsamts, um ihre Beschwerde vorzutragen. Chinesischen Zeitungsberichten zufolge werden pro Jahr landesweit ca. 10 Mio. Eingaben eingereicht. Petenten aus den verschiedenen Provinzen werden häufig von Schlägertrupps im Auftrag der Provinzregierungen aufgespürt und in ihre Heimatregionen zurückgebracht. Zwischen Februar und April 2014 wurden verschiedene Reformen des Petitionssystems verabschiedet, die eine schnellere Bearbeitung und Umstellung auf mehr Online-Plattformen beinhaltet. Das 4. Plenum des Zentralkomitees der KP hat im Oktober 2014 weitere Schritte zur Regelung des Petitionswesens getroffen, deren Umsetzung aber noch aussteht. Diese Reformen werden von Beobachtern dafür kritisiert, dass sie die Effektivität der Bearbeitung der Petitionen kaum steigern, sondern vor allem dazu dienen, Petitionäre von den Straßen Pekings fernzuhalten (AA 15.12.2016).
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Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (4.2017a): China - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/China/Innenpolitik_node.html#doc334570bodyText5, Zugriff 2.8.2017
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AA - Auswärtiges Amt (15.12.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Volksrepublik China
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AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - China, http://www.ecoi.net/local_link/336465/479116_de.html, Zugriff am 18.8.2017
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FH - Freedom House (1.2017a): Freedom in the World 2017 - China, https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2017/china, Zugriff 17.8.2017
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FH - Freedom House (1.2015a): Freedom in the World 2015 - China, http://www.ecoi.net/local_link/295269/430276_de.html, Zugriff 20.8.2015
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ÖB Peking (11.2016): Asylländerbericht Volksrepublik China
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ÖB Peking (11.2014): Asylländerbericht Volksrepublik China
Sicherheitsbehörden
Sicherheitsbehörden sind das Ministerium für Staatssicherheit, das Ministerium für Öffentliche Sicherheit, und die Bewaffnete Volkspolizei (BVP) der Volksbefreiungsarmee. Das Ministerium für Staatssicherheit soll vor Staatsfeinden, Spionen und konterrevolutionären Aktivitäten zur Sabotage oder dem Sturz des chinesischen sozialistischen Systems schützen. In die Zuständigkeit dieses Ministeriums fallen auch der Inlands- und Auslandsgeheimdienst. Die BVP ist in 45 Divisionen unterteilt, bestehend aus Innensicherheitspolizei, Grenzüberwachung, Regierungs- und Botschaftsbewachung, sowie Funk- und Kommunikationsspezialisten. Ein wesentlicher Anteil der in den letzten Jahren vorgenommenen Truppenreduktionen in der Volksbefreiungsarmee war in Wahrheit eine Umschichtung von den Linientruppen zur BVP. Darüber hinaus beschäftigen zahlreiche lokale Kader u.a. entlassene Militärangehörige in paramilitärischen Schlägertrupps. Diese Banden gehen häufig bei Zwangsaussiedlung im Zuge von Immobilienspekulation durchaus auch im Zusammenspiel mit der BVP gegen Zivilisten vor. Das Ministerium für Öffentliche Sicherheit beaufsichtigt alle innerstaatlichen Aktivitäten der zivilen Sicherheitsbehörden (außer derjenigen, die in die Zuständigkeit des Staatssicherheitsministeriums fallen), sowie die BVP. Konkret umfassen seine Aufgaben innere Sicherheit, Wirtschaft und Kommunikationssicherheit, neben der Zuständigkeit für Polizeieinsätze und Gefängnisverwaltung. Die Organisationseinheit auf niedrigster Ebene sind die lokalen Polizeikommissariate, die für den alltäglichen Umgang mit der Bevölkerung verantwortlich sind und die Aufgaben von Polizeistationen erfüllen. Darüber hinaus besteht ein enges Netz an lokalen Partei-Büros welche mittels freiwilliger "Blockwarte" die Bewegungen der Bewohner einzelner Viertel überwachen und mit der Polizei zusammenarbeiten (ÖB 11.2016).
Die Behörde für Staatssicherheit kann seit Mitte April 2017 Beträge zwischen 10.000 und 500.000 Yuan (etwa 68.000 Euro) für nützliche Hinweise an Informanten auszahlen, welche durch ihre Mitarbeit bei der Enttarnung von ausländischen Spionen helfen. Informationen können über eine speziell eingerichtete Hotline, Briefe oder bei einem persönlichen Besuch bei der Behörde gegeben werden. So sich die Hinweise als zweckdienlichen herausstellen, soll der Informant das Geld erhalten (FAZ 11.4.2017).
Zivile Behörden behalten die Kontrolle über Militär- und Sicherheitskräfte bei (USDOS 3.3.2017). Die Zentrale Militärkommission (ZMK) der Partei leitet die Streitkräfte des Landes (AA 15.12.2016). Nach dem Gesetz zur Landesverteidigung von 1997 sind die Streitkräfte nicht dem Staatsrat, sondern der Partei unterstellt (AA 4.2017a).
Für die innere Sicherheit sind zuständig sind (1) Polizei und Staatsanwaltschaften, die Rechtsverstöße des Normalbürgers verfolgen; (2) Disziplinar-Kontrollkommission der KPCh, die gegen Verstöße von KP-Mitgliedern einschreitet; (3) Einheiten des Ministeriums für Verwaltungskontrolle, die für Pflichtverletzungen im Amt zuständig sind; (4) Staatsschutz (Guobao) für die Beobachtung und Verfolgung politischer bzw. als potentiell staatsgefährdend wahrgenommener Aktivitäten von Bürgern und Ausländern (AA 15.12.2016).
Für den Bereich der Gefahrenabwehr ist primär das dem Staatsrat unterstehende Ministerium für Öffentliche Sicherheit mit seinen Polizeikräften verantwortlich, das daneben auch noch für Strafverfolgung zuständig ist und in Teilbereichen mit nachrichtendienstlichen Mitteln arbeitet. Aufgaben der Polizei sind sowohl die Gefahrenabwehr als auch die Strafverfolgung, bei der ihr u. a. die Anordnung von Administrativhaft als Zwangsmaßnahme zur Verfügung steht. Im Bereich der Strafverfolgung ist sie für die Durchführung von strafrechtlichen Ermittlungsverfahren originär zuständig. Bei Delikten, die von Polizisten aufgrund ihrer Amtsstellung begangen werden, ermittelt die Staatsanwaltschaft selbst, während sie sonst primär die Tätigkeit der polizeilichen Ermittlungsorgane beaufsichtigt und auf Grundlage deren Empfehlung über die Erhebung der Anklage entscheidet (AA 15.12.2016).
Das Ministerium für Staatssicherheit (MSS) ist u.a. zuständig für die Auslandsaufklärung sowie für die Überwachung von Auslandschinesen und von Organisationen oder Gruppierungen, welche die Sicherheit der VR China beeinträchtigen könnten. Es überwacht die Opposition im eigenen Land, betreibt aber auch Spionageabwehr und beobachtet hierbei vielfach auch die Kontakte zwischen ausländischen Journalisten und chinesischen Bürgern. Darüber hinaus verfügen auch die Streitkräfte über einen eigenen, sorgfältig durchstrukturierten Nachrichtendienst, die 2. Hauptverwaltung im Generalstab. Zudem sind viele Arbeitseinheiten parallel mit der Beschaffung von Informationen bzw. mit Überwachungsaufgaben von in- und ausländischen Bürgern befasst. Vor allem das Internationale Verbindungsbüro unter der politischen 1. Hauptverwaltung des Generalstabs ist zuständig für Informationen aus dem Ausland, für die Entsendung von Agenten in Auslandseinsätze, meist unter diplomatischer "Tarnung", und für die Überwachung des eigenen diplomatischen Personals. Zahlreiche "Think tanks" sind für die Beschaffung von Auslandsinformationen zuständig (AA 15.12.2016).
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Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (4.2017a): China - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/China/Innenpolitik_node.html%20-%20doc334570bodyText5, Zugriff 9.8.2017
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AA - Auswärtiges Amt (15.12.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Volksrepublik China
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FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (11.4.2017): Peking belohnt Bürger für Enttarnung ausländischer Spione, http://www.faz.net/aktuell/politik/china-bezahlt-buerger-fuer-enttarnung-auslaendischer-spione-14967307.html, Zugriff 14.9.2017
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ÖB Peking (11.2016): Asylländerbericht Volksrepublik China
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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - China (includes Tibet, Hong Kong, and Macau), http://www.ecoi.net/local_link/337277/480051_de.html, Zugriff 17.8.2017
Korruption
Korruption ist auf allen Ebenen weit verbreitet. Die Beamtenschaft der öffentlichen Sicherheit und der städtischen Verwaltung sind an Erpressungen, außergerichtlichen Inhaftierungen, und Übergriffen beteiligt. In vielen Fällen auch in stark von der Regierung regulierten Bereichen wie Landnutzung, Immobilien, Bergbau und Entwicklung der Infrastruktur - die anfällig für Betrug, Bestechung und Schmiergeld sind. Trotz der Bemühungen der Regierung die Korruption zu bekämpfen, bleibt diese bestehen. Die Strafverfolgung ist sehr selektiv und undurchsichtig, sodass persönliche Netzwerke und interne Machtkämpfe innerhalb der Kommunistischen Partei (KP) die Ausgänge der Verfahren beeinflussen (USDOS 3.3.2017; vgl. HRW 12.1.2017).
Seit der Übernahme der Führung der KP im Jahre 2012, verfolgte Xi Jinping eine der umfangreichsten Kampagnen zur Korruptionsbekämpfung. Gegen Parteifunktionäre und Beamte der Partei einschließlich des Sicherheits-Apparates, des Militärs, des Außenministeriums, staatlicher Unternehmen und staatlicher Medien wurden bis Ende 2016 Untersuchungen eingeleitet und Strafen verhängt (FH 1.2017a). Während des gesamten Jahres 2014 setzte der Präsident die mit großem Aufwand betriebene Kampagne zur Korruptionsbekämpfung fort, die sowohl niedere als auch ranghohe Staatsbedienstete ins Visier nahm (AI 22.2.2017).
Im Jahr 2013 langten bei der Zentralen Kommission für Disziplinaruntersuchungen 1,95 Millionen Korruptionsvorwürfe ein,
172.532 Fälle wurden untersucht und 182.038 Disziplinarverfahren verhängt (USDOS 25.6.2015). Diese Zahlen sind im Jahr 2015 auf 2,8 Millionen eingebrachte Korruptionsvorwürfe, 330.000 untersuchte Fälle und 336.000 Disziplinierungsmaßnahmen gestiegen (USDOS 3.3.2017).
Die Regierung ist bestrebt, durch den Abschluss von Rechtshilfe- und Auslieferungsabkommen in Strafsachen die Verfolgung von Tatverdächtigen im Ausland zu erleichtern. Dabei geht es der chinesischen Regierung vor allem darum, ihre Korruptionsbekämpfung im Rahmen der Aktionen "Fuchsjagd" und "Himmelsnetz" auf das Ausland auszuweiten (AA 15.12.2016).
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Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (15.12.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Volksrepublik China
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AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - China, http://www.ecoi.net/local_link/336465/479116_de.html, Zugriff am 24.8.2017
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FH - Freedom House (1.2017a): Freedom in the World 2017 - China, https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2017/china, Zugriff 28.8.2017
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HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - China, http://www.ecoi.net/local_link/334766/476520_de.html, Zugriff 24.8.2017
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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - China (includes Tibet, Hong Kong, and Macau), http://www.ecoi.net/local_link/337277/480051_de.html, Zugriff 17.8.2017