Entscheidungsdatum
28.06.2018Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W142 2150696-1/6E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Dr. Irene HOLZSCHUSTER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb XXXX , StA. Somalia, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.03.2017, Zl. 1052314303/150196676, beschlossen:
A) In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG idgF behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein Staatsangehöriger von Somalia, reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 21.02.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Am 22.02.2015 fand vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des BF im Beisein eines Dolmetschers für die somalische Sprache statt. Dort gab der BF zu den Gründen seiner Ausreise wie folgt an: " "Ich habe Somalia wegen der Miliztruppe "Al Shabaab" verlassen. Sie haben mir unterstellt, dass ich als Spion arbeite und sie ausspioniere. Aus diesem Grund wollten sie mich hinrichten und deswegen bin ich aus Somalia geflüchtet."
3. Bei der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Tirol, am 28.02.2017, brachte der BF wie folgt vor (Schreibfehler korrigiert):
"[...]
F: Wie geht es Ihnen. Sind Sie psychisch und physisch in der Lage, Angaben zu Ihrem Asylverfahren zu machen?
A: Ja, ich bin dazu in der Lage. Ich habe keine physischen oder psychischen Probleme.
F: Sind Sie gesund?
A: Ja, ich bin gesund.
F: Nehmen Sie irgendwelche Medikamente oder sind Sie in ärztlicher Behandlung?
A: Ja, ich nehme Schlaftabletten, sie heißen "Trittico retard" ich nehme abends 2 Tabletten. Ich war am 20.02.2017 bei XXXX - Allgemeinmediziner, Stadtarzt - einmalig in Behandlung. Ich bekam am 20.02.2017 die Medikamente verschrieben. Vorher war ich nicht in medizinischer Behandlung und hatte auch keine Beschwerden.
F: Leiden Sie an einer ansteckenden Krankheit?
A: Nein.
F: Wurden Sie bereits im Heimatland diesbezüglich medizinisch behandelt? Wenn ja, wo, seit wann und in welcher Form? Welche Medikamente nehmen Sie ein?
A: Nein.
F: Können Sie Unterlagen zu Ihrem Gesundheitszustand wie etwa ärztliche Schreiben, Befunde, Überweisungen, Rezepte, etc. vorlegen? Wenn nein, werden Sie aufgefordert, innerhalb von zwei Wochen aktuelle ärztliche Bescheinigungen vorzulegen.
A: Ja, ich habe eine ärztliche Bestätigung von XXXX vorgelegt.
F: Sind Sie damit einverstanden, dass ho. Behörde Einsicht in bereits vorliegende und künftig erhobene ärztliche Befunde nehmen kann, sowie dass die Sie behandelnden Ärzte, als auch behördlich bestellte ärztliche Gutachter wechselseitig Informationen zu den Ihre Person betreffenden erhobenen ärztlichen Befunde austauschen können? Sind Sie weiters mit der Weitergabe Ihrer medizinischen Daten an die Sicherheitsbehörde und die für die Grundversorgung zuständigen Stellen einverstanden? Sie können Ihre Zustimmung danach jederzeit widerrufen.
A: Ja, ich bin damit einverstanden.
Vollmacht
F: Erteilen Sie dem Bundesamt die Vollmacht, in Ihre Krankenakte in Österreich Einsicht zunehmen, wenn es für das Asylverfahren notwendig ist?
A: Ja.
F: Befürchten Sie wegen Ihrer Krankheit Probleme im Falle einer Rückkehr in Ihr Heimatland und wenn ja, welche?
A: Ja, ich könnte in Somalia nicht medizinisch versorgt werden, wie in Österreich. Diese Tabletten würde ich dort nicht bekommen.
F: Möchten Sie heute weitere neue Beweismittel vorlegen?
A: Ja.
Der Antragsteller legt folgende Beweismittel vor:
1) Empfehlungsschreiben: Tiroler Soziale Dienste; XXXX - VHS-Kursleiterin;
2) Teilnahmebestätigung: Basisbildung / Grundkompetenzen vom XXXX und XXXX ;
3) Bestätigungen Deutschkurse: GemNova Vorbereitung Deutsch A1, A2;
Flüchtlingsheim XXXX ;
F: Sind Sie damit einverstanden, dass die Beweismittel dem Akt beigelegt werden?
A: Ja.
[...]
F: Wo hält sich derzeit Ihre Familie genau auf? Können Sie die genaue Adresse bekannt geben?
A: Meine Mutter, mein Bruder und meine Schwestern leben in Kismayo.
F: Haben Sie Kontakt zu Ihrer Familie? Gibt es eine Telefonnummer unter der Ihre Familie erreichbar ist?
A: Ich hatte Kontakt mit meiner Familie über meine Frau. Seit 2 Monaten habe ich zu ihr jedoch keinen Kontakt mehr. Aus Sicherheitsgründen meinte sie, dass sie nach Beer Xaane übersiedeln musste und sie wollte sich bei mir wieder melden, sobald es geht.
F: Unter welchen Umständen lebt Ihre Familie, wovon bestreiten Ihre Angehörigen den Lebensunterhalt, wer versorgt sie etc.?
A: Meine Mutter verkauft noch Holzkohle und ernährt die Familie.
F: Haben Sie noch Freunde oder Bekannte in der Heimat?
A: Momentan weiß ich nicht, wer noch in Somalia ist.
F: Haben Sie Kontakt zu Ihren entfernten Verwandten?
A: Nein, einmal pro Monat ruft mich aber mein Onkel an.
F: Könnten Sie im Falle der Rückkehr in Ihr Herkunftsland wieder an Ihrer Wohnadresse bzw. bei Verwandten wohnen?
A: Nein. Ich kann die Probleme die ich in Somalia hatte nicht vergessen.
[...]"
4. Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens wies das Bundesamt mit Bescheid vom 27.01.2017, Zl. 1072080505-150614478, den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs.1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) ab, wies den Antrag bezüglich des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt II.), ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG wurde nicht erteilt, gegen ihn wurde gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Somalia gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV). Festgestellt wurde (Schreibfehler korrigiert):
"Ihre Identität steht nicht fest. Fest steht, dass Sie aus Kismayo stammen. Fest steht, dass Sie die Sprachen Somalisch und ein wenig Deutsch sprechen, zur Volksgruppe der Ajuran gehören und Moslem sind. Nicht festgestellt werden konnte, dass Sie verheiratet sind. Nicht festgestellt werden konnte, wann und wie Sie auf österreichisches Bundesgebiet gelangt sind bzw. wie lange Sie sich schon in Österreich aufhalten. Fest steht, dass Sie am 21.02.2015 in Österreich einen Asylantrag stellten. Fest steht, dass Sie an keinen lebensbedrohlichen physischen oder psychischen Beeinträchtigungen Ihres Gesundheitszustandes leiden. Fest steht, dass Sie ein ärztliches Attest von XXXX , Allgemeinarzt und Stadtarzt von XXXX vorlegten, wonach am 20.02.2017 eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert wurde. Sie bekamen das Schlafmittel "Trittiko" verschrieben, das sie abends einnehmen. Vorher bedurften Sie keiner medizinischen Behandlung und hatten keine Beschwerden. Es konnten jedoch keine Beeinträchtigungen Ihrer Arbeitsfähigkeit festgestellt werden. Fest steht, dass Sie in der Heimat nicht vorbestraft sind und von keiner Behörde gesucht werden. Fest steht, dass Sie weder aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe noch der politischen Gesinnung in Ihrer Heimat von staatlicher Seite verfolgt wurden. Auch eine persönliche Bedrohung durch Privatpersonen - Mitglieder der Al Shabaab - konnte in Ihrem Fall nicht festgestellt werden. Fest steht, dass Sie mit den Behörden Ihres Heimatstaates keinerlei Probleme hatten und weder verfolgt noch verhaftet wurden. Die von Ihnen angegebenen Gründe für das Verlassen des Heimatlandes sind unglaubwürdig. Der von Ihnen zur Begründung des Asylantrages vorgebrachte Fluchtgrund konnte nicht als entscheidungsrelevanter Sachverhalt festgestellt werden. [...]
Fest steht, dass in Ihrem Heimatland ausreichende medizinische Behandlungsmöglichkeiten vorhanden und Ihnen auch zugänglich sind.
[...]
Beweiswürdigend wurde in wesentlichen Teilen wie folgt ausgeführt (Schreibfehler korrigiert):
[...] Sie konnten der Behörde nicht glaubhaft darlegen, dass Sie an einem posttraumatischen Belastungssyndrom leiden würden. Aus dem Ihrerseits vorgelegten ärztlichen Attest vom 22.02.2017 geht lediglich hervor, dass Sie vorwiegend an Schlafstörungen leiden, die mit antidepressiven Medikamenten behandelt werden. Der Vollständigkeit halber ist zudem auch anzuführen, dass die Diagnose eines Arztes insbesondere im psychologischen Bereich zu einem großen Teil auf der Anamnese - also Ihren Angaben - beruht. Beim Arzt XXXX handelt es sich zudem lediglich um einen Allgemeinmediziner und nicht um einen diesbezüglichen Facharzt. Der vorgelegte Kurzbericht enthält weder Befund noch Gutachten und erfüllt somit auch nicht einmal die Voraussetzungen eines Sachverständigengutachtens.
Auffällig ist zudem, dass dieses ärztliche Attest erst kurz vor der Einvernahme gemacht wurde. Sie gaben an, dass Sie vor dem 20.02.2017 bezüglich des posttraumatischen Belastungssyndroms weder in Behandlung waren noch an Beschwerden litten. Wenn jedoch die Angaben des Patienten, wie in Ihrem Fall bereits angeführt die Angaben zu Ihren Fluchtgründen und somit den angeblich belastenden bzw. traumatisierenden Ereignissen, nicht der Tatsachenwelt entsprechen, beruht in weiterer Folge auch die Diagnose des Arztes auf einer falschen bzw. von Ihnen bewusst verfälschten Grundlage. Die bei Ihnen getroffene Diagnose vom 20.02.2017 stellt somit aus denklogischer Sicht keinen ausreichenden Beweis auf das tatsächliche Vorliegen der Erkrankung dar. Zudem haben Sie im Zuge der Erstbefragung dezidiert erklärt, dass Sie an keinen Beschwerden oder Krankheiten leiden. Aufgrund Ihrer persönlichen Situation als Flüchtling hier in Österreich ist nachvollziehbar, dass Sie depressiv verstimmt sind. Angesichts dieser Tatsache kann jedoch in keinster Weise daraus geschlossen werden, dass Sie an einer schweren Depression oder PTBS leiden würden. Ebenso Ihr Verhalten während der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) Regionaldirektion Tirol, wo Sie zeitlich und örtlich orientiert waren, einen völlig normalen Eindruck machten, auf die Fragen klar und spontan antworteten und sich keinerlei Anzeichen ergaben, zeugte eindeutig davon, dass Sie keine psychischen Beeinträchtigungen haben. Glaubhaft sind Ihre Angaben, dass Sie nicht an einer lebensbedrohlichen physischen Krankheit leiden. In weiterer Folge legten Sie auch keine weiteren medizinischen Unterlagen über eine weitere Behandlung vor, sodass für die erkennende Behörde davon auszugehen war, dass Sie sich zum Zeitpunkt gegenwärtiger Entscheidung auch diesbezüglich keiner ärztlichen Behandlung unterziehen müssen und gesund sind. Unabhängig davon haben Sie im Falle der Rückkehr zudem die Möglichkeit einer Fortführung der medikamentösen und sonstigen Behandlung und können Sie zudem mit der Unterstützung durch Ihr familiäres und soziales Umfeld (Freunde, Verwandte etc.) rechnen. Sie könnten sich auch in Kismayo oder Mogadischu einer diesbezüglichen medizinischen Behandlung unterziehen. An dieser Stelle wird auf die rechtliche Beurteilung verwiesen. Die bei Ihnen diagnostizierte Erkrankung stellt somit keinerlei Rückkehrhindernis dar. [...]"
5. Für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) wurde dem BF am 01.03.2017 mit Verfahrensanordnung gemäß § 63 Abs. 2 AVG der Verein Menschenrechte Österreich gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig als Rechtsberater zur Seite gestellt.
6. Mit dem am 16.03.2017 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl durch seinen Rechtsvertreter eingebrachten Schriftsatz vom selben Tag, erhob der BF fristgerecht Beschwerde gegen den oben genannten Bescheid.
7. In der Folge wurde ein Firstsetzungsantrag beim Verwaltungsgerichtshof wegen Verletzung der Entscheidungspflicht eingebracht. Mit verfahrensleitender Anordnung vom 24.04.2018, eingelangt am 27.04.2018, wurde das Bundesverwaltungsgericht aufgefordert binnen drei Monaten eine Entscheidung zu erlassen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-Verfahrensgesetz - BFA-VG), BGBl I 87/2012 idgF entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.
Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG), BGBl I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gegenständlich liegt somit mangels anderslautender gesetzlicher Anordnung in den anzuwendenden Gesetzen Einzelrichterzuständigkeit vor.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist, die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss. Gemäß Abs. 3 sind auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes § 29 Abs. 1 zweiter Satz, Abs. 4 und § 30 sinngemäß anzuwenden. Dies gilt nicht für verfahrensleitende Beschlüsse.
Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Zu Spruchteil A):
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß Abs. 2 leg. cit. hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht selbst zu entscheiden, wenn 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen und die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraus. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG. (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013) § 28 VwGVG Anm. 11). § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.
Aus der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu der vergleichbaren Bestimmung des § 66 Abs. 2 AVG ergibt sich, dass nur Mängel der Sachverhaltsfeststellung d.h. im Tatsachenbereich zur Behebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit berechtigen (vgl. VwGH 19.01.2009, 2008/07/0168; VwGH 23.5.1985, 84/08/0085).
Der Verwaltungsgerichtshof hat mit den Erkenntnissen vom 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315 und Zl. 2000/20/0084, grundsätzliche Ausführungen zur Anwendbarkeit des § 66 Abs. 2 AVG im Asylverfahren im Allgemeinen und durch den Unabhängigen Bundesasylsenat im Besonderen getätigt. Dabei hat er im letztgenannten insbesondere Folgendes ausgeführt:
"Bei der Abwägung der für und gegen eine Entscheidung gemäß § 66 Abs. 2 AVG sprechenden Gesichtspunkte muss nämlich auch berücksichtigt werden, dass das Asylverfahren nicht nur möglichst kurz sein soll. Zur Sicherung seiner Qualität hat der Gesetzgeber einen Instanzenzug vorgesehen, der zur belangten Behörde und somit zu einer gerichtsähnlichen, unparteilichen und unabhängigen Instanz als besonderem Garanten eines fairen Asylverfahrens führt (vgl. bereits das Erkenntnis vom 16. April 2002, Zl. 99/20/0430). Die der belangten Behörde in dieser Funktion schon nach der Verfassung zukommende Rolle einer obersten Berufungsbehörde (Art. 129c Abs. 1 B-VG) wird aber ausgehöhlt und die Einräumung eines Instanzenzuges zur bloßen Formsache degradiert, wenn sich das Asylverfahren einem eininstanzlichen Verfahren vor der Berufungsbehörde nähert, weil es das Bundesasylamt ablehnt, auf das Vorbringen sachgerecht einzugehen und brauchbare Ermittlungsergebnisse in Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen. Diese über die Unvollständigkeit der Einvernahme hinaus gehenden Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens sprechen auch bei Bedachtnahme auf die mögliche Verlängerung des Gesamtverfahrens unter dem Gesichtspunkt, dass eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst bei der ‚obersten Berufungsbehörde' beginnen und zugleich - abgesehen von der im Sachverhalt beschränkten Kontrolle der letztinstanzlichen Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof - bei derselben Behörde enden soll, für die mit der Amtsbeschwerde bekämpfte Entscheidung."
Es besteht kein Grund zur Annahme, dass sich die dargestellte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht auf die neue Rechtslage übertragen ließe. Es liegt weiterhin nicht im Sinne des Gesetzes, wenn das Bundesverwaltungsgericht erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und beurteilt, sodass es seine umfassende Kontrollbefugnis nicht wahrnehmen kann. Eine ernsthafte Prüfung des Antrages soll nicht erst beim Bundesverwaltungsgericht beginnen und zugleich enden.
Der Verwaltungsgerichtshof hat sich im seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro°2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und folgende für die Auslegung des § 28 VwGVG maßgeblichen Gesichtspunkte aufgezeigt:
Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht komme nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 1 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, auch dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt. Der Verfassungsgesetzgeber habe sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I 51, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen ist. Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stelle die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis stehe diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlange das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck finde, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werde. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen würde daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt habe. Gleiches gelte, wenn konkrete Anhaltspunkte für die Annahme bestünden, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).
Der Verwaltungsgerichtshof verlangt in seiner Rechtsprechung eine ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens eines Asylwerbers unter dem Gesichtspunkt der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers und der objektiven Wahrscheinlichkeit seines Vorbringens, wobei letzteres eine Auseinandersetzung mit (aktuellen) Länderberichten verlangt (VwGH 26.11.2003, 2003/20/0389).
Ebenso hat der Verfassungsgerichtshof in nunmehr ständiger Rechtsprechung, ausgesprochen, dass willkürliches Verhalten einer Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, dann anzunehmen ist, wenn in einem entscheidenden Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen wird oder ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren gar nicht stattfindet, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteienvorbringens oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (vgl. VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001). Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (vgl. VfSlg. 13.302/1992 mwN, 14.421/1996, 15.743/2000).
Im gegenständlichen Fall ist der angefochtene Bescheid des Bundesamtes und das diesem zugrundeliegende Verfahren aus folgenden Gründen mangelhaft: Die erstinstanzliche Behörde führte im Rahmen ihrer Beweiswürdigung aus, dass der Beschwerdeführer nicht glaubhaft darlegen konnte, dass er an einem posttraumatischen Belastungssyndrom leiden würde. Das Bundesamt bemängelte, dass das ärztliche Attest vom 20.02.2017, in welchem eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert wurde, lediglich von einem Allgemeinmediziner erfolgte und nicht von einem Facharzt. Begründend wurde weiters ausgeführt, dass die Diagnose eines Arztes insbesondere im psychologischen Bereich zu einem großen Teil auf der Anamnese beruhe. Schlussfolgernd führte die belangte Behörde aus, dass wenn jedoch die Angaben des Patienten - wie im gegenständlichen Fall - nicht den Tatsachen entsprechen, so beruhe in weiterer Folge auch die Diagnose des Arztes auf einer falschen bzw. vom Patienten bewusst verfälschten Grundlage. Die beim Beschwerdeführer getroffene Diagnose stelle somit aus denklogischer Sicht keinen ausreichenden Beweis auf das tatsächliche Vorliegen der Erkrankung dar. Mit diesen Erwägungen trifft die belangte Behörde ein medizinisches Urteil über die psychische Verfassung des Beschwerdeführers, ohne jedoch dafür eine geeignete fachliche Grundlage zu haben. Auffallend ist in diesem Zusammenhang auch, dass die belangte Behörde auf den Aspekt des ärztlichen Attestes, wonach für die Genesung des Beschwerdeführers "eine derzeitige Abschiebung in seine Heimat nicht vorteilhaft sei", überhaupt nicht eingegangen ist. Auch wenn der Beschwerdeführer in der Einvernahme vom 28.02.2017 vorgebracht hat, gesund zu sein und die belangte Behörde davon ausging, dass der Beschwerdeführer in der Einvernahme zeitlich und örtlich orientiert gewesen sei und einen völlig normalen Eindruck gemacht habe, hätte die belangte Behörde ein psychiatrisches Gutachten einholen müssen. Ohne fachärztliches Gutachten kann nicht beurteilt werden, ob eine für die Entscheidung relevante psychische Erkrankung vorliegt. Auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Notwendigkeit der Berücksichtigung psychischer Erkrankungen im Hinblick auf konstatierte Unstimmigkeiten im Aussageverhalten wird verwiesen (siehe Erkenntnis des VwGH vom 15.03.2010, Zl. 2006/01/0355, mwN).
Wie oben dargestellt, wäre das vorliegende Verfahren im Hinblick auf eine schlüssige Beweiswürdigung im Zusammenhang mit dem Gesundheitszustand des Beschwerdeführers jedenfalls durch die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens zu ergänzen. Insbesondere wäre auch der Satz im ärztlichen Attest vom 20.02.2017 - "Für eine Genesung wäre eine derzeitige Abschiebung in seine Heimat nicht vorteilhaft." - zu hinterfragen (siehe Aktenseite 73 des erstinstanzlichen Aktes). Bei Bestehen einer psychischen Erkrankung wird das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl anhand von aktuellen Länderfeststellungen zu erheben haben, ob im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers ausreichende Behandlungsmöglichkeiten vorhanden sind.
Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann - im Lichte der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 66 Abs. 2 AVG - nicht im Sinne des Gesetzes liegen.
Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht ersichtlich.
Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben.
Da der maßgebliche Sachverhalt noch nicht feststeht, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen.
Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:
Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.
Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen, zumal aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit der Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist.
Zu Spruchteil B):
Gemäß § 25 Absatz 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF., hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die Regelung des § 28 Abs. 3 VwGVG erweist sich als klar und eindeutig (vgl. dazu auch OGH 22.3.1992, 5 Ob 105/90). Die gegenständliche Entscheidung weicht weder von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab (VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063), noch mangelt es an einer derartigen Rechtsprechung; sie ist auch nicht uneinheitlich. Sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage liegen nicht vor.
Schlagworte
aktuelle Länderfeststellungen, Behebung der Entscheidung,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W142.2150696.1.00Zuletzt aktualisiert am
12.07.2018