TE Bvwg Erkenntnis 2018/7/3 W164 2103063-1

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Veröffentlicht am 03.07.2018
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Entscheidungsdatum

03.07.2018

Norm

ASVG §18a
ASVG §410
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W164 2103063-1/17E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch Richterin Dr. Rotraut LEITNER als Einzelrichterin über die Beschwerde der Frau XXXX , geb. XXXX , STA Österreich, gegen den Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt, ZI. HVBA- XXXX , vom 21.1.2015, betreffend Berechtigung zur Selbstversicherung gemäß § 18a ASVG zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs 1 und Abs 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) teilweise Folge gegeben und es wird in Abänderung des angefochtenen Bescheides festgestellt, dass Frau XXXX in der Zeit von 01.01.2015 bis XXXX 2017 gemäß § 18a ASVG zur Selbstversicherung in der Pensionsversicherung berechtigt war.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Zur Vorgeschichte: Mit Bescheid vom 20.12.2011 hatte die Pensionsversicherungsanstalt den Antrag der nunmehrigen Beschwerdeführerin (im Folgenden BF) vom 16.09.2011 auf Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege des behinderten Kindes XXXX , geboren XXXX 2002, abgelehnt. Dagegen hatte die nunmehrige BF Einspruch erhoben. Der Landeshauptmann von Tirol hatte mit Bescheid vom 14.02.2012 GES-SV-1013-1/12/7-2013 diesem Einspruch Folge gegeben und den angefochtenen Bescheid dahingehend abgeändert, dass dem Antrag der BF mit Wirkung ab 01.02.2011 stattgegeben werde. Der von der Pensionsversicherungsanstalt gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung hatte das Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz vom 10.12.2013 BMASK-521261/0001-II/A/3/2013 keine Folge gegeben und den angefochtenen Bescheid des Landeshauptmannes bestätigt.

Mit dem nun angefochtenen Bescheid Zl. HVBA- XXXX , vom 21.1.2015, hat die Pensionsversicherungsanstalt (im Folgenden PVA) festgestellt, dass die Berechtigung der BF zur Selbstversicherung in der Pensionsversicherung gemäß § 18a ASVG für Zeiten der Pflege des behinderten Kindes XXXX (im Folgenden T.) , geboren XXXX 2002, mit 31. 12. 2014 ende. Zur Begründung führte die Pensionsversicherungsanstalt aus, es sei ärztlicherseits festgestellt worden, dass das Kind T. nicht mehr der ständigen persönlichen Pflege bedürfe: Der von Zöliakie betroffene Sohn T. sei völlig beschwerdefrei, normal entwickelt, er besuche mit gutem Erfolg die dritte Klasse eines Gymnasiums. T. sei sportlich aktiv und nehme an Wettkämpfen teil. Er halte sich streng an die Gluten-freie Ernährung. Das Zubereiten der Speisen sei zwar ein gewisser Mehraufwand, eine Pflege im eigentlichen Sinn sei aber nicht notwendig.

Gegen diesen Bescheid erhob die BF fristgerecht Beschwerde und führte aus, ihr Sohn T. leide an Zöliakie. Die Nahrungsmittelaufnahme sei ein wichtiger Bestandteil seines weiteren Lebens. T. müsse die als schädlich erkannte Substanz für immer aus der Nahrung weglassen, sich also Gluten-frei ernähren. Er müsse Weizen, Roggen, Gerste und Hafer meiden. Gluten-freie Nahrungsmittel und fertige Gerichte seien kaum in einem Lebensmittelgeschäft, Restaurant oder in der Schulkantine erhältlich. Die BF bereite Gluten-freie Mahlzeiten, das Frühstück, Vormittagsjause, Mittagessen, Nachmittagsjause und Abendessen für T. zuhause vor. T. könne nicht in das nächste Geschäft gehen, um sich irgendwelche Lebensmittel zu kaufen. Seine Grundnahrungsmittel seien nur im Fachhandel erhältlich. Schulveranstaltungen und Reisen, die über mehrere Tage auswärts veranstaltet werden, müsse die BF vorab organisieren. Das jeweilige Gästehaus oder Hotel müsse Gluten-freies Kochen beherrschen, ansonsten wäre keine Schulveranstaltung oder Reise möglich. Die Rohprodukte gebe die BF mit oder bringe sie mit. Es müsse auch durch getrennte Kochutensilien vermieden werden, dass es zu einer Kontamination mit Gluten-haltigen Lebensmitteln kommen könnte. Die BF verbringe viel Zeit in der Küche. Nur durch die Einhaltung der strikt Gluten-freien Diät und der Vermeidung von Kontaminationen, sowie durch Planung der laufenden Mahlzeiten habe T. keine Gedeih-oder Wachstumsstörungen. Zwar würden Alergene auf Speisekarten usw. aufscheinen, dies garantiere aber nicht, dass sich jeder bei der Zubereitung der Speisen daran halte. Ein zwölfjähriges Kind würde die Allergie-Informations-Verordnung auch nicht kennen. Die normale Leistungsfähigkeit des behinderten Sohnes der BF hänge vom Ist- Zustand ab. Dieser sei durch die Einhaltung der strikten Gluten-freien Diät erreicht. Ohne diese wären Spiel, Sport, Schule nur in eingeschränktem Maß möglich. T. sei zwölf Jahre, also noch ein Kind. Er könne nicht selbst entscheiden, was gut und was schlecht für ihn sei. T. werde die Lebensmittelbeschaffung, Zubereitung der Mahlzeiten in den nächsten Jahren nicht selber durchführen. Er bedürfe der persönlichen Hilfe, Betreuung und Pflege der BF. Die BF verwies auf ein vom Bundessozialamt veranlasstes fachärztliches Gutachten von Dr. Bernhard Mores, das einen Gesamtgrad der Behinderung 50 v.H. anhaltend am 30.06.2014 bestätigt habe. Mit Bescheid des Amtes der Tiroler Landesregierung GES-SV-1013-1/12/7-2013 vom 14.2.2012 sei die Beanspruchung der Arbeitskraft der BF für T. bestätigt wurden. Das Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz habe mit Bescheid BMASK-521261/0001-II/A/3/2013 vom 10.12.2013 der von der Pensionsversicherungsanstalt dagegen erhobenen Berufung keine Folge gegeben.

Die PVA verwies in ihrem Vorlagebericht an das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen auf die im erstinstanzlichen Verfahren vorgenommenen Ermittlungen.

Das Bundesverwaltungsgericht forderte die im erstinstanzlichen Verfahren herangezogene Gutachterin zur ergänzenden Stellungnahme und näher definierter Erläuterung des Gutachtens auf. Diese nahm mit 06.3.2017 wie folgt Stellung:

Im vorliegenden Fall liege zweifelsfrei Zöliakie vor. Die Frage, ob die normale Reinigung des Kochgeschirrs genüge, sei abhängig vom Material zu beantworten: Arbeitsgeräte aus Holz und Kunststoff (Schneidbretter, Wellhölzer, Kochlöffel Backpinsel u.ä.) sollten nur für die glutenfreie Zubereitung verwendet werden, da die Reinigung schwierig sei und Gluten sich leicht in Ritzen und Fugen festsetze. Vor Arbeitsbeginn müsse eine sorgfältige Reinigung von Arbeitsflächen, Kochgeschirr, Backformen, Backblechen, Schneebesen und Kochlöffeln erfolgen. Schon geringste Mengen an Gluten würden Schäden im Körper verursachen, die allerdings subjektiv keinerlei Beschwerden verursachen müssen. Das Gluten setze eine immunologische Reaktion in Gang. Das Abflachen der Darmzotten und damit verbunden das Auftreten der Symptome (Bauchschmerzen und Durchfälle) könne bis zu mehreren Jahren dauern. Schon die immunologische Reaktion im Körper eines Zöliakie-Betroffenen erhöhe das Risiko, krank zu werden und an Darmkrebs zu erkranken. Die derzeit einzig sichere Möglichkeit, Zöliakie zu therapieren bestehe in einer lebenslangen, strikt Gluten-freien Ernährung. Eine solche Diät solle verhindern, dass Betroffene mehr als 20 mg Gluten pro Tag zu sich nehmen - dies entspreche etwa 1/100 einer Brotscheibe. Wer einen Gluten-haltigen Brotkrümmel zu sich nimmt, der werde keine Probleme haben. Wer allerdings glaube, eine Pizza im Monat essen zu können, sei im Irrtum. (die Gutachterin verwies auf die so lautende Aussage eines näher genannten Facharztes). Eine psychische Unterstützung bzw. Motivation wirke sich beim Einhalten jeder Diät positiv aus. Diese müsse aber nicht durch ständige Anwesenheit erfolgen. Das von Zöliakie betroffene Kind der BF sei zum Zeitpunkt der Begutachtung Schüler der 3. Klasse Gymnasium gewesen. T. selbst und seine Mutter hätten bestätigt, dass er sich mit der Diät schon recht gut auskenne. Im Zweifel werde das Nahrungsmittel weggelassen oder Rücksprache gehalten.

Das Bundesverwaltungsgericht hat mit verfahrensleitendem Beschluss vom 19.09.2017 Herrn Dr. Andreas Entenmann gemäß § 52 Abs. 2 AVG iVm § 17 VwGVG zum Sachverständigen aus dem Bereich Kinder- und Jugendheilkunde bestellt und ihm folgende Fragen gestellt:

1. Kann aus medizinischer Sicht ein bestimmtes Alter genannt werden, ab dem ein Kind im Allgemeinen selbst in der Lage ist, bei altersentsprechender Aufklärung seine Krankheit und die notwendige besondere Ernährungsform zu beherrschen und gleichzeitig einen seinem Alter angemessenen Alltag (Schule, Freizeitgestaltung mit gleichaltrigen Freunden, Schulausflüge, Schikurse) zu leben?

2. Trifft die unter 1. Getroffene Feststellung auch für den Sohn der Beschwerdeführerin zu, oder war dieser in seiner diesbezüglichen Entwicklung gleichaltrigen Kindern voraus/verzögert?

2a) Bei Zutreffen einer nicht durchschnittlichen Entwicklung: kann der Unterschied zur durchschnittlichen Entwicklung Gleichaltriger mit einem ungefähren zeitlichen Ausmaß beziffert werden.

3. Konnte man aus ärztlicher Sicht Elternteilen von Zöliakie-betroffenen Kindern, die noch nicht in der Lage waren, ihre Diät selbstständig zu beherrschen, im verfahrensrelevanten Zeitraum (ab 1.1.2015) zu bestimmten Vorkehrungen für den Tagesablauf raten, sodass dennoch eine strikte Einhaltung der Diät etwa auch bei Schulveranstaltungen, Schikursen und im Kontakt mit Gleichaltrigen gewährleistet war?

4. War die Einhaltung der erforderlichen Diät ab Anfang 2015 bereits unter denselben Bedingungen zu bewerkstelligen wie heute?

Herr Dr. Andreas Entenmann hat diese Fragen mit pädiatrisch fachärztlichem Gutachten vom 22.10.2017 wie folgt beantwortet:

Bei Zöliakie handle es sich um eine Unverträglichkeit des Körpers auf Gluten, einem Eiweiß des in verschiedenen Getreidesorten vorkommt. Auf den Genuss von Gluten-haltigen Nahrungsmitteln reagiere der Körper mit einer Entzündung des Dünndarmes. Dadurch könnten Nährstoffe schlechter aufgenommen werden. Es könne dadurch zu Mangelerscheinungen bis hin zu Gedeihstörungen oder zu neurologischen Störungen kommen. Eine nicht oder unzureichend behandelte Zöliakie erhöht zudem das Risiko an Lymphknoten-Krebs zu erkranken. Die Entzündung selbst könne von der Patientin oder dem Patienten unterschiedlich wahrgenommen werden: Manche Kinder würden beim Genuss von glutenhaltigen Nahrungsmitteln mit starken Symptomen wie Bauchschmerzen, Übelkeit und Durchfällen reagieren. Andere Patientinnen oder Patienten würden gar keine Beschwerden haben und die Krankheit würde durch Zufall entdeckt. In beiden Fällen müsse man als Patientin oder Patient glutenhaltige Nahrungsmittel konsequent und strikt lebenslang vermeiden, da sich ansonsten die Entzündung nicht zurückbilden könne. Auf Dauer würde man dann körperlichen Schäden nehmen (Mangelerkrankungen, Tumorerkrankungen). Ziel sei also, eine konsequente, lebenslange, komplett glutenfreie Ernährung ohne Diätverstöße, die viel Wissen über Nahrungsmittel und ihre Zubereitung voraussetze, da Gluten, insbesondere in konfektionierten Lebensmitteln auch "versteckt" vorhanden sein könne. Problematisch seien auch geringe Spuren von Gluten wenn beispielsweise in einem gastronomischen Betrieb zwar glutenfreie Gerichte angeboten würden, im gleichen Arbeitsbereich jedoch zuvor mit normalem Mehl Gerichte zubereitet wurden. Neben speziellem Wissen zur Diätführung sei auch viel "Alltagserfahrung" notwendig. Für einen intelligenten und differenzierten erwachsenen Menschen sei die spezielle Diätführung kein unüberwindbares Problem, da genug glutenfreie Nahrungsmittel zur Verfügung stehen würden (Reis, Kartoffel, Gemüse, Fleisch, Fisch). Eine schmackhafte ausgewogene und gesunde Ernährung sei mit erhöhtem, jedoch vertretbaren Aufwand möglich. Die Kosten für die glutenfreie Ernährung seien (aufgrund der Verwendung von speziellen Produkten) dabei höher als bei einer glutenhaltigen Ernährung anzunehmen. Die glutenfreie Ernährung von Kindern stelle dagegen ein bedeutendes Problem dar: Durch die vielen Nahrungsmittelverbote seien Kinder leicht stigmatisierbar und würden häufig in eine Außenseiterposition geraten. Die Krankheitseinsicht und die Notwendigkeit zur Diätführung sei im Kleinkindalter schwer zu vermitteln. Im jugendlichen Alter komme es im Rahmen des Ablöseprozesses vom Elternhaus häufig zu einer Verweigerung, die Krankheit und ihre Behandlung zu akzeptieren. Mehrere Faktoren seien notwendig damit eine restriktive Diät im Kindesalter durchgeführt werden könne: Die Einsicht, krank zu sein, die Akzeptanz der Krankheit, die Bereitschaft, die Krankheit zu behandeln und das spezielle Wissen zur Diätführung zusammen mit den Fertigkeiten die Nahrung entsprechend zu zubereiten. Krankheitseinsicht und Krankheitsakzeptanz seien dann am einfachsten zu vermitteln, wenn das Kind bei Gluten-Kontakt mit körperlichen Symptomen reagiere und wenn die Behandlung bereits im Kleinkindesalter begonnen werde. Wenn das Kind die Auswirkungen des Genusses glutenhaltiger Nahrung nicht (negativ) wahrnehme, sei es umso schwerer, die Notwendigkeit einer glutenfreien Ernährung zu vermitteln. Mit guter elterlicher Führung und professioneller Unterstützung durch geschulte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Kindergarten und Schule gelinge dies im Kleinkindesalter und Schulkindesalter erfahrungsgemäß bei 70 bis 80 % der betroffenen Familien. Im Pubertätsalter komme es häufig zu schweren Diätverstößen, die eine geduldige Intervention und Überzeugungsarbeit von Eltern und ärztlichen Betreuerteam erfordern würden.

Frage 1: Die Nennung eines bestimmten Alters, ab dem ein Kind im Allgemeinen selbst in der Lage sei, bei altersentsprechender Aufklärung seine Krankheit und die notwendige besondere Ernährungsplan zu beherrschen und gleichzeitig einen seinem Alter angemessenen Alltag zu leben, sei medizinisch nicht einfach und eindeutig möglich: Hier bestehe die Abhängigkeit von vielen individuellen Faktoren (Krankheitseinsicht, Krankheitsakzeptanz, Pubertätsverlauf). Die Komplexität einer glutenfreien Ernährung dürfe dabei nicht unterschätzt werden. Wenn unter einer so restriktiven Ernährung das Essen schmackhaft, gesund und ausgewogen sein soll, so sei viel Wissen und Können im Hinblick auf die Nahrungszubereitung erforderlich. In der Regel seien Kleinkinder und Schulkinder nicht in der Lage, eine angemessene Auswahl an komplexen Gerichten zu zubereiten. Berücksichtigen müsse man auch, dass neben der reinen Vermittlung von Wissen und Können auch die kontinuierliche Motivierung des Kindes durch die Eltern zum Durchführen und Durchhalten der Diät erforderlich sei. Erst im jugendlichen Alter bestehe erfahrungsgemäß die Reife, das Wissen und das Können, eine Gluten-freie Ernährung konsequent selbstständig zuzubereiten. Beim männlichen Patienten sei dieses Alter frühestens mit 15 Jahren, eher mit 16 oder 17 Jahren anzunehmen. In diesem Alter komme es jedoch häufig (aufgrund von Ablösungsprozessen im Rahmen der Pubertät) zu Diätverstößen. Eine ausgewogene und abwechslungsreiche, streng glutenfreie Ernährung in der Schule sei nur dann möglich, wenn die Schulkantine glutenfreie Mahlzeiten anbiete und fachgerecht zubereiten könne. Ähnliches gelte für Freizeitaktivitäten, Schulausflüge und Skikurse.

Frage 2: Zur Klärung dieser Frage habe der Gutachter ein Gespräch mit der Mutter durchgeführt und Fragen zu intellektuellen und motorischen Entwicklung mittels eines strukturierten Anamnesebogens gestellt und von der Mutter schriftlich beantwortet. Ferner seien die Arztbriefe aus der Landesklinik Tirol im Hinblick auf die Aussagen zur geistigen oder körperlichen Entwicklung untersucht worden. Anhand der durchgeführten Anamnese sei festzustellen, dass der Junge alle "Meilensteine" der psychomotorischen Entwicklung im regelrechten Zeitpunkt erreicht habe. Es handle sich, laut den vorliegenden Informationen, um einen intelligenten und guten Schüler, der eine weitergehende Schule besucht. Es sei von einer altersentsprechenden Entwicklung auszugehen. Der Sohn der Beschwerdeführerin sei zu Beginn des verfahrensrelevanten Zeitraumes, 01.01.2015 12 Jahre und zehn Monate alt gewesen. In diesem Alter sei ein Kind mit der Aufgabe einer selbstständigen Gluten-freien Ernährung überfordert. Bei der telefonischen Befragung der Mutter des Patienten habe diese angegeben, dass die Diätführung ihres Sohnes im Kleinkindalter und Schulkindalter "ein permanenter Kampf" gewesen sei. Für die konsequente Einhaltung der Gluten-freien Diät sei ständige und geduldige "Überzeugungsarbeit" notwendig gewesen. Diese Aussagen der Mutter würden im Einvernehmen mit den gutachterlichen Ausführungen zu Frage 1 stehen.

Frage 3: Aus ärztlicher Sicht habe man Elternteilen von Zöliakie -betroffenen Kindern, die noch nicht in der Lage waren, ihre Diät selbstständig zu beherrschen, im verfahrensrelevanten Zeitraum zu bestimmten Vorkehrungen für den Tagesablauf geraten, mit dem Ziel, dass dennoch eine strikte Einhaltung der Diät etwa auch bei Schulveranstaltungen, Skikursen und im Kontakt mit Gleichaltrigen gewährleistet würde. Diese Vorkehrungen hätten beispielsweise den Rat zur Kontaktaufnahme mit der Schulleitung, den Lehrerinnen und Lehrern, Trainerinnen und Trainern zur Aufklärung über die besonderen Bedürfnisse eines Zöliakie-kranken Kindes beinhaltet. Die genannten Vorkehrungen seien den betroffenen Familien regelhaft im Rahmen der Aufklärungssgespräche bei Diagnosestellung empfohlen worden. Im Rahmen der strukturierten Befragung der Mutter habe diese angegeben, die genannten Maßnahmen und Vorkehrungen durchgeführt zu haben. Die Schulkantine habe dabei keine Möglichkeit zur Gluten-freien Verköstigung angeboten. Auf Schulausflügen oder Skikursen habe es teilweise keine Möglichkeit gegeben, Gluten- freie Mahlzeiten zu erhalten. Während der Schulzeit sei das Kind daher in der Pause nach Hause gegangen, um dort eine warme Gluten- freie Mahlzeit zu erhalten, zubereitet von der Mutter des Patienten.

Frage 4: Die Einhaltung der erforderlichen Diät sei ab 1.1.2015 mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht unter exakt denselben Bedingungen zu bewerkstelligen gewesen wie es heute der Fall sei. Im Schulkindalter sei die Schwierigkeit für die Eltern zunächst einmal eine Akzeptanz der Erkrankung und die Einsicht in die Notwendigkeit zum Führen einer speziellen Diät zu erreichen. Mit zunehmender intellektueller Reife des Kindes rücke dann die Vermittlung von Wissen und von Fähigkeiten zur Zubereitung der komplexen Mahlzeiten in den Vordergrund. Mit Eintritt in die Pubertät, mit der häufig zu beobachtenden Ablehnung von Krankheit und Diätführung, komme dann die Aufgabe hinzu, den Jugendlichen zu bestärken, zu motivieren, zu überzeugen und zu unterstützen die Diät beizubehalten. Gemeinsame Mahlzeiten würden ein wichtiges Element zur Stärkung der familiären Bindung darstellen, die für so einen Prozess notwendig sei. So gesehen bringe jede Entwicklungsphase eines Kindes ihre besonderen Herausforderungen an die Eltern eines Zöliakie-kranken Kindes mit sich. Als weiterer Gesichtspunkt komme hinzu, dass das Angebot an Gluten-freien Nahrungsmitteln in den Nahrungsmittelläden in den letzten Jahren deutlich zugenommen habe. Mittlerweile sei auch in Discountmärkten ein Angebot an Gluten-freien Lebensmitteln erhältlich. Auch in gastronomischen Betrieben gebe es ein zunehmendes Angebot an Gluten-freien Speisen und Mahlzeiten. Es sei daher anzunehmen, dass die Gluten-freie Ernährung zum aktuellen Zeitpunkt etwas einfacher zu bewerkstelligen sei als zum Stichtag 1.1.2015.

Die Pensionsversicherung äußerte sich im Rahmen des zu diesem Gutachten gewährten Parteiengehörs wie folgt:

Aus den Ausführungen des Sachverständigen ergebe sich, dass Eltern eines an Zöliakie-krankten Kindes im Vergleich zu Eltern eines gesundes Kindes zwar mit Mehrbelastungen zu kämpfen hätten, jedoch lasse sich aus dem Gutachten nicht ableiten, dass dadurch die Arbeitskraft der Mutter über den 31.12.2014 hinaus überwiegend beansprucht werde. Es handle sich gemäß den Ausführungen des Sachverständigen um einen intelligenten und guten Schüler, der altersentsprechend entwickelt sei. Auch gesunde Kinder gleichen Alters würden in diesem Alter gewisser Unterstützung bedürfen. Darüber hinaus führte der Sachverständige aus, dass das Angebot an glutenfreien Nahrungsmitteln deutlich zugenommen habe und auch in gastronomischen Betrieben ein zunehmendes Angebot solcher Speisen vorliege.

Die Beschwerdeführerin räumte mit Stellungnahme vom 12.11.2017 ein, dass glutenfreie Lebensmittel heute leichter zu beschaffen seien, als vor mehreren Jahren. Die Lebensmitteltrends in den letzten Jahren hätten dies erleichtert. Heute beziehe sich jeder nur noch auf den Onlinehandel. Die Beschwerdeführerin beschaffe keine glutenfreien Lebensmitteln im Onlinehandel. Sie beschaffe die Lebensmittel in ihrer Region. Dass einige glutenfreie Lebensmittel per Bestellung direkt an die Haustüre geliefert werden, komme vor. Die meisten glutenfreien Lebensmittel für die Hauptmahlzeiten seien aber noch nicht essbereit und müssten von ihr zubereitet werden. Glutenfreie Lebensmittel seien eine Kostenfrage. Die Beschwerdeführerin brachte Beispiele. Der Besuch von Gaststätten und Restaurants sei immer noch eine Herausforderung. Die Allergen-Verordnung in den Gastronomiebetrieben sei sicherlich eine kleine Hilfe für Personen, die an einer Unverträglichkeit leiden. Aber es scheitere oft an den Kleinigkeiten. Es sei fast unmöglich, gemeinsam eine Pizzeria zu besuchen: Kontaminierte Öfen durch Weizenmehl, Arbeitsflächen und Küchenutensilien. Wenn die Pizzeria nicht auf glutenfreie Produkte spezialisiert sei, sei es auch nicht möglich, eine glutenfreie Pizza zu bestellen. Wenn sich der Sohn einen Eisbecher mit dem Hinweis ohne Waffel bestelle und der bestellte Eisbecher dann mit einer Waffel auf den Tisch komme, sei der Eisbecher kontaminiert. Es genüge nicht, die Waffel einfach herauszunehmen. In einen Gastronomiebetrieb zu gehen und in der Speisekarte mehrere glutenfreie Gerichte im Angebot zu haben, sei fast unmöglich. Ein schnelles Abo-Essen zu Mittag sei unmöglich. Für die Gastronomen würde sich der Aufwand, glutenfreie Speisen zuzubereiten, nicht rentieren. Es gebe nicht viele Menschen, die darauf angewiesen seien. Die Beschwerdeführerin habe auch deshalb gemeinsam mit ihrem Sohn beschlossen, dass er seine weitere schulische Ausbildung in seiner Heimatstadt absolvieren solle. So könne der Sohn ungehindert nach Hause kommen und die von ihr zubereiteten glutenfreien Mahlzeiten essen. Das Kochen der glutenfreien Lebensmittel sei immer noch aufwendig und das werde sich auch nicht ändern. Die Beschwerdeführerin versuche abwechslungsreich für ihren Sohn zu kochen. Der Sohn sei beschwerdefrei, weil die Beschwerdeführerin diesen dargelegten Aufwand auf sich genommen habe.

Die Pensionsversicherungsanstalt machte von der Möglichkeit, im Rahmen des Parteiengehörs erneut Stellung zu nehmen, keinen Gebrauch.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Im verfahrensgegenständlichen Zeitraum wohnte die BF mit ihrem am XXXX 2002 geborenen Sohn T. im gemeinsamen Haushalt in einer Kleinstadt im Inland. Bei T. wurde im Februar 2011 Zöliakie diagnostiziert. Seither wurde für ihn erhöhte Familienbeihilfe im Sinne des Familienlastenausgleichsgesetzes gewährt. Aufgrund seines Leidens musste der Sohn T. strenge Gluten-freie Diät halten. Es waren alle Gluten-haltigen Nahrungsmittel (insbesondere Roggen, Weizen, Gerste und Dinkel) zu vermeiden. Die Nichteinhaltung der Diät kann zu Durchfällen, einer Gewichtsabnahme, einer Gedeihstörung, einem erhöhten Risiko für Lymphome des Dünndarms sowie bei schweren Verlaufformen zu ernsthaften gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen. Der BF besuchte in seiner Heimatstadt eine höhere Schule. Die Schulkantine stellte keine Gluten-freien Mahlzeiten zur Verfügung. Die BF ermöglichte die für den Sohn erforderliche Diät durch tägliches Vorbereiten aller Mahlzeiten ihres Sohnes unter Beachtung besonderer Hygienevorschriften. Durch begleitende organisatorische Maßnahmen ermöglichte sie darüber hinaus dass ihr Sohn an Schulveranstaltungen, Schullandwochen und Schikursen teilnehmen konnte. Der Sohn der BF ist bedingt durch die konsequente Einhaltung einer komplett Gluten-freien Diät gesund und normal entwickelt.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen ergeben sich aus dem Akt der belangten Behörde, sowie aus den im Rahmen des Beschwerdeverfahrens eingeholten unter Punkt I., "Verfahrensgang" näher angeführten ärztlichen Gutachten und Stellungnahmen beider Verfahrensparteien.

3. Rechtliche Beurteilung:

§ 414 Abs. 1 ASVG normiert die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts zur Entscheidung über Beschwerden gegen Bescheide eines Versicherungsträgers.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 414 Abs. 2 ASVG entscheidet in Angelegenheiten nach § 410 Abs. 1 Z 1, 2 und 6 bis 9 das Bundesverwaltungsgericht auf Antrag einer Partei durch einen Senat; dies gilt auch für Verfahren, in denen die zitierten Angelegenheiten als Vorfragen zu beurteilen sind. In der vorliegenden Angelegenheit wurde kein Antrag auf eine Senatsentscheidung gestellt. Gegenständlich liegt somit EinzelrichterInnenzuständigkeit vor.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu A)

Im vorliegenden Fall ist strittig, ob die BF auch nach dem 31.12.2014 zur Selbstversicherung gemäß § 18a ASVG berechtigt war. Sache des Beschwerdeverfahrens ist daher die Frage der Berechtigung der BF zur Selbstversicherung in der Pensionsversicherung gem. § 18a ASVG ab 01.01.2015.

§ 18a Abs 1 in der ab 1.1.2015 geltenden Fassung lautet wie folgt:

Personen, die ein behindertes Kind, für das erhöhte Familienbeihilfe im Sinne des § 8 Abs. 4 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376, gewährt wird, unter überwiegender Beanspruchung ihrer Arbeitskraft in häuslicher Umgebung pflegen, können sich, solange sie während dieses Zeitraumes ihren Wohnsitz im Inland haben, längstens jedoch bis zur Vollendung des 40. Lebensjahres des Kindes, in der Pensionsversicherung selbstversichern. Der gemeinsame Haushalt besteht weiter, wenn sich das behinderte Kind nur zeitweilig wegen Heilbehandlung außerhalb der Hausgemeinschaft aufhält. Eine Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege eines behinderten Kindes kann jeweils nur für eine Person bestehen.

Die besondere Selbstversicherung in der Pensionsversicherung nach § 18 a ASVG wurde durch die 44. ASVG-Nov (BGBl 1987/609), in Kraft ab 1.1.1988, geschaffen. Sie sollte zunächst nur Elternteilen zugutekommen, die sich ausschließlich und allein der Pflege ihres behinderten Kindes widmeten und daher nicht in der Lage waren, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen und für eine eigenständige Alterssicherung vorzusorgen: § 18a Abs 1 ASVG forderte die "gänzliche Beanspruchung der Arbeitskraft" ab; §18a Abs 2 Z 1 ASVG in der Fassung BGBl. Nr. 20/1994, BGBl. I Nr. 1/2002, BGBl. I Nr. 142/2004, BGBl. I Nr. 132/2005 schloss die Selbstversicherung für Zeiten aus, für die eine Pflichtversicherung oder Weiterversicherung in der gesetzlichen Pensionsversicherung oder ein bescheidmäßig zuerkannter Anspruch auf eine laufende Leistung aus einer eigenen gesetzlichen Pensionsversicherung bestand.

Seit dem SVÄG BGBl I 2015/2 (mit Geltung ab 1. 1. 2015, § 688 Abs 1 Z 2) genügt gemäß § 18a Abs 1 ASVG bereits eine "überwiegende Beanspruchung der Arbeitskraft", sodass- wie bei der Pflege naher Angehöriger nach § 18 b - eine Selbstversicherung zusätzlich zu einer aus einer Erwerbstätigkeit resultierenden Pflichtversicherung, im Ergebnis also eigentlich eine "Höherversicherung" ermöglicht wird. Der Ausschlussgrund des §18a Abs 2 Z 1 ASVG wurde aufgehoben (vgl. Pfeil in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 18a (Stand: 1.8.2015, rdb.at).

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis 2014/08/0084 vom 19.1.2017 zu einem Fall betreffend § 18b ASVG klargestellt hat, stellt die in § 18a ASVG durch das Sozialversicherungs-Anpassungsgesetz - SVAG, BGBl. I Nr. 2/2015, normierte Legaldefinition "überwiegende" (zuvor "gänzliche") Beanspruchung der Arbeitskraft durch die Pflege eines behinderten Kindes - im Gegensatz zu § 18b ASVG - nicht (primär) auf eine zeitliche Inanspruchnahme durch die Pflege (hier: Anzahl der Pflegestunden), sondern auf speziell für behinderte Kinder zugeschnittene andere Kriterien ab.

Zum Bedeutungsinhalt der vom Gesetz geforderten Beanspruchung der Arbeitskraft, die einen Anspruch nach § 18a ASVG erzeugen würde, liegt Judikatur des VwGH bezogen auf die bis 31.12.2014 geltende (also strengere) Regelung der "gänzlichen" Beanspruchung der Arbeitskraft vor.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 2003/08/0261 vom 16.11.2005 (bezogen auf die vor dem 1.1.2015 geltende Rechtslage) ausgesprochen hat, liegt eine gänzliche Beanspruchung der Arbeitskraft auch dann vor, wenn ein schulpflichtiges behindertes Kind zwar die Schule besucht (also nicht wegen seiner Behinderung von der Schulpflicht befreit ist), aber ständige Betreuung außerhalb der Zeit des Schulbesuches erforderlich ist und wenn bei Unterbleiben dieser Betreuung die Entwicklung des Kindes im Verhältnis zu einem ähnlich behinderten Kind, dem diese Zuwendung zuteil wird, benachteiligt oder gefährdet wäre.

Diese Judikatur ist unter Bedachtnahme auf VwGH 2014/08/0084 vom 19.1.2017 auf die nun geltende Gesetzeslage entsprechend zu übertragen.

Für den vorliegenden Fall ergibt sich daraus, dass der Zugang zur Selbstversicherung gemäß § 18a ASVG ausgehend von der oben dargelegten Interpretation des bis 31.12.2014 geltenden Begriffes, erleichtert werden sollte.

Es ist daher auch dann von einer überwiegenden Beanspruchung der Arbeitskraft auszugehen, wenn ein schulpflichtiges behindertes Kind die Schule besucht, aber überwiegende Betreuung außerhalb der Zeit des Schulbesuches erforderlich ist und wenn bei Unterbleiben dieser Betreuung die Entwicklung des Kindes im Verhältnis zu einem ähnlich behinderten Kind, dem diese Zuwendung zuteil wird, benachteiligt oder gefährdet wäre.

Zum konkreten Sachverhalt:

Der Umstand, dass der Sohn T. der BF - bedingt durch die konsequente Einhaltung einer komplett Gluten-freien Diät - gesund und normal entwickelt ist, ist für die vorliegende Beurteilung nicht relevant, da sich die Beschwerdevorbringen der BF gerade auf jenen erhöhten Arbeitsaufwand beziehen, der diese (bedingte) Gesundheit des Kindes T. ermöglicht hat.

Die vorliegende Beurteilung hat sich daher auf die Frage zu beschränken, ob die Arbeitskraft der BF (im verfahrensgegenständlichen Zeitraum) durch die von ihr durchgeführten Betreuungstätigkeiten erforderlich war, um ihrem Sohn eine weitgehend normale altersgemäße Entwicklung zu ermöglichen. Weiters war zu prüfen, ob die Arbeitskraft der BF durch diese Betreuungsarbeit überwiegend beansprucht wurde.

Wie sich aus dem obigen pädiatrisch fachärztlichen Gutachten ergibt, ist der Sohn T. der BF altersgemäß normal entwickelt und es kann vorausgesetzt werden, dass dieser ab einem Alter von 15 Jahren selbst in der Lage war, seine Krankheit und die notwendige besondere Ernährungsform zu beherrschen und gleichzeitig einen seinem Alter angemessenen Alltag zu leben. Für die Zeit ab dem 15. Geburtstag des Sohnes T. der BF bestand daher keine Berechtigung zur Selbstversicherung gem. § 18a ASVG.

Für die Zeit bis zum 15. Geburtstag des Sohnes T. der BF (1.1.2015 bis 23.6.2017) waren folgende Überlegungen anzustellen:

Die BF wohnte in einer Kleinstadt mit etwa 13.000 Einwohnern, in der Lebensmittelketten angesiedelt sind, die im genannten Zeitraum Gluten-freie Nahrung anboten. Die BF hatte somit objektiv betrachtet - neben der Möglichkeit, Gluten-freie Nahrungsmitteln online zu beziehen - die Möglichkeit, ohne deutlich erhöhten Aufwand Gluten-freie Nahrungsmittel einzukaufen. Dass sie selbst entschied, nur Produkte aus der Region zu beziehen, deren Einkauf möglicherweise aufwendiger war, kann in diese Beurteilung nicht einbezogen werden. Gleichzeitig ist festzustellen, dass der Sohn T. der BF in der Stadt selbst eine seinen Neigungen entsprechende höhere Schule besuchen und (aufgrund der geringen Entfernung zur Schule) mittags zum Essen heimkommen konnte.

In der Schulkantine konnte der Sohn T. der BF jedoch keine glutenfreien Speisen erhalten. Auch unterwegs war dem Sohn der BF der Kauf essfertiger glutenfreier (und nicht kontaminierter) Speisen nur in Ausnahmefällen bedenkenlos möglich. Der Sohn T. der BF befand sich in einem Alter, in dem die Teilnahme an sportlichen oder sonstigen Veranstaltungen in Schule und Freizeit nach allgemeiner Lebenserfahrung eine zentrale Bedeutung einnimmt. Unter Berücksichtigung des obigen pädiatrisch fachärztlichem Gutachtens ist darüber hinaus zu beachten, dass sich der Sohn T. der BF im verfahrensgegenständlichen Zeitraum in einem Alter befand, in dem Jugendliche aufgrund des Ablösungsprozesses vom Elternhaus in der Pubertät zu groben Diätverstößen neigen können und der Gefahr unterliegen, aufgrund ihrer Beeinträchtigung stigmatisiert zu werden und so in eine "Außenseiterrolle" zu schlittern. Daraus ist für den vorliegenden Fall insgesamt schließen:

Der von der BF erbrachte Mehraufwand im Erziehungsalltag, nämlich die täglich mehrmals geleistete Zubereitung streng diätischer Malzeiten unter Beachtung besonderer Hygienemaßnahmen, der erhöhte Organisationsaufwand bei Veranstaltungen außerhalb der Schule, und die von der BF laufend geleistete Motivationsarbeit (die BF spricht von einem "ständigen Kampf"; das obige pädiatrische Gutachten bestätigt dies als alterstypisch) erfolgten, um dem Sohn T. einen möglichst ungehinderten altersgemäßen Schulalltag und eine möglichst ungehinderte altersgemäße Freizeitgestaltung zu ermöglichen. Der von der BF erbrachte Mehraufwand im Erziehungsalltag, ist daher im Sinne einer möglichst ungestörten altersgemäßen Entwicklung des Kindes als notwendig zu beurteilen. Der dadurch bedingte erhöhte Arbeitsaufwand ist als überwiegend iSd § 18a ASVG zu beurteilen.

Im vorliegenden Fall war somit davon auszugehen, dass die von der BF im verfahrensgegenständlichen Zeitraum für ihren Sohn T. durchgeführte behinderungsbedingte Betreuung erforderlich war, da bei Unterbleiben dieser Betreuung die Entwicklung des Kindes im Verhältnis zu einem ähnlich behinderten Kind, dem diese Zuwendung zuteil wird, benachteiligt oder gefährdet gewesen wäre. Die Arbeitskraft der BF wurde durch diese Betreuungsarbeit überwiegend beansprucht.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Arbeitskraft, Pensionsversicherung, Sachverständigengutachten,
Selbstversicherung, Teilstattgebung, Zeitraumbezogenheit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W164.2103063.1.00

Zuletzt aktualisiert am

12.07.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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