Entscheidungsdatum
04.07.2018Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
I403 2190627-1/5E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX, geb. XXXX, StA. Nigeria, vertreten durch Rechtsanwältin Mag. Susanne Singer, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.02.2018, Zl. 1087596405/151366561, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 27.06.2018, zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Die Beschwerdeführerin, eine nigerianische Staatsbürgerin, stellte am 16.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei der am darauffolgenden Tag stattfindenden Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab sie an, seit dem Alter von vierzehn Jahre bei ihrer Schwester gelebt zu haben, welche sie schlecht behandelt, sie zum Putzen und Arbeiten gezwungen und ihr den Schulbesuch verweigert habe. Der Ehemann der Schwester habe sie missbraucht, und als die Schwester davon erfahren habe, sei sie wütend geworden und habe sie rausgeschmissen. Sie habe dann beschlossen, ihre Eltern im Norden Nigerias aufzusuchen, doch habe sie diese tot vorgefunden, nachdem deren Haus von einer Bombe zerstört worden sei. Daraufhin habe sie beschlossen Nigeria zu verlassen. Bei einer Rückkehr habe sie Angst vor dem Krieg. Außerdem habe sie in Nigeria keine Familie mehr und keine Arbeit.
Die Beschwerdeführerin wurde am 22.01.2018 niederschriftlich durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) einvernommen. Sie erklärte, in Österreich seit etwa einem Jahr eine Beziehung mit einem nigerianischen Staatsbürger zu führen, allerdings mit diesem nicht im selben Haushalt zu leben. Ihre Eltern seien durch die Boko Haram getötet worden. Ihre Eltern würden ihr noch zu Lebzeiten erlaubt haben bei ihrer Tante zu wohnen, welche für ihren Lebensunterhalt aufgekommen sei. Auf Vorhalt seitens des BFA, dass sie bei ihrer Erstbefragung angegeben habe, 14 Jahre lang bei ihrer Schwester gewohnt zu haben und nun von ihrer Tante die Rede sei, antwortete sie lediglich: "Bei uns ist es so, dass man die Tante wie eine Schwester sieht." Zu ihrem Fluchtgründen befragt, führte die Beschwerdeführerin an, dass sie in Österreich bleiben wolle, um hier zur Schule zu gehen. Auf Nachfrage des BFA, ob das alle ihre Fluchtgründe seien, antwortete sie nur: "Ja. Weil ich hier bleiben möchte." Nochmals gefragt ob sie weitere Fluchtgründe habe, antwortete sie lediglich "Nein." Auf Nachfrage des BFA, ob man zusammengefasst sagen könne, dass sie Nigeria aufgrund wirtschaftlicher Gründe verlassen habe, meinte sie: "Ich habe Nigeria verlassen, weil ich niemanden dort habe. Ich habe auch die Probleme zwischen Muslimen und Christen mitbekommen." Sie habe zwar bei ihrer Tante gelebt, aber die Probleme ihrer Eltern im Norden mitbekommen. Selbst sei sie nie einer konkreten Bedrohung ihrer Person ausgesetzt gewesen. Allerdings könne sie auch nicht an einem anderen Ort in Nigeria leben, da sie dort niemanden mehr habe und sie nicht mehr zurück wolle, zumal sie dort auch keiner mehr finanziell unterstützen könne. Sie habe zwei Jahre lang in Griechenland gelebt und sei von nigerianischen Freunden unterstützt worden. Von ihrem Großvater sei sie aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit verfolgt worden
Mit Bescheid des BFA vom 21.02.2017 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz vom 16.09.2015 hinsichtlich der Zuerkennung der Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm§ 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz wurde gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG 2005 erlassen. Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Nigeria zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).
Gegen den am 23.02.2018 zugestellten Bescheid wurde fristgerecht am 23.03.2018 Beschwerde erhoben. Es wurde erklärt, dass die Beschwerdeführerin in Nigeria von ihrer Tante wehrlos dem Missbrauch durch deren Ehegatten ausgesetzt worden sei, welcher sie missbraucht, geschlagen und zur Arbeit gezwungen habe. Ihre Eltern seien bei einem Bombenanschlag getötet und ihr Elternhaus sei zerstört worden. Die Beschwerdeführerin habe folglich in Nigeria keine Existenzgrundlage mehr, zumal sie in Nigeria keinen familiären Rückhalt habe, lediglich über eine vierjährige rudimentäre Schulbildung verfüge und abgesehen von Hilfstätigkeiten in der Bäckerei der Tante auch über keine Berufserfahrung verfüge. Außerdem führe die Beschwerdeführerin seit ca. einem Jahr eine Partnerschaft mit Herrn E, welcher über einen Aufenthaltstitel für die Republik Österreich verfüge. Vor kurzem habe sie ein Kind verloren, weswegen sie gesundheitlich angeschlagen und besonders vulnerabel sei. Es wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge eine mündliche Beschwerdeverhandlung anberaumen und durchführen, den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien, vom 21.2.2018, Zahl: 1087596405/151366561, zugestellt am 23.02.2018 dahingehend abändern, dass dem Antrag auf internationalen Schutz stattgegeben und das beantragte Asyl gewährt wird, in eventu gemäß § 8 AsylG der Beschwerdeführerin den Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria zuerkennen, in eventu den bekämpften Bescheid dahingehend abändern, dass ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 und 55 AsylG 2015 idgF erteilt wird, sowie feststellen, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig und die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Nigeria zulässig ist, in eventu die bekämpfte Entscheidung aufheben und zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an die Erstinstanz zurückverweisen.
Beschwerde und Bezug habender Akt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 28.03.2018 vorgelegt.
Am 27.06.2018 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht, Außenstelle Innsbruck, eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt, im Zuge derer die Beschwerdeführerin ein weiteres Mal zum Sachverhalt befragt wurde.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person der Beschwerdeführerin:
Die volljährige Beschwerdeführerin ist illegal in das Bundesgebiet eingereist und hält sich seit zumindest 16.09.2015 in Österreich auf. Die Identität der Beschwerdeführerin steht nicht fest. Sie ist Staatsangehörige von Nigeria, christlichen Glaubens und gehört der Volksgruppe der Benin an.
Die Beschwerdeführerin wuchs in Benin City auf und hat 4 Jahre lang die Schule besucht. Darüber hinaus sammelte die Beschwerdeführerin Berufserfahrungen als Friseurin.
Die Beschwerdeführerin ist ledig und kinderlos, befindet sich in einem arbeitsfähigen Alter und leidet an keinen gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Die Beschwerdeführerin lebt in Österreich in einer Beziehung mit einem nigerianischen Staatsangehörigen, welcher über einen Aufenthaltstitel in Österreich verfügt. Es besteht jedoch kein gemeinsamer Haushalt. Die Beschwerdeführerin hat keinerlei familiäre Anknüpfungen in Österreich.
Zu etwaigen, nach wie vor bestehenden familiären Anknüpfungspunkten der Beschwerdeführerin in Nigeria können keine Feststellungen getroffen werden.
Die Beschwerdeführerin spricht deutsch auf A1-Niveau, ansonsten weist sie in Österreich keine maßgeblichen Integrationsmerkmale in sprachlicher, gesellschaftlicher sowie kultureller Hinsicht auf.
Die Beschwerdeführerin bestritt ihren Lebensunterhalt seit der Ankunft in Österreich über weite Strecken durch die Grundversorgung. Zeitweise war sie als Prostituierte tätig.
Die Beschwerdeführerin ist strafrechtlich unbescholten.
1.2. Zu den Fluchtmotiven der Beschwerdeführerin:
Aufgrund des Vorbringens der Beschwerdeführerin konnte nicht festgestellt werden, dass diese in Nigeria einer Verfolgung durch staatliche Behörden oder Privatpersonen ausgesetzt ist. Insbesondere stellt eine schlechte Behandlung bis hin zur Misshandlung der Beschwerdeführerin in deren Jugend durch Familienangehörige (Onkel sowie Tante) im Erwachsenenalter keine aktuelle Verfolgungsgefahr dar. Das Vorbringen, dass ihre Eltern bei einem Bombenanschlag im Norden Nigerias ums Leben gekommen seien, ist nicht glaubhaft und würde sich daraus auch keine Verfolgungsgefahr für die in Benin City lebende Beschwerdeführerin ergeben.
Es sind keine Gründe ersichtlich, warum es der Beschwerdeführerin nicht möglich und zumutbar wäre, in ihre Heimatstadt Benin City zurückzukehren, um sich dort eine Existenz aufzubauen. Sie ist jung, gesund und erwerbsfähig, hat zudem 4 Jahre lang die Schule besucht und verfügt auch über erste Berufserfahrung.
1.3. Zur Situation in Nigeria:
Hinsichtlich der aktuellen Sicherheitslage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin sind gegenüber den im angefochtenen Bescheid vom 21.02.2018 getroffenen Feststellungen keine entscheidungsmaßgeblichen Änderungen eingetreten. Im angefochtenen Bescheid wurde das aktuelle "Länderinformationsblatt der Staatendokumentation" zu Nigeria auszugsweise zitiert. Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens ist auch keine Änderung bekannt geworden, sodass das Bundesverwaltungsgericht sich diesen Ausführungen vollinhaltlich anschließt und auch zu den seinen erhebt.
Die wesentlichen Feststellungen lauten:
Nigeria verfügt über ein Mehrparteiensystem. Die Wahlen von Präsident und Nationalversammlung 2015 und die seitdem stattgefundenen Wahlen der Gouverneur- und Landesparlamente in 31 von 36 Bundesstaaten haben die politische Landschaft in Nigeria grundlegend verändert. Die seit 2013 im All Progressives' Congress (APC) vereinigte Opposition gewann neben der Präsidentschaftswahl eine klare Mehrheit in beiden Häusern des Parlaments und regiert nun auch in 23 der 36 Bundesstaaten. Die seit 1999 dominierende People-s Democratic Party (PDP) musste zum ersten Mal in die Opposition und ist durch Streitigkeiten um die Parteiführung stark geschwächt. Lediglich in den südöstlichen Bundesstaaten des ölreichen Niger-Deltas konnte sie sich als Regierungs-partei behaupten (AA 21.11.2016). Bei den Präsidentschaftswahlen am 28.3.2015 besiegte der frühere Militärmachthaber und Kandidat der Opposition, Muhammadu Buhari, den bisherigen Amtsinhaber Goodluck Jonathan mit 54,9 Prozent der abgegebenen Stimmen. Bei diesen Wahlen, die von der internationalen Öffentlichkeit als beispielhaft für die Demokratie Afrikas gelobt wurden, kam es zum ersten Mal seit der Unabhängigkeit Nigerias zu einem demokratischen Machtwechsel (GIZ 7.2017a).
Im Länderbericht ergibt die geschilderte allgemeine Sicherheitslage keine konkrete gegen die Person der Beschwerdeführerin gerichtete Verfolgungsgefahr, die Verfassung sowie weitere gesetzliche Bestimmungen gewährleisten Bewegungsfreiheit im gesamten Land, sodass sich Bürger in jedem Teil des Landes niederlassen können. Eine willkürliche Strafverfolgung bzw. Strafzumessungspraxis durch Polizei und Justiz, die nach Rasse, Nationalität o.ä. diskriminiert, ist nicht erkennbar. Darüberhinaus sind im Allgemeinen die nigerianischen Behörden gewillt und fähig, Schutz vor nichtstaatlichen Akteuren zu bieten. Bürger dürfen sich in jedem Teil des Landes niederlassen. Prinzipiell sollte es einer Person, die von nichtstaatlichen Akteuren verfolgt wird oder die sich vor diesen fürchtet, in einem großen Land wie Nigeria möglich sein, eine interne Relokation in Anspruch zu nehmen.
Eine willkürliche Strafverfolgung bzw. Strafzumessungspraxis durch Polizei und Justiz, die nach Rasse, Nationalität o.ä. diskriminiert, ist nicht erkennbar. Die allgemeinen Polizei- und Ordnungsaufgaben obliegen der rund 360.000 Mann starken Nigerian Police Force (NPF). Die NPF untersteht dem Generalinspektor der Polizei. Er ist für die Durchsetzung der Gesetze verantwortlich. Ihm unterstehen in jedem Bundesstaat Assistenten zur Leitung der Polizeikräfte. Bundesstaaten dürfen gemäß Verfassung über keine eigenen Sicherheitskräfte verfügen. In Notsituationen kann die Bundespolizei jedoch dem Gouverneur eines Staates unterstellt werden (USDOS 13.4.2016). Etwa 100.000 Polizisten sollen als Sicherheitskräfte bei Personen des öffentlichen Lebens und einflussreichen Privatpersonen tätig sein. Da die Polizei oft nicht in der Lage ist, durch gesellschaftliche Konflikte verursachte Gewalt zu unterbinden, verlässt sich die Regierung in vielen Fällen auf die Unterstützung durch die Armee. Jedoch sind im Allgemeinen die nigerianischen Behörden gewillt und fähig, Schutz vor nichtstaatlichen Akteuren zu bieten (UKHO 8.2016b).
In Nigeria sind rund 50 Prozent der Bevölkerung Muslime, 40-45 Prozent Christen und 5-10 Prozent Anhänger von Naturreligionen (CIA 7.6.2017; vgl. GIZ 7.2017b). Der Norden ist überwiegend muslimisch, der Süden überwiegend christlich bzw. "christlich-animistisch" (AA 21.11.2016). Allerdings gibt es im Norden, wo die moslemischen Hausa-Fulani überwiegen, auch signifikante Anteile christlicher Bevölkerung. Das Verhältnis zwischen Muslimen und Christen ist äußerst gespannt. Oft genügt ein geringer Anlass, um blutige Unruhen auszulösen. Ein Teil des Landes ist von starker Verfolgung betroffen (der Teil, der überwiegend von Muslimen bewohnt wird), wohingegen der andere, überwiegend von Christen bewohnte, Landesteil überhaupt nicht beeinträchtigt ist.
Zur wirtschaftlichen Lage ist allgemein auszuführen, dass Nigeria seit 2014 als die größte Volkswirtschaft Afrikas gilt, im Jahr 2014 wurde sogar das Bruttoinlandsprodukt von Südafrika übertroffen (GIZ 6.2016c; vgl. AA 5.2016), neben der Öl- und Gasförderung sind der (informelle) Handel und die Landwirtschaft von Bedeutung, die dem größten Teil der Bevölkerung eine Subsistenzmöglichkeit bietet (AA 3.12.2015).
Selbst wenn man davon ausgeht, dass in Nigeria beschäftigungslose Angehörige von der Großfamilie unterstützt werden und die Beschwerdeführerin diese Unterstützung nicht erhält, ist davon auszugehen, dass in Nigeria eine zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit finden kann, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird und ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern kann, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (ÖBA 7.2014).
Heimkehrer können gegen Gebühr eine Wohnung in jeder Region Nigerias mieten. Es gibt keine speziellen Unterkünfte für Heimkehrer. Reintegrationshilfe kann durch Regierungsprogramme wie etwa NDE, NAPEP, NAPTIP, COSUDOW, UBE, SMEDAN, NACRDB erhalten werden und nichtstaatliche Organisationen wie etwa die Lift above Poverty-Organisation (LAPO) bieten allgemeine Reintegrationshilfe (IOM 8.2014).
Ein Meldewesen ist nicht vorhanden (AA 3.12.2015; vgl. ÖBA 7.2014). Auch ein nationales funktionierendes polizeiliches Fahndungssystem existiert nicht. Damit ist es in der Praxis äußerst schwierig, wenn nicht sogar unmöglich, nach verdächtigen Personen national zu fahnden, wenn diese untergetaucht sind. Das Fehlen von Meldeämtern und gesamtnigerianischen polizeilichen Fahndungsbehörden ermöglicht es in den allermeisten Fällen, bereits in der näheren Umgebung "unterzutauchen" (ÖBA 7.2014).
Nigeria verfügt über ein sehr kompliziertes Gesundheitssystem. Die meisten Landeshauptstädte haben öffentliche und private Krankenhäuser sowie Fachkliniken, und jede Stadt hat darüber hinaus eine Universitätsklinik. (IOM 8.2014). Die medizinische Versorgung im Lande ist mit Europa nicht zu vergleichen. Sie ist vor allem im ländlichen Bereich vielfach technisch, apparativ und/oder hygienisch problematisch. In den großen Städten findet man jedoch einige Privatkliniken mit besserem Standard (AA 4.7.2017). Laut dem Gesundheitsministerium gibt es weniger als 150 Psychiater in Nigeria (IRIN 13.7.2017). Es gibt eine allgemeine Kranken- und Rentenversicherung, die allerdings nur für Beschäftigte im formellen Sektor gilt. Die meisten Nigerianer arbeiten dagegen als Bauern, Landarbeiter oder Tagelöhner im informellen Sektor. Leistungen der Krankenversicherung kommen schätzungsweise nur zehn Prozent der Bevölkerung zugute (AA 21.11.2016). Rückkehrer finden in den Großstädten eine medizinische Grundversorgung vor. In privaten Kliniken können die meisten Krankheiten behandelt werden (AA 21.11.2016). Hat eine Person keine Dokumente, führt dieser Umstand nicht zur Verweigerung medizinischer Versorgung oder zum Ausschluss von anderen öffentlichen Diensten (z.B. Bildung) (USDOS 3.3.2017). In der Regel gibt es fast alle geläufigen Medikamente in Nigeria in Apotheken zu kaufen, so auch die Antiphlogistika und Schmerzmittel Ibuprofen und Diclofenac sowie die meisten An-tibiotika, Bluthochdruckmedikamente und Medikamente zur Behandlung von neurologischen und psychiatrischen Leiden (AA 21.11.2016).
Es besteht auch wie im Länderbericht ausgeführt, keine Gefahr dahingehend, dass ein ob eines abgelehnten Asylantrages rückgeführter Asylwerber bei seiner Rückkehr nach Nigeria mit staatlichen Repressionen zu rechnen habe. Das fehlende Meldesystem in Nigeria lässt außerdem darauf schließen, dass nach Verlassen des Flughafengeländes eine Ausforschung Abgeschobener kaum mehr möglich ist (ÖBA 7.2014).
Diese Feststellungen basieren im Wesentlichen auf den folgenden Quellen:
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IOM - International Organization for Migration (8.2014): Nigeria - Country Fact Sheet,
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ÖBA - Österreichische Botschaft Abuja (7.2014): Asylländerbericht Nigeria
1.4. Zur Situation von Frauen in Nigeria:
Auch wenn die Verfassung Gleichberechtigung vorsieht, kommt es zu beachtlicher ökonomischer Diskriminierung von Frauen (USDOS 3.3.2017). Frauen werden in der patriarchalischen und teilweise polygamen Gesellschaft Nigerias dennoch in vielen Rechts- und Lebensbereichen benachteiligt. Dies wird am deutlichsten in Bereichen, in denen vor allem traditionelle Regeln gelten: So sind Frauen in vielen Landesteilen aufgrund von Gewohnheitsrecht von der Erbfolge nach ihrem Ehemann ausgeschlossen (AA 21.11.2016). Allerdings berichtet die Bertelsmann Stiftung, dass der Oberste Gerichtshof in einem bahnbrechenden Urteil entschied, dass Witwen das Recht haben von dem Verstorbenen zu erben (BS 2016). Vor allem im Osten des Landes müssen sie entwürdigende und die persönliche Freiheit einschränkende Witwenzeremonien über sich ergehen lassen (z.B. werden sie gezwungen, sich den Kopf zu rasieren oder das Haus für einen bestimmten Zeitraum nicht zu verlassen oder sind rituellen Vergewaltigungen ausgesetzt). Darüber hinaus können Frauen im Norden zum Teil keiner beruflichen Betätigung nachgehen, weil sie die familiäre Wohnung ohne Begleitung eines männlichen Angehörigen nicht verlassen dürfen (AA 21.11.2016). Die geschlechtsspezifische Diskriminierung im Rechtssystem konnte allerdings reduziert werden. Auf Bundesstaats- und Bezirksebene (LGA) spielen Frauen jedoch kaum eine Rolle (BS 2016).
Frauen mit Sekundär- und Tertiärbildung haben Zugang zu Arbeitsplätzen in staatlichen und öffentlichen Institutionen. Immer mehr Frauen finden auch Arbeit im expandierenden Privatsektor (z.B. Banken, Versicherungen, Medien). Einige Frauen besetzen prominente Posten in Regierung und Justiz. So findet sich z.B. beim Obersten Gerichtshof eine oberste Richterin, auch die Minister für Finanz und für Erdöl sind Frauen (BS 2016). Insgesamt bleiben Frauen in politischen und wirtschaftlichen Führungspositionen nach wie vor unterrepräsentiert. In den 36 Bundesstaaten Nigerias gibt es keine Gouverneurin, allerdings vier Vizegouverneurinnen (AA 21.11.2016). Die Zahl weiblicher Abgeordneter ist gering - nur 6 von 109 Senatoren und 14 von 360 Mitgliedern des Repräsentantenhauses sind Frauen (AA 4.2017a). In der informellen Wirtschaft haben Frauen eine bedeutende Rolle (Landwirtschaft, Nahrungsmittel, Märkte, Handel) (USDOS 3.3.2017).
Das Gesetz Violence Against Persons Prohibition Act (VAPP) befasst sich mit sich mit sexueller Gewalt, körperlicher Gewalt, psychologischer Gewalt, schädlichen traditionellen Praktiken und sozioökonomischen Gewalt. Laut dem VAPP stellen häusliche Gewalt, gewaltsames Hinauswerfen des Ehepartners aus der gemeinsamen Wohnung, erzwungene finanzielle Abhängigkeit, verletzende Witwenzeremonien, FGM/C usw. Straftatbestände da. Opfer haben Anspruch auf umfassende medizinische, psychologische, soziale und rechtliche Unterstützung. Das Gesetz ist nur im Federal Capital Territory (FCT) gültig, solange es nicht in den anderen Bundesstaaten verabschiedet wird (USDOS 3.3.2017).
Häusliche Gewalt ist weit verbreitet und wird sozial akzeptiert. Die Polizei schreitet oft bei häuslichen Disputen nicht ein. In ländlichen Gebieten zögerten die Polizei und die Gerichte, in Fällen aktiv zu werden, in welchen die Gewalt das traditionell akzeptierte Ausmaß des jeweiligen Gebietes nicht überstieg (USDOS 3.3.2017).
Geschlechtsspezifische Gewalt ist in Nigeria auf nationaler Ebene nicht unter Strafe gestellt. Einige Bundesstaaten, hauptsächlich im Süden gelegene, haben Gesetze, die geschlechtsspezifische Gewalt verbieten oder versuchen bestimmte Rechte zu schützen. Für häusliche Gewalt sieht das VAPP eine Haftstrafe von Maximum drei Jahren, eine Geldstrafe von höchstens 200.000 Naira oder eine Kombination von Haft- und Geldstrafe vor (USDOS 3.3.2017). Frauen zögern oft, Misshandlungsfälle bei den Behörden zu melden. Viele Misshandlungen werden nicht gemeldet. Begründet wird dies damit, dass die Polizei nicht gewillt ist, Gewalt an Frauen ernst zu nehmen und Anschuldigungen weiterzuverfolgen. Die Zahl an Fällen strafrechtlicher Verfolgung von häuslicher Gewalt ist niedrig, obwohl die Gerichte diese Vergehen zunehmend ernst nehmen. Die Polizei arbeitet in Kooperation mit anderen Behörden, um die Reaktion und die Haltung gegenüber geschlechtsspezifischer Gewalt zu verbessern. Dies beinhaltet den Aufbau von Referenzeinrichtungen für Opfer sexueller Misshandlung, sowie die Neuerrichtung eines Genderreferats. Im Allgemeinen sind die nigerianischen Behörden gewillt und fähig, Schutz vor nichtstaatlichen Akteuren zu bieten, wobei Frauen mit größeren Schwierigkeiten bei der Suche und beim Erhalt von Schutz insbesondere vor sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt konfrontiert sind als Männer (UKHO 8.2016b).
Vergewaltigung ist ein Kriminaldelikt. Das VAPP erweitert den Anwendungsbereich des bestehenden Rechts mit Bezug auf Vergewaltigungen. Gemäß dem VAPP beträgt das Strafmaß zwischen zwölf Jahren und lebenslänglicher Haft. Es sieht auch ein öffentliches Register von verurteilten Sexualstraftätern vor. Auf lokaler Ebene sollen Schutzbeamte ernannt werden, die sich mit Gerichten koordinieren und dafür sorgen sollen, dass die Opfer relevante Unterstützung bekommen. Das Gesetz enthält auch eine Bestimmung, welche die Gerichte dazu ermächtigt, den Vergewaltigungsopfern eine angemessene Entschädigung zuzusprechen (USDOS 3.3.2017).
Vergewaltigungen bleiben aber weit verbreitet. Aus einer Studie geht hervor, dass der erste sexuelle Kontakt bei drei von zehn Mädchen im Alter von zehn bis neunzehn Jahren eine Vergewaltigung war. Sozialer Druck und Stigmatisierung reduzieren die Zahl der tatsächlich zur Anzeige gebrachten Fälle (USDOS 3.3.2017).
Das Bundesgesetz kriminalisiert weibliche Beschneidung oder Genitalverstümmlung (USDOS 3.3.2017). Etwa 20 Millionen nigerianische Frauen sind Opfer von FGM. Das Gesundheitsministerium, Frauengruppen und viele NGOs führen Sensibilisierungskampagnen durch, um die Gemeinden hinsichtlich der Folgen von FGM aufzuklären (USDOS 3.3.2017; vgl. AA 21.11.2017).
Das kanadische Immigration and Refugee Board berichtet, dass es unterschiedliche Zahlen zur Prävalenz der FGM in Nigeria gibt. Einige Quellen geben an, dass über 40 Prozent% der Frauen in Nigeria FGM ausgesetzt sind. Laut anderen Quellen liegt die Prävalenz der FGM zwischen 25-27 Prozent (IRB 13.9.2016) Dabei gibt es erhebliche regionale Diskrepanzen. In einigen Regionen im Südwesten und in der Region Süd-Süd wird die große Mehrzahl der Mädchen auch heute noch Opfer von Genitalverstümmelungen, in weiten Teilen Nordnigerias ist der Anteil erheblich geringer. Genitalverstümmelungen sind generell in ländlichen Gebieten weiter verbreitet als in den Städten (AA 21.11.2016).
Es gibt für Opfer von FGM bzw. für Frauen und Mädchen, die von FGM bedroht sind, Schutz und/oder Unterstützung durch Regierungs- und NGO-Quellen (UKHO 2.2017). Insgesamt kann festgestellt werden, dass Frauen, die von FGM bedroht sind und die nicht in der Lage oder nicht willens sind, sich dem Schutz des Staates anzuvertrauen, auf sichere Weise in einen anderen Teil Nigerias übersiedeln können, wo es sehr unwahrscheinlich ist, dass sie von ihren Familienangehörigen aufgespürt werden. Frauen, welche diese Wahl treffen, können sich am neuen Wohnort dem Schutz von Frauen-NGOs anvertrauen (UKHO 12.2013; vgl. UKHO .2.2017). U.a. folgende Organisationen gehen in Nigeria gegen FGM vor: The National Association of Nigerian Nurses and Midwives (NHW 10.5.2016), Nigerian Medical Women's Association -Nigerian Medical Association (AllAfrica 3.9.2014). UNFPA, der Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen, und UNICEF starteten in Zusammenarbeit mit dem Office of the First Lady, und den Bundesministerien für Gesundheit, Frauen und soziale Entwicklung am 9.2.2016 ein gemeinsames Projekt gegen FGM (UNFPA 9.2.2016).
Diese Feststellungen basieren im Wesentlichen auf den folgenden Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (21.11.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria
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AA - Auswärtiges Amt (4.2017a): Nigeria - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/D3.8.2016, Zugriff 22.6.2017
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AllAfrica (3.9.2014): Nigeria: Eradicating Female Genital Cutting, Hope for the Nigerian Child,