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21/01 Handelsrecht;Norm
BAO §21 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Dr. Fellner, Dr. Hargassner, Mag. Heinzl und Dr. Fuchs als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Fössl, über die Beschwerde der 1.) G. GmbH in Liquidation und des 2.) K, beide in W, beide vertreten durch Dr. Friedrich Valzachi, Rechtsanwalt in Wien IX, Prechtlgasse 9, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland (Berufungssenat IA) vom 14. August 1997, Zlen. 15-91/1103/06, 15-94/1030/06, betreffend Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Feststellung von Einkünften gemäß § 188 BAO und Gewerbesteuer für die Jahre 1985 und 1986, (Sach)Bescheide betreffend Feststellung von Einkünften gemäß § 188 BAO und Gewerbesteuer für die Jahre 1985 bis 1987 sowie den Bescheid gemäß § 92 Abs. 1 BAO vom 3. Dezember 1993 über die Nichtfeststellung von Einkünften für 1988 und Folgejahre, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird, soweit er über die Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Feststellung von Einkünften gemäß § 188 BAO und Gewerbesteuer für die Jahre 1985 und 1986 sowie die Einkünftefeststellung und Gewerbesteuer 1985 und 1986 abspricht, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von insgesamt 15.000 S binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Im Beschwerdefall ist das Bestehen einer atypischen stillen Gesellschaft zwischen der erstbeschwerdeführenden GmbH und dem Zweitbeschwerdeführer strittig. Für die Jahre 1985 und 1986 besteht weiters Streit, ob die Voraussetzungen für eine amtswegige Wiederaufnahme der Verfahren nach § 303 Abs. 4 BAO erfüllt sind.
Dem Bericht über eine abgabenbehördliche Prüfung vom 19. Juni 1990 ist zu entnehmen (Tz. 5), dass mit Wirkung vom 1. April 1985 zwischen der Erstbeschwerdeführerin und dem Zweitbeschwerdeführer ein Vertrag über die Errichtung einer stillen Gesellschaft abgeschlossen worden sei. In einem Nachtrag vom 15. April 1985 sei der Vertrag insoweit ergänzt worden, als eine Beteiligung an den stillen Reserven vereinbart worden sei. Die Beteiligung des Zweitbeschwerdeführers am Gewinn oder Verlust der Erstbeschwerdeführerin habe 90 % betragen. Im genannten Zeitraum sei das Stammkapital der Erstbeschwerdeführerin auf 500.000 S erhöht worden, wovon der Zweitbeschwerdeführer 375.000 S und dessen Ehefrau 125.000 S übernommen hätten. Die Betriebsprüfer vertraten die Ansicht, der Vertrag über eine atypische stille Gesellschaft halte einem Fremdvergleich nicht stand. Es sei unter Anwendung wirtschaftlicher Kriterien unvorstellbar, dass eine Person, die in keinem Naheverhältnis (Anteilseigner und Geschäftsführer) zur Erstbeschwerdeführerin stünde, als stiller Gesellschafter einem Betrieb mit laufend negativer Gebarung beitrete und vertraglich die Tragung von 90 % der Verluste übernehme.
Im Prüfungsbericht vom 19. Juni 1990 findet sich unter Tz. 4 weiters der Hinweis, Feststellungen, welche die Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 Abs. 4 BAO erforderlich machten, seien dem Bericht zu entnehmen. Derartige Feststellungen sind allerdings in diesem Prüfungsbericht der "(Erstbeschwerdeführerin) und Stiller Ges." (StNr. 841/6850) nicht enthalten.
In der Folge nahm das Finanzamt mit Bescheiden vom 11. September 1990 die Verfahren hinsichtlich Einkünftefeststellung sowie Gewerbesteuer 1985 und 1986 gemäß § 303 Abs. 4 BAO wieder auf, wobei es zur Begründung auf den Betriebsprüfungsbericht verwies. Mit den im wieder aufgenommenen Verfahren ergangenen Sachbescheiden ebenfalls vom 11. September 1990 setzte das Finanzamt die bisher erklärungsgemäß festgestellten Verluste der im Rahmen der Erstveranlagungen noch anerkannten Mitunternehmerschaft (1985 598.446 S und 1986 1,085.211 S) nicht mehr an. Desgleichen blieb in der nach Durchführung der Betriebsprüfung erstmals für das Jahr 1987 erfolgten Veranlagung der für die Mitunternehmerschaft erklärte Verlust von 1,151.093 S unberücksichtigt.
In der Berufungsschrift vom 30. November 1990 wurde die Verfahrenswiederaufnahme für die Jahre 1985 und 1986 bekämpft. Dazu wurde geltend gemacht, der Vertrag über die Errichtung der stillen Gesellschaft samt Nachtrag sei im Mai 1985 auch dem für die Veranlagung der Mitunternehmerschaft zuständigen Finanzamt übermittelt worden, sodass das "Tatbestandserfordernis" des § 303 Abs. 4 BAO nicht erfüllt sei. Zur Frage der Nichtanerkennung der Mitunternehmerschaft wurde im Wesentlichen argumentiert, hinsichtlich der Errichtung der stillen Gesellschaft liege kein Missbrauch von Formen und Gestaltungsmöglichkeiten des bürgerlichen Rechts vor. Auch halte die Vertragsgestaltung einem Fremdvergleich stand. So habe das Unternehmen der Erstbeschwerdeführerin zum Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung umsatzmäßig erheblich expandiert; in den Jahren 1984 und 1985 sei es auch zu einer Ausweitung der Aufträge gekommen (der Fuhrpark des Beförderungsunternehmens sei von "einem Fahrzeug, im Februar 1984, auf zweiunddreißig Fahrzeuge im 1. Halbjahr 1985" angewachsen). Der Kundenstock stelle eine wesentliche stille Reserve dar. Auf Grund persönlicher Probleme der Gesellschafter der Erstbeschwerdeführerin, die zur Trennung der Ehe im Jahr 1985 geführt hätten, sei die geschiedene Ehefrau des Zweitbeschwerdeführers weder bereit gewesen, Geschäftsanteile abzutreten noch einer über das gesetzliche Beteiligungsausmaß hinausgehenden Kapitalerhöhung zuzustimmen. Demzufolge sei "eine Kapitalausstattung im Rahmen der Errichtung einer Personengesellschaft durchzuführen" gewesen.
Mit einem Schriftsatz vom 20. Februar 1991 wurde in Ergänzung zur Berufung vom 30. November 1990 der Antrag auf Anberaumung einer mündlichen Berufungsverhandlung gestellt.
In einer Stellungnahme der Betriebsprüfer zur Berufung vom 4. April 1991 wurde zur Verfahrenswiederaufnahme ausgeführt, der Wiederaufnahmsgrund sei laut Tz. 6 des Betriebsprüfungsberichtes zur St.Nr. 370/6745 (betreffend die Erstbeschwerdeführerin) vom 13. Juni 1990 die Aktivierungspflicht von zusätzlichen Anschaffungskosten im Zusammenhang mit Instandsetzungsarbeiten an gebraucht gekauften Kraftfahrzeugen gewesen. Dieser Umstand sei im Prüfungsverfahren neu hervorgekommen und rechtfertige daher die Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen. Im Zuge dieses Verfahrens sei auch eine rechtliche Beurteilung der behaupteten atypischen stillen Gesellschaft vorzunehmen gewesen. Zur "Fremdverhaltensbetrachtung" seien die Prüfer nach wie vor der Ansicht, dass ohne Naheverhältnis zur Erstbeschwerdeführerin ein stilles Beteiligungsverhältnis des Zweitbeschwerdeführers nicht vorstellbar sei. Bei einem gewinnbeteiligten Gesellschafter könne in erster Linie nicht die Umsatzentwicklung oder die Anzahl der Fahrzeuge, sondern der Geschäftserfolg Anreiz für eine Kapitaleinlage sein. Die Erstbeschwerdeführerin weise seit 1982 durchwegs namhafte Verluste aus, "an denen sich mit 90 % zu beteiligen einem Firmenfremden nicht in den Sinn kommen würde".
Mit der Begründung, dass laut Feststellung der Betriebsprüfung die atypische stille Gesellschaft steuerlich nicht anzuerkennen sei, stellte das Finanzamt in einem gemäß § 92 Abs. 1 BAO erlassenen Bescheid vom 3. Dezember 1993 fest, dass die Voraussetzungen für eine einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften nach § 188 Abs. 1 BAO für 1988 und Folgejahre nicht gegeben seien. (Einer aktenkundigen Eingabe vom 30. November 1990 ist zu entnehmen, dass die Erstbeschwerdeführerin am 6. April 1988 ihre Liquidation beschlossen hat.)
In der gegen den Bescheid vom 3. Dezember 1993 eingebrachten Berufung vom 23. Dezember 1993 wurde zur Begründung auf die - in Kopie angeschlossene -Berufung vom 30. November 1990 verwiesen.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde den Berufungen insgesamt keine Folge. Wegen des im Sinn des § 284 Abs. 1 BAO verspäteten Antrages auf Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung habe kein Rechtsanspruch auf Anberaumung einer mündlichen Verhandlung bestanden. Zur Frage der Verfahrenswiederaufnahme werde in der Berufung übersehen, dass in der "der Wiederaufnahme zugrundeliegenden Bescheidbegründung (dem Betriebsprüfungsbericht) ein Fremdvergleich, auf der nunmehr im Rahmen der abgabenbehördlichen Prüfung festgestellten, unbestritten neu hervorgekommenen Tatsache beruhend, dass der sich als atypisch stiller Gesellschafter" an der Erstbeschwerdeführerin beteiligende Zweitgesellschafter zugleich 75%-Gesellschafter der Erstbeschwerdeführerin gewesen sei, angestellt werde. Aus dem Vertrag über die Errichtung der stillen Gesellschaft und seinem Nachtrag seien die Beteiligungsverhältnisse nicht ersichtlich gewesen. Aufgrund der im Erstverfahren dem zur Erlassung der Bescheide über die einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften zuständigen Finanzamt allein vorliegenden Abgabenerklärungen (einschließlich der Bilanzen der Erstbeschwerdeführerin) könne nicht davon die Rede sein, "die Bw. hätte jeweils schon im Erstverfahren dem zuständigen Finanzamt alle für eine richtige rechtliche Subsumtion maßgeblichen Umstände des Sachverhalts bekannt gegeben". Vielmehr seien dem Finanzamt - wie aus dem Feststellungsakt ersichtlich sei - die Umstände, die es als Wiederaufnahmsgründe herangezogen habe, erst durch die abgabenbehördliche Prüfung bekannt geworden. Tatsachen, die z. B. dem Finanzamt für Körperschaften, nicht aber dem für die einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften zuständigen Finanzamt bekannt gewesen seien, könnten "daher bei letzterem auch nachträglich hervorkommen". Nach herrschender Judikatur und Lehre werde zur Abgrenzung eines echten von einem unechten Gesellschafter die Beteiligung des Gesellschafters an den stillen Reserven und am Firmenwert herangezogen. Nach der vertraglichen Gestaltung könne im gegenständlichen Fall zwar grundsätzlich vom Vorliegen eines unechten stillen Gesellschaftsverhältnisses ausgegangen werden, es sei jedoch weiters zu prüfen gewesen, ob dieser Vertrag in Anbetracht der engen Beziehung zwischen den beiden Gesellschaftern auch steuerlich anzuerkennen sei. Der Zweitbeschwerdeführer habe als 75%-Gesellschafter der Erstbeschwerdeführerin mit dieser vereinbart, sich als unechter stiller Gesellschafter (zusätzlich) mit einer Einlage von 200.000 S zu beteiligen und als solcher 90 % der Verluste bzw. einen Gewinnanteil im selben Ausmaß zu übernehmen. Es sei u.a. nicht dargelegt worden, warum eine Erhöhung der Beteiligung des Zweitbeschwerdeführers nicht möglich gewesen sein sollte, oder warum die Ehefrau des Beschwerdeführers als (damals noch) Geschäftsführerin der Erstbeschwerdeführerin mit dem Zweitbeschwerdeführer eine derartige Vereinbarung hätte schließen können, wonach dem stillen Gesellschafter noch zusätzlich ein derart unproportionaler Anteil (im Verhältnis zur Beteiligung) an den Einkünften zustehen sollte. Eine gegebene Ausweitung der Umsätze als wirtschaftlich ausschlaggebende Grundlage für die vorgenommene stille Beteiligung sei nach Ansicht der belangten Behörde angesichts der Verlustentwicklung ebenfalls nicht als begründet anzusehen. Schon wegen fehlender Vertragsgestaltung wie "unter einander Fremden" üblich sei der "de facto Verlustübernahme" die steuerliche Anerkennung zu versagen gewesen. "Davon abgesehen" sei die Mittelzufuhr auch unter dem Aspekt nicht zu berücksichtigen, dass diese unter der gegebenen wirtschaftlichen Situation der Erstbeschwerdeführerin als Dauerwidmung von notwendigen Betriebskapital und damit als steuerneutrale Einlage anzusehen sei.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Soweit in der Beschwerde die Nichtdurchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung gerügt wird, ist festzuhalten, dass ein subjektiv-öffentliches Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung der Verfahrenspartei nicht eingeräumt ist, und die belangte Behörde mangels rechtzeitiger Antragstellung nach § 284 Abs. 1 BAO (der Antrag auf mündliche Verhandlung wurde nicht im Berufungsschriftsatz vom 30. November 1990, sondern gesondert mit Eingabe vom 20. Februar 1991 gestellt; auch die Berufung vom 23. Dezember 1993 enthält keinen Antrag auf Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung) zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht verpflichtet war (vgl. für viele beispielsweise das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. September 1993, 91/13/0125).
Auf Grund des Vertrages über die Errichtung einer stillen Gesellschaft vom 15. April 1985 und des Nachtrages gleichfalls vom 15. April 1985 sollte der Zweitbeschwerdeführer mit 90 % am Gewinn bzw. Verlust der Erstbeschwerdeführerin beteiligt sein, wobei sich diese Beteiligung laut dem Nachtrag auch auf allfällige stille Reserven und den Liquidationserlös erstrecken sollte. Der zu verteilende Verlust der Erstbeschwerdeführerin betrug 1985 598.446 S, 1986 1,085.211 S und 1987 1,151.093 S; im April 1988 wurde die Liquidation der Erstbeschwerdeführerin beschlossen.
Wenn die belangte Behörde dem von den Beschwerdeführern behaupteten atypischen stillen Gesellschaftsverhältnis die Anerkennung versagt und dementsprechend das Nichtvorliegen einer steuerrechtlichen Mitunternehmerschaft bestätigt hat, so erweist sich diese Beurteilung schon unter dem von der belangten Behörde primär herangezogenen Aspekt des Fremdvergleichs als nicht rechtswidrig. Den bereits von den Betriebsprüfern vorgehaltenen Überlegungen, es sei undenkbar, dass sich bei der laufenden negativen Gebarung der Erstbeschwerdeführerin ein fremder Dritter durch Begründung eines stillen Gesellschaftsverhältnisses verpflichtet hätte, 90 % ihrer Verluste zu übernehmen, wurde im Verwaltungsverfahren im Wesentlichen nur eine positive Umsatzentwicklung und eine gute Auftragslage entgegengehalten. Auch die Beschwerde verweist auf eine absolute Aufwärtsentwicklung bei den Umsätzen "beginnend von 1983 weg" und eine Auftragsentwicklung, nach der "mit einer weiteren positiven Entwicklung" zu rechnen gewesen sei. Es mag sein, wie weiters in der Beschwerde betont wird, dass auch für einen Dritten durchaus ein Anreiz bestanden hätte, sich an der Erstbeschwerdeführerin zu beteiligen, eine Gewinn- und Verlustbeteiligung in Höhe von 90 % wird dadurch aber nicht erklärlich. Abgesehen davon, dass die Umsatz- und Auftragslage allein noch keine hinreichende Aussage über die Ertrags- bzw. Gewinnsituation eines Unternehmens ermöglicht (positive Betriebsergebnisse wurden im Übrigen unbestritten trotz bereits "beginnend ab 1983" steigender Umsätze nicht erzielt), würde es auch auf Seiten des Geschäftsherrn, der beispielsweise die gesamte Haftung für das Unternehmen zu tragen und auch eine allfällige Umsatzausweitung sowie Bedienung eines größeren Auftragsvolumens zu finanzieren hätte (in der Berufung ist u.a. von der Ausweitung des Fuhrparks von einem auf 32 Fahrzeuge die Rede), nicht Fremdvergleichsgrundsätzen entsprechen, einem mit - bloß - einer Einlage von 200.000 S beteiligten stillen Gesellschafter den Betriebserfolg fast zur Gänze (in Höhe von 90 %) zu überlassen.
Durfte damit die belangte Behörde dem in Rede stehenden stillen Gesellschaftsverhältnis schon unter den genannten Fremdvergleichsgesichtspunkten die steuerliche Anerkennung verweigern, können Fragen der notwendigen Kapitalausstattung der Erstbeschwerdeführerin oder allfällige nur eingeschränkte Möglichkeiten zur Kapitalerhöhung dahingestellt bleiben. Mit den diesbezüglichen, die Annahmen der belangten Behörde bestreitenden Ausführungen in der Beschwerde wird somit schon deshalb keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufgezeigt.
Hinsichtlich der Bestätigung der amtswegigen Verfahrenswiederaufnahme gemäß § 303 Abs. 4 BAO für die Jahre 1985 und 1986 ist der angefochtene Bescheid allerdings mit einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit belastet:
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. dazu zuletzt etwa die Erkenntnisse vom 20. Juli 1999, 97/13/0131, und vom 30. November 1999, 94/14/0124) berechtigt die Bestimmung des § 289 Abs. 1 BAO die Abgabenbehörde zweiter Instanz nicht dazu, den vom Finanzamt herangezogenen Wiederaufnahmsgrund durch einen anderen - ihrer Meinung nach zutreffenden - zu ersetzen. Aufgabe der Berufungsbehörde bei Entscheidung über ein Rechtsmittel gegen die amtswegige Wiederaufnahme durch das Finanzamt ist es daher zu prüfen, ob dieses das Verfahren aus den von ihm gebrauchten Gründen wieder aufnehmen durfte, nicht jedoch, ob die Wiederaufnahme auch aus anderen Wiederaufnahmsgründen zulässig gewesen wäre. Liegt der vom Finanzamt angenommene Wiederaufnahmsgrund nicht vor (oder hat dieses die Wiederaufnahme tatsächlich auf keinen Wiederaufnahmsgrund gestützt), muss die Berufungsbehörde den vor ihr angefochtenen Wiederaufnahmebescheid des Finanzamtes ersatzlos beheben. Am Finanzamt liegt es dann, ob es etwa von der Berufungsbehörde entdeckte andere Wiederaufnahmsgründe aufgreift und zu einer (auch) neuerlichen Wiederaufnahme heranzieht.
Im Beschwerdefall ist nicht erkennbar, dass die belangte Behörde die vom Finanzamt verfügte Wiederaufnahme der Verfahren nach Maßgabe der dafür vom Finanzamt herangezogenen Gründe bestätigt hätte. Dem Betriebsprüfungsbericht vom 19. Juni 1990, auf den die Begründung der erstinstanzlichen Wiederaufnahmsbescheide verweist, ist kein Wiederaufnahmsgrund zu entnehmen und der in der Stellungnahme der Prüfer zur Berufung angesprochene Wiederaufnahmsgrund nennt nur unterbliebene Aktivierungen bei bestimmten Kraftfahrzeugen. Damit kann aber nicht gesagt werden, dass der im angefochtenen Bescheid herangezogene Wiederaufnahmsgrund eines neuen Hervorkommens von Tatsachen durch Feststellen der Beteiligungsverhältnisse an der Erstbeschwerdeführerin im Rahmen der abgabenbehördlichen Prüfung vom Finanzamt für die amtswegige Wiederaufnahme gebraucht worden wäre. Damit ist der angefochtene Bescheid in seinem Abspruch über die Wiederaufnahme der Verfahren (und den darauf beruhenden Sachbescheiden) rechtswidrig.
Der angefochtene Bescheid war daher hinsichtlich Verfahrenswiederaufnahme und Sachbescheide über die Einkünftefeststellung sowie Gewerbesteuer 1985 und 1986 nach § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben. Im Übrigen (betreffend Einkünftefeststellung und Gewerbesteuer 1987 sowie den Bescheid gemäß § 92 Abs. 1 BAO vom 3. Dezember 1993) war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 2. Februar 2000
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:1997130199.X00Im RIS seit
20.11.2000Zuletzt aktualisiert am
25.02.2015