TE Bvwg Erkenntnis 2018/7/3 W228 2169770-1

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Veröffentlicht am 03.07.2018
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Entscheidungsdatum

03.07.2018

Norm

BPGG §21c
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W228 2169770-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Harald WÖGERBAUER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX gegen den Bescheid des Sozialministerium Service, Landesstelle Steiermark vom 27.07.2017 zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben. Frau XXXX wird für den Zeitraum 01.05.2017-31.07.2017 Pflegekarenzgeld im gesetzlichen Ausmaß gewährt, das sind € 30,24 täglich Pflegekarenzgeld sowie € 1,94 täglich Kinderzuschlag für 2 Kinder.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Das Sozialministerium Service, Landesstelle Steiermark (im Folgenden: belangte Behörde) hat mit Bescheid vom 27.07.2017 den Antrag von XXXX (im Folgenden: Beschwerdeführerin) auf Zuerkennung von Pflegekarenzgeld vom 29.04.2017 gemäß § 21c Abs. 1 des Bundespflegegeldgesetzes (BPGG) iVm VO (EG) Nr. 883/2004, abgewiesen. Begründend wurde ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin angesichts ihrer Eigenschaft als "Grenzgängerin" dem Regime der VO (EG) Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit unterliege. Danach würden Geldleistungen vom zuständigen Staat ins Ausland exportiert, Sachleistungen hingegen vom jeweiligen Wohnsitzstaat - unter Rückerstattung durch den jeweiligen zuständigen Staat - erbracht werden. Das Pflegekarenzgeld sei nicht als Geld-, sondern vielmehr als Sachleistung im Sinne der VO (EG) Nr. 883/2004 anzusehen, daher werde es von Österreich nicht nach Deutschland exportiert. Das Pflegekarenzgeld ist eine Leistung bei Krankheit im Sinne der VO (EG) Nr. 883/2004. Das hat zur Folge, dass zwischen Geld und Sachleistungen zu differenzieren sei. Für die Frage, ob das Pflegekarenzgeld nun als (ins Ausland zu exportierende) Geldleistung oder aber als (nicht ins Ausland zu exportierende) Sachleistung anzusehen ist, gilt Folgendes: Das Pflegekarenzgeld ist eine monetäre Leistung, die nicht unmittelbar der pflegebedürftigen Person, sondern dem Pfleger zuerkannt wird. Es hat das Ziel, jenen Einkommensverlust auszugleichen, der durch die Karenzierung bzw. Reduktion der wöchentlichen Normalarbeitszeit entsteht. Gleichzeitig soll es der pflegenden Personen aber auch die Möglichkeit eröffnen, ohne finanzielle Nachteile eine angemessene Pflege für die pflegebedürftige Person zu organisieren. Aus der Perspektive der pflegenden Person scheint das Pflegekarenzgeld damit eine Geldleistung zu sein, nicht aber aus der Perspektive der pflegebedürftigen Person selbst: Sie ist es nämlich, der die Karenzierung bzw. Reduktion der wöchentlichen Normalarbeitszeit mittelbar zugute kommt. In diesem Sinn hat auch der EuGH zu einer vergleichbaren Leistung ausgeführt, dass die Person, deren Pflegebedürftigkeit die Gewährung sämtlicher Pflegegeldleistungen rechtfertigt, auf diese Weise in den Genuss einer Regelung kommt, die ihr helfen soll, unter möglichst günstigen Bedingungen die Pflege zu bekommen, die ihr Zustand erfordert. Die gleiche Feststellung trifft im Übrigen auf das Pflegegeld im eigentlichen Sinne zu, wenn es ganz oder teilweise dafür verwendet wird, die Person zu entlohnen, die den Pflegebedürftigen betreut (EuGH 8.7.2004, RS C-502/01 und C-31/02, Gaumain-Cerri, RZ 21). Aus der Judikatur des EuGH kann folglich abgeleitet werden, dass auch eine Geldleistung, die nicht der pflegebedürftigen Person selbst, sondern einem Dritten gewährt wird, als Sachleistung anzusehen ist, wenn diese Geldleistung dazu dient, die Pflege der betreuungsbedürftigen Person sicherzustellen. Für eine Qualifikation des Pflegekarenzgeldes als Sachleistung spricht außerdem der Umstand, dass sich die Leistung aus der Perspektive des Gepflegten wie ein Kostenersatz für die Honorierung des Pflegers darstellt. Der Gepflegte verfügt über keinerlei Freiheit bei der Verwendung dieser Mittel. Die Leistung gebührt nur dann, wenn der nahe Angehörige den zu pflegenden tatsächlich betreut. Sie steht damit dem Verwendungsnachweis für eingekaufte Sachleistungen gleich. Nach Ansicht des Sozialministeriums liegen somit sämtliche Kriterien einer Sachleistung vor: Zum einen ist ein Verwendungsnachweis gegeben, zum anderen wird die Leistung der pflegenden Personen nur dann zuerkannt, wenn sie tatsächlich die Pflege erbringt. Im vorliegenden Fall pflegt die Antragstellerin ihre erkrankte Tochter, die in Deutschland wohnhaft ist. Da es zur Anwendbarkeit des § 21c BPGG aber eines Wohnsitzes der pflegebedürftigen Person in Österreich bedürfte, besteht kein Anspruch auf Pflegekarenzgeld.

Gegen diesen Bescheid hat die Beschwerdeführerin, vertreten durch die Arbeiterkammer Vorarlberg, mit Schreiben vom 25.08.2017 fristgerecht Beschwerde erhoben. Begründend führte sie aus, dass falls man der Annahme der Beschwerdegegnerin, dass die vorliegende rechtliche Problematik grundsätzlich in den Anwendungsbereich der VO (EG) Nr. 883/2004 fällt und das Pflegekarenzgeld als Leistung bei Krankheit zu betrachten ist, es sich beim Pflegekarenzgeld jedenfalls um eine Geldleistung und nicht um eine Sachleistung handle. Die Leistung Pflegekarenzgeld verfolge nicht den Zweck eine ärztliche Behandlung oder eine diesbezügliche Dienstleistung zu erbringen, sondern es dient als Unterstützung in Form einer Geldleistung während der Zeit der Pflege oder Betreuung eines Erkrankten nahen Angehörigen. Zudem spricht beim Pflegekarenzgeld aufgrund seiner periodischen Wiederkehr alles für die erbrachte Geldleistung. Während beispielsweise die Finanzierung eines Wahlarztes aufgrund des Verwendungsnachweises - die Leistung wird nur gewährt, wenn diesbezügliche Ausgaben in Form einer Rechnung tatsächlich nachgewiesen werden - als Sachleistung zu qualifizieren ist, ist die Gewährung von Pflegekarenzgeld nicht an einen Verwendungsnachweis gebunden. Eine Prüfung, ob der Antragsteller während der Zeit der Pflegekarenz selbst pflegend oder betreuend tätig ist, ist bei der Gewährung des Pflegekarenzgeldes nicht vorgesehen. Die Beschwerdegegnerin stütze die Ablehnung des Pflegekarenzgeldes darauf, dass im Gegensatz zum Pflegegeld, welches eindeutig als Geldleistung zu qualifizieren ist, das Pflegekarenzgeld nicht an die zu pflegende Person, sondern jene Person geleistet wird, welche Pflege oder Betreuung verrichtet. Dieser Argumentation ist zu entgegnen, dass beim Pflegekarenzgeld Parallelen zum exportfähigen Kinderbetreuungsgeld gegeben sind. Das Kinderbetreuungsgeld, als Geldleistung im Bereich der Familienleistungen wird ebenfalls nicht direkt an das Kind gewährt sondern an die zu betreuende nahe Angehörige. Trotzdem ist es als Geldleistung exportfähig. In diesem Zusammenhang ist auch fraglich, ob Pflegekarenzgeld überhaupt eindeutig als Leistung bei Krankheit im Sinne der VO (EG) Nr. 883/2004 zu betrachten sei. Da es nicht nur eine finanzielle Unterstützung zur Pflege eines nahen Angehörigen sondern auch zur Betreuung eines nahen Angehörigen dient, ist es auch als Familienleistung im Sinne der VO (EG) Nr. 883/2004 zu betrachten. Wenn schon das Kinderbetreuungsgeld als Geldleistung zur generellen Betreuung eines Kindes exportfähig ist, muss auch das Pflegekarenzgeld als Familienleistung zur Betreuung eines erkrankten Kindes exportiert werden können. Sollte das Pflegekarenzgeld überhaupt nicht von VO (EG) Nr. 883/2004 erfasst sein, wäre der Beschwerdeführerin jedenfalls die Leistung zu gewähren, ganz unabhängig, wo der Wohnsitz der Antragstellerin liegt.

Die Beschwerdesache wurde am 05.09.2017 dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Am 27.12.2017 langte ein Nachreichung des Rechtsvertreters der Beschwerdeführerin im Wege des Sozialministeriums in Form der Kopie eines Kommentarteiles des Kommentars zum Zwischenstaatlichen Sozialversicherungsrecht herausgegeben von Prof. Dr. Bernhard Spiegel und dem Hinweis auf Seite 41 2. Absatz beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Das Bundesverwaltungsgericht ist gewährte der belangten Behörde mit Schreibend datierend auf 08.03.2018 mit folgendem Text gehör: "[...]

Der erkennende Richter teilt nach derzeitiger Sicht der Rechtslage die Sicht der belangten Behörde, dass es sich beim Pflegekarenzgeld um eine "Leistung aus Krankheit" im Sinne der VO (EG) 883/2004 handelt und somit von letzterer erfasst wird. Dies schon deshalb, da auch andere Leistungen, wie "Pflegegeld", gemäß der Entscheidungen des EuGH vom 05.03.1998, C-160/96 und vom 08.03.2001, Rs C-215/99 , oder die "Übernahme der Rentenversicherungsbeiträge des eine pflegebedürftige Person pflegenden Dritten durch die Pflegeversicherung", gemäß der Entscheidung des EuGH vom 08.07.2004, Rs C-502/01 und 31/02, unter "Leistung aus Krankheit" im Sinne der VO (EG) 883/2004 fallen. Hinsichtlich der Einordnung, ob es sich beim Pflegekarenzgeld um eine Geld- oder Sachleistung handelt, ordnet die belangte Behörde die fallgegenständliche Leistung als Sachleistung ein. Diese Sicht der belangten Behörde teilt der erkennende Richter nach derzeitiger Sicht der Rechtslage nicht, und zwar aus folgenden Gründen: Soweit im Bescheid differenziert wird, wonach es sich aus Sicht der pflegenden Person um eine Geldleistung handelt, aus Sicht der pflegebedürftigen Person jedoch um eine Sachleistung, so ist zu entgegnen, dass diese Differenzierung der Sichtweisen keine Deckung in der Anwendung der Entscheidung des EuGH vom 08.07.2004, Rs C-502/01 und 31/02, auf den konkreten Fall findet. Dort wurde bei der "Übernahme der Rentenversicherungsbeiträge des eine pflegebedürftige Person pflegenden Dritten durch die Pflegeversicherung" ausgeführt: "Die Tragung der Rentenversicherungsbeiträge des Dritten, von dem sich ein Pflegebedürftiger Leistungen der häuslichen Pflege erbringen lässt, muss selbst auch als Geldleistung der Krankenversicherung qualifiziert werden, da sie in dem Sinne zum eigentlichen Pflegegeld akzessorisch ist, als sie dieses unmittelbar für eine seiner möglichen Verwendungen vervollständigt, nämlich die Inanspruchnahme der von einem Dritten geleisteten häuslichen Pflege, die sie erleichtern soll." So ist aus derzeitiger Sicht des erkennenden Richters im gegenständlichen Fall das Pflegekarenzgeld akzessorisch zum eigentlichen Pflegegeld. Auch wird dadurch die häusliche Pflege erleichtert. Die belangte Behörde stützt sich weiters in der Argumentation bezüglich Sachleistung darauf, dass es sich um einen Kostenersatz für die Honorierung des Pflegers, fallgegenständlich des betreuenden Angehörigen, handelt. Die Leistung stehe nur zu, wenn der nahe Angehörige den zu Pflegenden tatsächlich betreut. Sie stehe damit einem Verwendungsnachweis für eingekaufte Sachleistungen gleich. Die belangte Behörde scheint damit zu versuchen, eine Parallele zur Unterstützung der 24-Stunden-Betreuung nach §21b BPGG ziehen zu wollen, welche von der VWK laut dem Kommentar von Spiegel als Pflegesachleistung auf europäischer Ebene akzeptiert wurde. Dieser Vergleich erscheint dem erkennenden Richter nach derzeitiger Sachlage untauglich. So haben die Pflegenden nach §21b BPGG eine entsprechende praktische oder theoretische Ausbildung zu absolvieren und agieren diese entweder in der Erscheinungsform als selbständige oder unselbständige Erwerbstätige und sind somit in der Lage, Honorarnoten entweder selbst auszustellen oder Nachweise von anstellenden Trägerorganisationen ausstellen zu lassen. Außerdem gibt es noch eine Variante in Form eines Arbeitsverhältnisses zum Privathaushalt, bei dem ebenso ein Verwendungsnachweis anfällt, nämlich ein Dienstschein. Alle Varianten des §21b BPGG unterscheiden sich nach derzeitiger Sicht des erkennenden Richters deutlich von der fallgegenständlichen Konstellation nach §21c BPGG, da bei ersterer Bestimmung die Ausbildung in Kombination mit den Verwendungsnachweisen verlangt wird, die Verwendung des Pflegekarenzgeldes jedoch nicht an Ausbildungs- oder gar Ausgabennachweise den Ausgabezweck betreffend gebunden ist. Auch dies unterstützt die derzeitige Sicht, dass das Pflegekarenzgeld zum eigentlichen Pflegegeld akzessorisch ist. [...]".

Am 26.03.2018 langte beim Bundesverwaltungsgericht eine mit 22.03.2018 datierte Stellungnahme der belangten Behörde ein. Sie führte aus: "[...] Hinsichtlich der Einordnung, ob es sich beim Pflegekarenzgeld um eine Geld-oder Sachleistung handelt, wird im Ergebnis festgehalten, dass es sich beim Pflegekarenzgeld um eine Geldleistung handelt, die zum eigentlichen Pflegegeld akzessorisch ist. Dazu ist aus Sicht des Sozialministeriumservice zu bemerken, dass die Gewährung eines Pflegekarenzgeldes nach dem Abschnitt 3B des Bundespflegegeldgesetzes (BPGG) nicht nur für Personen möglich ist, die eine Pflegekarenz gemäß § 14c AVRAG vereinbart haben. Nach § 21c Abs. 3 BPGG gebührt auch Personen, die zum Zwecke der Sterbebegleitung einer/eines nahen Angehörigen oder der Begleitung eines schwerst erkrankten Kindes eine Familienhospizkarenz u.A. gemäß §§ 14a Adler 14b AVRAG in Anspruch nehmen, für die Dauer der Familienhospizkarenz ein Pflegekarenzgeld. Für die Inanspruchnahme einer Familienhospizkarenz nach den Bestimmungen der §§ 14a oder 14b AVRAG ist aber der Bezug eines keine Voraussetzung. Bei diesen arbeitsrechtlichen Maßnahmen steht die Begleitung - und nicht die Pflege - einer/eines nahen Angehörigen im Vordergrund. Da das Pflegekarenzgeld daher nicht nur in Fällen gewährt werden kann, bei denen Anspruch auf Pflegegeld nach dem Bundespflegegeldgesetz besteht, kann die Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes, dass es sich beim Pflegekarenzgeld um eine Geldleistung handelt, die zum Pflegegeld akzessorisch ist und daher zu exportieren wäre, nicht geteilt werden. [...]" Im Übrigen wurde auf die Ausführungen im Bescheid verwiesen und die zu gewährenden Beträge und der Bezugszeitraum bekannt gegeben, für den Fall einer Stattgabe durch das Bundesverwaltungsgericht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

Die Beschwerdeführerin hat mit dem Krankenhaus XXXX (Arbeitgeberin) eine Vereinbarung über Pflegekarenz für den Zeitraum 01.05.2017-31.07.2017 geschlossen.

Der Antrag auf Pflegekarenzgeld langte am 04.05.2017 beim Sozialministeriumservice ein.

Das Sozialministeriumservice ersuchte die PVA am 04.05.2017 um eine beschleunigtes Pflegegeldverfahren.

Am 11.05.2017 wurde seitens der PVA bekannt gegeben, dass das Verfahren mit Bescheid vom gleichen Tag mit Gewährung Stufe 1 abgeschlossen wurde.

Die Beschwerdeführerin pflegt ihre erkrankte Tochter, die in Deutschland wohnhaft ist.

Die Existenz von Verwendungsnachweisen für die Verwendung das Pflegekarenzgeldes konnten nicht festgestellt werden.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zur Pflegekarenzvereinbarung, zum Antrag, zur Kinderpflege in Deutschland, zur Anfrage bezüglich beschleunigtem Pflegegeldverfahren und die Pflegestufe ergeben sich aus dem zur gegenständlichen Rechtssache vorliegenden Verfahrensakt der belangten Behörde und des Bundesverwaltungsgerichtes.

Von der belangten Behörde wurde behauptet, dass das Pflegekarenzgeld einem Verwendungsnachweis für eingekaufte Sachleistungen gleichstehe. Ein Verwendungsnachweis für die Verwendung des Pflegekarenzgeldes der Beschwerdeführerin wurde jedoch nicht vorgelegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Somit liegt im gegenständlichen Fall Einzelrichterzuständigkeit vor.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Zu A) Stattgabe der Beschwerde

Beim Pflegekarenzgeld handelt es sich um eine "Leistung aus Krankheit" im Sinne der VO (EG) 883/2004 und somit wird diese von letzterer erfasst. Dies schon deshalb, da auch andere Leistungen, wie "Pflegegeld", gemäß der Entscheidungen des EuGH vom 05.03.1998, C-160/96 und vom 08.03.2001, Rs C-215/99, oder die "Übernahme der Rentenversicherungsbeiträge des eine pflegebedürftige Person pflegenden Dritten durch die Pflegeversicherung", gemäß der Entscheidung des EuGH vom 08.07.2004, Rs C-502/01 und 31/02, unter "Leistung aus Krankheit" im Sinne der VO (EG) 883/2004 fallen.

Hinsichtlich der Einordnung, ob es sich beim Pflegekarenzgeld um eine Geld- oder Sachleistung handelt, ordnet die belangte Behörde die fallgegenständliche Leistung als Sachleistung ein.

Der erkennende Richter kommt zu einem anderen Ergebnis. Soweit im Bescheid differenziert wird, wonach es sich aus Sicht der pflegenden Person um eine Geldleistung handelt, aus Sicht der pflegebedürftigen Person jedoch um eine Sachleistung, so ist zu entgegnen, dass diese Differenzierung der Sichtweisen keine Deckung in der Anwendung der Entscheidung des EuGH vom 08.07.2004, Rs C-502/01 und 31/02, auf den konkreten Fall findet. Dort wurde bei der "Übernahme der Rentenversicherungsbeiträge des eine pflegebedürftige Person pflegenden Dritten durch die Pflegeversicherung" ausgeführt: "Die Tragung der Rentenversicherungsbeiträge des Dritten, von dem sich ein Pflegebedürftiger Leistungen der häuslichen Pflege erbringen lässt, muss selbst auch als Geldleistung der Krankenversicherung qualifiziert werden, da sie in dem Sinne zum eigentlichen Pflegegeld akzessorisch ist, als sie dieses unmittelbar für eine seiner möglichen Verwendungen vervollständigt, nämlich die Inanspruchnahme der von einem Dritten geleisteten häuslichen Pflege, die sie erleichtern soll."

So ist im gegenständlichen Fall das Pflegekarenzgeld akzessorisch zum eigentlichen Pflegegeld, da die Beschwerdeführerin Pflegeleistungen für ihr Kind in Deutschland erbringt. Auch wird dadurch die häusliche Pflege erleichtert. Außerdem ist durch die Anfrage bezüglich eines beschleunigten Pflegegeldverfahrens bei der PVA die Akkzessorietät im gegenständlichen Fall dokumentiert.

Soweit die belangte Behörde über den Sachverhalt des gegenständlichen Falles hinaus vorbringt, dass für die Dauer der Familienhospizkarenz ein Pflegekarenzgeld zu gewähren ist, und hier die (Sterbe-)Begleitung - und nicht die Pflege - eines nahen Angehörigen im Vordergrund stehe, so zeigt die belangte Behörde nur andere, nicht auf den gegenständlichen Fall zutreffende, Konstellationen auf, in den die Akkzesorietät zum Pflegegeld nicht gegeben sein könnte. Dass es sich deswegen beim Pflegekarenzgeld um keine Geldleistung handle, ist aber aus diesem Argument auch nicht zu erschließen. Immerhin hat die Behörde in der Berechnung der Pflegekarenzgeldleistung nämlich auch offengelegt, dass sich diese Berechnung an den Bestimmungen des AlVG orientiert.

Die belangte Behörde stützt sich weiters in der Argumentation bezüglich Sachleistung darauf, dass es sich um einen Kostenersatz für die Honorierung des Pflegers, fallgegenständlich des betreuenden Angehörigen, handelt. Die Leistung stehe nur zu, wenn der nahe Angehörige den zu Pflegenden tatsächlich betreut. Sie stehe damit einem Verwendungsnachweis für eingekaufte Sachleistungen gleich. Die belangte Behörde scheint damit zu versuchen, eine Parallele zur Unterstützung der 24-Stunden-Betreuung nach §21b BPGG ziehen zu wollen, welche von der VWK laut dem Kommentar von Spiegel als Pflegesachleistung auf europäischer Ebene akzeptiert wurde. Dieser Vergleich ist nicht gelungen. So haben die Pflegenden nach §21b BPGG eine entsprechende praktische oder theoretische Ausbildung zu absolvieren und agieren diese entweder in der Erscheinungsform als selbständige oder unselbständige Erwerbstätige und sind somit in der Lage, Honorarnoten entweder selbst auszustellen oder Nachweise von anstellenden Trägerorganisationen ausstellen zu lassen. Außerdem gibt es noch eine Variante in Form eines Arbeitsverhältnisses zum Privathaushalt, bei dem ebenso ein Verwendungsnachweis anfällt, nämlich ein Dienstschein. Alle Varianten des §21b BPGG unterscheiden sich deutlich von der fallgegenständlichen Konstellation nach §21c BPGG, da bei ersterer Bestimmung die Ausbildung in Kombination mit den Verwendungsnachweisen verlangt wird, die Verwendung des Pflegekarenzgeldes jedoch nicht an Ausbildungs- oder gar Ausgabennachweise den Ausgabezweck betreffend gebunden ist. Verwendungsnachweise wurden im Verfahren auch nicht vorgelegt.

Zur Berechnung der Leistung des Pflegekarenzgeldes ist auszuführen:

Gemäß § 21c Abs. 3 BPGG gebührt das Pflegekarenzgeld in der Höhe des nach den Bestimmungen des § 21 AlVG zu ermittelnden Grundbetrages des Arbeitslosengeldes zuzüglich allfälliger Kinderzuschläge. Demgemäß wurde das Entgelt aus den beim Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger gespeicherten Beitragsgrundlagen (Versicherungsdatenauszug vom 22.3.2018) herangezogen, wobei das monatliche Einkommen nur bis zu der drei Jahre vor der Geltendmachung des Arbeitslosengeldes für den Arbeitslosenversicherungsbeitrag maßgeblichen Höchstbeitragsgrundlage (§ 2 Abs. 1 AMPFG) zu berücksichtigen ist. Monatlich gebührt das Pflegekarenzgeld mindestens in Höhe der in § 5 Abs. 2 ASVG definierten aktuell gültigen Geringfügigkeitsgrenze. Das Pflegekarenzgeld gebührt täglich i.H.v. 55 vH des täglichen Nettoeinkommens, kaufmännisch gerundet auf einen Cent. Zur Ermittlung des täglichen Nettoeinkommens wurde gemäß § 21 Abs. 3 AlVG das ermittelte monatliche Bruttoeinkommen (Summe der Bruttogehälter dividiert durch Anzahl der gearbeiteten Tage multipliziert mit 30 Tagen) um die zum Zeitpunkt der Geltendmachung für einen alleinstehenden Angestellten maßgeblichen sozialen Abgaben und die maßgebliche Einkommensteuer unter Berücksichtigung der ohne Antrag gebührenden Freibeträge vermindert und sodann mit zwölf vervielfacht und durch 365 geteilt. Das so festgestellte tägliche Nettoeinkommen beträgt Euro 1672,66. Daraus ergibt sich ein Pflegekarenzgeld in Höhe von täglich Euro 30,24 vom 1.5.2017 bis 31.7.2017 sowie ein Kinderzuschlag für zwei Kinder von täglich Euro 1,94.

Der Beschwerde war daher stattzugeben und die Leistung spruchgemäß zu gewährend.

Zu B) Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, weil die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, weil es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Exportierbarkeit des Pflegekarenzgeldes fehlt.

Die Einholung einer Vorabentscheidung war aufgrund der unter Punkt 3A zitierten EuGH Judikatur nicht notwendig, da aus Sicht des erkennenden Richters ein Acte éclairé vorliegt.

Schlagworte

Auslandsbezug, Pflegekarenzgeld, Revision zulässig

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W228.2169770.1.00

Zuletzt aktualisiert am

10.07.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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