TE Vfgh Beschluss 2018/6/14 G416/2017

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Veröffentlicht am 14.06.2018
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Index

L6800 Ausländergrunderwerb, Grundverkehr

Norm

B-VG Art140 Abs1 Z1 lita
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsumfang
Tir GVG 1996 §2 Abs7 litb

Leitsatz

Zurückweisung eines Antrags des Landesverwaltungsgerichts Tirol auf Aufhebung einer Regelung des Tiroler GrundverkehrsG betreffend die Definition von juristischen Personen als "Ausländer" im Sinne dieses Gesetzes als zu eng gefasst

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Antragsvorbringen und Vorverfahren

1.       Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 lita B-VG gestützten Antrag begehrt das Landesverwaltungsgericht Tirol, der Verfassungsgerichtshof möge die Wortfolge "oder deren Gesellschaftskapital oder Anteile am Vermögen (wie Namens- oder Stammaktien, Stammeinlagen und ähnliche Rechte) mindestens zur Hälfte Ausländern gehören" in §2 Abs7 litb des Tiroler Grundverkehrsgesetzes 1996 (im Folgenden: TGVG), LGBl 61/1996, idF LGBl 60/2009 als verfassungswidrig aufheben.

2.       Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Beim Landesverwaltungsgericht Tirol ist eine Beschwerde der **************** GmbH gegen den Bescheid der Bürgermeisterin der Landeshauptstadt Innsbruck vom 27. September 2017, ZI **********************, anhängig. Die GmbH betreibt einen Handel mit Uhren und Schmuck und hat ihren Sitz in Innsbruck mit der Geschäftsanschrift **************************. Gesellschafter sind die russischen Staatsangehörigen ***************** und **********************.

Mit Kaufvertrag vom 12. Juli 2017 hat die **************** GmbH ein Grundstück samt dem darauf befindlichen Gebäudekomplex erworben. In diesem Objekt sind die beiden Gesellschafter gemeinsam mit ihrem Sohn mit Hauptwohnsitz wohnhaft.

Mit dem angefochtenen Bescheid der Bürgermeisterin von Innsbruck wurde die grundverkehrsbehördliche Genehmigung zu diesem Rechtsgeschäft versagt. Begründend wurde ausgeführt, dass die Rechtserwerberin eine GmbH mit Sitz in Innsbruck sei, deren Gesellschaftskapital von Ausländern gehalten werde, weshalb diese zum Personenkreis nach §2 Abs7 litb TGVG ("Ausländer") zähle. Die beiden Gesellschafter hätten die GmbH gegründet und sich in Österreich mit der Absicht niedergelassen, hier zu bleiben. Die Ehegatten würden in der Altstadt von Innsbruck ein Geschäft betreiben, in dem Uhren und Schmuck gehandelt würden. Seit 1. März 2013 hätten die Ehegatten das kaufgegenständliche Haus gemietet, welches nunmehr erworben werde. Im Verfahren seien keine zu berücksichtigenden öffentlichen Interessen am gegenständlichen Rechtserwerb erkennbar geworden. Auch die geltend gemachten privaten Interessen würden für eine Genehmigung nicht ausreichen.

3.       Gegen diesen Bescheid erhob die **************** GmbH fristgerecht Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Tirol.

4.       Ein Landesverwaltungsgericht ist gemäß Art89 Abs2 iVm Art135 Abs4 B-VG und Art140 Abs1 Z1 lita B-VG verpflichtet, an den Verfassungsgerichtshof den Antrag auf Aufhebung eines Gesetzes zu stellen, gegen dessen Anwendung es aus dem Grund der Verfassungswidrigkeit Bedenken hat. Das Landesverwaltungsgericht Tirol hegt solche Bedenken.

Begründend führt das Landesverwaltungsgericht zusammengefasst aus, dass das TGVG zwischen Rechtserwerben an Baugrundstücken durch Inländer und solchen durch Ausländer unterscheide. Letztere würden gemäß §12 f. TGVG einer Genehmigungspflicht unterzogen, während für Erstere beim Erwerb eines unbebauten Baugrundstückes eine bloße Anzeige- und Erklärungspflicht vorgesehen werde (vgl. §9 TGVG). Seit der TGVG-Novelle LGBl 95/2016 bestehe diese Anzeige- und Erklärungspflicht nicht einmal mehr beim Erwerb eines bebauten Baugrundstückes.

4.1.    §2 Abs7 litb TGVG definiere den Ausländerbegriff bezüglich juristischer Personen. Danach seien Ausländer "juristische Personen, die ihren Sitz im Ausland haben oder deren Gesellschaftskapital oder Anteil am Vermögen (wie Namens- oder Stammaktien, Stammeinlagen und ähnliche Rechte) mindestens zur Hälfte Ausländern gehören".

4.2.    Anderes gelte für juristische Personen und sonstige rechtsfähige Personengemeinschaften (zB OG, KG, GmbH, AG, etc.) eines EU-Mitgliedstaates. Diese müssten gemäß §3 Abs2 TGVG dartun, dass der Rechtserwerb in Ausübung einer Grundfreiheit (konkret der Niederlassungs-, Dienstleistungs- oder Kapitalverkehrsfreiheit) erfolge. Dabei komme es darauf an, ob die juristischen Personen und sonstigen rechtsfähigen Personengemeinschaften nach den Rechtsvorschriften eines EU- bzw. EWR-Mitgliedstaates gegründet worden seien und ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung in einem dieser Staaten haben würden. Nach dem Gesetzeswortlaut seien Mehrheitsbeteiligungen dabei nicht relevant.

Die Nichtberücksichtigung der Beteiligungsverhältnisse in §3 Abs2 TGVG habe unionsrechtliche Gründe. Gemäß Art54 AEUV würden die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates gegründeten Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Union haben, den natürlichen Personen gleichstehen, die Angehörige der Mitgliedstaaten seien. Diesbezüglich habe der EuGH klargestellt, dass es Art54 AEUV den Mitgliedstaaten verbiete, die Kontrolltheorie anzuwenden. Die Staatsangehörigkeit der die Gesellschaft kontrollierenden Kapitaleigner sei daher nicht entscheidend. Es komme allein auf Sitz/Hauptverwaltung/Hauptniederlassung der Gesellschaft an. Nationale Regelungen, die auf die Staatsangehörigkeit der Gesellschafter abstellten, würden die Niederlassungsfreiheit einschränken und seien daher verboten.

Dass §3 Abs2 TGVG nur die Niederlassungs-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehrsfreiheit aufzähle, sei unproblematisch: Zum einen würden sich Arbeitnehmerfreizügigkeit und Aufenthaltsrecht nur auf natürliche Personen beziehen, sodass ihre Anwendung auf Gesellschaften schon sachlich nicht in Betracht komme. Zum anderen vermittle die Kapitalverkehrsfreiheit im Lichte der Rechtsprechung des EuGH ein umfassendes, vom Zweck des Rechtserwerbes unabhängiges Recht zum Erwerb von Grundstücken jeder Art, sodass sämtliche Grunderwerbe durch EU-Gesellschaften bereits auf Grund der Kapitalverkehrsfreiheit zulässig seien.

4.3.    Daraus ergebe sich für das Landesverwaltungsgericht, dass Gesellschaften mit Sitz in einem EU- bzw. EWR-Mitgliedstaat letztlich österreichischen natürlichen Personen gleichgestellt seien. Sie seien damit als Inländer zu behandeln, unabhängig davon, ob am Gesellschaftskapital allein EU- bzw. EWR-Angehörige beteiligt seien oder auch Drittstaatsangehörige. Die Frage der Staatsangehörigkeit der am Gesellschaftskapital beteiligten Personen spiele somit bei EU- bzw. EWR-Gesellschaften keine Rolle und dürfe dies aus unionsrechtlicher Sicht auch nicht.

4.4.    Demgegenüber seien Gesellschaften mit Sitz in Österreich (wie vorliegend die **************** GmbH) benachteiligt, weil diese nach §2 Abs7 litb TGVG nur dann als Inländer gelten würden, wenn deren Gesellschaftskapital oder Anteile am Vermögen nicht mindestens zur Hälfte Drittstaatsangehörigen gehörten. Bei Gesellschaften mit Sitz in Österreich solle nach dem TGVG abweichend von den Regelungen für EU-Gesellschaften auch die Staatsangehörigkeit der Gesellschafter für die Qualifikation einer Gesellschaft als Inländer maßgeblich sein. Bei mehrheitlicher Beteiligung von Drittstaatsangehörigen (wie vorliegend) seien österreichische Gesellschaften daher im Gegensatz zu ähnlich strukturierten EU-Gesellschaften einem Genehmigungsverfahren gemäß §12 f. TGVG unterworfen.

Aus diesem Grund diskriminiere §2 Abs7 litb iVm §§3 und 12 f. TGVG Sachverhalte ohne Unionsrechtsbezug im Verhältnis zu jenen mit einem solchen Bezug. Es handle sich dabei um eine Inländerdiskriminierung, die durch eine Differenzierung einer (unionsrechtskonformen) nationalen Regelung entstehe. Die dargelegte Inländerdiskriminierung sei kein Gegenstand des Unionsrechts und daher nach Art18 AEUV nicht verboten. Sie betreffe rein innerstaatliche Sachverhalte und weise keine Berührungspunkte zum Unionsrecht auf.

4.5.    Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes sei eine Diskriminierung österreichischer Staatsbürger gegenüber Ausländern am Gleichheitssatz zu messen und bedürfe einer sachlichen Rechtfertigung. Auf Grund der "doppelten Bindung" des Gesetzgebers bei Umsetzung von Unionsrecht werde dieser Grundgedanke auch auf Inländerdiskriminierungen ausgedehnt. Auf den Gleichheitssatz könnten sich dabei auch österreichische Gesellschaften, die sich überwiegend in der Hand von Drittstaatsangehörigen befänden, berufen (vgl. VfSlg 6240/1970, 7380/1974, 9541/1982, 13.405/1993).

Der Verfassungsgerichtshof habe in einem vergleichbaren Fall betreffend das Vorarlberger Grundverkehrsgesetz ausgesprochen, dass "keine sachliche Rechtfertigung dafür ersichtlich [ist], dass der Verkehr mit unbebauten Baugrundstücken bei rein innerstaatlichen Sachverhalten an die Einholung einer grundverkehrsbehördlichen Genehmigung gebunden ist, damit aber schlechter gestellt ist als ein vergleichbarer Grundstückserwerb mit Gemeinschaftsbezug" (VfSlg 17.150/2004). Diese Rechtsprechung betreffe zwar unbebaute Baugrundstücke. Der dahinterstehende Rechtsgedanke sei jedoch ohne weiteres auf bebaute Grundstücke übertragbar. Diesbezüglich sei die TGVG-Novelle LGBl 95/2016 ins Treffen zu führen, die das Maß der Inländerdiskriminierung bezüglich bebauter Grundstücke deutlich steigere, indem für Inländer und damit für EU- bzw. EWR-Gesellschaften mit Drittstaatsbeteiligung sogar die Erklärungspflicht entfalle, während für österreichische Gesellschaften mit (mindestens zur Hälfte) Drittstaatsbeteiligung die Genehmigungspflicht aufrecht bleibe.

Ein sachlicher Grund, dass eine grundverkehrsrechtliche Regelungsbedürftigkeit beim Baugrundverkehr betreffend österreichische Gesellschaften mit Drittstaatsbeteiligung bestehe, sei hingegen nicht ersichtlich. Auch der maßgebliche Zweck der Kontrolltheorie, nämlich die Verhinderung einer Umgehung des Ausländergrundverkehrsrechtes durch die Gründung von durch Ausländer kontrollierte Gesellschaften mit Sitz im Inland, greife angesichts des Umstandes, dass dieser "Umweg" über die Gründung einer mit Inländern gleichzustellenden Gesellschaft im EU-Ausland offenstehe, nicht. Im Ergebnis fehle es somit an einer sachlichen Rechtfertigung für die dargelegte Inländerdiskriminierung.

5.       Sowohl die Salzburger als auch die Tiroler Landesregierung erstatteten eine Äußerung, in der sie dem vorliegenden Antrag des Landesverwaltungsgerichtes Tirol entgegentreten und die Zurück- bzw. die Abweisung beantragen.

II.      Rechtslage

Die maßgeblichen Bestimmungen des Tiroler Grundverkehrsgesetzes 1996, LGBl 61/1996, idF LGBl 26/2017 (TGVG) lauten samt Überschriften – auszugsweise – wie folgt:

"§2

Begriffsbestimmungen

(1) - (2) […]

(3) Baugrundstücke sind:

a) bebaute Grundstücke, das sind solche, die mit Gebäuden, mit Ausnahme von land- oder forstwirtschaftlichen Wohn- oder Wirtschaftsgebäuden, bebaut sind; als bebaute Grundstücke gelten auch baulich in sich abgeschlossene Teile eines Gebäudes, die als Wohnungen, Geschäftsräume, Kanzleien, Ordinationen und dergleichen verwendet werden;

b) unbebaute Grundstücke, die im Flächenwidmungsplan als Bauland, als Vorbehaltsfläche oder als Sonderfläche, ausgenommen Sonderflächen für Schipisten, für Hofstellen, für landwirtschaftliche Intensivtierhaltung, für Austraghäuser, für sonstige land- und forstwirtschaftliche Gebäude und für Anlagen zur Aufbereitung mineralischer Rohstoffe, gewidmet sind.

Grundstücke, auf denen sich ausschließlich Gebäude von untergeordneter Bedeutung, wie Garagen, Geräteschuppen, Bienenhäuser, Gartenhäuschen und dergleichen, befinden, gelten nicht als bebaut im Sinn dieses Gesetzes.

(4) - (6) […]

(7) Ausländer sind:

a) […]

b) juristische Personen, die ihren Sitz im Ausland haben oder deren Gesellschaftskapital oder Anteile am Vermögen (wie Namens- oder Stammaktien, Stammeinlagen und ähnliche Rechte) mindestens zur Hälfte Ausländern gehören;

c) - e) […]

§3

Gleichstellung im Rahmen der europäischen Integration sowie aufgrund staatsvertraglicher Verpflichtungen

(1) Staatsangehörige eines anderen EU-Mitgliedstaates oder eines anderen Vertragsstaates des EWR-Abkommens sind für den Geltungsbereich dieses Gesetzes den österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt.

(2) Juristische Personen und sonstige rechtsfähige Personengemeinschaften, die nach den Rechtsvorschriften eines der im Abs1 genannten Staaten gegründet wurden und ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung in einem dieser Staaten haben, sind österreichischen juristischen Personen bzw. sonstigen rechtsfähigen Personengemeinschaften gleichgestellt, wenn der Rechtserwerb in Ausübung einer der folgenden Freiheiten erfolgt:

a) der Niederlassungsfreiheit nach Art49 AEUV bzw. nach Art31 des EWR-Abkommens,

b) des freien Dienstleistungsverkehrs nach Art56 AEUV bzw. nach Art36 des EWR-Abkommens,

c) der Kapitalverkehrsfreiheit nach Art63 AEUV bzw. nach Art40 des EWR-Abkommens.

(3) Im Übrigen sind natürliche Personen sowie juristische Personen und sonstige rechtsfähige Personengemeinschaften den österreichischen Staatsbürgern und den österreichischen juristischen Personen bzw. sonstigen rechtsfähigen Personengemeinschaften gleichgestellt, soweit sich dies in sonstiger Weise aus dem Unionsrecht oder aus staatsvertraglichen Verpflichtungen, einschließlich solcher aus Verträgen im Rahmen der europäischen Integration, ergibt.

(4) Der Nachweis, dass die Voraussetzungen nach Abs1, 2 oder 3 vorliegen, obliegt dem Rechtserwerber.

[…]

4. Abschnitt Rechtserwerbe an Grundstücken durch Ausländer

§12

Genehmigungspflicht, Ausnahmen von der Genehmigungspflicht

(1) Der Genehmigung durch die Grundverkehrsbehörde bedürfen Rechtsgeschäfte und Rechtsvorgänge, die den Erwerb eines der folgenden Rechte durch Ausländer zum Gegenstand haben:

a) den Erwerb von Rechten an Baugrundstücken;

[…]

§25

Erteilung der Genehmigung

(1) Liegen die Voraussetzungen für die Erteilung der Genehmigung für den angezeigten Rechtserwerb an einem land- oder forstwirtschaftlichen Grundstück oder durch einen Ausländer vor, so hat die Grundverkehrsbehörde mit schriftlichem Bescheid die Genehmigung zu erteilen.

[…]"

III.    Zur Zulässigkeit

1.       Zur Zulässigkeit des Antrages:

Ein von Amts wegen oder auf Antrag eines Gerichtes eingeleitetes Gesetzesprüfungsverfahren dient der Herstellung einer verfassungsrechtlich einwandfreien Rechtsgrundlage für das Anlassverfahren (vgl. VfSlg 11.506/1987, 13.701/1994).

Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfenden Gesetzesbestimmung sind, wie der Verfassungsgerichtshof sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren schon wiederholt dargelegt hat (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003), notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden.

Aus dieser Grundposition folgt, dass im Gesetzesprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrages nicht zu eng gewählt werden darf (vgl. VfSlg 16.212/2001, 16.365/2001, 18.142/2007, 19.496/2011; VfGH 14.3.2017, G311/2016). Das antragstellende Gericht hat all jene Normen anzufechten, welche für die Beurteilung der allfälligen Verfassungswidrigkeit der Rechtslage eine untrennbare Einheit bilden. Es ist dann Sache des Verfassungsgerichtshofes, darüber zu befinden, auf welche Weise eine solche Verfassungswidrigkeit – sollte der Verfassungsgerichtshof die Auffassung des antragstellenden Gerichtes teilen – beseitigt werden kann (VfSlg 16.756/2002, 19.496/2011, 19.684/2012, 19.903/2014; VfGH 10.3.2015, G201/2014).

Unzulässig ist der Antrag etwa dann, wenn der im Falle der Aufhebung im begehrten Umfang verbleibende Rest einer Gesetzesstelle als sprachlich unverständlicher Torso inhaltsleer und unanwendbar wäre (VfSlg 16.279/2001, 9.413/2011; VfGH 19.6.2015, G211/2014; 7.10.2015, G444/2015; 10.10.2016, G662/2015), der Umfang der zur Aufhebung beantragten Bestimmungen so abgesteckt ist, dass die angenommene Verfassungswidrigkeit durch die Aufhebung gar nicht beseitigt wurde (vgl. zB VfSlg 18.891/2009, 19.933/2014), oder durch die Aufhebung bloßer Teile einer Gesetzesvorschrift dieser ein völlig veränderter, dem Gesetzgeber überhaupt nicht mehr zusinnbarer Inhalt gegeben wurde (VfSlg 18.839/2009, 19.841/2014, 19.972/2015; VfGH 15.10.2016, G339/2015).

Unter dem Aspekt einer nicht trennbaren Einheit in Prüfung zu ziehender Vorschriften ergibt sich ferner, dass ein Prozesshindernis auch dann vorliegt, wenn es auf Grund der Bindung an den gestellten Antrag zu einer in der Weise isolierten Aufhebung einer Bestimmung käme, dass Schwierigkeiten bezüglich der Anwendbarkeit der im Rechtsbestand verbleibenden Vorschriften entstünden, und zwar in der Weise, dass der Wegfall der angefochtenen (Teile einer) Bestimmung den verbleibenden Rest unverständlich oder auch unanwendbar werden ließe. Letzteres liegt dann vor, wenn nicht mehr mit Bestimmtheit beurteilt werden konnte, ob ein der verbliebenen Vorschrift zu unterstellender Fall vorliegt (VfSlg 16.869/2003 mwN).

Dagegen macht eine zu weite Fassung des Antrages diesen nicht in jedem Fall unzulässig. Soweit alle vom Antrag erfassten Bestimmungen präjudiziell sind oder der Antrag mit solchen untrennbar zusammenhängende Bestimmungen erfasst, führt dies – ist der Antrag in der Sache begründet – im Fall der Aufhebung nur eines Teiles der angefochtenen Bestimmungen im Übrigen zu seiner teilweisen Abweisung (vgl. VfSlg 19.746/2013, 19.905/2014). Umfasst der Antrag auch Bestimmungen, die im Verfahren vor dem antragstellenden Gericht nicht präjudiziell sind, führt dies – wenn die angefochtenen Bestimmungen insoweit trennbar sind – im Hinblick auf diese Bestimmungen zur partiellen Zurückweisung des Antrages (siehe VfSlg 18.486/2008, 18.298/2007; soweit diese Voraussetzungen vorliegen, führen zu weit gefasste Antrage also nicht mehr – vgl. noch VfSlg 14.342/1995, 15.664/1999, 15.928/2000, 16.304/2001, 16.532/2002, 18.235/2007 – zur Zurückweisung des gesamten Antrages).

2.       Der vorliegende Antrag erweist sich als zu eng gefasst:

Nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofes kommt gesetzlichen Begriffsbestimmungen in der Regel keine eigenständige normative Bedeutung zu, weil eine solche erst im Zusammenhang mit anderen Regelungen, die diesen Begriff verwenden, bewirkt wird (vgl. VfSlg 17.340/2004 [S 512], 18.087/2007; VfGH 12.12.2016, G105/2016).

Im Sinne dieser Rechtsprechung handelt es sich bei der angefochtenen Vorschrift des §2 Abs7 litb TGVG um eine Begriffsbestimmung ohne eigenständige normative Wirkung (arg.: §2 TGVG trägt die Überschrift "Begriffsbestimmungen"). Isoliert betrachtet legt sie lediglich fest, unter welchen Voraussetzungen eine juristische Person als "Ausländer" im Sinne des TGVG zu gelten hat. Normativen Gehalt erhält der Begriff "Ausländer" erst im Zusammenhang mit anderen Regelungen des TGVG. Das Landesverwaltungsgericht Tirol ficht die Begriffsbestimmung allerdings allein an und nicht etwa gemeinsam mit Regelungen, in denen der in Rede stehende Begriff verwendet wird (vgl. in diesem Zusammenhang §§12, 25 und 32 Abs1 lita TGVG).

Somit ist die Wortfolge "oder deren Gesellschaftskapital oder Anteile am Vermögen (wie Namens- oder Stammaktien, Stammeinlangen und ähnliche Rechte) mindestens zur Hälfte Ausländern gehören" in §2 Abs7 litb TGVG einer gesonderten Prüfung durch den Verfassungsgerichtshof gemäß Art140 Abs1 Z1 lita B-VG nicht zugänglich. Der Antrag des Landesverwaltungsgerichtes Tirol ist zu eng gefasst und daher zurückzuweisen.

IV.      Ergebnis

1.       Der Antrag, die Wortfolge "oder deren Gesellschaftskapital oder Anteile am Vermögen (wie Namens- oder Stammaktien, Stammeinlangen und ähnliche Rechte) mindestens zur Hälfte Ausländern gehören" in §2 Abs7 litb TGVG als verfassungswidrig aufzuheben, ist daher als unzulässig zurückzuweisen.

2.       Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3.       Den beteiligten Parteien sind die für die abgegebene Äußerung begehrten Kosten nicht zuzusprechen, weil es im Falle eines auf Antrag eines Gerichtes eingeleiteten Normenprüfungsverfahrens Sache des antragstellenden Gerichtes ist, über allfällige Kostenersatzansprüche nach den für sein Verfahren geltenden Vorschriften zu erkennen (zB VfSlg 19.019/2010 mwN).

Schlagworte

Grundverkehrsrecht, Ausländergrunderwerb, Person juristische, VfGH / Prüfungsumfang

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2018:G416.2017

Zuletzt aktualisiert am

10.07.2018
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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