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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
AVG §37;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin MMag. Ginthör als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. November 2017, W170 2153529-1/7E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (mitbeteiligte Partei: A A alias A A A, vertreten durch F A A in W), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
Begründung
1 Der Mitbeteiligte ist ein minderjähriger syrischer Staatsangehöriger, der am 17. November 2015 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Diesen begründete er im Wesentlichen dahingehend, dass er Syrien aufgrund des Krieges und der drohenden Zwangsrekrutierung durch den Islamischen Staat (IS) habe verlassen müssen. Seine Ausreise sei illegal erfolgt.
2 Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 15. März 2017 wurde der Antrag des Mitbeteiligten hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.), dem Mitbeteiligten der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III.). Begründend führte die Behörde im Wesentlichen aus, der Mitbeteiligte habe keine gegen ihn selbst gerichteten Verfolgungshandlungen ins Treffen geführt, es sei ihm angesichts des bewaffneten Konflikts in Syrien jedoch subsidiärer Schutz zu gewähren.
3 Der Mitbeteiligte erhob gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.
4 Dieses hob mit dem angefochtenen Beschluss "in Erledigung der Beschwerde" Spruchpunkt I. des Bescheides vom 15. März 2017 auf und verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurück. Zudem erklärte das Gericht die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.
5 Den angefochtenen Beschluss stützte das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen darauf, dass zwischen der behördlichen Einvernahme des Mitbeteiligten im Juli 2016 und der Erlassung des vor dem Bundesverwaltungsgericht bekämpften Bescheides im März 2017 durch die Behörde keinerlei nachvollziehbare Ermittlungsschritte gesetzt worden seien. In dieser Zeit sei das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien neu aufgelegt worden und es sei das "UNHCR-Papier zu den Folgen einer illegalen Ausreise aus Syrien im Falle einer Rückkehr" erschienen. Beide Berichte seien im behördlichen Verfahren nicht verwertet worden. Das BFA habe keinerlei zielführende Ermittlungsschritte gesetzt, um festzustellen, welche Folgen die rechtswidrige Ausreise des Mitbeteiligten aus Syrien im Fall seiner Rückkehr hätte, obwohl sich aus den Berichten zur Situation in Syrien Hinweise ergäben, dass Rückkehrer wegen einer allenfalls unterstellten politischen Gesinnung in Haft genommen und gefoltert werden würden. Es sei ebenso wenig ermittelt worden, wer in der Herkunftsregion des Mitbeteiligten de facto "die Macht innehabe" und ob auch minderjährige Personen der Gefahr der Zwangsrekrutierung ausgesetzt seien. Aufgrund des Vorbringens des Mitbeteiligten wäre das Setzen der aufgezeigten Ermittlungsschritte geboten gewesen. Das Bundesverwaltungsgericht sei im Gegensatz zum "bisherigen" Asylgerichtshof keine "Spezialbehörde" beziehungsweise kein "Spezialgericht", sodass davon auszugehen sei, dass länderspezifische Ermittlungen durch das BFA jedenfalls unbürokratischer, schneller und kostengünstiger durchgeführt werden könnten.
6 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Beschluss erhobene außerordentliche Revision des BFA, in der die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung wegen Rechtswidrigkeit beantragt wird, nach Einleitung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
7 Die Amtsrevision ist - aus den von ihr dargestellten Gründen - zufolge des Abweichens des Bundesverwaltungsgerichts von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes betreffend die Voraussetzungen für die Aufhebung und Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zulässig und begründet.
8 Nach ständiger Rechtsprechung ist in § 28 VwGVG ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte normiert, weswegen die in § 28 Abs. 3 zweiter Satz leg. cit. vorgesehene Möglichkeit der Kassation eines verwaltungsbehördlichen Bescheides streng auf ihren gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken ist (vgl. grundlegend VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063).
9 Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen beziehungsweise besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden; eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterlassen hat, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. VwGH 6.7.2016, Ra 2015/01/0123, und 14.12.2016, Ro 2016/19/0005, je mwN).
10 Sind (lediglich) ergänzende Ermittlungen vorzunehmen, liegt die (ergänzende) Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht im Interesse der Raschheit im Sinn des § 28 Abs. 2 Z 2 erster Fall VwGVG, zumal diesbezüglich nicht bloß auf die voraussichtliche Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens alleine, sondern auf die Dauer des bis zur meritorischen Entscheidung insgesamt erforderlichen Verfahrens abzustellen ist. Nur mit dieser Sichtweise kann ein dem Ausbau des Rechtsschutzes im Sinn einer Verfahrensbeschleunigung Rechnung tragendes Ergebnis erzielt werden, führt doch die mit der verwaltungsgerichtlichen Kassation einer verwaltungsbehördlichen Entscheidung verbundene Eröffnung eines neuerlichen Rechtszugs gegen die abermalige verwaltungsbehördliche Entscheidung an ein Verwaltungsgericht insgesamt zu einer Verfahrensverlängerung (vgl. VwGH 22.6.2016, Ra 2016/03/0027, mwN).
11 Fallbezogen können weder krasse oder gravierende Ermittlungslücken im Zusammenhang mit dem behördlichen Verfahren erkannt, noch konstatiert werden, dass eine Ergänzung des bereits festgestellten Sachverhalts durch das BFA anstelle des Bundesverwaltungsgerichts im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre. Wie das BFA in der Revision zutreffend aufzeigt, sind die vom Bundesverwaltungsgericht aufgetragenen Ermittlungsschritte ohnehin im Wesentlichen bereits gesetzt worden. Ausgehend von den dem angefochtenen Beschluss zugrundeliegenden Ermittlungsergebnissen wäre das Bundesverwaltungsgericht in der Lage und gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG - allenfalls nach von ihm selbst vorzunehmenden ergänzenden Ermittlungen - auch verpflichtet gewesen, eine meritorische Entscheidung zu treffen. Daran vermag auch das Argument, das BFA sei als "Spezialbehörde" eingerichtet, nichts zu ändern (vgl. VwGH 20.2.2018, Ra 2017/20/0498).
12 Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben. Wien, am 3. Mai 2018
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017190585.L00Im RIS seit
10.07.2018Zuletzt aktualisiert am
11.07.2018