TE Bvwg Erkenntnis 2018/6/25 I411 2115743-1

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Veröffentlicht am 25.06.2018
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Entscheidungsdatum

25.06.2018

Norm

AsylG 2005 §54
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §58 Abs2
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

I411 2115743-1/13E

Schriftliche Ausfertigung des am 29.05.2018 mündlich verkündeten Erkenntnisses

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Robert POLLANZ als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX StA. TUNESIEN, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 20.08.2015, Zl. XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 29.05.2018 zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde gegen Spruchpunkt III. und IV. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und diese behoben. XXXX StA Tunesien, wird gemäß §§ 54, 55 Abs 1 und 58 Abs 2 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" für die Dauer von 12 Monaten erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein tunesischer Staatsbürger, reiste illegal ohne gültiges Reisedokument nach Österreich ein und stellte am 25.03.2011 erstmals einen Asylantrag in Österreich. Dieser wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 16.05.2011 als unzulässig zurückgewiesen und festgestellt, dass für die Prüfung des Antrages Rumänien zuständig ist. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Beschwerde. Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 07.07.2013 wurde die Beschwerde gemäß §§ 5, 10 AsylG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen. Am 18.02.2013 stellte der Beschwerdeführer erneut einen Asylantrag.

2. Mit dem Bescheid vom 20.08.2015, Zl. 830211302/1619360, wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Tunesien (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Zugleich erteilte sie dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Tunesien zulässig ist (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit zwei Wochen festgesetzt (Spruchpunkt IV.).

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde vom 03.09.2015.

4. Mit Schriftsatz vom 15.09.2015, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 14.10.2015, legte die belangte Behörde dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde samt Verwaltungsakt vor.

5. Vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde in der gegenständlichen Rechtssache am 29.05.2018 eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt, zu der der Beschwerdeführer persönlich erschien und als Partei einvernommen wurde.

In der mündlichen Verhandlung wurde die Beschwerde hinsichtlich der Anträge auf Gewährung von Asyl und subsidiärem Schutz ausdrücklich zurückgezogen. Im Zuge der mündlichen Verhandlung wurde gegenständliche Entscheidung mündlich verkündet.

Am 07.06.2018 beantragte die belangte Behörde die schriftliche Ausfertigung der am 29.05.2018 mündlich verkündeten Entscheidung.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige Beschwerdeführer ist ledig, kinderlos, Staatsangehöriger von Tunesien und bekennt sich zum moslemischen Glauben. Er gehört der Volksgruppe der Araber an. Seine Identität fest. Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig.

Er lebt mit seiner Lebensgefährtin XXXX ehemals XXXX und deren Sohn XXXX seit 2014 in einem gemeinsamen Haushalt.

XXXX leidet an Epilepsie und Autismus, weist einen hundertprozentigen Grad der Behinderung auf und erhält Pflegegeld der Pflegestufe 6. Der Beschwerdeführer betreut den Sohn seiner Lebensgefährtin. Dieser befindet sich nunmehr, nachdem er die Schule abgeschlossen hat, die meiste Zeit zu Hause und benötigt intensive Betreuung, da er nicht alleine gelassen werden kann. Eine Unterbringung in einem Heim ist nicht möglich bzw. nicht gewünscht und ist auch eine Tagesbetreuung derzeit nicht möglich. Die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers ist in hohem Maße auf die Hilfe des Beschwerdeführers bei der Pflege ihres Sohnes angewiesen, da sie beispielsweise nicht in der Lage ist, den Sohn bei seinen epileptischen Anfällen alleine festzuhalten. Der Beschwerdeführer unternimmt auch Spaziergänge mit dem Sohn und pflegt diesen auch sonst intensiv.

Der Beschwerdeführer spricht Deutsch auf dem Niveau B1. Weiters absolvierte er einen 16-stündigen Erstehilfekurs sowie einen Werte- und Orientierungskurs. Er ist seit 24.10.2016 durchgehend in Österreich an der gemeinsamen Wohnadresse gemeldet.

Die Eltern und Geschwister des Beschwerdeführers leben in Tunesien. Zu diesen hält er über Telefon und Facebook Kontakt. Besucht hat er sie in der Zwischenzeit nie. In Österreich verfügt der Beschwerdeführer über keine Verwandten.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich nicht vorbestraft.

Er bezieht keinerlei Leistungen von der staatlichen Grundversorgung, sondern ist mit seiner Lebensgefährtin mitversichert.

2. Beweiswürdigung:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes für Asyl und dem vorliegenden Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister und der Grundversorgung wurden ergänzend zum vorliegenden Akt eingeholt.

Die Feststellungen zu seinen Lebensumständen, seinem Gesundheitszustand, seiner Arbeitsfähigkeit, seiner Herkunft, seiner Glaubens- und Volkszugehörigkeit sowie seiner Staatsangehörigkeit gründen sich auf die diesbezüglichen glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers bei seiner Einvernahme vor dem Bundesverwaltungsgericht am 29.05.2018.

Die Feststellung zu seiner Identität ergibt sich aus der im Verwaltungsakt erliegenden Geburtsurkunde des Beschwerdeführers.

Dass der Beschwerdeführer mit seiner Lebensgefährtin und deren Sohn in einem gemeinsamen Haushalt lebt, ergibt sich aus der gemeinsamen Wohnsitzmeldung und den glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Dass der Sohn seiner Lebensgefährtin einen Grad der Behinderung von einhundert Prozent aufweist ergibt sich auch der Kopie des vom Sozialministeriumservice, Landesstelle Steiermark ausgestellten Behindertenpass (Ausweisnummer: 8701288). Weiters ergibt sich aus den glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers vor dem Bundesverwaltungsgericht, dass er sich um den autistischen und an Epilepsie erkrankten erwachsenen Sohn seiner Lebensgefährtin kümmert, da eine Betreuung im Heim nicht möglich ist, da der Sohn dort mit starken Medikamenten ruhiggestellt werden würde und seine Lebensgefährtin es alleine nicht schaffen würde, da man den erwachsenen Sohn beispielsweise bei seinen Anfällen festhalten müsse.

Dass der Sohn der Lebensgefährtin des Beschwerdeführers Pflegestufe 6 hat und daher intensiver Pflege und Betreuung bedarf, welche vom Beschwerdeführer ausgeht, ergibt sich ebenfalls aus den glaubhaften Aussagen des Beschwerdeführers.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer Deutsch auf Niveau B1 spricht ergibt sich aus dem vorliegenden ÖSD Zertifikat B1 und der persönlichen Wahrnehmung des erkennenden Richters. Der Beschwerdeführer konnte den Hauptteil der Verhandlung bestreiten ohne auf den anwesenden Dolmetscher angewiesen zu sein.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer einen Werte- und Orientierungskurs erfolgreich absolvierte sowie an einem Erstehilfekurs teilnahm, ergibt sich aus den diesbezüglichen, im Akt erliegenden Bestätigungen.

Dass die Familie des Beschwerdeführers nach wie vor in Tunesien lebt und zu diesen Kontakt über Telefon und Facebook besteht ergibt sich aus den glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers.

Die Feststellung über die strafgerichtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus einer Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich vom 29.01.2018.

Die Feststellungen zu seinem gegenwärtigen Wohnsitz und seinem Bezug der Grundversorgung ergeben sich aus dem, dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden, am 29.01.2018 abgefragten Speicherauszug aus dem Betreuungsinformationssystem und dem Zentralen Melderegister.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Stattgebung der Beschwerde

Mit Schriftsatz vom 03.09.2015 erhob der Beschwerdeführer gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 20.08.2015 Beschwerde im vollen Umfang.

Aufgrund des in der mündlichen Verhandlung vom 29.05.2018 eindeutig geäußerten Parteiwillens, die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. und II. des angefochtenen Bescheides zurückzuziehen, ist die Abweisungen der Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Tunesien rechtskräftig und daher nicht mehr Gegenstand der vorliegenden Entscheidung.

Gegenstand des Beschwerdeverfahrens und der gegenständlichen Entscheidung sind daher nur mehr die mit Bescheid der belangten Behörde vom 20.08.2015 ausgesprochene Nichterteilung eines Aufenthaltstitels sowie die Rückkehrentscheidung und Abschiebung.

Zur Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen

Gemäß § 58 Abs 2 AsylG 2005 hat das Bundesamt einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG 2005 von Amts wegen zu erteilen, wenn eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig auf Dauer für unzulässig erklärt wurde. Es ist daher zu prüfen, ob eine Rückkehrentscheidung auf Basis des § 9 Abs 1 bis 3 BFA-VG für unzulässig zu erklären ist.

Der mit "Schutz des Privat- und Familienlebens" betitelte § 9 BFA-VG lautet wie folgt (Abs 1 bis 3):

"§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre."

Im Hinblick darauf ist für den vorliegenden Fall Folgendes festzuhalten:

Der Beschwerdeführer hält sich seit 2013 in Österreich auf und lebt seit 2014 in Lebensgemeinschaft mit seiner Lebensgefährtin. Gemeinsam mit dem erwachsenen Sohn der Beschwerdeführerin, welcher an Autismus und Epilepsie leidet, leben beide in einem gemeinsamen Haushalt und ist der Beschwerdeführer seit 2016 auch amtlich an der gemeinsamen Wohnadresse gemeldet. Er kümmert sich intensiv um den Sohn der Beschwerdeführerin, da dieser aufgrund seiner Erkrankungen nicht alleine gelassen werden kann und nunmehr aufgrund des Umstandes, dass dieser die Schule abgeschlossen hat, die meiste Zeit zu Hause ist und Betreuung benötigt. Der Sohn der Lebensgefährtin hat Pflegestufe 6 und ist eine Unterbringung im Heim nicht möglich bzw. nicht gewünscht, sodass dieser zu Hause betreut werden muss. Auch eine Betreuung in einer Tagesstätte ist derzeit nicht möglich. Die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers würde die Betreuung ihres Sohnes alleine nicht schaffen, da man ihn beispielsweise bei seinen epileptischen Anfällen festhalten musst. Die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers ist daher auf die Hilfe und Unterstützung des Beschwerdeführers in höchsten Maße angewiesen und wird diese vom Beschwerdeführer auch erbracht.

Ein Aspekt, der nach der VwGH-Judikatur für eine besonders intensive Familienbeziehung spricht, ist die Frage, ob die Betroffenen, zB aufgrund einer Pflegebedürftigkeit voneinander abhängig sind (VwGH 03.11.2010, 2007/18/0248; 22.09.2011, 2008/18/0786; 22.09.2011, 2008/18/0455). Die Lebensgefährtin sowie deren Sohn sind im Hinblick auf die Pflegebedürftigkeit des Sohnes, wie festgestellt wurde, in hohem Maße vom Beschwerdeführer abhängig, sodass im Falle des Beschwerdeführers jedenfalls von einer berücksichtigungswürdigen Familienbeziehung in Österreich auszugehen ist, zumal der Beschwerdeführer eine enge Bindung zum Sohn seiner Lebensgefährtin hat und in die tägliche Versorgung und Pflege desselben intensiv eingebunden ist.

Zu seiner in Tunesien lebenden Familie besteht lediglich ein Kontakt über Telefon bzw. Facebook, jedoch kein persönlicher.

Zudem absolvierte der Beschwerdeführer eine Deutschprüfung auf Niveau B1 und einen Werte- und Orientierungskurs erfolgreich. Darüber hinaus besuchte er auch einen 16-stündigen Erstehilfekurs. Das Bundesverwaltungsgericht ist daher davon überzeugt, dass der Beschwerdeführer sich um Integration bemüht.

Das bestehende Familienleben in Österreich, insbesondere aufgrund der Pflegebedürftigkeit des in gemeinsamen Haushalt lebenden erwachsenen Sohne der Lebensgefährtin, und die Integrationsbemühungen des Beschwerdeführers müssten allerdings hinter dem öffentlichen Interesse an einer Außerlandesbringung des Beschwerdeführers zurücktreten, wenn von diesem eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen würde. Eine derartige Gefährdungsprognose liegt aber nicht vor. Der Beschwerdeführer ist nicht vorbestraft, sodass aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes nicht davon auszugehen ist, dass der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährden würde.

Vor diesem Hintergrund ist im Rahmen einer Interessensabwägung gem. § 9 Abs 2 BFA-VG festzustellen, dass eine Rückkehrentscheidung zum Zeitpunkt der Entscheidung hinsichtlich des Beschwerdeführers durch das erkennende Gericht auf Dauer unzulässig ist. Es wird nicht verkannt, dass dem Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ein hoher Stellenwert zukommt, doch ist im gegenständlichen Fall aus den eben dargelegten Gründen in einer Gesamtschau und Abwägung aller Umstände das private Interesse an der - nicht nur vorübergehenden - Fortführung des Familien- und Privatlebens des Beschwerdeführers in Österreich dennoch höher zu bewerten als das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung.

Da die maßgeblichen Umstände in ihrem Wesen nicht bloß vorübergehend sind, ist eine Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären.

Gemäß § 58 Abs 2 AsylG 2005 ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 von Amts wegen zu prüfen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird.

§ 55 AsylG 2005 samt Überschrift lautet:

"Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK

§ 55. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn

1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird.

(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen."

Gemäß § 54 Abs. 1 AsylG 2005 werden Drittstaatsangehörigen folgende Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt:

"1. "Aufenthaltsberechtigung plus", die zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und unselbständigen Erwerbstätigkeit gemäß § 17 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG), BGBl. Nr. 218/1975 berechtigt,

2. "Aufenthaltsberechtigung", die zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und einer unselbständigen Erwerbstätigkeit, für die eine entsprechende Berechtigung nach dem AuslBG Voraussetzung ist, berechtigt,

3. "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz", die zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und einer unselbständigen Erwerbstätigkeit, für die eine entsprechende Berechtigung nach dem AuslBG Voraussetzung ist, berechtigt.

Der Erstbeschwerdeführer erfüllt die Voraussetzungen des § 55 Abs 1 Z 1 und Z 2 AsylG 2005, somit war eine "Aufenthaltsberechtigung plus" gemäß § 54 Abs 1 Z 1 AsylG zu erteilen.

Gemäß § 54 Abs 2 AsylG 2005 sind Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen für die Dauer von zwölf Monaten beginnend mit dem Ausstellungsdatum auszustellen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden und der der Beschwerde gegen die Spruchpunkte III. und IV. stattzugeben, diese zu beheben und dem Beschwerdeführer den Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" für die Dauer von 12 Monaten zu erteilen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Im gegenständlichen Fall wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die vorliegende Entscheidung basiert auf den oben genannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes.

Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung plus, Behinderung, Familienangehöriger,
Integration, mündliche Verkündung, persönliche und soziale
Bindungen, Pflege, Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig,
schriftliche Ausfertigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:I411.2115743.1.00

Zuletzt aktualisiert am

09.07.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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