TE Bvwg Erkenntnis 2018/6/19 W171 2107867-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.06.2018
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Entscheidungsdatum

19.06.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W171 2107867-1/15E

W171 2107866-1/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gregor MORAWETZ, MBA als Einzelrichter über die Beschwerde von 1.) XXXX;

geb. XXXX, gesetzlich vertreten durch die Mutter XXXX, 2.) XXXX,

geb. XXXX, gesetzlich vertreten durch die Mutter XXXX, beide StA Volksrepublik China, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.05.2015, 1.) Zl. XXXX, 2.) Zl. XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 30.06.2016, zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerden werden hinsichtlich Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. Hinsichtlich Spruchpunkt II. der angefochtenen Bescheide wird den Beschwerden stattgegeben und XXXX und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat China zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 werden XXXX und XXXX befristete Aufenthaltsberechtigungen als subsidiär Schutzberechtigte für die Dauer von einem Jahr erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Erstbeschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Volksrepublik China, wurde am XXXX im Bundesgebiet geboren und stellte am 29.09.2014 durch ihre Mutter als gesetzliche Vertreterin einen Antrag auf internationalen Schutz.

Die Zweitbeschwerdeführerin wurde am XXXX im Bundesgebiet geboren. Ihre Mutter stellte für sie am 15.12.2014 ebenfalls einen Antrag auf internationalen Schutz.

Begründend wurde jeweils auf die im Verfahren der Mutter vorgebrachten Fluchtgründe verwiesen. Deren Asylverfahren war mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenats vom 16.06.2008 rechtskräftig negativ abgeschlossen und die Mutter der Beschwerdeführerinnen aus dem Bundesgebiet ausgewiesen worden.

2. In der Folge wurde am 13.05.2015 eine niederschriftliche Einvernahme der Mutter der Beschwerdeführerinnen vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl durchgeführt. Diese gab im Wesentlichen an, dass ihre Kinder gesund seien. Aufgrund der Ein-Kind-Politik in der Volksrepublik China drohe ihr bei ihrer Rückkehr eine Geldstrafe, die sie nicht bezahlen könne. Sie wolle, dass ihre Kinder in Österreich aufwachsen. In China seien Erziehung und Lebensstandard für Kinder nicht so gut. Ihre Eltern lebten in China, außer ihren Kindern habe sie keine Verwandten in Österreich.

3. Mit Bescheiden vom 15.05.2015 wurden die Anträge der Beschwerdeführerinnen auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 wurden die Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigen in Bezug auf den Herkunftsstaat Volksrepublik China abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG 2005 erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG 2005 wurde festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG 2005 in die Volksrepublik China zulässig ist. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 2005 wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen festgesetzt (Spruchpunkt III).

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die gesetzliche Vertreterin der Beschwerdeführerinnen für sie keine gesonderten Fluchtgründe vorgebracht habe. Zur Ein-Kind-Politik sei auszuführen, dass es inzwischen Erleichterungen für Rückkehrer gebe. Die verhängte Geldbuße hänge vom Einkommen ab. Verfolgungen und Bedrohungen von im Ausland gezeugten Kindern seien nicht bekannt. Die Mutter der Beschwerdeführerinnen sei gesund und arbeitsfähig und könne ihren Lebensunterhalt aus eigenem finanzieren. Repressalien gegen Rückkehrer seien nicht bekannt. Ein landesweites Sozialversicherungsgesetz sei 2011 in Kraft getreten, weshalb die Beschwerdeführerinnen und ihre Mutter in China nicht in eine ausweglose Situation geraten würden.

4. Gegen oben genannte Bescheide wurde fristgerecht Beschwerde erhoben, welche am 28.05.2015 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einlangte. Darin wurde vorgebracht, dass den Beschwerdeführerinnen in China politisch motivierte Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit der sozialen Gruppe der Kinder drohe. Durch die Verletzung der Familienplanungspolitik seien sie mit drakonischen Strafen, nämlich hohen Geldbußen, konfrontiert. Aus diesem Grund werde die Geburt eines zweiten Kindes häufig nicht registriert. Ohne Eintragung in das Haushaltsregister hätten die Kinder keinen Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung und anderen Sozialleistungen. Diese Kinder seien besonders anfällig für Missbrauch und Menschenhandel. Es komme auch vor, dass Kinder den Eltern entzogen, an Waisenhäuser verkauft oder zur Adoption ins Ausland vermittelt würden. Die Mutter der Beschwerdeführerinnen sei höchstwahrscheinlich mit einer Haftstrafe konfrontiert. Die Beschwerdeführerinnen seien in China einem Klima ständiger Bedrohungen, unmittelbaren Einschränkungen und Diskriminierungen, gravierenden Menschenrechtsverletzungen sowie unmenschlicher Behandlung ausgesetzt und würden in eine ausweglose Lage geraten, was die Gewährung von subsidiärem Schutz rechtfertige.

5. Am 10.11.2015 stellte das Bundesverwaltungsgericht eine Anfrage an die Staatendokumentation, die am 16.02.2016 wie folgt beantwortet wurde:

Anfragebeantwortung zu China: Informationen zur Lage von alleinerziehenden Müttern (staatliche Unterstützungsangebote, Unterstützung durch NGOs), insbesondere in Zhejiang, Qingtian [a-9494-3 (9496)]

16. Februar 2016

Maria Jaschok vom International Gender Studies Centre at Lady Margaret Hall von der University of Oxford schreibt in einer E-Mail-Auskunft vom Februar 2016, dass, obwohl es gewaltige Veränderungen der Lage von Frauen gegeben habe, der gesellschaftliche Respekt gegenüber der sexuellen Autonomie von Frauen in ländlichen Gebieten quasi nicht existiere und in städtischen Gebieten stark eingeschränkt sei. Hinsichtlich unverheirateter Frauen seien Vorurteile und Diskriminierung zu erwarten. Sehr wenige NGOs würden Unterstützung anbieten und diese wenige Unterstützung sei für Frauen nur von wenig Nutzen. Die Provinz Zhejiang unterscheide sich diesbezüglich nur wenig von anderen Provinzen:

"[...] although there have been immense changes in the situation of women, societal respect

for the sexual autonomy of women in rural areas is more or less non-existent and in urban

areas highly limited. When it comes to unwed mothers, prejudice and discrimination are to

be expected. Very few NGOs offer support, and what there is, well, is of limited use to

women. Zhejiang Province, in this respect, differs little from other provinces." (Jaschok,

10. Februar 2016)

Eine Soziologin an einer US-amerikanischen Universität, von der keine Erlaubnis zur Nennungng ihres Namens und ihrer Institution vorliegt, schreibt in einer E-Mail-Auskunft vom Februar 2016, dass es, sofern sie wisse, keine staatlichen Unterstützungsdienste für unverheiratete Mütter und ihre Kinder gebe. Der Staat würde von Geburten außerhalb der Ehe stark abraten. Solche Kinder würden von den örtlichen Regierungsbehörden für gewöhnlich nicht als StaatsbürgerInnen anerkannt und ihnen würde nicht erlaubt, eine Haushaltsregistrierung (hukou) vornehmen zu lassen. Diesen Kindern würden daher oftmals Staatsbürgerschafts- und Wohnsitzrechte verweigert, darunter die kostenlose neunjährige Schulbildung, eine staatliche Krankenversicherung usw. Es könnte örtliche oder internationale NGOs geben, jedoch sei sie, die Soziologin, nicht mit der Lage vertraut. Die hauptsächliche Unterstützung würde oftmals von der Familie der Frau kommen, wenn die Familie dazu im Stande sei. Es gebe weiterhin Stigmatisierung/Diskriminierung gegenüber unverheirateten Müttern, aber dies unterscheide sich je nach Art der Gemeinschaft. Frauen in großen Städten, die über mehr Bildung und Geld verfügen würden, seien weniger wahrscheinlich von gesellschaftlicher Stigmatisierung betroffen:

"I have not done systematic research on single/unwed mothers in China, so I am trying my

best to answer your questions but I may not be totally accurate or up-to-date. As far as I

know, there is no state support service for mothers and children of unwed births. On the

contrary, out-of-wed births are strongly discouraged by the state, so such children usually

do not get recognized by the local government agencies as citizens, by not allowing these

children to register on hukou (household registration). So these children are often denied

of citizen/resident benefits including free 9-year education, government medical insurance

for children, etc. There may be domestic or international NGOs but I am unfamiliar with

the situation. Also I am unfamiliar with Qingtian of Zhejiang Province, and don't know if it

is different from what I described above. The primary source of support is often from the

women's family, if they are capable. There is still stigmatization/discrimination toward

unwed mothers, but it varies a great deal by the type of communities. Women in large cities

with more education and money are less likely to subject to societal stigmatization."

(Soziologin, 9. Februar 2016)

Cecilia Milwertz, Forscherin am Nordic Institute of Asian Studies der Universität Kopenhagen, schreibt in einer E-Mail-Auskunft vom 16. Februar 2016, dass sie während ihrer Forschungen zu nichtstaatlichen Projekten in den Bereichen Gender und Entwicklung in der Volksrepublik China seit 1996 auf keine Unterstützungsdienste für alleinstehende Mütter gestoßen sei. Sie sei tatsächlich auf keine Erwähnungen von alleinstehenden Müttern im Kontext derartiger Bemühungen gestoßen. In China gebe es eine jährliche Geburtenquote und verheiratete Paare könnten um eine Erlaubnis für die Geburt eines Kindes ansuchen. Alleinstehende Frauen seien nicht berechtigt, darum anzusuchen. Es werde starker Druck auf ohne Erlaubnis schwanger gewordene, verheiratete Frauen ausgeübt, eine Abtreibung vornehmen zu lassen. Dies gelte für Frauen, die an ihrem Wohnsitz ("place of registration") leben würden. Frauen, die an Orten abseits ihres Wohnsitzes leben würden, könnten der Kontrolle durch die Behörden entgehen. Insbesondere für wohlhabende Paare und vielleicht auch für alleinstehende Frauen, sei es möglich, ein Eingreifen zu verhindern. Obwohl Milwertz nicht mit konkreten Fällen unverheirateter schwangerer Frauen vertraut sei, könne sie sich vorstellen, dass der auf diese Frauen ausgeübte Druck, eine Abtreibung vornehmen zu lassen, stark sei, wenn sie an ihrem Wohnsitz leben würden und daher in der für diesen Ort geltenden Geburtenquote erfasst würden. Die Antwort auf die Frage nach Konsequenzen einer Schwangerschaft und Geburt außerhalb der Geburtsquoten sei daher stark vom Wohnsitz und vom Wohlstandsniveau abhängig:

"During the time (1996 to present) that I have carried out research on nongovernmental

organizing on gender and development issues in the PRC [People's Republic of China] I have

not come across support services provided to single mothers. I have in fact not come across

mention of single mothers in the context of gender and development organizing. In China

there is an annual birth quota and married couples may apply for permission to give birth

to a child. Single women are not eligible to apply. There is strong pressure on married

women who become pregnant without permission to undergo abortion. Importantly, this

counts for women who are resident in their place of registration. Women who reside in

other places than their place of registration may be outside of the control of authorities.

Especially for wealthy couples, and perhaps also for single women, it is possible to avoid

intervention. Although I am not familiar with any specific cases of unwed pregnant women,

I can only imagine that the pressure on them to have an abortion would be strong if they

reside in their place of registration and would thereby be counted in the childbirth quota

of that place. The whole question of consequences of pregnancy and childbirth outside of

the birth quotas is therefore strongly dependent on place of residence and wealth."

(Milwertz, 16. Februar 2016)

Die britische Tageszeitung The Guardian erwähnt in einem Artikel vom Jänner 2014 eine Organisation, die sich für ArbeitsmigrantInnen einsetze, Little Bird, die einer unverheirateten Mutter und ihrem Kind geholfen habe:

"She was found by Little Bird, a grassroots organisation for migrant workers, which

subsidised the hospital bill and referred her to a counsellor. Later, it helped her find a

husband who accepted the baby. Her marriage led to reconciliation with her parents, who

had refused to see her." (The Guardian, 20. Jänner 2014)

Der US-amerikanische staatliche Auslandssender Voice of America (VOA) schreibt in einem Artikel vom Juni 2013, dass Wei Wei, ein Sozialarbeiter der NGO Little Bird, die Hilfe für ArbeitsmigrantInnen zur Verfügung stelle, angegeben habe, dass die chinesische Gesellschaft keine Unterstützung für unverheiratete Mütter zur Verfügung stelle. Deren Status sei illegal und sie würden über keinen rechtlichen Schutz verfügen. Dies sei eine heikle soziale Gruppe. Es gebe keine Organisation, die sich um sie kümmere:

"Wei Wei, a social worker with Little Bird - an NGO that provides help for migrant workers

- says Chinese society does not support aid to unwed mothers, as other causes come first in

the helping line. 'Their status is illegal, they do not have any legal protection. And this is a

thorny social group, there's no organization that looks after them,' says Mr. Wei." (VOA,

28. Juni 2013)

Ein Beamter der All China Women's Federation in Peking habe laut VOA bestätigt, dass unverheiratete Frauen selten Hilfe bei von der Regierung finanzierten Organisationen wie der All China Women's Federation suchen würden. Die Organisation biete grundsätzlich keine Dienste für unverheiratete Mütter an, weil es in der Gesellschaft keine Nachfrage gebe und niemand nach dieser Art der Hilfe verlange:

"Yang, an officer at the All China Women's Federation in Beijing's Dongcheng District,

acknowledges that unwed mothers rarely seek help at government-sponsored agencies like

theirs. 'We basically do not have a service for unmarried mothers because there is not this

need in society and nobody asks us for this kind of help.'" (VOA, 28. Juni 2013)

Quellen: (Zugriff auf alle Quellen am 16. Februar 2016)

· Milwertz, Cecilia: E-Mail-Auskunft, 16. Februar 2016

· Jaschok, Maria: E-Mail-Auskunft, 10. Februar 2016

· Soziologin: E-Mail-Auskunft, 9. Februar 2016

· The Guardian: For Chinese women, unmarried motherhood remains the final taboo,

20. Jänner 2014

http://www.theguardian.com/world/2014/jan/20/china-unmarried-motherhoodremains-

final-taboo

· VOA - Voice of America: Single Chinese Mothers Struggle to Overcome Social Hurdles,

28. Juni 2013

http://m.voanews.com/a/single-chinese-mothers-struggle-to-overcome-socialhurdles/

1690998.html

6. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 30.06.2016 in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die chinesische Sprache eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Die Mutter der Beschwerdeführerinnen gab dabei im Wesentlichen an, seit November 2003 in Österreich zu leben. Sie habe bisher nicht gearbeitet und lebe in einer Einrichtung der Caritas. Der Vater ihrer Kinder halte sich illegal in Deutschland auf. Ihre Eltern und die neun Geschwister ihres Vaters lebten alle in China, ebenso wie ein Großvater. Ihr Bruder lebe in Italien. Ihr ältester Sohn komme im September in die erste Klasse Volksschule, die Erstbeschwerdeführerin gehe in den Kindergarten.

7. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichts vom 21.03.2018 wurde das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zur Lage in China, Stand 14.11.2017, übermittelt und den Beschwerdeführerinnen Gelegenheit gegeben, Angaben zu ihrem Gesundheitszustand und ihrem Privat- und Familienleben in Österreich sowie in der Volksrepublik China zu machen.

In einer am 16.04.2018 eingelangten Stellungnahme wurde vorgebracht, dass sich die Situation hinsichtlich der Ein-Kind-Politik nicht verbessert habe. Den Beschwerdeführerinnen sei der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen, da ihnen Verfolgung durch den Staat aus GFK-relevanten Gründen und ihrer Mutter der Entzug der Kinder drohe. Sie verfügten über kein familiäres Netz in China, die Mutter der Beschwerdeführerinnen wisse nichts über den Verbleib ihrer Adoptiveltern. Die Familie würde daher bei einer Rückkehr in eine aussichtslose Lage geraten. Die Beschwerdeführerinnen seien gesund, die Erstbeschwerdeführerin besuche den Kindergarten. Eine Tante lebe in Wien. In China hätten sie keine Verwandten. Sie lebten seit ihrer Geburt in Österreich und hätten bereits zahlreiche Freunde gefunden. Es bestehe daher ein schützenswertes Privatleben und ein überwiegendes Interesse am Verbleib in Österreich.

Der Stellungnahme lagen eine Bestätigung über den Besuch des Kindergartens, mehrere Empfehlungsschreiben sowie Fotos der Familie bei.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person der Beschwerdeführerinnen

Die Beschwerdeführerinnen wurden im Bundesgebiet geboren. Ihre Mutter, XXXX alias XXXX, geb. XXXX alias XXXX, StA Volksrepublik China, stellte am 12.11.2003 einen Antrag auf internationalen Schutz, welcher letztlich mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenats vom 16.06.2008 rechtskräftig abgewiesen wurde.

Der ältere Bruder der Beschwerdeführerinnen, XXXX, geb. XXXX, stellte am 29.10.2009 einen Antrag auf internationalen Schutz, welcher mit Bescheid des Bundesasylamts vom 29.03.2011 rechtskräftig abgewiesen wurde.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerinnen in der Volksrepublik China asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt wären.

Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass den Beschwerdeführerinnen im Fall ihrer Rückkehr in die Volksrepublik China die Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK droht.

1.2. Zur maßgeblichen Situation in der Volksrepublik China

Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Staatendokumentation, Länderinformationsblatt China, Stand 14.11.2017 (mit Kurzinformationen vom 05.02.2018, unkorrigiert und gekürzt durch das Bundesverwaltungsgericht)

1. Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

KI vom 05.02.2018: Festnahme des regierungskritischen Anwaltes Yu Wensheng, betrifft Abschnitt 10. Allgemeine Menschenrechtslage.

Yu Wensheng, ein regierungskritischer Anwalt, wurde nach Angaben seiner Frau am Morgen des 19.1.2018 festgenommen, als er mit seinem Sohn zur Schule ging (The Guardian 19.1.2018).

Wenige Stunden vor seiner Verhaftung forderte Yu Wensheng von Präsident Xi Jinping in einem offenen Brief Verfassungsreformen (DW 19.1.2018).

International bekannt wurde der prominente Kritiker, als er 2017 gemeinsam mit fünf anderen Anwälten versuchte, die Regierung seines Landes wegen des gesundheitsschädlichen Smogs zu verklagen (DZ 29.1.2018). Als Anwalt hat Yu mehrere andere Menschenrechtsanwälte und Demonstranten aus Hongkong vertreten, die dort für mehr Demokratie auf die Straße gegangen sind und festgenommen worden waren (DW 1.2.2018).

Im Oktober vergangenen Jahres wurde Yu Wensheng vorübergehend inhaftiert, weil er in einem offenen Brief Chinas Partei- und Staatschef Xi Jinping wegen dessen Stärkung des Totalitarismus als für das Amt nicht geeignet bezeichnet hatte (NZZ 1.2.2018).

Der Verbleib von Yu Wensheng war zunächst unklar (DP 19.1.2018); nach Angaben von Amnesty International übernahm die Polizei von Xuzhou in der ostchinesischen Provinz Jiangsu den Fall. Der Anwalt werde derzeit unter "Hausarrest an einem ausgesuchten Ort festgehalten, ohne dass dieser Ort bekannt wäre, so Amnesty International (DZ 29.1.2018).

Gemäß Amnesty International sei der chinesische Menschenrechtsanwalt der "Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt" beschuldigt worden (DP 19.1.2018). Der Vorwurf der Subversion ist eine schwerwiegende Anklage, die eine Haftstrafe von bis zu 15 Jahren bedeuten kann. Im vergangenen Dezember war etwa der regierungskritische Blogger Wu Gan deswegen zu acht Jahren Gefängnis verurteilt worden (DZ 29.1.2018).

Der kritische Jurist ist das jüngste Opfer der seit mehr als zwei Jahren anhaltenden Verfolgungswelle gegen Anwälte, Mitarbeitern von Kanzleien, Aktivisten und deren Familienmitgliedern. Mehr als 300 wurden nach Angaben von Menschenrechtsgruppen seit Juli 2015 inhaftiert, verhört, unter Hausarrest gestellt oder an der Ausreise gehindert. Vier wurden verurteilt, 16 warten noch auf ihren Prozess (DP 19.1.2018). Mindestens eine Person aus der angeführten Gruppe sei verschwunden (BBC 16.1.2018).

Quellen:

-

BBC News (16.1.2018): China rights lawyer Yu Wensheng loses licence, http://www.bbc.com/news/world-asia-china-42702731, Zugriff 22.1.2018

-

DP - Die Presse (19.1.2018): Haft für Anwalt: China setzt Verfolgungswelle gegen Kritiker fort, https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5356682/Haft-fuer-Anwalt_China-setzt-Verfolgungswelle-gegen-Kritiker-fort, Zugriff 19.1.2018

-

DW - Deutsche Welle (1.2.2018): China weist deutsche Kritik an Festnahme von Menschenrechtsanwalt zurück, http://www.dw.com/de/china-weist-deutsche-kritik-an-festnahme-von-menschenrechtsanwalt-zur%C3%BCck/a-42403119, Zugriff 2.2.2018

-

DW - Deutsche Welle (19.1.2018): Chinesischer Bürgerrechtsanwalt Yu Wensheng festgenommen,

http://www.dw.com/de/chinesischer-b%C3%BCrgerrechtsanwalt-yu-wensheng-festgenommen/a-42214185, Zugriff 22.1.2018

-

DZ - Die Zeit (29.1.2018):China beschuldigt Menschenrechtsanwalt der Subversion,

http://www.zeit.de/politik/ausland/2018-01/yu-wensheng-buergerrechtsanwalt-peking-anklage-haftstrafe, 30.1.2018

-

NZZ - Neue Züricher Zeitung (1.2.2018): Ein kämpferischer Geist in den Fängen der chinesischen Behörden, https://www.nzz.ch/international/ein-kaempferischer-geist-in-den-faengen-der-chinesischen-behoerden-ld.1352463, Zugriff 1.2.2018

-

The Guardian (19.1.2018): Outspoken Chinese human rights lawyer Yu Wensheng held by police

https://www.theguardian.com/world/2018/jan/19/outspoken-chinese-human-rights-lawyer-yu-wensheng-arrested , Zugriff 22.1.2018

2. Politische Lage

Die Volksrepublik China ist mit geschätzten 1,374 Milliarden Einwohnern (Stand Juli 2016) und einer Fläche von 9.596.960 km² der bevölkerungsreichste Staat der Welt (CIA 26.7.2017).

China ist in 22 Provinzen, die fünf Autonomen Regionen der nationalen Minderheiten Tibet, Xinjiang, Innere Mongolei, Ningxia und Guangxi, sowie vier regierungsunmittelbare Städte (Peking, Shanghai, Tianjin, Chongqing) und zwei Sonderverwaltungsregionen (Hongkong, Macau) unterteilt. Nach dem Grundsatz "Ein Land, zwei Systeme", welcher der chinesisch-britischen "Gemeinsamen Erklärung" von 1984 über den Souveränitätsübergang im Jahr 1997 zugrunde liegt, kann Hongkong für 50 Jahre sein bisheriges Gesellschaftssystem aufrechterhalten und einen hohen Grad an Autonomie genießen. Trotz starker öffentlicher Kritik in Hongkong hält die chinesische Regierung bezüglich einer möglichen Wahlrechtsreform für eine allgemeine Wahl des Hongkonger Regierungschefs (Chief Executive) an den Vorgaben fest, die der Ständige Ausschuss des Pekinger Nationalen Volkskongresses 2014 zur Vorabauswahl von Kandidaten gemacht hat. Dies hat in Hongkong zur Blockade der vorgesehenen Reform geführt und zu einem Erstarken von Bestrebungen nach größerer Autonomie, vereinzelt sogar zu Rufen nach Unabhängigkeit, auf die Peking scharf reagiert. Nach einem ähnlichen Abkommen wurde Macau am 20. Dezember 1999 von Portugal an die Volksrepublik China zurückgegeben. Die Lösung der Taiwanfrage durch friedliche Wiedervereinigung bleibt eines der Hauptziele chinesischer Politik (AA 4.2017a).

Gemäß ihrer Verfassung ist die Volksrepublik China ein "sozialistischer Staat unter der demokratischen Diktatur des Volkes, der von der Arbeiterklasse geführt wird und auf dem Bündnis der Arbeiter und Bauern beruht" (AA 4.2017a). China ist ein autoritärer Staat, in dem die Kommunistische Partei (KP) verfassungsmäßig die höchste Autorität ist. Beinahe alle hohen Positionen in der Regierung sowie im Sicherheitsapparat werden von Mitgliedern der KP gehalten (USDOS 3.3.2017). Die KP ist der entscheidende Machtträger. Nach dem Parteistatut wählt der alle fünf Jahre zusammentretende Parteitag das Zentralkomitee (376 Mitglieder, davon 205 mit Stimmrecht), das wiederum das Politbüro (25 Mitglieder) wählt. Ranghöchstes Parteiorgan und engster Führungskern ist der zurzeit siebenköpfige "Ständige Ausschuss" des Politbüros. Dieser gibt die Leitlinien der Politik vor. Die Personalvorschläge für alle diese Gremien werden zuvor im Konsens der Parteiführung erarbeitet (AA 4.2017a; vgl. USDOS 3.3.2017).

An der Spitze der Volksrepublik China steht der Staatspräsident, der gleichzeitig Generalsekretär der KP und Vorsitzender der Zentralen Militärkommission ist und somit alle entscheidenden Machtpositionen auf sich vereinigt. Der Ministerpräsident (seit März 2013 Li Keqiang) leitet den Staatsrat, die eigentliche Regierung. Er wird von einem "inneren Kabinett" aus vier stellvertretenden Ministerpräsidenten und fünf Staatsräten unterstützt. Der Staatsrat fungiert als Exekutive und höchstes Organ der staatlichen Verwaltung. Alle Mitglieder der Exekutive sind gleichzeitig führende Mitglieder der streng hierarchisch gegliederten Parteiführung (Ständiger Ausschuss, Politbüro, Zentralkomitee), wo die eigentliche Strategiebildung und Entscheidungsfindung erfolgt (AA 4.2017a).

Der 3.000 Mitglieder zählende Nationale Volkskongress (NVK) wird durch subnationale Kongresse für fünf Jahre gewählt. Er wählt formell den Staatspräsidenten für fünf Jahre und bestätigt den Premierminister, der vom Präsidenten nominiert wird (FH 1.2017a). Der NVK ist formal das höchste Organ der Staatsmacht. NVK-Vorsitzender ist seit März 2013 Zhang Dejiang (AA 4.2017a). Der NVK ist jedoch vor allem eine symbolische Einrichtung. Nur der Ständige Ausschuss trifft sich regelmäßig, der NVK kommt einmal pro Jahr für zwei Wochen zusammen, um die vorgeschlagene Gesetzgebung anzunehmen (FH 1.2017a). Eine parlamentarische oder sonstige organisierte Opposition gibt es nicht. Die in der sogenannten Politischen Konsultativkonferenz organisierten acht "demokratischen Parteien" sind unter Führung der KP Chinas zusammengeschlossen; das Gremium hat lediglich eine beratende Funktion (AA 4.2017a).

Beim 18. Kongress der KP China im November 2012 wurde, nach einem Jahrzehnt, ein Führungswechsel vollzogen (AI 23.5.2013). Bei diesem Parteitag wurden die Weichen für einen Generationswechsel gestellt und für die nächsten fünf Jahre ein neues Zentralkomitee, Politbüro und ein neuer Ständiger Ausschuss bestimmt (AA 4.2017a). Xi Jinping wurde zum Generalsekretär der KP und zum Vorsitzenden der Zentralen Militärkommission gekürt. Seit dem 12. Nationalen Volkskongress im März 2013 ist Xi Jinping auch Präsident Chinas (AA 4.2017a; vgl. FH 1.2017a). Er hält damit die drei einflussreichsten Positionen (USDOS 3.3.2017). Die neue Staatsführung soll - wenngleich die Amtszeit offiziell zunächst fünf Jahre beträgt - mit der Möglichkeit einer Verlängerung durch eine zweite, ebenfalls fünfjährige, Amtsperiode bis 2022 (und möglicherweise auch darüber hinaus) an der Macht bleiben (HRW 12.1.2017). Vorrangige Ziele der Regierung sind eine weitere Entwicklung Chinas und Wahrung der politischen und sozialen Stabilität durch Machterhalt der KP. Politische Stabilität gilt als Grundvoraussetzung für wirtschaftliche Reformen. Äußere (u.a. nachlassende Exportkonjunktur) und innere (u.a. alternde Gesellschaft, Umweltschäden, Wohlfahrtsgefälle) Faktoren machen weitere Reformen besonders dringlich. Die Rolle der Partei in allen Bereichen der Gesellschaft soll gestärkt werden. Gleichzeitig laufen Kampagnen zur inneren Reformierung und Stärkung der Partei. Prioritäten sind Kampf gegen die Korruption und Verschwendung, Abbau des zunehmenden Wohlstandsgefälles, Schaffung nachhaltigeren Wachstums, verstärkte Förderung der Landbevölkerung, Ausbau des Bildungs- und des Gesundheitswesens, Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und insbesondere Umweltschutz und Nahrungsmittelsicherheit. Urbanisierung ist und bleibt Wachstumsmotor, bringt aber gleichzeitig neue soziale Anforderungen und Problemlagen mit sich. Erste Ansätze für die zukünftige Lösung dieser grundlegenden sozialen und ökologischen Entwicklungsprobleme sind sichtbar geworden, haben deren Dimension aber zugleich deutlich aufgezeigt (AA 4.2017a).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (4.2017a): China - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/China/Innenpolitik_node.html#doc334570bodyText5, Zugriff 2.8.2017

-

AI - Amnesty International (23.5.2013): Amnesty International Annual Report 2013 - China,

http://www.refworld.org/docid/519f51a96b.html, Zugriff 2.8.2017

-

CIA - Central Intelligence Agency (26.7.2017): The World Factbook

-

China,

https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/ch.html, Zugriff 2.8.2017

-

FH - Freedom House (1.2017a): Freedom in the World 2017 - China, http://www.ecoi.net/local_link/339947/483077_de.html, Zugriff 2.8.2017

-

HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - China, http://www.ecoi.net/local_link/334766/476520_de.html, Zugriff 28.8.2017

-

USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Reports on Human Rights Practices 2016 - China (includes Tibet, Hong Kong, and Macau), http://www.ecoi.net/local_link/337277/480051_de.html, Zugriff 2.8.2017

3. Sicherheitslage

Proteste auf lokaler Ebene haben in ganz China stark zugenommen. Sie richten sich vor allem gegen steigende Arbeitslosigkeit und Vorenthaltung von Löhnen, hauptsächlich von Wanderarbeitern. Bei den bäuerlichen Protesten auf dem Land geht es meistens um die (entschädigungslose oder unzureichend entschädigte) Enteignung von Land und fehlende Rechtsmittel. Auch stellen die chemische Verseuchung der Felder durch Industriebetriebe oder Umweltkatastrophen Gründe für Proteste dar. Nachdem die Anzahl sogenannter. "Massenzwischenfälle" über Jahre hinweg rasch zunahm, werden hierzu seit 2008 (mehr als 200.000 Proteste) keine Statistiken mehr veröffentlicht. Zwei Aktivisten, die seit 2013 durch eigene, über Twitter veröffentlichte Statistiken diese Lücke zu schließen versuchten, wurden im Juni 2016 verhaftet. Die lokalen Behörden verfolgen in Reaktion zumeist eine Mischstrategie aus engmaschiger Kontrolle, die ein Übergreifen nach außen verhindern soll, gepaart mit einem zumindest partiellen Eingehen auf die Anliegen (USDOS 3.3.2017; vgl. AA 15.12.2016)

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (15.12.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Volksrepublik China

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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Reports on Human Rights Practices 2016 - China (includes Tibet, Hong Kong, and Macau), http://www.ecoi.net/local_link/337277/480051_de.html, Zugriff 31.8.2017

4. Rechtsschutz/Justizwesen

Die Führung unternimmt Anstrengungen, das Rechtssystem auszubauen. Dem steht jedoch der Anspruch der Kommunistischen Partei (KP) auf ungeteilte Macht gegenüber. Gewaltenteilung und Mehrparteiendemokratie werden ausdrücklich abgelehnt. Von der Verwirklichung rechtsstaatlicher Normen und einem Verfassungsstaat ist China noch weit entfernt. Im Alltag sind viele Chinesen weiterhin mit Willkür und Rechtlosigkeit konfrontiert (AA 4.2017a). Eine unabhängige Strafjustiz existiert in China folglich nicht. Strafrichter und Staatsanwälte unterliegen der politischen Kontrolle von staatlichen Stellen und Parteigremien (AA 15.12.2016). Die Kontrolle der Gerichte durch politische Institutionen ist ein verfassungsrechtlich verankertes Prinzip (ÖB 11.2016). Die KP dominiert das Rechtssystem auf allen Ebenen und erlaubt Parteifunktionären, Urteile und Verurteilungen zu beeinflussen. Die Aufsicht der KP zeigt sich besonders in politisch heiklen Fällen durch die Anwendung sog. "Leitlinien". Während Bürger in nichtpolitischen Fällen ein gewisses Maß an fairer Entscheidung erwarten können, unterliegen diejenigen, die politisch sensible Fragen oder die Interessen mächtiger Gruppen berühren, diesen "Leitlinien" der politisch-juristischen Ausschüsse (FH 1.2017a). Seit dem vierten Jahresplenum des 18. Zentralkomitees 2014 betont die Führung die Rolle des Rechts und ergriff Maßnahmen zur Verbesserung der Qualität gerichtlicher Verfahren und zum Aufbau eines "sozialistisches Rechtssystem chinesischer Prägung" unter dem Motto "yi fa zhi guo", wörtlich "den Gesetzen entsprechend das Land regieren". Echte Rechtsstaatlichkeit im Sinne der Achtung des Legalitätsprinzips in der Verwaltung und der Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit wird dabei aber dezidiert abgelehnt. Das in den Beschlüssen reflektierte Verständnis von Recht soll die Macht des Staates, dh. der Partei, keinesfalls einschränken, sondern vielmehr stärken (ÖB 11.2016).

Die wichtigste Einrichtung der KP zur Kontrolle des Rechtssystems ist die Kommission des Zentralkomitees für Politik und Recht (ZKPR). Das ZKPR ist in unterschiedlichen Unter-Formaten auf jeder gerichtlichen Ebene verankert, wobei die jeweiligen Ebenen der übergeordneten Ebene verantwortlich sind. Die Macht des Komitees, das auf allen Ebenen auf Verfahren Einfluss nimmt, wurde auch seit den Beschlüssen des Vierten Plenums der KP im Oktober 2014 bewusst nicht angetastet (ÖB 11.2016).

Die Richter-Ernennung erfolgt auf Provinzebene durch Rechtskomitees, welchen hochrangige Partei-Funktionäre angehören und welche von einem KP-Inspektorat überwacht werden. Richter sind verpflichtet, über Einflussnahmen seitens lokaler Politiker auf Verfahren Bericht zu erstatten. Es ist für Richter schwierig, zwischen "Unabhängigkeit" von lokalen politischen Einflüssen, und Loyalität zur KP-Linie (welche regelmäßig miteinander und mit einflussreichen Wirtschafts- und Privatinteressen verbunden sind) zu navigieren. Trotz laufender Reformbemühungen gibt es - vor allem auf unterer Gerichtsebene - noch immer einen Mangel an gut ausgebildeten Richtern (ÖB 11.2016).

Ein umfassender Regelungsrahmen unterhalb der gesetzlichen Ebene soll "Fehlverhalten" von Justizbeamten und Staatsanwälten in juristischen Prozessen unterbinden. Das Oberste Volksgericht (OVG) unter seinem als besonders "linientreu" geltenden Präsidenten und die Oberste Staatsanwaltschaft haben in ihren Berichten an den Nationalen Volkskongress im März 2014 in erster Linie gefordert, "Falschurteile" der Gerichte zu verhindern, die Richterschaft an das Verfassungsverbot von Folter und anderen Zwangsmaßnahmen bei Vernehmungen zu erinnern und darauf hinzuweisen, dass Verurteilungen sich nicht allein auf Geständnisse stützen dürfen. Die Regierung widmet sowohl der juristischen Ausbildung als auch der institutionellen Stärkung von Gerichten und Staatsanwaltschaften seit mehreren Jahren große Aufmerksamkeit (AA 15.12.2016).

Das umstrittene System der "Umerziehung durch Arbeit" ("laojiao") wurde aufgrund entsprechender Beschlüsse des 3. Plenums des ZK im November 2013 offiziell am 28.12.2013 abgeschafft. Es liegen Erkenntnisse vor, wonach diese Haftanstalten lediglich umbenannt wurden, etwa in Lager für Drogenrehabilitation, rechtliche Erziehungszentren oder diese als schwarze Gefängnisse weiter genutzt werden (AA 15.12.2016).

Mit der letzten großen Novellierung 2013 sieht die Strafprozessordnung genaue Regeln für Festnahmen vor, führt den "Schutz der Menschenrechte" an und verbietet Folter und Bedrohung bzw. Anwendung anderer illegaler Methoden zur Beweisermittlung. Es besteht jedoch eine teilweise erhebliche Divergenz zwischen den Rechtsvorschriften und deren Umsetzung, und werden diese zum Zwecke der Unterdrückung von politisch unliebsamen Personen instrumentalisiert. Laut Strafprozessordnung müssen auch im Falle einer Festnahme wegen Terrorismus, der Gefährdung der Staatssicherheit oder der schwerwiegenden Korruption die Angehörigen von in Untersuchungshaft sitzenden Personen innerhalb von 24 Stunden über die Festnahme informiert werden, nicht jedoch über den Grund der Festnahme oder über den Aufenthaltsort. Zudem besteht diese Informationspflicht nicht, wenn durch diese Information die Ermittlungen behindert würden - in diesen Fällen müssen Angehörige erst nach 37 Tagen informiert werden. Was eine "Behinderung der Ermittlung" bedeutet, liegt im Ermessen der Polizei, es gibt kein Rechtsmittel dagegen. Da Verdächtige sich formell in Untersuchungshaft befindet, muss der Ort der Festhaltung laut Gesetz auch in diesen Fällen eine offizielle Einrichtung sein. Der Aufenthaltsort kann auch außerhalb offizieller Einrichtungen liegen. Diese Möglichkeit wurde mit der Strafprozessnovelle 2012 eingeführt und von Rechtsexperten wie dem Rapporteur der UN-Working Group on Enforced or Involuntary Disappearances wegen des inhärenten Folterrisikos als völkerrechtswidrig kritisiert (ÖB 11.2016; vgl. AI 22.2.2017).

Willkürliche Verhaftungen oder Hausarrest ("soft detention") ohne gerichtliche Verfahren kommen häufig vor. Die Staatsorgane griffen verstärkt auf den "Hausarrest an einem festgelegten Ort" zurück - eine Form der geheimen Inhaftierung ohne Kontakt zur Außenwelt, die es der Polizei erlaubt, eine Person für die Dauer von bis zu sechs Monaten außerhalb des formellen Systems, das die Inhaftierung von Personen regelt, und ohne Zugang zu einem Rechtsbeistand der eigenen Wahl, zu Familienangehörigen oder anderen Personen der Außenwelt festzuhalten. Dadurch wurden diese Personen der Gefahr ausgesetzt, gefoltert oder anderweitig misshandelt zu werden. Diese Inhaftierungspraxis dient dazu, die Tätigkeit von Menschenrechtsverteidigern - einschließlich der von Rechtsanwälten, politisch engagierten Bürgern und Angehörigen von Religionsgemeinschaften - zu unterbinden (ÖB 11.2016; vgl. AA 15.12.2016, AI 22.2.2017).

Im Zusammenhang mit verwaltungsstrafrechtlich bewehrten rechtswidrigen Handlungen kann die Polizei zudem "Verwaltungsstrafen" verhängen. Diese Strafen reichen von Ermahnungen über Geldbußen bis hin zu einer "Verwaltungshaft" (ohne richterliche Entscheidung) von bis zu 15 Tagen. Der Aufenthalt in den offiziell nicht existenten "black jails" kann zwischen wenigen Tagen und in einigen Fällen langjährigen Haftaufenthalten variieren (AA 15.12.2016).

Das 2013 in Kraft getretene revidierte Strafverfahrensgesetz verbessert v.a. die Stellung des Verdächtigen/Angeklagten und der Verteidigung im Strafprozess; die Umsetzung steht aber in der Praxis in weiten Teilen noch aus. Auch der Zeugenschutz wird gestärkt. Chinesische Experten gehen davon aus, dass die Durchsetzung dieser Regeln viele Jahre erfordern wird (AA 15.12.2016). Der Schutz jugendlicher Straftäter wurde erhöht (ÖB 11.2014).

2014 wurden schrittweise weitere Reformen eingeleitet, darunter die Anordnung an Richter, Entscheidungen über ein öffentliches Onlineportal zugänglich zu machen sowie ein Pilotprojekt in sechs Provinzen um die Aufsicht über Bestellungen und Gehälter auf eine höhere bürokratische Ebene zu verlagern. Beim vierten Parteiplenum im Oktober 2014 standen Rechtsreformen im Mittelpunkt. Die Betonung der Vorherrschaft der Partei über das Rechtssystem und die Ablehnung von Aktionen, die die Unabhängigkeit der Justiz erhöhen würden, wurde jedoch beibehalten. Dies führte zu Skepsis hinsichtlich der tatsächlichen Bedeutung der Reform (FH 1.2015a).

Das chinesische Strafgesetz hat die früher festgeschriebenen "konterrevolutionären Straftaten" abgeschafft und im Wesentlichen durch Tatbestände der "Straftaten, welche die Sicherheit des Staates gefährden" (Art. 102-114 chin. StG) ersetzt. Danach können vor allem Personen bestraft werden, die einen politischen Umsturz/Separatismus anstreben oder das Ansehen der VR China beeinträchtigen. Gerade dieser Teil des Strafgesetzes fällt durch eine Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe auf (AA 15.12.2016). Die Regierung hat weitere Gesetze zur nationalen Sicherheit ausgearbeitet und verabschieden lassen, die eine ernste Gefahr für den Schutz der Menschenrechte darstellen. Das massive landesweite Vorgehen gegen Menschenrechtsanwälte und politisch engagierte Bürger hielt das ganze Jahr über an (AI 22.2.2017). Prozesse, bei denen die Anklage auf Terrorismus oder "Verrat von Staatsgeheimnissen" lautet, werden unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt. Was ein Staatsgeheimnis ist, kann nach chinesischer Gesetzeslage auch rückwirkend festgelegt werden. Angeklagte werden in diesen Prozessen weiterhin in erheblichem Umfang bei der Wahrnehmung ihrer Rechte beschränkt. U.a. wird dem Beschuldigten meist nicht erlaubt, Verteidiger seiner Wahl zu beauftragen; nur in seltenen Ausnahmefällen wird vom Gericht überhaupt eine Verteidigung bestellt (AA 15.12.2016).

Auch 2016 setzten sich die Übergriffe der Behörden auf Menschenrechtsanwälte das ganze Jahr hindurch mit Verhaftungen und strafrechtlichen Verfolgungen fort (FH 1.2017a). Rechtsanwälte, die in kontroversen Fällen tätig wurden, mussten mit Drangsalierungen und Drohungen seitens der Behörden rechnen, und in einigen Fällen wurde ihnen die weitere berufliche Tätigkeit verboten. Dies hatte zur Konsequenz, dass der Zugang der Bürger zu einem gerechten Gerichtsverfahren sehr stark eingeschränkt war. Mangelhafte nationale Gesetze und systemische Probleme im Strafrechtssystem hatten weitverbreitete Folter und anderweitige Misshandlungen sowie unfaire Gerichtsverfahren zur Folge (AI 22.2.2017).

Seit der offiziellen Abschaffung der administrativen "Umerziehung durch Arbeit" im Jänner 2014 werden Menschenrechtsaktivisten vermehrt auf Basis der Strafrechtstatbestände der Unruhestiftung oder des Separatismus verurteilt und somit in Strafhaft gesperrt, wobei aufgrund der vagen Tatbestände ein strafrechtsrelevanter Sachverhalt relativ leicht kreiert werden kann (ÖB 11.2016). Häufig wurden Anklagen wegen "Untergrabung der staatlichen Ordnung", "Untergrabung der Staatsmacht", "Anstiftung zum Separatismus" "Anstiftung zu Subversion" oder "Weitergabe von Staatsgeheimnissen", sowie "Weitergabe nachrichtendienstlicher Informationen an das Ausland" erhoben und langjährige Gefängnisstrafen verhängt (ÖB 11.2016; vgl. AI 22.2.2017).

Wegen der mangelnden Unabhängigkeit der Justiz wählen viele Betroffene von Behördenwillkür den Weg der Petition bei einer übergeordneten Behörde (z.B. Provinz- oder Zentralregierung). Petitionen von Bürgern gegen Rechtsbrüche lokaler Kader in den Provinzen nehmen zu. Allein in Peking versammeln sich täglich Hunderte von Petenten vor den Toren des staatlichen Petitionsamts, um ihre Beschwerde vorzutragen. Chinesischen Zeitungsberichten zufolge werden pro Jahr landesweit ca. 10 Mio. Eingaben eingereicht. Petenten aus den verschiedenen Provinzen werden häufig von Schlägertrupps im Auftrag der Provinzregierungen aufgespürt und in ihre Heimatregionen zurückgebracht. Zwischen Februar und April 2014 wurden verschiedene Reformen des Petitionssystems verabschiedet, die eine schnellere Bearbeitung und Umstellung auf mehr Online-Plattformen beinhaltet. Das 4. Plenum des Zentralkomitees der KP hat im Oktober 2014 weitere Schritte zur Regelung des Petitionswesens getroffen, deren Umsetzung aber noch aussteht. Diese Reformen werden von Beobachtern dafür kritisiert, dass sie die Effektivität der Bearbeitung der Petitionen kaum steigern, sondern vor allem dazu dienen, Petitionäre von den Straßen Pekings fernzuhalten (AA 15.12.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (4.2017a): China - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/China/Innenpolitik_node.html#doc334570bodyText5, Zugriff 2.8.2017

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AA - Auswärtiges Amt (15.12.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Volksrepublik China

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AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - China, http://www.ecoi.net/local_link/336465/479116_de.html, Zugriff am 18.8.2017

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FH - Freedom House (1.2017a): Freedom in the World 2017 - China, https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2017/china, Zugriff 17.8.2017

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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