TE Bvwg Erkenntnis 2018/6/21 I403 2190963-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.06.2018
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Entscheidungsdatum

21.06.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §18 Abs1 Z2
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2 Z7
FPG §53 Abs2 Z8
FPG §55 Abs1a

Spruch

I403 2190963-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Ägypten, vertreten durch die juristischen Personen Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 26.02.2018, Zl. 1032441702/140244061, zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I., II., III., IV., V. und VI. wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass es in Spruchpunkt VI. zu lauten hat: "Gem. § 55 Abs 2 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung."

II. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt VIII. des angefochtenen Bescheides wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass die Dauer des befristeten Einreiseverbotes gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG auf 3 Jahre herabgesetzt wird.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein ägyptischer Staatsbürger, reiste mit einem gültigen Schengen- Visum am 21.06.2014 nach Österreich ein.

Der Beschwerdeführer stellte am 03.12.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 05.12.2014 erklärte der Beschwerdeführer, dass er Opfer von Blutrache sei. Die Polizei habe ihn nicht geschützt.

Der Beschwerdeführer schloss am 01.10.2015 im Standesamt Mödling die Ehe mit einer slowakischen Staatsangehörigen. Er beantragte am 06.11.2015 die Ausstellung einer "Aufenthaltskarte (Angehöriger eines EWR-Bürgers oder Schweizer Bürgers)". Das zuständige Amt der Wiener Landesregierung beauftragte die Landespolizeidirektion (LPD) mit Erhebungen. Im Abschlussbericht der LPD Wien vom 18.03.2016, GZ. XXXX wurde auf Unstimmigkeiten in den Aussagen der Ehepartner und den Umstand, dass der Beschwerdeführer nie in der angeblich gemeinsamen Wohnung angetroffen wurde, verwiesen. Mit Urteil des Bezirksgerichtes Mödling vom 17.08.2016, rechtskräftig am 27.02.2017, Zl. XXXX wurde der Beschwerdeführer für schuldig befunden, eine Aufenthaltsehe gemäß § 117 Abs. 1 iVm Abs. 4 FPG eingegangen zu sein.

Mit Bescheid des Amtes der Wiener Landesregierung vom 16.08.2017, Zl. XXXX wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 06.11.2015 auf Ausstellung einer "Aufenthaltskarte (Angehöriger eines EWR-Bürgers oder Schweizer Bürgers)" zurückgewiesen und festgestellt, dass er nicht in den Anwendungsbereich des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts fällt.

Am 26.09.2017 wurde der Beschwerdeführer niederschriftlich durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) einvernommen; er wiederholte von Blutrache betroffen zu sein.

Mit im Spruch genannten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.02.2018 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 03.12.2014 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Ägypten abgewiesen (Spruchpunkt II.). Mit Spruchpunkt III. wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Ägypten zulässig ist (Spruchpunkt V.). Es wurde gemäß § 55 Abs. 1a FPG festgestellt, dass keine Frist für eine freiwillige Ausreise besteht (Spruchpunkt VI.). Einer Beschwerde gegen diese Entscheidung wurde gemäß § 18 Abs. 1 Z 2 und 5 BFA-VG unter Spruchpunkt VII. die aufschiebende Wirkung aberkannt. Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 7 und 8 FPG wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von 5 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VIII.).

Der Bescheid wurde am 28.02.2018 durch Hinterlegung zugestellt. Mit Schriftsatz vom 28.03.2018 wurde eine Vollmacht für die Vertretung durch die juristischen Personen Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH vorgelegt und Beschwerde erhoben. Es wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkennen, eine Beschwerdeverhandlung anberaumen und der Beschwerde stattgeben und den angefochtenen Bescheid dahingehend abändern, dass dem Beschwerdeführer Asyl gewährt werde, das Einreiseverbot beheben, in eventu den Bescheid beheben und die Angelegenheit an das BFA zurückverweisen, in eventu das Einreiseverbot absenken bzw. auf Österreich beschränken, in eventu subsidiären Schutz gewähren, in eventu feststellen, dass die Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist sowie in eventu die ordentliche Revision zulassen. Inhaltlich wurde der belangten Behörde vorgeworfen, sich nicht mit der Frage der Blutrache und der staatlichen Schutzfähigkeit auseinandergesetzt und auch keine entsprechenden Länderfeststellungen herangezogen zu haben. Eine Anfragebeantwortung von ACCORD zum Thema Blutrache in Ägypten wurde zitiert; daraus ergebe sich, dass Blutrache in Assiut häufig vorkomme und dass die Behörden nicht schutzfähig und -willig seien. Dem Beschwerdeführer drohe in Ägypten Verfolgung aufgrund seiner Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie. Es wurde auch bestritten, dass vom Beschwerdeführer eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit ausgehe. Die Verurteilung wegen der Aufenthaltsehe liege bereits zurück, seit 3 Jahren gehe der Beschwerdeführer einer geregelten Arbeit nach.

Beschwerde und Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 03.04.2018 vorgelegt.

Mit Teilerkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 05.04.2018, Z. I403 2190963-1/3Z wurde der Beschwerde gegen Spruchpunkt VII. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und der Beschwerde gem § 18 Abs. 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

Am 04.06.2018 um 09:00 Uhr wurde im Bundesverwaltungsgericht, Außenstelle Innsbruck, Verhandlungssaal 2, eine mündliche Verhandlung in Anwesenheit des Beschwerdeführers, seiner Rechtsvertreterin, der ARGE Rechtsberatung-Diakonie und Volkshilfe GmbH (vertreten durch Mag. Bajric ENESA) sowie zweier iSd § 52 Abs 4 AVG beeideter Dolmetscher durchgeführt. Die als Zeugin geladene Lebensgefährtin des Beschwerdeführers, Alzbeta BENICZKA, geb. 02.11.1967, blieb der Verhandlung fern. Laut Angaben des Beschwerdeführers sowie aufgrund eines von der "XXXX" übermittelten E-Mails an das Bundesverwaltungsgericht war Alzbeta BENICZKA am Tag der Verhandlung krank.

Der Beschwerdeführer wiederholte im Rahmen der mündlichen Verhandlung im Wesentlichen sein Vorbringen, Opfer von Blutrache zu sein. Als Beweismittel legte der Beschwerdeführer unter anderem eine Bestätigung des Polizeikommissariats von "Manfulat" vor, in welchem laut einer deutschen Übersetzung des Schreibens bestätigt werde, dass es "Rache zwischen ihm und der Familie XXXX aus dem Bezirk Manfulat gebe". Zudem legte der Beschwerdeführer nachstehende Unterlagen vor:

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Bestätigung der Caritas über die Rückkehrberatung vom 16.03.2018,

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Arbeitsbestätigung eines Genossenschaftsvereins in Abnou,

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Führerschein ausgestellt am 11.03.2014,

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Meldezettel,

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Heiratsurkunde,

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Deutschkursanmeldung vom 22.05.2018,

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Gewerbeauszug vom 19.06.2015,

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Bankomatkarte,

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Jahreskarte der Wiener Linien,

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Verständigung des Magistrats vom 23.02.2018, über die räumliche Erweiterung der Gewerbeberechtigung.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige Beschwerdeführer ist verheiratet, kinderlos, Staatsangehöriger von Ägypten und muslimischen Glaubens (Sunnit). Er gehört der Volksgruppe der Araber an. Seine Identität steht fest. Vor seiner Ausreise lebte er in Manfalut in der Provinz Assiut.

Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig.

Er hält sich seit 21.06.2014 in Österreich auf.

Der Beschwerdeführer hat laut eigenen Angaben Angehörige in Ägypten (Eltern, 2 Schwestern, Onkel sowie Tanten). Der Bruder des Beschwerdeführers lebt den Angaben des Beschwerdeführers zufolge auch in Österreich, sein Aufenthaltsort konnte jedoch nicht verifiziert werden und besteht keine enge Beziehung zwischen beiden. In Österreich lebt der Beschwerdeführer gemeinsam mit seiner Ehefrau XXXX sowie deren Mutter und Ehemann in einem Haushalt in XXXX. Es besteht allerdings kein gemeinsames Familienleben.

Der Beschwerdeführer gibt an, in Ägypten als Landwirt, Dachdecker sowie als Schmied tätig gewesen zu sein. Zur Untermauerung seiner Qualifikationen legte der Beschwerdeführer eine Arbeitsbestätigung des "Genossenschaftsvereins für Produktion, Bauen und Verbesserung" der Provinz Assiut vor, welche bestätigt, dass dieser Erfahrung in allen Arten der Spenglerei hat. Aufgrund seiner Berufserfahrung sowie körperlichen Konstitution hat der Beschwerdeführer eine Chance, am ägyptischen Arbeitsmarkt unterzukommen.

Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des BG XXXX 17.08.2016, rechtskräftig seit 27.02.2017, zur GZ: XXXX schuldig gesprochen, am 01.10.2015 in Mödling vor dem Standesamt mit der zur Niederlassung im Bundesgebiet berechtigten slowakischen Staatsangehörigen XXXX die Ehe eingegangen zu sein, ohne ein gemeinsames Familienleben iSd Art. 8 EMRK führen zu wollen ("Aufenthaltsehe"). Dadurch hat der Beschwerdeführer den Tatbestand des § 117 Abs. 1 iVm Abs. 4 FPG verwirklicht und wurde nach § 117 Abs. 1 FPG zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu je € 4,- (gesamt zu € 720,--; im Nichteinbringungsfall zu 90 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe) verurteilt.

In Österreich geht der Beschwerdeführer aktuell der Beschäftigung des "Feilbietens von Naturblumen im Umherziehen in den Bezirken 4., 6., 9., 10. und 16." nach. Zum Beweis wies er eine Gewerbeberechtigung vom Magistrat der Stadt Wien, Zl. XXXX, vor.

Der Beschwerdeführer weist in Österreich ansonsten keine maßgeblichen Integrationsmerkmale in sprachlicher sowie kultureller Hinsicht auf.

1.2. Zu den Fluchtmotiven des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer konnte nicht glaubhaft machen, dass er in Ägypten aufgrund einer Blutsfehde der Gefahr einer Verfolgung ausgesetzt ist. Es kann nicht festgestellt werden, dass er Ägypten verließ, weil sein Cousin einen Angehörigen einer anderen Familie tötete und diese Familie sich nun am Beschwerdeführer, als einzigem jungen und männlichen Verwandten seines Cousins, rächen will.

Auch wenn dieses Vorbringen als wahr unterstellt wird und daher als Sachverhalt angenommen wird, dass der Beschwerdeführer von einer anderen Familie aus dem Heimatdorf in der Provinz Assiut wegen der Tat seines Cousins verfolgt wird, besteht keine wohlbegründete Gefahr vor Verfolgung, da sich der Beschwerdeführer dieser Gefahr durch einen Umzug in eine Stadt außerhalb der Provinz Assiut, etwa Alexandria oder Kairo, entziehen kann. Diese innerstaatliche Fluchtalternative ist erreichbar und zumutbar; der Beschwerdeführer ist jung, gesund und erwerbsfähig und in der Lage sich auch an einem Ort abseits seines Heimatdorfes eine Existenz aufzubauen. Zudem verfügt er über unterschiedliche berufliche Erfahrungen, so dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr nach Ägypten mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner wie immer gearteten asylrelevanten Verfolgung oder sonstigen existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein wird.

1.3. Zur Situation in Ägypten:

Hinsichtlich der aktuellen Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers wurde im angefochtenen Bescheid das "Länderinformationsblatt der Staatendokumentation" zu Ägypten zitiert, dem im Wesentlichen Folgendes zu entnehmen ist:

Zur politischen Lage ist auszuführen, dass Ägypten mit dem Verfassungsreferendum im Januar 2014, der Wahl Abdel Fattah Al-Sisis zum Staatspräsidenten im Mai 2014 und den Wahlen zum Abgeordnetenhaus im November und Dezember 2015 seinen "Fahrplan zur Demokratie" formal abgeschlossen hat. Nach der Absetzung von Präsident Mohamed Mursi im Juli 2013 und der Wahl von Abdel Fattah Al-Sisi zum Staatspräsidenten im Mai 2014 sieht sich Ägypten jedoch noch immer vor allem enormen wirtschafts- und sicherheitspolitischen Herausforderungen gegenüber, die die politische Konsolidierung verzögern. Die Wahlen zum neuen Parlament Ende 2015 vollzogen sich grundsätzlich frei und gesetzmäßig, fanden jedoch in einem Klima allgemeiner staatlicher Repression statt, in dem politische Opposition oder der Einsatz für Menschenrechte in die Nähe von Terrorismus und staatsfeindlichen Aktivitäten gerückt wurden. Dies setzt der freien politischen Betätigungen faktisch enge Grenzen. Das von etwa 25 % der ägyptischen Wahlberechtigten gewählte und im Januar 2016 konstituierte ägyptische Parlament zeigt die erwarteten Anlaufschwierigkeiten auf dem Weg zu einem eigenständigen politischen Akteur, der seine Kontrollfunktion gegenüber der Regierung effektiv und selbstbewusst ausübt. Das Parlament bleibt dennoch die einzige Institution in Ägypten, die derzeit das Potential hierzu besitzt.

Die 2014 in Kraft getretene Verfassung sieht für das Land das Regierungssystem eines demokratischen Rechtsstaats vor. Die Verfassung vom Januar 2014 enthält einen im Vergleich zu früheren Verfassungen erweiterten Grundrechtskatalog, der sowohl bürgerlich-politische wie auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte umfasst. Die Gleichberechtigung von Frauen und Männern wird gewährt. Ägypten hat den Kernbestand internationaler Menschenrechtsübereinkommen ratifiziert, so etwa den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, den Pakt über wirtschaftliche und soziale Rechte, die Konvention zur Beseitigung aller Formen der Diskriminierung von Frauen, die UN-Folterkonvention und die UN-Behindertenrechtskonvention von 2008. Obwohl Ägypten alle wichtigen internationalen Menschenrechtskonventionen unterzeichnete und Personen- und Freiheitsrechte in der Verfassung geschützt sind, wurde und wird das Land regelmäßig wegen Menschenrechtsverletzungen stark kritisiert.

Arbeitsschwerpunkte der Regierung unter Premierminister Sherif Ismael bleiben Stabilitätserhalt und Wirtschaftsförderung. Mit der "Egypt Vision 2030" legte die ägyptische Regierung einen ambitionierten Entwicklungsplan vor, der thematisch sämtliche Bereiche umspannt und sich an den internationalen Zielen für Nachhaltige Entwicklung (SDGs) orientiert. Das Jahr 2017 wurde von Staatspräsident Al-Sisi zum ägyptischen "Jahr der Frau" erklärt, nachdem 2016 offiziell als "Jahr der Jugend" deklariert wurde.

Zur Sicherheitslage wird ausgeführt, dass die Armee 2016 weiterhin mit gepanzerten Fahrzeugen, Artillerie und Luftangriffen gegen bewaffnete Gruppen im Norden der Sinai-Halbinsel vorgehen würde. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums wurden bei jedem Einsatz zahlreiche "Terroristen" getötet. Für einen Großteil des Gebietes galt weiterhin der Ausnahmezustand. Unabhängige Menschenrechtsbeobachter und Journalisten hatten faktisch keinen Zugang. Bewaffnete Gruppen verübten mehrfach tödliche Anschläge auf Sicherheitskräfte sowie auf Regierungsbedienstete, Justizpersonal und andere Zivilpersonen. Die meisten Angriffe gab es im Norden des Sinai, aber auch aus anderen Landesteilen wurden Bombenanschläge und Schießereien bewaffneter Gruppen gemeldet. Zu vielen Anschlägen bekannte sich ein Ableger der bewaffneten Gruppe Islamischer Staat (IS), der sich "Provinz Sinai" nennt. Die bewaffnete Gruppe gab an, sie habe im Laufe des Jahres 2016 mehrere Männer hingerichtet, weil diese für die Sicherheitskräfte spioniert hätten. Am 18. April 2017 kam es zu einem Anschlag auf einen Kontrollposten in unmittelbarer Nähe des "Katharinenklosters" im Süden der Sinai-Halbinsel, bei dem ein Polizist getötet und weitere Personen verletzt wurden. Am Palmsonntag, den 9. April 2017, wurden zwei Anschläge auf christlich-koptische Kirchen in der Stadt Tanta, ca. 80 km nördlich von Kairo entfernt, und in Alexandria verübt. Es sind zahlreiche Tote und Verletzte zu beklagen. Bereits am 11. Dezember 2016 fielen Teilnehmer an einem Gottesdienst in der koptischen Kirche "Peter und Paul" in Kairo einem Attentat zum Opfer. Damit wurden im zeitlichen Zusammenhang mit hohen christlichen Feiertagen wiederholt koptische Kirchen zu Anschlagszielen.

Die primären Sicherheitskräfte des Innenministeriums sind die Polizei und die Zentralen Sicherheitskräfte. Die Polizei ist für die Strafverfolgung bundesweit verantwortlich. Die Zentralen Sicherheitskräfte sorgen für die Sicherheit der Infrastruktur und wichtigen in- und ausländischen Beamten. Zivile Behörden behielten die wirksame Kontrolle über die Sicherheitskräfte bei. Die Straflosigkeit blieb jedoch auch aufgrund schlecht geführter Ermittlungen ein Problem. Die Polizei hat gemeldeten Polizeimissbrauch nicht ausreichend untersucht.

Bezüglich des Militärdienstes gibt es keine belastbaren Erkenntnisse, dass die Heranziehung zum Militärdienst an gruppenbezogenen Merkmalen orientiert ist. Die Art und Weise des Einsatzes von Wehrpflichtigen folgt allerdings nach Kriterien der sozialen Zugehörigkeit. So werden wehrpflichtige Angehörige niedriger, insbesondere ländlicher, Bevölkerungsschichten häufig für (bereitschafts-)polizeiliche Aufgaben unter harten Bedingungen eingesetzt. Die Möglichkeit des Ersatzdienstes besteht nicht. Vom Bestehen inoffizieller Möglichkeiten des "Freikaufs" ist auszugehen. Amnestien oder die Möglichkeit des Ersatzdienstes im Bereich des Wehrdienstes sind nicht bekannt. Wehrdienstverweigerung wird mit Haftstrafen von im Normalfall bis zu zwei Jahren in Verbindung mit dem Entzug politischer Rechte und der Verpflichtung, den Wehrdienst nachträglich abzuleisten, bestraft. Männer, die den Wehrdienst nicht abgeschlossen haben, dürfen nicht ins Ausland reisen oder auswandern. Nationale Identifikationskarten indizieren den Abschluss des Militärdienstes.

Zur Folter und unmenschlichen Behandlung besagt die Verfassung, dass keine Folter, Einschüchterung, Zwang, körperlicher Schaden einer Person zugefügt werden darf, die Behörden inhaftiert oder festgenommen haben. Das Strafgesetzbuch verbietet die Folter, um ein Geständnis von einem festgenommenen oder inhaftierten Verdächtigen zu erlangen.

Die Religionsfreiheit bleibt eingeschränkt. Die Verfassung garantiert lediglich die Glaubensfreiheit uneingeschränkt. Die Freiheit des Kultes und das damit verbundene Recht zum Bau von Gotteshäusern bleiben den Offenbarungsreligionen (Muslime, Christen, Juden) vorbehalten.

Hinsichtlich der Bewegungsfreiheit wird ausgeführt, dass Bürger und Ausländer in Gebiete des Landes, die als Militärzonen bezeichnet werden, nicht reisen dürfen. Für ägyptische Staatsangehörige besteht darüber hinaus keine zentrale Meldepflicht; eine dem deutschen Meldewesen vergleichbare Einrichtung gibt es in Ägypten nicht. Bei Forderungen gegen unbekannt verzogene ägyptische Staatsangehörige ist daher der Versuch einer Aufenthaltsermittlung nahezu aussichtslos.

Hinsichtlich der Grundversorgung der Bevölkerung in Ägypten ist auszuführen, dass Subventionen zur Absicherung der Grundversorgung der ägyptischen Bevölkerung eine lange Tradition haben und einen erheblichen Teil des Staatshaushaltes aufzehren. Die Zurverfügungstellung von subventionierten Lebensmitteln (vor allem Brot) ist eine zentrale Aufgabe des Ministeriums für Binnenhandel. Es ist nach Aussagen der ägyptischen Regierung davon auszugehen, dass ca. 70 Mio. Menschen derzeit berechtigt sind, auf subventionierte Lebensmittel zuzugreifen. Die Verwaltung erfolgt durch familienbezogene elektronische Bezugskarten, die mit Punkten aufgeladen werden, die wiederum in staatlichen Supermärkten eingelöst werden können. Das Spektrum der in diesen Ausgabestellen verfügbaren Lebensmittel hat sich seit einer grundlegenden Reform des Systems seit Anfang 2014 deutlich verbreitert. Ein weiteres Instrument der sozialen Sicherung liegt im Mietrecht begründet. Für einen Großteil von Mietverträgen die in den 1950er und 1960er Jahren geschlossen wurden und seitdem innerhalb der Großfamilie weitergegeben wurden gilt noch eine Mietpreisbindung, die im Altbestand zu teilweise grotesk niedrigen Mieten führt. Im Rahmen von zwei Sozialhilfeprogrammen KARAMA und TAKAFUL werden zudem verstärkte Schritte für eine gezielte Unterstützung der Ärmsten vorgenommen. Das Karama Projekt sieht monatliche Geldleistungen im Umfang von 40-80 USD an die Ärmsten der Armen sowie an ältere Menschen und Behinderte vor. Das konditionierte Takaful Projekt zielt auf die finanzielle Unterstützung von Familien mit Kindern ab, vorausgesetzt diese besuchen regelmäßig eine Schule. Darüber hinaus existiert ein zwar in seiner Leistungsfähigkeit beschränktes, aber funktionierendes Sozialversicherungssystem, welches Arbeitslosen-, Kranken-, Renten- und Unfallversicherungselemente enthält und von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam bezahlt wird. Die größten Probleme ergeben sich hier aus relativ geringen tatsächlichen Auszahlungen und der Nichterfassung der großen Anzahl an Personen ohne formelle Erwerbsaktivitäten (informeller Sektor) bzw. solche die arbeitslos sind. Einen erheblichen Beitrag zur sozialen Sicherung leisten karitative Einrichtungen, vornehmlich auf religiöser Basis und finanziert aus Spenden und wohltätigen Stiftungen. Insbesondere in den letzten zehn Jahren intensivieren nicht-staatliche Organisationen - oft mit internationaler Unterstützung - Unterstützungsmaßnahmen in allen Bereichen der Gesellschaft. Formale staatliche Institutionen für die Aufnahme von Rückkehrern sind hier nicht bekannt. Es zeichnet sich ab, dass Militär und auch Sicherheitsdienste in sozialen Bereichen, beispielsweise in der Verteilung von Lebensmitteln, einspringen und staatliche Aufgaben verstärkt substituieren.

Zur wirtschaftlichen Lage Ägyptens ist auszuführen, dass Ägypten das nach Südafrika am stärksten industrialisierte Land Afrikas ist. Außerhalb der Ballungsgebiete spielt insbesondere die Landwirtschaft eine erhebliche Rolle. Jeder dritte Ägypter ist in der Landwirtschaft beschäftigt. Die landwirtschaftliche Nutzfläche erstreckt sich vor allem entlang des Nils sowie im Nildelta, macht aber nur rund vier Prozent der Gesamtfläche des Landes aus. Aufgrund der starken Parzellierung können viele Landwirte lediglich Subsistenzwirtschaft betreiben. Die offizielle Arbeitslosenrate schwankte in den letzten zehn Jahren zwischen 9 und 10.5%. Unabhängige Schätzungen gehen jedoch von bis zu 30% Arbeitslosen aus da viele Arbeitswillige aus der engen Definition der Arbeitssuchenden herausfallen. Grundsätzlich gilt für Ägypten, dass Armut nicht mit Arbeitslosigkeit gleichgesetzt werden kann. Anders als die Nicht-Armen, die bei Arbeitslosigkeit auf die Unterstützung ihrer Familien zählen können, können es sich die Armen nicht leisten, über einen längeren Zeitraum kein wenn auch noch so niedriges Einkommen zu haben. Das grundlegend funktionierende Sozialversicherungssystem mit Elementen der Kranken- und Unfallversicherung ist eingeschränkt leistungsfähig. Eine minimale kostenlose Grund-versorgung ist gegeben. Notfälle werden behandelt; die Grundversorgung chronischer Krankheiten ist minimal und oft nur mit Zuzahlungen gegeben. Es gibt im Großraum Kairo über 100 staatliche Krankenhäuser, u. a. die Unikliniken Kasr El Aini und Ain Shams. Die Versorgung mit Medikamenten im örtlichen Markt ist ausreichend. Importe werden staatlich kontrolliert. Mit fast 30 Ärzten pro 10.000 Einwohner (regionaler Schnitt 10/10.000) hat Ägypten eine vergleichsweise gute medizinische Versorgung. Die Möglichkeit der ambulanten Versorgung in privaten Kliniken oder Praxen ist in Kairo vielfältig. Der Großteil der ägyptischen Bevölkerung ist über den Staat versichert. Problematisch ist, dass diese Versicherung an Ausbildung oder Arbeitsplatz gekoppelt ist, und Arbeitslose oder Arme daher ausschließt. Wegen der teils gravierenden Qualitätsmängel in der staatlichen Versorgung - mangelnde Hygiene oder vernachlässigte Wartung von Geräten ebenso wie unterbezahltes Personal - meidet, wer kann, die großen Krankenhäuser ohnehin zugunsten privater Kliniken.

Aktuell sind Rückkehr- und Reintegrationsprojekte nicht bekannt. Es gibt keine gesonderten Aufnahmeeinrichtungen. Zur Situation von Rückkehrern liegen keine Erkenntnisse vor. Staatliche Maßnahmen als Reaktion auf Asylanträge im Ausland sind nicht bekannt.

Zur Frage der Blutrache in der Provinz Assiut werden auf Basis der ACCORD-Anfragebeantwortung zu Ägypten: Blutrache und Schlichtungsmechanismen in der Provinz Assiut; Verhalten der Sicherheitskräfte; Vertreibung beziehungsweise Verbannung als Schlichtungsmechanismus [a-9884] vom 24. Oktober 2016 folgende Feststellungen getroffen:

Al-Arab Online, das Online-Nachrichtenportal der in London herausgegebenen arabischsprachigen Zeitung Al-Arab, berichtet in einem Beitrag vom Jänner 2016, dass zahlreiche Forscher in Studien zu Problemen der ägyptischen Gesellschaft angegeben hätten, dass Blutfehden in den letzten Jahren im Süden des Landes hunderte Tote gefordert hätten.

Statistiken der Sicherheitskräfte hätten 196 Tote und 214 Verletzte allein in den ersten fünf Monaten des Jahres 2015 in den drei oberägyptischen Provinzen Assiut, Qena und Sohag erfasst, in denen es täglich Tote oder Verletzte gegeben habe. Die Praxis der Blutfehde werde in Oberägypten als ein Zeichen von Einfluss und Hegemonie wahrgenommen und die Stadt Al-Badari in Assiut zähle zu den Städten, in denen dieses Phänomen am stärksten verbreitet sei. Laut Angaben aus Sicherheitskreisen seien die meisten Einwohner der Stadt in eine Blutfehde verwickelt und zwischen manchen Familien bestehe eine Feindschaft, die länger als 50 Jahre zurückreiche. Die ausgehandelten Versöhnungsübereinkommen zwischen den Familien hätten Waffenstillständen geglichen, die wiederholt gebrochen worden seien. (Al-Arab, 12. Jänner 2016)

ONews Agency (ONA), eine ägyptische Nachrichtenwebseite, berichtet im September 2016, dass ein Aussöhnungsgremium in der Provinz Assiut in Zusammenarbeit mit dem Polizeipräsidium die Aussöhnung der beiden Familien "Hasanajn" und "Mu'min" im Dorf al-Hawatika im Bezirk Manfalout abgeschlossen habe. Die Blutfehde zwischen den beiden Familien, bei der drei Personen getötet und zwei Kinder verletzt worden seien, habe zwei Jahre lang angedauert. Die Fehde habe begonnen, als ein Bauer der Familie Hasanajn und der Fahrer einer Autorikscha bei einem Streit über den Vorrang im Verkehr getötet worden seien. Die Aussöhnung sei in Anwesenheit des Polizeipräsidenten von Assiut und weiterer führender Polizeikräfte, der Mitglieder des Aussöhnungsgremiums sowie von mehr als 1.000 Bewohnern der umliegenden Dörfer vollzogen worden. (ONA, 30. September 2016)

Die ägyptische Zeitung Mobtada schreibt im August 2016, dass der Anstieg von Blutfehden in der Provinz Assiut, von denen es nach offiziellen Statistiken im letzten Jahr 415 Fälle gegeben habe, zu einem dringenden Bedürfnis geführt habe, ein Gremium zu bilden, welches dem Blutvergießen Einhalt gebieten könne. Daher habe die Provinz Assiut ein "Gremium der Aussöhnung und des Dienstes an der Gesellschaft" gebildet, das Fehden beenden solle. Die Anzahl des zentralen Vorstandes des Aussöhnungsgremiums, das nach Beschluss des Provinzgouverneurs 2015 geschaffen worden sei, habe 51 Mitglieder. Der Unterausschuss umfasse 139 Mitglieder, die alle Bezirke der Provinz vertreten würden. Der Staatssekretär des Ministeriums für religiöse Stiftungen, der zugleich Vorstand des Aussöhnungsgremiums in Assiut sei, habe angegeben, dass das Gremium zwischen Jänner 2015 und Mai 2016 46 Blutfehden beendet habe. Es würden viele Aussöhnungssitzungen stattfinden, in denen das "Leichentuch" ein zentrales Symbol der Versöhnung darstellen würde. An den Sitzungen würden hunderte Bürger der betroffenen Dörfer oder Bezirke sowie Mitglieder der an der Fehde beteiligten Familien teilnehmen. Der Polizeichef von Assiut habe angegeben, dass die Sicherheitskräfte nicht allein diese Gebräuche ausmerzen könnten, sondern die gemeinsamen Anstrengungen von allen notwendig seien. Er habe eine mögliche Unterstützung der Aussöhnungsgremien und der Familienältesten bei der Beendigung von Blutfehden hingewiesen und angegeben, dass die Verwaltung an einer Verbesserung der Sicherheitslage arbeite. Der Artikel enthält auch Bilder von Schlichtungs- beziehungsweise Aussöhnungssitzungen. (Mobtada, 12. August 2016)

Al-Tahrir, eine ägyptische unabhängige Tageszeitung, schreibt in einem Artikel vom Juli 2016, dass im Ort Abnoub in der Provinz Assiut bei einem Racheakt drei Personen, darunter zwei Brüder, getötet und eine weitere Person verletzt worden seien. Der Hintergrund sei eine dreijährige Blutfehde zwischen den Familien "Hamd" und "Hifnawi" in der Ortschaft Al-Mandara Qibli im Bezirk Manfalout, die bis dato neun Tote und sechs Verletzte zur Folge gehabt habe. (Al-Tahrir, 25. Juli 2016)

Die Egyptian International Organisation for Human Rights and Development (EIOHRD) berichtet in einer Mitteilung auf ihrer Webseite vom Juli 2016, dass Sicherheitskräfte zusammen mit Männern des Aussöhnungsgremiums und örtlichen Führungspersönlichkeiten eine Blutfehde zwischen den Familien "Abd al-Al Ahmad" aus Abnoub und "Al-Schujuhi" aus al-Mutiaa beendet hätten. Unter der Führung der Sicherheitskräfte sei die Aussöhnung dadurch abgeschlossen worden, dass die Familie Abd al-Al Ahmad als Zeichen der Vergebung ein Leichentuch vom Täter angenommen und der Familie Al-Schujuhi vergeben habe. (EIOHRD, 5. Juli 2016)

Al-Wafd, eine von der ägyptischen Wafd-Partei herausgegebene Tageszeitung, berichtet im April 2016, dass aufgrund einer Blutfehde erneut Kämpfe zwischen den Familien "Al-Aawaschir" und "Al-Schaajiba" in der Stadt Al-Badari in Assiut ausgebrochen seien. Mitglieder beider Familien hätten das Feuer aufeinander eröffnet, dann seien die Sicherheitskräfte gerufen worden, um die Lage unter Kontrolle zu bringen. Die Fehde reiche drei Jahre zurück, als Mitglieder der Familie Al-Schaajiba drei Personen der Familie Al-Aawaschir bei ihrer Rückkehr aus der Stadt Assiut nach Al-Badari aufgelauert und das Feuer auf sie eröffnet hätten, was ihren Tod und den Tod des Fahrers zur Folge gehabt habe. Die Getöteten seien beschuldigt worden, zuvor die Häuser der Familie Al-Schaajiba sowie benachbarte Häuser angegriffen zu haben und sieben Familienmitglieder getötet sowie vier weitere verletzt zu haben. Die Generalstaatsanwaltschaft habe damals die Fälle von 14 Personen beider Familien an das Strafgericht verwiesen. (Al-Wafd, 26. April 2016)

Al-Masriyoun, eine ägyptische Tageszeitung, berichtet im März 2016, dass es in einigen ägyptischen Provinzen Gegenden gebe, die sich außerhalb der Kontrolle der Sicherheitsbehörden befinden würden und zu denen diese keinen Zutritt mehr hätten. Erwähnt werden in Zusammenhang mit der Provinz Assiut unter anderem die im Nil gelegenen Inseln Bani Fiz, Al-Wasta und Al-Sahil. Die Einwohner von Bani Fiz im Süden der Provinz Assiut würden Granatäpfel anbauen und exportieren. Die Millionen Ägyptische Pfund, die man dadurch verdiene, würden in die Taschen der Waffenhändler fließen, wodurch Blutfehden zwischen den Familien entstehen würden. Seit Monaten sei eine Blutfehde innerhalb einer Familie wieder aufgeflammt, was Bewohner daran gehindert habe, ihre Häuser zu verlassen und die Kinder vom Schulbesuch abgehalten habe. Die Sicherheitskräfte würden sich mit diesem Problem nur von weitem befassen. Was die Insel Al-Sahil/Al-Awna im Bezir Sahil Salim in Assiut angehe, so habe es auch dort die Polizei nicht geschafft, mit den in Fehde befindlichen Familien zusammenzuarbeiten und sie zu einer Entwaffnung zu zwingen. Statt ihrer Maschinengewehre würden sie nur ihre alten Waffen abgeben. (Al-Masriyoun, 23. März 2016)

Die unabhängige ägyptische Tageszeitung Al-Masry Al-Youm berichtet in einem Artikel vom Jänner 2016, dass das Aussöhnungsgremium zusammen mit dem Polizeipräsidium von Assiut eine fünf Jahre andauernde Fehde zwischen einer Familie des Dorfes Al-Khawalid und Familien des Dorfes Al-Gharib im Bezirk Sahil Salim beendet habe. Die Aussöhnung habe im Beisein des Provinzgouverneurs und des Polizeipräsidenten von Assiut sowie weiterer führender Polizeikräfte und Ermittlungsleiter sowie des Staatssekretär des Ministeriums für religiöse Stiftungen stattgefunden. Die Versöhnungszeremonie habe mit der Lesung von Koranversen begonnen. Die eine Konfliktpartei habe nach mehreren Ansprachen der Amtsträger dem Sohn des Getöteten der anderen Konfliktpartei ein symbolisches Leichentuch übergeben. Der Vater sei bereits 2011 bei einer Auseinandersetzung zwischen den Familien aus Versehen von Schüssen getötet worden. (Al-Masry Al-Youm, 2. Jänner 2016)

Sada Elbalad, ein ägyptischer staatsnaher Fernsehsender, berichtet auf seiner englischsprachigen Webseite im Dezember 2015, dass der Strafgerichtshof in Assiut zehn Personen, die wegen Beteiligung an einer Blutfehde schuldig gesprochen worden seien, zum Tode verurteilt habe [Es handelt sich um die in der vorigen Quelle erwähnten Familien, Anm. ACCORD]. Der Streit der beiden Familien habe sich ursprünglich "an einem Laib Brot" entzündet und habe elf Personen das Leben gekostet. Acht der zehn Angeklagten seien in Abwesenheit verurteilt worden. Ein weiterer Angeklagter sei zu einer Gefängnisstrafe von zehn Jahren verurteilt worden:

"Assiut criminal court sentenced on Wednesday 10 offenders to death over feudal dispute. The dispute broke out between Al-Shayba and Al-Awasheer families due to an altercation erupted over 'a loaf of bread' in which 11 people were killed. 8 of those defendants were sentenced to death in absentia. Grand Mufti approved the verdict last November. The court also sentenced one defendant to 10 years in jail." (Sada Elbalad, 1. Dezember 2015)

The Cairo Post, die englische Ausgabe der in Privatbesitz befindlichen ägyptischen Tageszeitung Youm7, berichtet im Oktober 2015, dass bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen zwei Familien in der Stadt Al-Badari in der Provinz Assiut am 13. Oktober den Schulunterricht einer Grundschule unterbrochen hätten. Die Stadt sei, besonders infolge der Aufstände 2011 und der mangelnden Sicherheit an der Grenze zu Libyen, bekannt für ihre Blutfehden und für ihre schwer bewaffneten EinwohnerInnen. Mitarbeiter der Polizeikräfte seien eingetroffen und hätten das Umfeld der Grundschule sowie die Häuser beider Familien abgeriegelt, während Staatsanwälte Ermittlungen eingeleitet hätten. Es seien keine Todesopfer gemeldet worden:

"Armed clashes erupted Tuesday between two families in Upper Egypt's governorate of Asyut have disrupted education in a primary school, Youm7 reported.

The feud-triggered clashes erupted between the Al-Nawaser and Al-Fearan families in Asyut's southern town of al-Badary, known for blood feuds, locally known as Al-Tar. The town is also known for its highly armed population, especially following the 2011 uprising and the lack of security on Egypt-Libya borderline.

Scores of police forces moved to the scene and cordoned off the vicinity of the primary school and homes of the two families while the prosecutors began investigating the crime, security source at Asyut security directorate told Youm7. No casualties were reported."

(The Cairo Post, 13. Oktober 2015)

El Badil, eine unabhängige ägyptische Wochenzeitung, berichtet in einem Artikel vom Oktober 2014, dass sich das Phänomen der Blutfehde in der Provinz Assiut ausgeweitet habe, besonders in den Orten Al-Badari, Dajrout und Ghanajim, deren Bewohner besonders durch Clanstrukturen gekennzeichnet seien. Laut Angaben der Sicherheitsbehörden hätten Vorfälle im Rahmen von Blutfehden seit der Jännerrevolution 2011 bereits 1.031 Tote und 3077 Verletzte in der Provinz Assiut gefordert. Die meisten Vorfälle würden sich aufgrund von Auseinandersetzungen um landwirtschaftliche Nutzflächen ereignen, die schwerwiegendsten Fälle habe es zwischen Bewohnern der Dörfer Al-Iqal Bahari im Bezirk Al-Badari und Al-Mandara, Al-Scharaqwa, Al-Hawta Al-Scharqija und Al-Awamir im Bezirk Dajroud sowie der Dörfer Al-Azizija, Al-Mawazin und Al-Deir im Bezirk Al-Ghanajim gegeben. Der Polizeipräsident von Assiut habe angegeben, dass Vorfälle von Blutfehden sich so verbreitet hätten, dass alle für die Sicherheit verantwortlichen Behörden in Oberägypten, darunter insbesondere in der Provinz Assiut, damit zu kämpfen hätten. Ein großes Problem sei die Verbreitung von Waffen. Der Staatssekretär des Ministeriums für religiöse Stiftungen in Assiut habe angeführt, dass Blutrachevorfälle sich in der Provinz verbreitet hätten, da die Strafverfolgung vonseiten der Sicherheitsbehörden fehle und es keine schnellen Entscheidungen vonseiten der Gerichte, besonders der Strafgerichte, in Fällen von Blutrache gebe. (El Badil, 13. Oktober 2014)

Egypt Independent, die englischsprachige Ausgabe der unabhängigen ägyptischen Tageszeitung Al-Masry Al-Youm, berichtet im Oktober 2014, dass im Rahmen einer Blutfehde, die sich an Grundstücksstreitigkeiten entzündet hätten, acht Personen getötet und vier weitere verletzt worden seien. Mitglieder der Familien Hifnawi, Hamd, Hassanein und Dardiri in den Dörfern Al-Hawatka und Al-Mandara im Bezirk Manfalout in Assiut seien an der Fehde beteiligt gewesen:

"Eight people died and four others were injured on Friday in blood feud clashes over land between the families of Hifnawi, Hamd, Hassanein and Dardiri in the villages of Al-Hawatka and Al-Mandara in Manfalout, Assiut." (Egypt Independent, 10. Oktober 2014)

Masr Al-Arabiya, eine ägyptische Nachrichtenwebseite in Besitz des Mobilfunkanbieters O2, berichtet in einem Artikel vom November 2013 über den Ort Al-Badari, der sich circa 67 Kilometer südöstlich der Stadt Assiut befinde, und den Sicherheitskräfte als ersten der fünf Brennpunkte in der Provinz hinsichtlich der Verbreitung von Waffen bezeichnen. Man würde Männer, Frauen und Kinder mit Waffen antreffen. Gemäß Angaben aus Sicherheitskreisen seien seit Beginn des Jahres 2013 bereits 135 Personen in Blutfehden getötet worden.

Der Artikel berichtet weiters, dass laut Aussagen der Bewohner des Ortes Al-Badari keine Polizei vor Ort sei und dass Mitglieder der beiden in einer Fehde befindlichen Familien Waffen und Munition mit sich führen würden und sich gelegentlich beschießen würden, was den Zugang zu diesen Gebieten unmöglich mache. Betonblöcke seien auf der Straße aufgestellt worden, die die Häuser der beiden Familien voneinander trennen würden. (Masr Al-Arabiya, 5. November 2013)

Wie die französische Nachrichtenagentur Agence France-Presse (AFP) am 2. November 2013 berichtet, seien im Gebiet Al-Badari im Gouvernement Assiut zehn Personen bei Ausschreitungen in Zusammenhang mit einer Fehde zwischen den Familien "Al-Schaajeba" und "Al-Aawaschir" ums Leben gekommen. Der Artikel erwähnt, dass derartige Fehden mit tödlichem Ausgang in Zentral- und Oberägypten häufig vorkämen:

"Ten people were killed in a feud between two families who went on a shooting rampage in a town of central Egypt on Saturday, security officials said. The violence in the El-Badari area of Assiut province pitted members of the El-Shaieba and El-Aawashir families. It started when a senior El-Aawashir member was shot dead along with a relative and another man in an ambush by the rival family members, a senior police officer from Assiut, Hassan Seif, told AFP. Seif said when reports of the killings spread, angry members of El-Aawashir went on a rampage, shooting at El-Shaieba members, resulting in seven more deaths. Three others were wounded in the fighting. Security officials said the El-Shaieba members carried out the initial ambush to avenge the death of a relative last year whose killing was blamed on the El-Aawashirs. The area where the fighting broke out was sealed off by security forces, Seif said. With a deeply tribal society and easy access to firearms, southern and central Egypt are often the scene of deadly feuds, sometimes resolved by local reconciliation." (AFP, 2. November 2013)

Vertreibung beziehungsweise Verbannung als Schlichtungsmechanismus

Die Nichtregierungsorganisation Egyptian Initiative for Personal Rights (EIPR), die sich für den Schutz grundlegender Rechte und Freiheiten von Bürgern einsetzt, hat Daten über konfessionelle Auseinandersetzungen und deren Lösung durch gewohnheitsrechtliche Aussöhnungssitzungen im Zeitraum Jänner 2011 bis Juni 2015 gesammelt. EIPR führt an, dass in mehreren Fällen die Anwendung von Aussöhnungssitzungen unter Verletzung der durch die Verfassung gegebenen Rechte zur Verhängung kollektiver Bestrafungen geführt habe. Dabei seien verschiedene Formen der kollektiven Bestrafung allein auf Basis der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Familie oder Religion verhängt worden. Verbannungen, die gewaltsamen Vertreibungen gleichkommen würden, würden als eine der härtesten Strafen angesehen, die die ganze Familie betreffen würden, obwohl manche von ihnen nicht an der Straftat beteiligt gewesen seien beziehungsweise nicht einmal Verständnis für den Täter zeigen würden. Diese Personen würden bestraft, da sie Verbindungen zum Täter hätten:

"The Constitution also stipulates that the penalty should be proportionate to the gravity of the offense and the circumstances of the offender. We find, however, that these stipulations have been violated several times as different forms of collective punishment were imposed for no other reasons than belonging to a certain family or adhering to a minority religion. Moreover, the punishment delivered was at times contrary to known customs and went against the nature of the offenses discussed in the session. Expulsion - amounting to forced displacement - for example, is considered one of the harshest punishments that affect entire families, some of whom are not implicated by the offense committed and might not even be sympathetic to the offender. These are citizens who are dealt a punishment merely for being acquainted with the offender." (EIPR, Juni 2015, S. 48)

Das US-amerikanische Außenministerium (US Department of State, USDOS) schreibt in seinem Bericht zur Religionsfreiheit vom Juli 2014 (Berichtszeitraum: 2013), dass die Regierung Schlichtungssitzungen, in denen Gewohnheitsrecht angewandt werde ("customary reconciliation sessions"), zur Schlichtung von konfessionell motivierten Übergriffen und kommunaler Gewalt unterstützt habe. Den Sitzungen hätten normalerweise Vertreter der Provinzbehörden oder des Innenministeriums zusammen mit die Konfliktparteien vertretenden christlichen und muslimischen Religionsvertretern beigewohnt. Eine Bestrafung des Täters durch Verbannung aus dem Dorf, Kompensationszahlungen an die betroffenen Parteien oder eine Strafbestimmung im Falle eines künftigen Bruches der getroffenen Vereinbarungen würden zu den Mechanismen zählen, auf die man sich einige, um ein Ende des Konfliktes zu erreichen. In den meisten Fällen würden sich die Parteien auch darauf einigen, alle offiziellen Anklagen und Gerichtsverfahren fallen zu lassen:

"The government continued to sponsor 'customary reconciliation sessions' after sectarian attacks and inter-communal violence instead of prosecuting the perpetrators of the crimes. These extrajudicial sessions were usually attended by governorate officials or the Ministry of Interior, along with Christian and Muslim clergymen who represented the conflicting parties. In these sessions, the parties agree to a number of measures to stop the conflict, which may include punishment of the perpetrators by expulsion from the village, compensation for the affected parties, or a penalty clause for the future breaching of any agreement. In most cases, the parties also agree to drop all formal charges and lawsuits." (USDOS, 28. Juli 2014, Section 2)

Al-Masry Al-Youm schreibt in einem Artikel vom 15. Jänner 2016, dass ein Rat der Ältesten in Helwan (südlich von Kairo) in einer Gewohnheitsrechtssitzung eine Blutfehde zwischen zwei Familien beendet habe. Die Zeremonie, in der die eine Familie der anderen ein Leichentuch übergeben habe, habe nach Verhandlungen stattgefunden, die sieben Monate gedauert hätten. Die ausgehandelten Bestimmungen sähen vor, dass der Täter sein Haus verkaufen und die Region verlassen müsse, um weitere Auseinandersetzungen zwischen den beiden Familien zu verhindern. (Al-Masry Al-Youm, 15. Jänner 2016)

Vetogate, eine ägyptische Nachrichtenwebseite, berichtet im Juni 2014, dass eine Aussöhnungssitzung zwischen einer koptischen und einer muslimischen Familie in Matareja [Provinz Dakahlia] die Verbannung der koptischen Familie sowie den Verkauf ihres Besitzes innerhalb von sechs Monaten beschlossen habe. Außerdem müsse die Familie eine Million und einhundert ägyptische Pfund [103.223 Euro nach damaligem Wechselkurs, Anm. ACCORD] Strafe zahlen, fünf Kälber und eine Fläche von 200 Quadratmetern abgeben. Zusätzlich dazu müsse sie der muslimischen Familie ein symbolisches Leichentuch übergeben. Der Sitzung hätten Sicherheitskräfte und Älteste aus der Region, gewohnheitsrechtliche Schlichter sowie Medienvertreter beigewohnt. Die Auseinandersetzung zwischen den Familien sei ein Nachbarschaftsstreit gewesen, während dessen die koptische Familie das Feuer auf die muslimische Familie eröffnet habe. Acht Personen seien verletzt worden und ein Mitglied der muslimischen Familie getötet worden. (Vetogate, 10. Juni 2014)

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Sachverhalt:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt des BFA unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vor dieser und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz sowie in das aktuelle "Länderinformationsblatt der Staatendokumentation" zu Ägypten mit Stand 02.05.2017. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR) und der Grundversorgung (GVS) wurden ergänzend zum vorliegenden Akt eingeholt. Darüber hinaus wurde am 04.06.2018 im Beisein des Beschwerdeführers eine öffentliche mündliche Verhandlung im Bundesverwaltungsgericht, Außenstelle Innsbruck, zum Sachverhalt durchgeführt.

2.2. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zu seinen Lebensumständen, seinem Gesundheitszustand, seiner Arbeitsfähigkeit, seiner Herkunft, seiner Glaubens- und Volkszugehörigkeit sowie seiner Staatsangehörigkeit gründen sich auf die diesbezüglichen glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers vor dem BFA (Protokoll vom 26.09.2017). Das BFA hat diese Feststellungen korrekt und nachvollziehbar gewürdigt. Aus dem Beschwerdevorbringen sind keine Zweifel an der Richtigkeit dieser Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers aufgekommen, ebenso wenig im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vom 04.06.2018.

Seine berufliche Tätigkeit als "Blumenverkäufer" ergibt sich aus einer vorgelegten Gewerbeberechtigung des Stadtmagistrates Wien (GISA-Zahl: XXXX).

Die Identität des Beschwerdeführers steht aufgrund des dem BFA vorgelegten, identitätsbezeugenden Dokumentes (ägyptischer Reisepass vom 25.12.2013, Nr. XXXX) zweifelsfrei fest.

Dass der Beschwerdeführer in Österreich verheiratet ist und gemeinsam mit seiner Frau in einem Haushalt lebt, ergibt sich aus dessen Angaben sowie vorgelegten Urkunden (Heiratsurkunde: Zl. XXXX, Auszug aus dem zentralen Melderegister: Zl. XXXX). Die Feststellung über die rechtskräftige Verurteilung des Beschwerdeführers wegen Eingehens einer "Aufenthaltsehe" gemäß § 117 Abs. 1 iVm Abs. 4 FPG vom 17.08.2016 ergibt sich aus einer Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich vom 04.06.2018. Scheinehen liegen nicht im Schutzbereich des Art. 8 EMRK (VwGH 29.6.2010, 2006/18/0484). Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes ergibt sich auch aus dem im Akt einliegenden Bescheid des Amtes der Wiener Landesregierung, Magistratsabteilung 35, vom 16.08.2017, Zl. XXXX, dass kein gemeinsames Familienleben besteht und keine Beziehung besonderer Intensität zwischen den Eheleuten gegeben ist. In dem genannten Bescheid wurde festgestellt, dass mangels gemeinsamer Sprache eine Kommunikation zwischen den beiden Ehegatten nicht möglich sei. Das Ehepaar wurde an der gemeinsamen Meldeadresse trotz mehrmaliger Vorsprachen im Jahr 2015 und 2016 auch nicht angetroffen. Bei einer Vernehmung am 10.03.2016 tätigten beide unterschiedliche Angaben, beispielsweise zu den Feierlichkeiten zum Jahreswechsel; bei der Frage nach dem Heiratsantrag machte die Ehefrau von ihrem Recht auf Verweigerung der Aussage Gebrauch.

Das Bundesverwaltungsgericht kommt daher, wie bereits zuvor das Amt der Wiener Landesregierung, zum Schluss, dass der Beschwerdeführer und seine Ehefrau kein aufrechtes Ehe- und Familienleben im Schutzbereich des Art 8 EMRK führen. Das Bundesverwaltungsgericht lud die Ehefrau des Beschwerdeführers als Zeugin zu der mündlichen Verhandlung am 04.06.2018. Am Freitag vor der am Montag stattfindenden Verhandlung langte ein Schreiben einer "XXXX" beim Bundesverwaltungsgericht ein, in welchem erklärt wurde, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers erkrankt sei. Der Beschwerdeführer selbst zeigte in der mündlichen Verhandlung nur wenige Kenntnisse über den Gesundheitszustand seiner Frau, wie der folgende Auszug aus dem Verhandlungsprotokoll zeigt:

"RI: Warum ist Ihre Ehefrau heute nicht erschienen?

BF: Sie ist krank.

RI: Welche Krankheit hat sie?

BF: Die Augen, der Rücken und die Beine.

RI: Seit wann ist sie krank?

BF: Seit Freitag.

RI: War sie beim Arzt?

BF: Ich war in der Arbeit, das weiß ich nicht.

RI: Sie wissen nicht, ob Ihre Ehefrau beim Arzt war?

BF: Ich war in der Arbeit, bin nach Hause gekommen und habe gesehen, dass sie krank ist."

Auch dies erweckt nicht den Eindruck, dass zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Ehefrau eine Beziehung besonderer Intensität besteht.

Soweit der Beschwerdeführer sowohl vor dem BFA wie auch vor dem Bundesverwaltungsgericht behauptet hatte, dass sein Bruder sich in Österreich aufhalte, kann dies aufgrund der fehlenden Mitwirkung des Beschwerdeführers nicht festgestellt werden. Der Beschwerdeführer war im Vorfeld der Verhandlung vom Bundesverwaltungsgericht aufgefordert worden, eine ladungsfähige Adresse seines Bruders bekanntzugeben. Er kam der Aufforderung nicht nach, sondern gab in der Verhandlung auf Nachfrage an, dass er dessen Adresse nicht wisse, sondern ihn nur gelegentlich auf der Straße treffen würde. In der Erstbefragung und damit zu einem Zeitpunkt, als er sich bereits ein halbes Jahr in Österreich aufgehalten hatte, meinte er allerdings: "Seitdem (seit seiner Einreise ins Bundesgebiet) halte ich mich in einer Moschee auf und manchmal bei meinem Bruder. Beide Orte kann ich nicht angeben." Es erscheint wenig plausibel, dass der Beschwerdeführer tatsächlich nicht in der Lage sein sollte, die Adresse seines Bruders ausfindig zu machen. Festgestellt kann jedenfalls werden, dass kein schützenswertes Familienleben besteht, da seinen Angaben nach keine enge Beziehung zu seinem Bruder besteht.

2.3. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer hatte, auf das Wesentlichste zusammengefasst, vorgebracht, dass er eine Verfolgung durch einen Familienclan in seinem Herkunftsstaat Ägypten befürchte, der an ihm als engstem männlichen Angehörigen Blutrache nehmen wolle, nachdem der Cousin des Beschwerdeführers einen Angehörigen des Familienclans getötet hätte und sich nunmehr in Haft befinde.

Im angefochtenen Bescheid kam das BFA zum Schluss, dass dieses Vorbringen nicht glaubhaft sei und dass nicht festgestellt werden könne, dass der Beschwerdeführer in Ägypten eine asylrelevante Verfolgung zu befürchten hätte.

Von einem Antragsteller ist ein Verfolgungsschicksal glaubhaft darzulegen. Einem Asylwerber obliegt es, bei den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen und Verhältnissen, von sich aus eine Schilderung zu geben, die geeignet ist, seinen Asylanspruch lückenlos zu tragen und er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern. Die Behörde bz

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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