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E2D Assoziierung Türkei;Norm
61989CJ0192 Sevince VORAB;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hanslik, über die Beschwerde des am 3. August 1970 geborenen N K in Wien, vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 20. März 1997, Zl. 112.164/3-III/11/97, betreffend Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer ist türkischer Staatsbürger. Ein vom ihm 1992 gestellter Asylantrag wurde ebenso rechtskräftig abgewiesen wie ein in diesem Jahr beantragter Sichtvermerk. Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 13. Juni 1996 wurde über den Beschwerdeführer ein Aufenthaltsverbot in der Dauer von fünf Jahren verhängt.
Am 11. Dezember 1996 beantragte der Beschwerdeführer bei der Bundespolizeidirektion Wien, Fremdenpolizeiliches Büro, die Ausstellung eines Sichtvermerkes mit dem Hinweis, dass ihm gemäß Art. 6 Abs. 1 des Assoziierungsratsbeschlusses EWG/Türkei 1/80 (in der Folge: ARB), ein Aufenthaltsrecht zukomme. Wie aus den Verwaltungsakten ersichtlich, verfügte der Beschwerdeführer über einen bis zum 22. Juli 1998 gültigen Befreiungsschein. In der Folge wies der Landeshauptmann von Wien den an ihn gemäß § 7 Abs. 7 des Fremdengesetzes 1992 (FrG) abgetretenen Antrag mit Bescheid vom 13. Jänner 1997 ab, weil gegen den Beschwerdeführer ein rechtskräftiges Aufenthaltsverbot bestehe und daher der Sichtvermerksversagungsgrund des § 10 Abs. 1 Z 1 FrG der Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung entgegenstehe.
In der dagegen erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, dass die Aufenthaltsbehörde erster Instanz zur Entscheidung über den Antrag unzuständig gewesen sei. Denn die Antragstellung sei auf ARB Nr. 1/80 begründet und der Beschwerdeführer erfülle auf Grund seines mehr als fünfjährigen ordnungsgemäßen Aufenthaltes in Österreich die Voraussetzungen des Art. 6 ARB 1/80. Ferner widerspreche das über ihn verhängte Aufenthaltsverbot bestehendem und unmittelbar anwendbarem Europarecht, weswegen es der Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung nicht entgegen stehen könne. Er beantragte daher, die Berufungsbehörde wolle den Bescheid der Behörde erster Instanz "nach allfälliger Verfahrensergänzung beheben und ihm eine Aufenthaltsbewilligung erteilen".
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 20. März 1997 wurde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 5 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufG) und § 10 Abs. 1 Z 4 FrG abgewiesen. Die belangte Behörde begründete dies damit, dass - wie aus der Aktenlage ersichtlich - der Beschwerdeführer am 25. Mai 1993 eine österreichische Staatsbürgerin geehelicht habe, die Ehe jedoch mit Urteil vom 5. September 1994, 1C 166/94s, vom Bezirksgericht Josefstadt für nichtig erklärt worden und das Urteil am 7. November 1994 in Rechtskraft erwachsen sei. Die rechtsmissbräuchliche Eingehung einer Ehe durch einen Fremden zwecks Beschaffung fremdenrechtlich bedeutsamer Berechtigungen stelle demnach ein Verhalten dar, welches dazu führe, dass die öffentliche Ordnung durch den weiteren Aufenthalt des Fremden in Österreich gefährdet wäre. Demzufolge sei der Antrag gemäß § 5 Abs. 1 AufG in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Z 4 FrG abzuweisen gewesen. Darüber hinaus sei bei Abwägung der öffentlichen Interessen gegenüber der privaten Interessen des Beschwerdeführers im Rahmen des Art. 8 EMRK den öffentlichen Interessen Priorität einzuräumen gewesen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid zunächst an den Verfassungsgerichtshof erhobenen Beschwerde, deren Behandlung mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 19. Jänner 1998, B 1378/97-6, abgelehnt und die dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten wurde, nach deren Ergänzung durch einen gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
§ 5 Abs. 1 AufG lautete (auszugsweise):
"§ 5. (1) Eine Bewilligung darf Fremden nicht erteilt werden, bei denen ein Sichtvermerksversagungsgrund (§ 10 Abs. 1 FrG) vorliegt, ..."
§ 10 Abs. 1 Z 4 FrG lautete:
"§ 10. (1) Die Erteilung eines Sichtvermerkes ist zu versagen, wenn
...
4. der Aufenthalt des Sichtvermerkswerbers die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde;"
Der Beschwerdeführer verfügte weder jemals über eine Aufenthaltsbewilligung noch über einen am 1. Juli 1993 gültigen Sichtvermerk, weshalb die Bestimmung des § 113 Abs. 6 oder Abs. 7 des Fremdengesetzes 1997 auf den gegenständlichen Fall keine Anwendung findet.
Der Beschwerdeführer wendet zunächst ein, im Einklang mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei bei Erlassung eines Aufenthaltsverbotes auf das Gesamtfehlverhalten des betreffenden Fremden abzustellen, sofern dieses die im § 18 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme rechtfertige. Dabei sei auch auf den seit der Verwirklichung eines Fehlverhaltens verstrichenen Zeitraum Bedacht zu nehmen, was auch für die rechtsmissbräuchliche Eingehung einer Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin zum Tragen komme. Diese zu § 18 FrG ergangene Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sei deckungsgleich auch für § 10 Abs. 1 Z 4 FrG anwendbar. So sei er die Ehe rechtsmissbräuchlich circa vier Jahre vor der Erlassung des angefochtenen Bescheides eingegangen. Der Beschwerdeführer habe kein weiteres fremdenrechtlich relevantes Fehlverhalten gesetzt. Der lange Zeitraum des Wohlverhaltens rechtfertige nicht die Annahme, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers die öffentliche Ordnung im Sinne des § 18 Abs. 1 Z 1 FrG gefährde, obgleich er sich zu Zeit der Erlassung des hier angefochtenen Bescheides nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe.
Der Beschwerdeführer bestreitet den Umstand, dass ein rechtskräftiges Ehenichtigkeitsurteil besteht, nicht. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 10 Abs. 1 Z 4 FrG stellt eine Eheschließung ausschließlich oder überwiegend zur Beschaffung fremdenrechtlich bedeutsamer Berechtigungen einen Rechtsmissbrauch und damit ein Verhalten dar, das auch ohne zusätzliche Anhaltspunkte den Schluss rechtfertigt, der (weitere) Aufenthalt des Fremden gefährde die öffentliche Ordnung (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom 15. Oktober 1999, 97/19/1650 mwN).
Diese Prognose setzt eine Bedachtnahme auf die Länge des seit Verwirklichung dieses Fehlverhaltens verstrichenen Zeitraumes und auf das in diesem Zeitraum gesetzte Verhalten des Antragstellers voraus. So hat der Verwaltungsgerichtshof mit hg. Erkenntnis vom 12. November 1996, Zl. 96/19/3068, bei Vorliegen eines Zeitraumes von 7 Jahren und ca. zwei Monaten zwischen dem Zeitpunkt der Eheschließung und dem der Erlassung des angefochtenen Bescheides die genannte Gefährdungsprognose (noch) als gegeben angesehen. Da die in Rede stehende Ehe des Beschwerdeführers am 25. Mai 1993, also nicht ganz vier Jahre vor der durch Zustellung am 25. April 1997 erfolgten Erlassung des angefochtenen Bescheides, geschlossen wurde, war im vorliegenden Fall jedenfalls davon auszugehen, dass die Gefährdungsprognose gerechtfertigt war.
Zum Vorbringen, § 10 Abs. 1 Z 4 FrG sei deckungsgleich mit § 18 FrG, ist zu bemerken, dass - wie der Verwaltungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom 20. Juli 1995, Zl. 94/18/0563, ausgesprochen hat - die in § 18 FrG genannten Voraussetzungen ausschließlich die Frage der Zulässigkeit eines Aufenthaltsverbotes betreffen. Die Anlegung eines strengeren Maßstabes bei Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung erscheint schon deshalb gerechtfertigt, weil die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes regelmäßig die die Interessen des Fremden stärker beeinträchtigende Maßnahme ist (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 26. März 1996, Zl. 96/19/0102, und vom 30. Jänner 1998, Zl. 96/19/3180).
Soweit sich der Beschwerdeführer gegen die mangelnde Berücksichtigung seines Privat- und Familienlebens im Rahmen des Art. 8 MRK durch die Verwaltungsbehörden wendet, ist ihm zu entgegnen, dass die Eingehung einer Ehe zum Schein zur Erlangung fremdenrechtlich bedeutsamer Berechtigungen einen Rechtsmissbrauch darstellt, welcher als Gefährdung der Ordnung auch im Sinne des Art. 8 Abs. 2 MRK zu qualifizieren ist, sodass diesfalls ein durch Versagung der Aufenthaltsbewilligung bewirkter Eingriff in das Privat- und Familienleben des Fremden gerechtfertigt ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. Juni 1996, Zl. 96/19/1381 mwN).
Auch die Beschwerdeausführungen, wonach Unzuständigkeit der Behörde erster Instanz vorläge, gehen ins Leere. Die Aufenthaltsbehörde erster Instanz ist zur Entscheidung über den Antrag des Beschwerdeführers auf Ausstellung eines Sichtvermerkes nach dem FrG gemäß § 7 Abs. 7 leg. cit. dann zuständig, wenn der Beschwerdeführer eine Bewilligung gemäß § 1 AufG benötigte. Dies wäre dann nicht der Fall, wenn er auf Grund des ARB, und damit gemäß § 1 Abs. 3 Z 1 AufG, Niederlassungsfreiheit genossen hätte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 13. November 1998, 97/19/1616, 1617). Wenn sich der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang auf Art. 6 ARB beruft, so ist ihm entgegenzuhalten, dass sich nur solche türkische Arbeitnehmer auf ein Aufenthaltsrecht gemäß dieser Bestimmung berufen können, die zunächst während der in dieser Bestimmung angeführten Zeiträume von ein, drei oder vier Jahren auf die dort näher umschriebene Weise ordnungsgemäß beschäftigt waren. Dies setzt - wie der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 20. September 1990 in der Rechtssache C 192/89, Sevince, Slg. 1990, I-3461, RdNr. 30, ausgeführt hat - "eine gesicherte und nicht nur vorläufige Position des Betroffenen auf dem Arbeitsmarkt voraus" (vgl. dazu auch das hg. Erkenntnis vom 10. Juni 1999, Zl. 96/21/0382 mwN). Während der in Art. 6 Abs. 1 leg. cit. genannten Zeiträume muss somit sowohl die Beschäftigung des betroffenen türkischen Arbeitnehmers in Einklang mit den arbeitserlaubnisrechtlichen, als auch sein Aufenthalt im Einklang mit den nicht nur eine vorübergehende Position sichernden aufenthaltsrechtlichen Vorschriften des jeweiligen Mitgliedstaates gestanden haben (vgl. das hg. Erkenntnis vom 6. November 1998, 96/21/0806).
Zur letztgenannten Voraussetzung ist zu bemerken, dass das über den Beschwerdeführer verhängte Aufenthaltsverbot gemäß § 114 Abs. 4 des Fremdengesetzes 1997 mit Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes (das war der 1. Jänner 1998) außer Kraft getreten und die dagegen erhobene Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof von diesem mit Beschluss vom 15. Juli 1999, Zl. 96/19/0536-8, als gegenstandslos erklärt und das Verfahren eingestellt wurde.
Es kann aber dahinstehen, ob das über den Beschwerdeführer verhängte Aufenthaltsverbot mit Wirkung ex tunc oder ex nunc weggefallen und inwieweit der Verwaltungsgerichtshof im vorliegenden Beschwerdefall eine derartige Wirkung zu beachten hätte, weil unbestritten vom Beschwerdeführer und in Übereinstimmung mit dem Akteninhalt feststeht, dass der Beschwerdeführer noch nie über eine - eine nicht nur vorübergehende Position sichernde - Aufenthaltsberechtigung verfügt hatte. Eine im Verfahren betreffend das Aufenthaltsverbot erwähnte, dem Beschwerdeführer allenfalls zugestandene vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG vermag eine derartige gesicherte Position nicht zu vermitteln (vgl. dazu die bereits erwähnten hg. Erkenntnisse vom 6. November 1998 und vom 10. Juni 1999).
Verfügte aber ein türkischer Staatsangehöriger zu dem Zeitpunkt, in welchem durch den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union der genannte Assoziationsratsbeschluss für ihn hätte wirksam werden können, nicht über eine Aufenthaltsberechtigung und war er daher auch nicht im oben aufgezeigten Sinn ordnungsgemäß beschäftigt, so kommt ihm ein Aufenthaltsrecht nach Art. 6 ARB nicht zu. Dem Beschwerdeführer konnte sich somit auch nicht auf die Niederlassungsfreiheit gemäß § 1 Abs. 3 Z 1 AufG berufen.
Der Beschwerdeführer hätte daher eine Bewilligung gemäß § 1 AufG benötigt, weshalb die Weiterleitung des verfahrensgegenständlichen Antrages an die Aufenthaltsbehörde nicht als rechtswidrig erkannt werden kann. Die Aufenthaltsbehörden waren demnach zur Entscheidung über den als Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung zu wertenden verfahrensgegenständlichen Antrag zuständig.
Aus all diesen Erwägungen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Auf eine mündliche Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG verzichtet werden, da die Schriftsätze der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und die dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt und Art. 6 Abs. 1 MRK dem nicht entgegensteht.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Wien, am 4. Februar 2000
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:1998190034.X00Im RIS seit
02.05.2001Zuletzt aktualisiert am
15.11.2011