TE Vwgh Erkenntnis 2000/2/4 98/19/0040

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Veröffentlicht am 04.02.2000
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AufG 1992 §1 Abs1;
AufG 1992 §6 Abs4;
AVG §1;
AVG §66 Abs4;
B-VG Art103 Abs4;
FrG 1993 §15;
FrG 1993 §65;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hanslik, über die Beschwerden 1.) der am 30. November 1995 geborenen SY, 2.) der am 21. Mai 1973 geborenen MY, beide in Schnepfau, beide vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in Bregenz, gegen die Bescheide des Bundesministers für Inneres je vom 18. April 1997, 1.) Zl. 121.361/3-III/11/97 (betreffend die Erstbeschwerdeführerin), 2.) Zl. 121.361/2-III/11/97 (betreffend die Zweitbeschwerdeführerin), jeweils betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von jeweils S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Zweitbeschwerdeführerin ist die Mutter der Erstbeschwerdeführerin. Die Beschwerdeführerinnen, Staatsangehörige der Türkei, beantragten mit einem an die Bezirkshauptmannschaft Bregenz gerichteten Schriftsatz vom 7. Mai 1996 "festzustellen, dass sie in Österreich aufenthaltsberechtigt seien, in eventu, ihnen die beantragten Aufenthaltsberechtigungen zu erteilen, und zwar nach den §§ 28 ff Fremdengesetz, in eventu nach § 5 Aufenthaltsgesetz". Diese Anträge wurden damit begründet, dass der Vater der Erstbeschwerdeführerin bzw. Ehegatte der Zweitbeschwerdeführerin seit 1987 in Österreich aufhältig und im Besitz einer Arbeitserlaubnis sei. Die Zweitbeschwerdeführerin lebe seit 1. Dezember 1992 im Bundesgebiet, die Erstbeschwerdeführerin sei hier geboren und habe nie anderswo gelebt; die Beschwerdeführerinnen erfüllten daher die materiellrechtlichen Voraussetzungen des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 nach dem Assoziationsabkommen EWG-Türkei (ARB).

In einem weiteren Schriftsatz vom 6. November 1996 erklärten die Beschwerdeführerinnen, eine Aufenthaltsbewilligung nach dem Fremdengesetz und nicht nach dem Aufenthaltsgesetz anzustreben, weil sie nach § 1 Abs. 3 Z 1 des Aufenthaltsgesetzes aufenthaltsberechtigt seien. Sie wiederholten den im Schriftsatz vom 7. Mai 1996 genannten Hauptantrag, ihre Aufenthaltsberechtigung in Österreich festzustellen und ergänzten dieses Begehren dahin, dass ihnen ein deklaratorischer Sichtvermerk oder ein Ausweis dieses Inhaltes zu erteilen sei.

Mit Bescheiden jeweils der Bezirkshauptmannschaft Bregenz vom 11. Dezember 1996 wurde - jeweils unter Spruchpunkt 1 - gemäß § 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) der Feststellungsantrag zurückgewiesen und unter Spruchpunkt 2 die beantragte Aufenthaltsbewilligung abgewiesen. Der Bescheid betreffend die Zweitbeschwerdeführerin stützte sich hinsichtlich des Spruchpunktes 2 auf die §§ 5 Abs. 1 und 6 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) sowie § 10 Abs. 1 Z 4 des Fremdengesetzes 1992 (FrG). Die Bezirkshauptmannschaft Bregenz entschied über diese Anträge jeweils namens des Landeshauptmannes von Vorarlberg unter Berufung auf die diesbezügliche Ermächtigung nach der Verordnung dieses Landeshauptmannes LGBl. Nr. 32/1993.

Die Beschwerdeführer erhoben gegen diese Bescheide Berufung an die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg, in eventu an das Bundesministerium für Inneres und beantragten die Abänderung der angefochtenen Bescheide dahin, dass ihnen das assoziationsrechtliche Aufenthaltsrecht zugestanden werde, auf welchem Wege und mit welcher Rechtskonstruktion immer.

Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg leitete mit Schriftsatz vom 13. März 1997 die gegenständlichen Akten gemäß § 6 AVG zuständigkeitshalber an die belangte Behörde zur Entscheidung weiter und setzte die Berufungswerber von der Weiterleitung in Kenntnis.

Mit den angefochtenen Bescheiden der belangten Behörde wurden diese Berufungen der Beschwerdeführerinnen als unbegründet abgewiesen. Hinsichtlich der Erstbeschwerdeführerin stützte sich die belangte Behörde diesbezüglich auf § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 4 Abs. 3 AufG und § 5 Abs. 1 AufG; die Berufung der Zweitbeschwerdeführerin wurde gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 5 Abs. 1 AufG, § 10 Abs. 1 Z 4 FrG sowie § 6 Abs. 2 AufG abgewiesen.

Gegen diese Bescheide erhoben die Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser Gerichtshof lehnte die Behandlung dieser Beschwerden mit Beschlüssen je vom 27. November 1997, B 1414/97-3 (betreffend die Erstbeschwerdeführerin) und B 1415/97-3 (betreffend die Zweitbeschwerdeführerin) ab und traten mit Beschlüssen je vom 19. Jänner 1998 die Beschwerden über Antrag der Beschwerdeführerinnen dem Verwaltungsgerichtshof ab.

Der Verwaltungsgerichtshof hat beschlossen, die Beschwerdefälle wegen ihres persönlichen, sachlichen und rechtlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung zu verbinden und über die ergänzten Beschwerden in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Die erstinstanzliche Behörde wurde, wie sich aus der Zitierung der entsprechenden Bestimmung der Verordnung des Landeshauptmannes von Vorarlberg über die Ermächtigung der Bezirkshauptmannschaften zur Entscheidung nach dem Aufenthaltsgesetz, LGBl. Nr. 32/1993, ergibt, als Aufenthaltsbehörde (§ 6 Abs. 4 AufG) tätig. Daraus folgt, dass derartige der Bezirkshauptmannschaft zuzurechnende Entscheidungen hinsichtlich des Instanzenzuges als erstinstanzliche Entscheidung eines Landeshauptmannes im Sinne des Art. 103 Abs. 4 B-VG anzusehen sind, weshalb in diesen Angelegenheiten der mittelbaren Bundesverwaltung der Instanzenzug mangels anderer bundesgesetzlicher Regelung an den zuständigen Bundesminister, im vorliegenden Fall an den Bundesminister für Inneres, geht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 12. Dezember 1997, Zl. 96/19/3389).

Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg, an die die Beschwerdeführerinnen ihre Berufungen richteten, war unzuständige Behörde. Diese hat daher die Berufungen der Beschwerdeführerinnen zu Recht in Anwendung des § 6 AVG mit Verfügung an die zu ihrer Behandlung zuständige belangte Behörde übermittelt und die Beschwerdeführerinnen davon in Kenntnis gesetzt. Diese Verfügungen waren keine Bescheide. Dies gilt - entgegen der in der Beschwerde geäußerten Auffassung der Beschwerdeführer - auch für die Verfügung vom 13. März 1997. Zurückweisende Bescheide der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg sind folglich entgegen den Beschwerdebehauptungen nicht ergangen.

Der belangten Behörde kam daher als der im Instanzenzug zuständigen Berufungsbehörde jedenfalls jeweils die funktionelle Zuständigkeit zur Überprüfung der Berufung auf ihre Zulässigkeit zu.

"Sache" des Berufungsverfahrens waren vorliegendenfalls die Absprüche der erstinstanzlichen Behörde über den von ihr als Feststellungsantrag betreffend das assoziationsrechtliche Aufenthaltsrecht bzw. als Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gewerteten Antrag der Beschwerdeführerinnen. Entgegen der in der Beschwerde vertretenen Auffassung bewegte sich der Berufungsantrag der Beschwerdeführerinnen, wie er oben wiedergegeben ist, innerhalb der "Sache" des Verfahrens erster Instanz, begehrten sie doch ausdrücklich, es möge ihnen das assoziationsrechtliche Aufenthaltsrecht "auf welchem Wege und mit welcher Rechtskonstruktion immer zugestanden werden". Die Berufung der Beschwerdeführerinnen war daher auch zulässig.

Der Verwaltungsgerichtshof geht zum einen davon aus, dass die Beschwerdeführerinnen in ihrer Eingabe vom 7. Mai 1996 ursprünglich eine Reihenfolge der Behandlung der dort gestellten Anträge insoweit festlegen wollten, als sie als Hauptantrag die Feststellung begehrten, sie seien aufenthaltsberechtigt, während die Erteilung von Aufenthaltsberechtigungen nach Fremdengesetz bzw. Aufenthaltsgesetz nur eventualiter angestrebt wurde. Der Verwaltungsgerichtshof geht weiters davon aus, dass die Beschwerdeführerinnen mit Schriftsatz vom 6. November 1996, in welchem sie ausdrücklich darauf hinwiesen, eine Aufenthaltsbewilligung nach dem Fremdengesetz und nicht nach dem Aufenthaltsgesetz anzustreben, einen der ursprünglich gestellten Eventualanträge, und zwar denjenigen betreffend die Erteilung einer Bewilligung nach "§ 5 AufG", zurückzogen.

Infolge der Zurückziehung des jeweils auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gerichteten (Eventual)antrages der Beschwerdeführerinnen hätte aber weder die Behörde erster Instanz noch - durch die Abweisung der dagegen gerichteten Berufung - die Behörde zweiter Instanz über diesen Antrag entscheiden dürfen. Die belangte Behörde hätte vielmehr den (diesen Eventualantrag betreffenden) Spruchpunkt 2 der erstinstanzlichen Bescheide jeweils mangels zu Grunde liegenden Antrages ersatzlos beheben müssen und nicht in der Sache selbst entscheiden dürfen. Insoweit mit den angefochtenen Bescheiden im Instanzenzug auch die (Eventual)anträge auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung abgewiesen wurden, erweisen sie sich bereits aus diesem Grund als rechtswidrig.

Die im Instanzenzug ergangene zurückweisende Entscheidung des Feststellungsantrages mangels Feststellungsinteresses durch die belangte Behörde erweist sich hingegen deshalb als rechtswidrig, weil nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für die Entscheidung über den Antrag auf Feststellung, ein Fremder halte sich rechtmäßig im Bundesgebiet auf, die Fremdenpolizeibehörde, für eine solche über einen Antrag auf Feststellung, er sei zur Begründung eines Hauptwohnsitzes im Bundesgebiet berechtigt, aber die Aufenthaltsbehörde zuständig ist (vgl. das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom 12. Dezember 1997, Zl. 96/19/3389, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird).

Vor dem Hintergrund des Vorbringens im weiteren Schriftsatz vom 6. November 1996 bzw. des Berufungsvorbringens der Beschwerdeführerinnen, die Fremdenpolizeibehörde zweiter Instanz sei "taugliche Behörde zur Entscheidung europarechtlicher Ansprüche im Sinne der beantragten Feststellung", erscheint es nicht ausgeschlossen, dass die Beschwerdeführerinnen ihren Antrag auf Feststellung, sie hielten sich rechtmäßig im Bundesgebiet auf, verstanden haben wollten. Über einen solchen Antrag hätte aber die Bezirkshauptmannschaft Bregenz nicht im Namen des Landeshauptmann von Vorarlberg - somit als Aufenthaltsbehörde - entscheiden dürfen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 26. Juni 1998, Zl. 97/19/1670, sowie zuletzt das hg. Erkenntnis vom 14. Jänner 2000, Zlen, 98/19/0251 bis 0268).

Die belangte Behörde wäre daher verpflichtet gewesen, von Amts wegen den im erstinstanzlichen Verfahren unterlaufenen Verfahrensmangel hinsichtlich der Abklärung des Antragsinhaltes und damit der Zuständigkeit der erstinstanzlichen Behörde aufzugreifen. Hätten die Beschwerdeführerinnen nach Aufforderung durch die Berufungsbehörde zur entsprechenden Klarstellung ihrer Anträge ausgeführt, diese seien dahin zu verstehen, dass sie sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhielten, so wäre der erstinstanzliche Bescheid im Umfang der Zurückweisung der Feststellungsanträge ersatzlos zu beheben und über diese Anträge neuerlich von der Bezirkshauptmannschaft Bregenz als zuständiger Fremdenpolizeibehörde zu entscheiden gewesen.

Hätten die Beschwerdeführerinnen aber erklärt, ihre Anträge seien auf die Feststellung, sie seien zur Begründung ihres Hauptwohnsitzes im Bundesgebiet berechtigt, gerichtet gewesen, so hätte die belangte Behörde in Erledigung der Berufung eine Entscheidung über die Zulässigkeit des Feststellungsantrages (Vorliegen eines Feststellungsinteresses) zu treffen gehabt. In Verkennung der oben dargestellten Rechtslage unterließ es die belangte Behörde, eine entsprechende Verfahrensergänzung vorzunehmen. Hiedurch verletzte sie die Beschwerdeführerinnen in ihrem Recht auf Einhaltung der Zuständigkeitsordnung.

Die angefochtenen Bescheide waren daher auch hinsichtlich der im Instanzenzug erfolgten Zurückweisung des Feststellungsantrages als unzulässig wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Zur Klarstellung sei gesagt, dass es einem Antragsteller obliegt, von vornherein einen klaren, die Zuständigkeit der angerufenen Behörde erkennen lassenden Antrag zu stellen. Wenn er dies - wie hier die Beschwerdeführerinnen - zunächst unterlässt, so wird er über diesbezügliche Aufforderung der Behörde eine entsprechende Klarstellung vorzunehmen haben, bei deren Unterlassung die Behörde nach § 13 Abs. 3 AVG vorzugehen haben wird (vgl. das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom 14. Jänner 2000).

Aus all diesen Erwägungen waren die angefochtenen Bescheide zur Gänze gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 4. Februar 2000

Schlagworte

Inhalt der Berufungsentscheidung Voraussetzungen der meritorischen Erledigung Zurückweisung (siehe auch §63 Abs1, 3 und 5 AVG) Verhältnis zu anderen Materien und Normen B-VG sachliche Zuständigkeit in einzelnen Angelegenheiten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1998190040.X00

Im RIS seit

02.05.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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