Entscheidungsdatum
27.06.2018Norm
AVG §38Spruch
W134 2196556-1/2E
W134 2196556-2/18E
BESCHLUSS
I. Das Bundesverwaltungsgericht fasst durch den Richter Mag. Thomas Gruber im Verfahren zur Erlassung einer einstweiligen Verfügung betreffend das Vergabeverfahren "Betriebliche Mitarbeitervorsorge" des Auftraggebers Österreichischer Rundfunk, Würzburggasse 30, 1136 Wien, vertreten durch RA MMag. Dr. Claus Casati, Mariahilfer Straße 1b/17, 1060 Wien, aufgrund des Antrages der XXXX , vertreten durch die Heid Schiefer Rechtsanwälte OG, Landstraßer Hauptstraße 88/2-4, 1030 Wien, vom 25.05.2018 "das BVwG möge eine einstweilige Verfügung gemäß § 328 BVergG für die Dauer des Nachprüfungsverfahrens erlassen, mit der dem Österreichischen Rundfunk im gegenständlichen Vergabeverfahren "Betriebliche Mitarbeitervorsorge ORF" die Erteilung des Zuschlags untersagt wird" folgenden Beschluss:
A)
I.1 Der Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung wird gemäß § 329 BVergG 2006 abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Thomas Gruber als Vorsitzender sowie Mag. Franz Pachner als fachkundiger Laienrichter der Auftraggeberseite und Dr. Christoph Wiesinger als fachkundiger Laienrichter der Auftragnehmerseite im Nachprüfungsverfahren betreffend das Vergabeverfahren "Betriebliche Mitarbeitervorsorge" des Auftraggebers Österreichischer Rundfunk, Würzburggasse 30, 1136 Wien, vertreten durch RA MMag. Dr. Claus Casati, Mariahilfer Straße 1b/17, 1060 Wien, aufgrund des Nachprüfungsantrages der XXXX , vertreten durch die Heid Schiefer Rechtsanwälte OG, Landstraßer Hauptstraße 88/2-4, 1030 Wien, vom 25.05.2018 beschlossen:
A)
II.1 Das Nachprüfungsverfahren wird gemäß § 311 BVergG 2006 iVm § 38 AVG bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes über die zur Zahl Ro 2016/04/0053 protokollierte Revision ausgesetzt.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Vorbringen der Parteien:
Mit Schreiben vom 25.05.2018, beim BVwG eingelangt am gleichen Tag, begehrte die Antragstellerin die Nichtigerklärung der Zuschlagsentscheidung vom 15.05.2018, Akteneinsicht, die Durchführung einer mündlichen Verhandlung, den Ersatz der entrichteten Pauschalgebühren durch die Auftraggeberin und die Erlassung der im Spruch genannten einstweiligen Verfügung.
Am 05.06.2018 wurde den Parteien mitgeteilt, dass das BVwG beabsichtige, das gegenständliche Nachprüfungsverfahren bis zur Entscheidung des VwGH vom 29.11.2017, zur Zahl Ro 2016/04/0053, auszusetzen und dem Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung nicht stattzugeben.
Mit Schreiben vom 07.06.2018 nahmen der Auftraggeber, die Antragstellerin und die präsumtive Zuschlagsempfängerin dazu Stellung.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Sachverhalt (schlüssiges Beweismittel)
Der Auftraggeber, der Österreichische Rundfunk, hat für die Beschaffung der Betrieblichen Mitarbeitervorsorge für den Österreichischen Rundfunk ein Verhandlungsverfahren mit EU-weiter Bekanntmachung ausgeschrieben. (Schreiben des Auftraggebers vom 29.05.2018)
Der VwGH hat mit Beschluss vom 29.11.2017, zur Zahl Ro 2016/04/0053, dem EuGH folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
"Sind die Bestimmungen der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe bzw. die Art. 49 und 56 AEUV und die daraus für die öffentliche Auftragsvergabe resultierenden Grundsätze der Gleichbehandlung, der Nichtdiskriminierung und der Transparenz auf den Abschluss von Verträgen öffentlicher Auftraggeber mit Betrieblichen Vorsorgekassen über die Verwaltung und Veranlagung von Entgeltbeiträgen anwendbar, wenn der Vertragsabschluss und damit die Auswahl der Vorsorgekasse der Zustimmung durch die Arbeitnehmerschaft bzw. ihrer Vertretung bedarf und somit vom öffentlichen Auftraggeber nicht allein vorgenommen werden kann?" (VwGH 29.11.2017, Ro 2016/04/0053, abgerufen aus dem RIS)
Das Vorabentscheidungsersuchen wurde beim EuGH zur Zahl C-699/17 protokolliert und noch nicht entschieden. (Homepage des EuGH: curia.europa.eu)
Dieser Sachverhalt ergibt sich schlüssig aus den in Klammer genannten Quellen, deren Echtheit und Richtigkeit außer Zweifel steht.
2. Zu Spruchpunkt I.1, einstweilige Verfügung
Im Wege einer Grobprüfung der Antragslegitimation der Antragstellerin zur Stellung eines Antrages auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung ist gemäß § 328 Abs. 1 BVergG 2006 zu prüfen, ob der Antragstellerin die Antragsvoraussetzungen nach § 320 Abs. 1 BVergG 2006 nicht offensichtlich fehlen. Diese Grobprüfung ergibt, dass sich das Verfahren in einem Stadium vor Zuschlagserteilung befindet, dass die Rechtswidrigkeit einer gesondert anfechtbaren Entscheidung - nämlich der Zuschlagsentscheidung - behauptet wurde, dass die Antragstellerin ein Interesse am Abschluss eines dem Anwendungsbereich des BVergG unterliegenden Vertrages behauptet hat, sowie dass der Antragstellerin durch die behauptete Rechtswidrigkeit ein Schaden drohen könnte. Ein offensichtliches Fehlen der Antragsvoraussetzungen nach § 320 Abs. 1 BVergG ist somit nicht gegeben.
Gemäß § 321 Abs. 1 BVergG 2006 sind Anträge auf Nachprüfung einer gesondert anfechtbaren Entscheidung bei einer Übermittlung der Entscheidung auf elektronischem Weg oder mittels Telefax im Oberschwellenbereich binnen 10 Tagen einzubringen. Die Bekanntgabe der Zuschlagsentscheidung erfolgte per E-Mail und per FAX am 15.05.2018. Der Nachprüfungsantrag ist am 25.05.2018 beim BVwG eingelangt und somit rechtzeitig eingebracht worden. Der Antrag wurde auch vergebührt und erfüllt - soweit im Provisorialverfahren ersichtlich - auch die sonstigen Zulässigkeitsvoraussetzungen.
Gemäß § 328 Abs. 1 BVergG 2006 hat das Bundesverwaltungsgericht auf Antrag eines Unternehmers, dem die Antragsvoraussetzungen nach § 320 Abs. 1 BVergG 2006 nicht offensichtlich fehlen, durch einstweilige Verfügung unverzüglich vorläufige Maßnahmen anzuordnen, die nötig und geeignet erscheinen, um eine durch die behauptete Rechtswidrigkeit einer gesondert anfechtbaren Entscheidung entstandene oder unmittelbar drohende Schädigung von Interessen des Antragstellers zu beseitigen oder zu verhindern.
Gemäß § 329 Abs. 1 BVergG 2006 hat das Bundesverwaltungsgericht vor der Erlassung einer einstweiligen Verfügung die voraussehbaren Folgen der zu treffenden Maßnahme für alle möglicherweise geschädigten Interessen des Antragstellers, der sonstigen Bewerber oder Bieter und des Auftraggebers sowie ein allfälliges besonderes öffentliches Interesse an der Fortführung des Vergabeverfahrens gegeneinander abzuwägen. Ergibt diese Abwägung ein Überwiegen der nachteiligen Folgen einer einstweiligen Verfügung, ist der Antrag auf Erlassung der einstweiligen Verfügung abzuweisen.
Gemäß § 329 Abs. 3 BVergG 2006 können mit einer einstweiligen Verfügung das gesamte Vergabeverfahren oder einzelne Entscheidungen des Auftraggebers bis zur Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts über eine allfällige Nichtigerklärung vorübergehend ausgesetzt oder sonstige geeignete Maßnahmen angeordnet werden. Dabei ist die jeweils gelindeste noch zum Ziel führende vorläufige Maßnahme zu verfügen.
Die Antragstellerin hat den Antrag "das BVwG möge eine einstweiliger Verfügung gemäß § 328 BVergG für die Dauer des Nachprüfungsverfahrens erlassen, mit der dem Österreichischen Rundfunk im gegenständlichen Vergabeverfahren "Betriebliche Mitarbeitervorsorge ORF" die Erteilung des Zuschlags untersagt wird" gestellt.
Das BVwG setzt gem. Spruchpunkt II. das Nachprüfungsverfahren bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes über die zur Zahl Ro 2016/04/0053 protokollierte Revision aus, da es sich bei der vom VwGH vorgelegten Frage, um eine wesentliche Vorfrage im gegenständlichen Verfahren handelt.
Es ist erfahrungsgemäß zu erwarten, dass das zur Zahl Ro 2016/04/0053 protokollierte Verfahren des VwGH, da dieser die Entscheidung des EuGH abwarten muss, noch einige Monate lang dauern wird. Daher ist es dem Auftraggeber nicht zumutbar, für die beantrage Dauer die Erteilung des Zuschlages zu untersagen.
Bei Abwägung der Interessen der Antragstellerin und des Auftraggebers an der Fortführung des Vergabeverfahrens sowie des öffentlichen Interesses an der Sicherstellung einer Auftragserteilung an den tatsächlichen Bestbieter (VfGH 15.10.2001, B 1369/01) erscheint ein Überwiegen der nachteiligen Folgen der einstweiligen Verfügung für die bewilligte Dauer gegeben. Im Übrigen ist es der Antragstellerin in der Folge grundsätzlich möglich, etwaige Schadenersatzansprüche gem. § 337 BVergG 2006 geltend zu machen.
Insoweit die Antragstellerin § 34 Abs 1 Z 3 VwGVG zur Aussetzung des Nachprüfungsverfahrens ins Treffen führen möchte, ist entgegenzuhalten, dass dieser Paragraph nur auf Verfahren über eine Beschwerde gemäß Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG anwendbar ist. Da es sich im gegenständlichen Verfahren nicht um eine Beschwerde gemäß Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG handelt, sind die in § 34 Abs 1 Z 3 VwGVG angeführten Voraussetzungen nicht anwendbar.
3. Zu Spruchpunkt II.1, Aussetzung des Nachprüfungsverfahrens
Gemäß § 311 BVergG 2006 sind die Bestimmungen des AVG in den Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht nach dem BVergG 2006 sinngemäß anzuwenden.
Gemäß § 311 BVergG 2006 iVm § 38 AVG ist das BVwG in Vergabesachen berechtigt, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen und diese Beurteilung seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Das BVwG kann aber auch das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage aussetzen, wenn die Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. beim zuständigen Gericht bildet oder ein solches Verfahren gleichzeitig anhängig gemacht wird.
Im gegenständlichen Verfahren stellt sich folgende Vorfrage: Hat der Auftraggeber im gegenständlichen Fall der Beschaffung von Leistungen der Betrieblichen Mitarbeitervorsorge die Bestimmungen des BVergG anzuwenden?
Da es sich bei der, beim EuGH anhängigen, mit Vorabentscheidungsersuchen des VwGH vom 29.11.2017, zur Zahl Ro 2016/04/0053, gestellten Frage - ob die Bestimmungen der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe bzw. die Art. 49 und 56 AEUV und die daraus für die öffentliche Auftragsvergabe resultierenden Grundsätze der Gleichbehandlung, der Nichtdiskriminierung und der Transparenz auf den Abschluss von Verträgen öffentlicher Auftraggeber mit Betrieblichen Vorsorgekassen über die Verwaltung und Veranlagung von Entgeltbeiträgen anwendbar sind, wenn der Vertragsabschluss und damit die Auswahl der Vorsorgekasse der Zustimmung durch die Arbeitnehmerschaft bzw. ihrer Vertretung bedarf und somit vom öffentlichen Auftraggeber nicht allein vorgenommen werden kann - um eine wesentliche Vorfrage im gegenständlichen Nachprüfungsverfahren handelt, wird das Nachprüfungsverfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage durch den VwGH gemäß § 311 BVergG 2006 iVm § 38 AVG ausgesetzt.
Über den Antrag auf Gebührenersatz wird gesondert entschieden werden.
4. Zu I.B) und II.B) Revision:
Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. dazu VwGH 6. 11. 2002, 2002/04/0138;
30. 6. 2004, 2004/04/0028; 1. 2. 2005, 2005/04/0004; 29. 6. 2005, 2005/04/0024; 1. 3. 2007, 2005/04/0239; 27. 6. 2007, 2005/04/0254;
29. 2. 2008, 2008/04/0019; 14. 1. 2009, 2008/04/0143; 14. 4. 2011, 2008/04/0065; 29. 9. 2011, 2011/04/0153) ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Aussetzung, Aussetzung der Entscheidung, Dauer der Maßnahme,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W134.2196556.2.00Zuletzt aktualisiert am
05.07.2018