TE Bvwg Beschluss 2018/6/25 W133 2177337-1

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Veröffentlicht am 25.06.2018
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Entscheidungsdatum

25.06.2018

Norm

BEinstG §14
BEinstG §2
BEinstG §3
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W133 2177337-1/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Natascha GRUBER als Vorsitzende und den Richter Mag. Michael SCHWARZGRUBER sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Gerald SOMMERHUBER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Niederösterreich, vom 02.10.2017, betreffend die Neufestsetzung des Grades der Behinderung und Aberkennung der Begünstigteneigenschaft den Beschluss gefasst:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Sozialministeriumservice, Landesstelle Niederösterreich, zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

Mit Bescheid vom 05.07.2013 hatte das Sozialministeriumservice, Landesstelle Niederösterreich (in der Folge als "belangte Behörde" bezeichnet) festgestellt, dass die Beschwerdeführerin ab 08.04.2013 dem Kreis der begünstigten Behinderten angehört und der Grad ihrer Behinderung 50 von Hundert (v.H.) beträgt. In diesem Bescheid hatte die Behörde den Leidenszustand "Generalisierte Angststörung, emotional instabile Persönlichkeitsstörung, depressive Episode - Pos.Nr. 03.04.02 - GdB 50%" zugrunde gelegt. Eine Nachuntersuchung wurde für 04/2017 wegen Verbesserungsmöglichkeit des Leidens vorgesehen.

Aus diesem Grund erfolgte am 19.04.2017 eine amtswegig angeordnete Nachuntersuchung der Beschwerdeführerin. In dem Gutachten der Fachärztin für Neurologie vom 10.05.2017 traf die Sachverständige - ohne nähere Begründung - die Beurteilung, dass im Vergleich zum Vorgutachten eine Besserung eingetreten sei und deshalb eine Reduktion auf einen GdB von 40% erfolge. Im Gutachten wurde die Funktionseinschränkung "emotional instabile Persönlichkeitsstörung, generalisierte Angststörung, depressive Episoden" festgestellt, nunmehr der Pos.Nr. 03.04.01 der Anlage zur Einschätzungsverordnung zugeordnet und ein Grad der Behinderung von 40% medizinisch beurteilt.

Mit Schreiben vom 10.05.2017 räumte die belangte Behörde der Beschwerdeführerin Parteiengehör zum diesem Gutachten ein.

In der Folge gab die Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 12.05.2017 die Bevollmächtigung des rechtlichen Vertreters bekannt.

Mit weiterem Schriftsatz vom 23.06.2017 legte der rechtliche Vertreter einen psychiatrischen Fachbefund vom 21.06.2016 vor, worin der Beschwerdeführerin zusammengefasst eine generalisierte Angststörung, emotional instabile Persönlichkeitsstörung, rezidivierende depressive Störung, mittelgradige Episode mit psychotischen Episoden diagnostiziert wurden.

Zu diesem Fachbefund holte die belangte Behörde eine ergänzende gutachterliche Stellungnahme ein. In dieser ergänzenden neurologischen Stellungnahme vom 29.09.2017 begründete die die Fachärztin für Neurologie ihre Entscheidung und führte aus, dass auch in dem vorgelegten Befund die Situation als zurzeit stabil beschrieben werde. In Zusammenschau ergebe sich aus ihrer Sicht ein Gesamtgrad der Behinderung von 40%.

Ohne weiteres Parteiengehör zu dieser ergänzenden Stellungnahme zu gewähren, setzte die belangte Behörde mit Bescheid vom 02.10.2017 den Grad der Behinderung der Beschwerdeführerin mit 40 v.H. neu fest und sprach die Aberkennung der Begünstigteneigenschaft aus. Dem Bescheid wurden das Gutachten vom 10.05.2017 und die ergänzende neurologische Stellungnahme vom 29.09.2017 beigelegt.

Gegen diesen Bescheid erhob die rechtlich vertretene Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 16.11.2017 fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Darin wird zusammengefasst vorgebracht, es lasse sich dem Gutachten nicht nachvollziehbar entnehmen, worin eine gesundheitliche Änderung im Vergleich zum Vorgutachten eingetreten sei. Die Herabsetzung des Grades der Behinderung beruhe nicht auf einer zwischenzeitlich eingetretenen Verbesserung des Gesundheitszustandes, sondern auf einer Neu- bzw Andersbewertung der Leidenszustände der Beschwerdeführerin. Der nunmehr vorliegende klinisch-psychologische Befund diagnostiziere der Beschwerdeführerin auch eine Persönlichkeits- und Verhaltensstörung mit maßgeblichen sozialen Beeinträchtigungen, sodass der Grad der Behinderung mit mindestens 50 v.H. festzusetzen sei. Die Beschwerdeführerin legte ihrer Beschwerde einen weiteren detaillierten klinisch-psychologischen Befund vom 25.09.2017 bei, worin ihr zusammengefasst eine kombinierte Persönlichkeitsstörung (F 61.0) mit paranoiden, schizoiden und anankastischen Merkmalen diagnostiziert und eine weitere psychiatrische Behandlung als unbedingt erforderlich erachtet werden.

Am 22.11.2017 wurden die Beschwerde und der Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zu A) Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer eheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Nach dem klaren Wortlaut des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG ist Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung nach dieser Bestimmung das Fehlen notwendiger Ermittlungen des Sachverhaltes seitens der belangten Behörde.

Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, allerdings mit dem Unterschied, dass die Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach § 28 Abs. 3 VwGVG nicht erforderlich ist (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren 2013, § 28 VwGVG, Anm. 11.)

§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, zur Auslegung des § 28 Abs. 3 zweiter Satz bereits ausgeführt hat, wird eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht, vgl Holoubek, Kognitionsbefugnis, Beschwerdelegitimation und Beschwerdegegenstand, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, erster Instanz, 2013, Seite 127, Seite 137; siehe schon Merli, Die Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte erster Instanz, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz, 2008, Seite 65, Seite 73 f).

Gemäß der aktuellen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG somit insbesondere auch dann in Betracht, wenn die Behörde bloß ansatzweise ermittelt hat bzw. gravierende Ermittlungslücken im verwaltungsbehördlichen Verfahren bestehen (vgl. nochmals das oben zitierte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063 und zuletzt auch VwGH, 11.05.2017, Zl. Ra 2017/04/0030).

Der angefochtene Bescheid erweist sich in Bezug auf den zu ermittelnden Sachverhalt aus folgenden Gründen als gravierend mangelhaft:

Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. I Nr. 22/1970, idF BGBl. I Nr 32/2018, (BEinstG) lauten:

"Begünstigte Behinderte

§ 2. (1) Begünstigte Behinderte im Sinne dieses Bundesgesetzes sind österreichische Staatsbürger mit einem Grad der Behinderung von mindestens 50 vH. Österreichischen Staatsbürgern sind folgende Personen mit einem Grad der Behinderung von mindestens 50 vH gleichgestellt:

1. Unionsbürger, Staatsbürger von Vertragsparteien des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum, Schweizer Bürger und deren Familienangehörige,

2. Flüchtlinge, denen Asyl gewährt worden ist, solange sie zum dauernden Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt sind,

3. Drittstaatsangehörige, die berechtigt sind, sich in Österreich aufzuhalten und einer Beschäftigung nachzugehen, soweit diese Drittstaatsangehörigen hinsichtlich der Bedingungen einer Entlassung nach dem Recht der Europäischen Union österreichischen Staatsbürgern gleichzustellen sind.

4. (Anm.: aufgehoben durch BGBl. I Nr. 72/2013)

(2) Nicht als begünstigte Behinderte im Sinne des Abs. 1 gelten behinderte Personen, die

a) sich in Schul- oder Berufsausbildung befinden oder

b) das 65. Lebensjahr überschritten haben und nicht in Beschäftigung stehen oder

c) nach bundes- oder landesgesetzlichen Vorschriften Geldleistungen wegen dauernder Erwerbsunfähigkeit (dauernder Berufsunfähigkeit) bzw. Ruhegenüsse oder Pensionen aus dem Versicherungsfall des Alters beziehen und nicht in Beschäftigung stehen oder

d) nicht in einem aufrechten sozialversicherungspflichtigen Dienstverhältnis stehen und infolge des Ausmaßes ihrer Funktionsbeeinträchtigungen zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit auch auf einem geschützten Arbeitsplatz oder in einem Integrativen Betrieb (§ 11) nicht in der Lage sind.

(3) Die Ausschlussbestimmungen des Abs. 2 lit. a gelten nicht für behinderte Personen, die als Lehrlinge in Beschäftigung stehen, eine Ausbildung zum gehobenen Dienst für Gesundheits- und Krankenpflege absolvieren, an einer Hebammenakademie oder einer entsprechenden Fachhochschule ausgebildet werden oder zum Zwecke der vorgeschriebenen Ausbildung für den künftigen, eine abgeschlossene Hochschulausbildung erfordernden Beruf nach Abschluss dieser Hochschulausbildung beschäftigt werden und die Voraussetzungen des Abs. 1 erfüllen.

...

Behinderung

§ 3. Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen, die geeignet ist, die Teilhabe am Arbeitsleben zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

...

Feststellung der Begünstigung

§ 14 (1) Als Nachweis für die Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten gilt die letzte rechtskräftige Entscheidung über die Einschätzung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit mit mindestens 50 vH

a) eines Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen (der Schiedskommission) bzw. des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen oder der Bundesberufungskommission im Sinne des Bundesberufungskommissionsgesetzes, BGBl. I Nr. 150/2002, oder des Bundesverwaltungsgerichtes;

b) eines Trägers der gesetzlichen Unfallversicherung bzw. eines nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, zuständigen Gerichtes;

c) eines Landeshauptmannes (des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz) oder des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen in Verbindung mit der Amtsbescheinigung gemäß § 4 des Opferfürsorgegesetzes;

d) in Vollziehung der landesgesetzlichen Unfallfürsorge (§ 3 Z 2 Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetz, BGBl. Nr. 200/1967).

Die Feststellung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit im Nachweis gilt zugleich als Feststellung des Grades der Behinderung. Die Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten ( § 2 ) auf Grund der in lit. a bis d genannten Nachweise erlischt mit Ablauf des dritten Monates, der dem Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung folgt, sofern nicht der begünstigte Behinderte innerhalb dieser Frist gegenüber dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen erklärt, weiterhin dem Personenkreis der nach diesem Bundesgesetz begünstigten Personen angehören zu wollen.

(2) Liegt ein Nachweis im Sinne des Abs. 1 nicht vor, hat auf Antrag des Menschen mit Behinderung das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen den Grad der Behinderung nach den Bestimmungen der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) einzuschätzen und bei Zutreffen der im § 2 Abs. 1 angeführten sonstigen Voraussetzungen die Zugehörigkeit zum Kreis der nach diesem Bundesgesetz begünstigten Behinderten (§ 2) sowie den Grad der Behinderung festzustellen. Hinsichtlich der ärztlichen Sachverständigen ist § 90 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957, BGBl. Nr. 152, anzuwenden. Die Begünstigungen nach diesem Bundesgesetz werden mit dem Zutreffen der Voraussetzungen, frühestens mit dem Tag des Einlangens des Antrages beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen wirksam. Sie werden jedoch mit dem Ersten des Monates wirksam, in dem der Antrag eingelangt ist, wenn dieser unverzüglich nach dem Eintritt der Behinderung (Abs. 3) gestellt wird. Die Begünstigungen erlöschen mit Ablauf des Monates, der auf die Zustellung der Entscheidung folgt, mit derder Wegfall der Voraussetzungen für die Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten rechtskräftig ausgesprochen wird.

..."

Die Beschwerdeführerin wies in ihrer Beschwerde vom 16.11.2017 darauf hin, dass sich dem Gutachten nicht nachvollziehbar entnehmen lasse, worin eine gesundheitliche Änderung im Vergleich zum Vorgutachten eingetreten sei. Die Herabsetzung des Grades der Behinderung beruhe nicht auf einer zwischenzeitlich eingetretenen Verbesserung des Gesundheitszustandes, sondern auf einer Neu- bzw Andersbewertung der Leidenszustände der Beschwerdeführerin.

Diesem Einwand kommt Berechtigung zu und es ist auch für das Bundesverwaltungsgericht anhand des angefochtenen Bescheides, des vorliegenden Gutachtens vom 10.05.2017 und der ergänzenden neurologischen Stellungnahme vom 29.09.2017 vor dem Hintergrund der von der Beschwerdeführerin im Verfahren vorgelegten Beweismittel, die allesamt nicht der Neuerungsbeschränkung unterliegen, da sie vor Beschwerdevorlage eingebracht wurden, nicht nachvollziehbar, aufgrund welcher medizinischer und rechtlicher Umstände aktuell tatsächlich eine entscheidungsmaßgebliche Änderung im Sinne einer Verbesserung des Leidenszustandes eingetreten wäre, welche die Aberkennung der Begünstigteneigenschaft rechtfertigen könnte:

Die lapidare Begründung im Gutachten vom 10.05.2017, "im Vergleich zum Vorgutachten Besserung, daher Reduktion auf 40%", stellt keine nachvollziehbare Begründung der Beurteilung dar. Die Behörde holte aufgrund der Einwendungen der Beschwerdeführerin daher zu Recht eine ergänzende gutachterliche Stellungnahme vom 29.09.2017 ein.

Darin begründete die Gutachterin ihre Entscheidung mit einer "Stabilisierung" des Leidens. Die Beschwerdeführerin habe angegeben, dass es ihr "recht gut gehe" und sie arbeiten könne. Das Mobbing sei besser, aber sie habe nach wie vor Angst davor. Im Status sei eine wechselnde Stimmungslage bei sonst unauffälligem Status erkennbar gewesen. Der nachgereichte Befund bestätige die Diagnose einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung, Angststörung, depressive Episode und weise auf eine ausreichende Affizierbarkeit und belastete Stimmung mit chronisch produktiver Symptomatik hin. Der Zustand werde als zurzeit stabil beschrieben.

Zu dieser ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme wurde der Beschwerdeführerin kein förmliches Parteiengehör mehr gewährt, sondern sogleich der angefochtene Bescheid erlassen und die Stellungnahme erst als Beilage dem Bescheid angeschlossen.

Auch diese ergänzende neurologische Stellungnahme vom 29.09.2017, die der Behörde ausreichend begründet erschien, erweist sich jedoch bei näherer Prüfung als unvollständig und im Widerspruch mit vorliegenden Befunden und daher nicht ausreichend nachvollziehbar, um sie der Entscheidung der Behörde zugrunde legen zu können.

Zunächst ist festzuhalten, dass sich aus dem psychiatrischen Befund vom 21.06.2016, welchen die Gutachterin als ihre Beurteilung untermauernd in der ergänzenden neurologischen Stellungnahme vom 29.09.2017 sogar zitiert, auch ergibt, dass bei der Beschwerdeführerin eine generalisierte Angststörung, emotional instabile Persönlichkeitsstörung, rez. depressive Störung, mittelgradige Episode mit psychotischen Episoden vorliegt. Bereits das Vorliegen einer mittelgradigen depressiven Störung würde jedoch eine Einstufung mit 50% (Pos.Nr. 03.06.02 der Anlage der Einschätzungsverordnung) rechtfertigen.

Weder im Gutachten, noch in der ergänzenden neurologischen Stellungnahme vom 29.09.2017 wird weiters eine Stellungnahme dazu erstattet, dass sich die Beschwerdeführerin - zuletzt einen Monat vor Gutachtenserstellung - in, wenn auch nur zweitätiger, stationärer psychiatrischer Behandlung befunden hat. Da die Gutachterin von einer "Stabilisierung" und die Behörde von einer Besserung des Leidenszustandes ausgegangen war, wäre es zumindest zu begründen gewesen, warum trotz des stationären Behandlungsbedarfes eine Besserung vorliegen soll.

Weiters lagen auch die Umstände der Arbeitstätigkeit, der ausreichenden Affizierbarkeit, der ausgeglichenen Affektlage sowie ungestörte Konzentration, Aufmerksamkeit und Auffassungsvermögen - worauf sich die Gutachterin nun zur Begründung eines verbesserten Zustandes in ihrer ergänzenden Stellungnahme beruft - aber auch bereits in dem Status festgestellt worden, welche dem Vorgutachten vom 16.04.2015 zugrunde gelegt worden waren, worin jedoch ein Grad der Behinderung von 50% beurteilt worden war. Auch im Hinblick darauf wäre es zumindest erklärungsbedürftig, worin eine Verbesserung der Funktionseinschränkungen besteht.

Schließlich erfolgte mit Ausnahme des Hinweises der Gutachterin, dass die Beschwerdeführerin arbeiten geht - was diese aber auch schon zum Zeitpunkt der Vorbegutachtung machte - keine Auseinandersetzung der Gutachterin oder der Behörde in Bezug auf eine "Beeinträchtigung in sozialen Bereichen" der Beschwerdeführerin durch ihre Funktionseinschränkungen. Dieses Kriterium ist jedoch das entscheidungsrelevante Kriterium für die Entscheidung, ob eine Zuordnung zu dem oberen Rahmensatz der Pos.Nr. 03.04.01 oder zu dem unteren Rahmensatz der Pos.Nr. 03.04.02 zu erfolgen hat. So dürften bei einer Einschätzung mit 40%, wie von der belangten Behörde ausgesprochen, nur leichte bis mäßige Beeinträchtigungen in ein oder zwei sozialen Bereichen vorliegen und müssten bei einer - von der Beschwerdeführerin begehrten - Einschätzung mit 50% ernsthafte und durchgängige Beeinträchtigungen der meisten sozialen Bereiche gegeben sein. Diese Frage kann auf Basis der vorliegenden Ermittlungsergebnisse ebenfalls nicht beurteilt werden.

Letztlich erfolgte keinerlei Auseinandersetzung der Behörde zu dem im Rahmen der Beschwerde vorgelegten klinisch-psychologischen Befund vom 25.09.2017 und wurde dieser auch nicht gutachterlich gewürdigt.

Die belangte Behörde hätte anlässlich der Einwendungen der Beschwerdeführerin, der Unvollständigkeiten bzw Unschlüssigkeiten im Gutachten und der im Verfahren vorgelegten Befunde weitere Ermittlungen, gegebenenfalls unter Einholung weiterer Sachverständigengutachten durchführen müssen. Es kann nämlich nicht ausgeschlossen werden, dass die Ergebnisse der durchzuführenden ergänzenden Ermittlungen bzw Beurteilungen zu einer entscheidungserheblichen Änderung des Grades der Behinderung und Beibehaltung der Begünstigteneigenschaft führen könnten.

Auch hat die belangte Behörde die ergänzende neurologische Stellungnahme vom 29.09.2017 nicht dem Parteiengehör unterzogen. Hierdurch hatte die Beschwerdeführerin erst anlässlich der Beschwerdeerhebung die Möglichkeit, diesem, erstmals begründeten Ermittlungsergebnis entgegenzutreten sowie - unter Vorlage medizinischer Beweismittel - auszuführen, ob und gegebenenfalls welche gutachterlichen Ausführungen dem tatsächlichen Leidensausmaß widersprechen.

Insgesamt ist das im vorliegenden Fall von der belangten Behörde eingeholte Sachverständigengutachten vom 10.05.2017 samt ergänzender neurologischer Stellungnahme vom 29.09.2017 zur Beurteilung des bei der Beschwerdeführerin vorliegenden Beschwerdebildes nicht vollständig und vor dem Hintergrund der vorgelegten Befunde und des bisherigen Untersuchungsergebnisses auch nicht ausreichend nachvollziehbar.

Die seitens des Bundesverwaltungsgerichtes erforderliche Überprüfung im Rahmen der freien Beweiswürdigung ist auf dieser Grundlage daher nicht möglich. Das bisherige Ermittlungsverfahren vermag die verwaltungsbehördliche Entscheidung nicht zu tragen.

Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde sohin eine entsprechende Gutachtensergänzung oder neuerliche Begutachtung, basierend auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin, einholen müssen. Von den Ergebnissen des weiteren Ermittlungsverfahrens wird die Beschwerdeführerin mit der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme in Wahrung des Parteiengehörs in Kenntnis zu setzen sein.

Aus den dargelegten Gründen ist davon auszugehen, dass die belangte Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat und sich der vorliegende Sachverhalt zur Beurteilung des Grades der Behinderung als so mangelhaft erweist, dass weitere Ermittlungen bzw. konkretere Sachverhaltsfeststellungen erforderlich sind.

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens durch das Bundesverwaltungsgericht kann - im Lichte der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 VwGVG - nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes und angesichts der im gegenständlichen Fall unterlassenen Sachverhaltsermittlungen - nicht ersichtlich.

Im Übrigen scheint die Zurückverweisung der Rechtssache an die belangte Behörde auch vor dem Hintergrund der seit 01.07.2015 geltenden Neuerungsbeschränkung in Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gemäß § 19 Abs. 1 BEinstG als geboten. Dies insbesondere unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Beschwerdeführerin - wie bereits ausgeführt - erst mit der Erlassung des angefochtenen Bescheides erstmals Kenntnis von der der Entscheidung zugrunde gelegten, die Beurteilung erstmals begründenden, ergänzenden neurologischen Stellungnahme vom 29.09.2017 erhielt und erst im Rahmen der Beschwerde die Möglichkeit hatte, entsprechende Einwendungen zu erheben.

Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben. Da der maßgebliche Sachverhalt im zu beurteilenden Fall noch nicht feststeht und vom Bundesverwaltungsgericht auch nicht rasch und kostengünstig festgestellt werden kann, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Sozialministeriumservice zurückzuverweisen.

Zu Spruchteil B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Dieser Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung (vgl. die oben zitierten Entscheidungen des VwGH sowie auch etwa VwGH vom 25.01.2017, Ra 2016/12/0109), des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Schlagworte

Ermittlungspflicht, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung,
Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W133.2177337.1.00

Zuletzt aktualisiert am

04.07.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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