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E000 EU- Recht allgemein;Norm
32003R0343 Dublin-II Art20 Abs1 litd;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler sowie die Hofrätin Dr. Leonhartsberger und den Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Honeder, in der Rechtssache der Revision der S Y in B, vertreten durch die Weh Rechtsanwalt GmbH in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. Dezember 2017, Zl. W239 2141560- 1/6E, betreffend Zurückweisung eines Antrages auf internationalen Schutz nach dem AsylG 2005 und Anordnung einer Außerlandesbringung nach dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Die Revisionswerberin, eine Staatsangehörige Syriens, stellte - nach einer Antragstellung in Schweden am 2. Oktober 2015 - am 8. September 2016 im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.
2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) richtete am 22. September 2016 ein auf Art. 18 Abs. 1 lit. b der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin III-Verordnung) gestütztes Wiederaufnahmeersuchen an Schweden. Diesem Wiederaufnahmeersuchen stimmte Schweden mit 30. September 2016 ausdrücklich zu.
3 Mit Bescheid vom 18. November 2016 wies das BFA den Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) als unzulässig zurück. Es sprach aus, dass für die Prüfung des Antrags gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-Verordnung Schweden zuständig sei, ordnete gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) die Außerlandesbringung der Revisionswerberin an und stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Schweden gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei.
4 Gegen diesen Bescheid erhob die Revisionswerberin Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) verbunden mit dem Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
Die Revisionswerberin führte aus, dass sie mit ihrem (zu ergänzen: bisher nach dem islamischen Recht angetrauten) Mann, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden sei, nunmehr auch standesamtlich verheiratet sei.
5 Mit Beschluss vom 13. Dezember 2016 erkannte das BVwG der Beschwerde der Revisionswerberin die aufschiebende Wirkung zu.
6 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 20. Dezember 2017 wies das BVwG die Beschwerde gemäß § 5 AsylG 2005 und § 61 FPG als unbegründet ab.
7 Gegen dieses Erkenntnis erhob die Revisionswerberin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, welcher deren Behandlung mit Beschluss vom 26. Februar 2018, E 259/2018-8, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
8 Die Revision bringt in der - gemäß § 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG für die diesbezügliche Beurteilung allein maßgeblichen und entsprechend den Vorgaben des § 28 Abs. 3 VwGG vorzunehmenden - Begründung ihrer Zulässigkeit im Wesentlichen vor, dass das BVwG die gesetzliche Entscheidungsfrist um mehr als sechs Monate überschritten habe. Selbst wenn der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt worden sei, habe das BVwG innerhalb der Sechsmonatsfrist zu entscheiden. Vor dem Hintergrund des Art. 29 Dublin III-Verordnung stelle sich die Frage, ob der Lauf der Sechsmonatsfrist auch dann weiterhin gehemmt bleibe, wenn das Gericht "bereits nach dem Gesetz zu entscheiden gehabt" hätte.
9 Darüber hinaus würden die Ausführungen des EuGH in seinem Urteil vom 12. April 2018, A und S, C-550/16, sowohl den hohen Stellenwert des Familienlebens als auch das Verbot der Verschleppung betonen. "Was für Kinder gelten muss, muss natürlich auch für frisch Vermählte in gleicher Weise gelten." Somit müsse Österreich in Fällen wie dem vorliegenden vom Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Dublin III-Verordnung Gebrauch machen, wenn dadurch die Familieneinheit erhalten werden könne.
10 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
11 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
12 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
13 Soweit die Revisionswerberin aus dem Urteil des EuGH vom 12. April 2018, A und S, C-550/16, abzuleiten scheint, dass im gegenständlichen Fall zur Wahrung der Familieneinheit vom Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen wäre, ist sie darauf hinzuweisen, dass das genannte Urteil lediglich Ausführungen zu der Frage der Auslegung des Begriffs des "Minderjährigen" iZm Art. 2 lit. f iVm Art. 10 Abs. 3 lit. a der Richtlinie 2003/86/EG (Familienzusammenführungsrichtlinie) trifft und keinen Zusammenhang mit der Behandlung von Eheleuten aufweist. Inwiefern sich daraus eine Verpflichtung zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-Verordnung ergeben sollte, wird von der Revision nicht näher dargelegt.
14 Nach der ständigen Rechtsprechung der Höchstgerichte des öffentlichen Rechts macht eine grundrechtskonforme Interpretation des Asylgesetzes eine Bedachtnahme auf die - in Österreich in Verfassungsrang stehenden - Bestimmungen der EMRK notwendig. Dementsprechend müssen die Asylbehörden bei Entscheidungen nach § 5 AsylG 2005 auch Art. 3 EMRK und Art. 8 EMRK berücksichtigen und bei einer drohenden Verletzung dieser Vorschriften das Selbsteintrittsrecht nach der Dublin III-VO ausüben (vgl. VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0192 - 0195, mwN).
15 Eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Allgemeinen, wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wird, nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG (vgl. VwGH 1.3.2018, Ra 2018/19/0061, mwN). Mit dem lediglich auf das Urteil des EuGH vom 12. April 2018, A und S, C-550/16, Bezug nehmenden Zulässigkeitsvorbringen wird nicht aufgezeigt, dass die im Einzelfall vorgenommene Interessenabwägung unvertretbar erfolgt wäre (vgl. diesbezüglich auch den diese Abwägung beleuchtenden Ablehnungsbeschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 26. Februar 2018).
16 Hinsichtlich der von der Revisionswerberin aufgeworfenen Frage, ob die Nichteinhaltung der nationalen (vermeintlich sechsmonatigen) Entscheidungsfrist Einfluss auf die Überstellungsfrist des Art. 29 Dublin III-Verordnung habe, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass im gegenständlichen Fall der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde, womit nicht die verkürzte Frist des § 21 Abs. 2 BFA-VG, sondern die 12- monatige Entscheidungsfrist des am 1. November 2017 in Kraft getretenen § 21 Abs. 2b BFA-VG anzuwenden war (zur Anwendbarkeit auf am 1. November 2017 anhängige Verfahren vgl. VwGH 22.11.2017, Fr 2017/19/0067).
17 Weder der Wortlaut des Art. 29 Dublin III-Verordnung noch die dazu ergangene Judikatur geben Anlass zur Annahme, die Überschreitung der nationalen Entscheidungsfrist habe als solche eine unmittelbare Auswirkung auf den Lauf der Überstellungsfrist. Im Urteil des EuGH vom 29. Jänner 2009, Petrosian, C-19/08, werden (ausschließlich) folgende drei Fälle als fristauslösend qualifiziert:
"Gemäß Art. 20 Abs. 1 Buchst. d der Verordnung Nr. 343/2003 in Verbindung mit Abs. 1 Buchst. c können je nach den Umständen drei Ereignisse den Lauf der Frist von sechs Monaten auslösen, über die der ersuchende Mitgliedstaat verfügt, um die Überstellung des Asylbewerbers durchzuführen. Es kann sich erstens um die Entscheidung des ersuchten Mitgliedstaats handeln, die Wiederaufnahme des Asylbewerbers zu akzeptieren, zweitens um den fruchtlosen Ablauf der Frist von einem Monat, die dem ersuchten Mitgliedstaat für eine Stellungnahme zum Antrag des ersuchenden Mitgliedstaats auf Wiederaufnahme des Asylbewerbers gesetzt worden ist, und drittens um die Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser im ersuchenden Mitgliedstaat aufschiebende Wirkung hat."
(RNr. 35)
18 Mit diesem Urteil hat sich der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 16. April 2009, 2007/19/0730 - 0733, auseinander gesetzt und darin festgehalten:
"Wenn der ersuchende Mitgliedstaat einen Rechtsbehelf mit aufschiebender Wirkung kennt und das Gericht des Mitgliedstaats seiner Entscheidung eine derartige Wirkung beilegt, beginnt die Frist zur Durchführung der Überstellung erst mit der ‚Entscheidung über den Rechtsbehelf' (RNr. 42 des EuGH-Urteils). Der EuGH führte im Zusammenhang mit der ihm vorgelegten Vorabentscheidungsfrage ferner aus, dass mit dieser ‚Entscheidung' jedenfalls nicht die bloße Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gemeint sein kann. Vielmehr sei darunter jene gerichtliche Entscheidung zu verstehen, ‚mit der über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens entschieden wird und die dieser Durchführung nicht mehr entgegenstehen kann' (vgl. den Spruch der Vorabentscheidung sowie RNr. 46 des EuGH-Urteils)."
19 Diese zu Art. 20 Abs. 1 lit. d der Verordnung Nr. 343/2003 ergangenen Ausführungen sind auf Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 der Dublin III-Verordnung übertragbar (vgl. VwGH 14.12.2017, Ra 2015/20/0231).
20 Entgegen dem Vorbringen in der Revision ist daher geklärt, wann die Sechsmonatsfrist des Art. 29 der Dublin III-Verordnung tatsächlich zu laufen beginnt. Die Überstellungsfrist begann verfahrensgegenständlich mit der Erlassung der angefochtenen Entscheidung des BVwG (neu) zu laufen.
21 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
22 Eine mündliche Verhandlung konnte trotz Antrags der Revisionswerberin gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG unterbleiben.
Wien, am 12. Juni 2018
Gerichtsentscheidung
EuGH 62008CJ0019 Petrosian VORABSchlagworte
Rechtsgrundsätze Fristen VwRallg6/5Gemeinschaftsrecht Verordnung EURallg5European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018200225.L00Im RIS seit
04.07.2018Zuletzt aktualisiert am
10.07.2018