Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 19. Juni 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Sinek als Schriftführerin in der Strafsache gegen Ioan N***** wegen des Verbrechen des gewerbsmäßig schweren Diebstahls durch Einbruch im Rahmen einer kriminellen Vereinigung nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 5, 129 Abs 1 Z 1, Z 2, 130 Abs 2 erster und zweiter Fall (iVm Abs 1 erster und zweiter Fall); 15 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen des Angeklagten sowie der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 22. November 2017, GZ 93 Hv 101/17d-194, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.
Die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird, soweit sie sich gegen das Absehen vom Verfall richtet, ebenso wie jene des Angeklagten zurückgewiesen.
Mit der Berufung wegen Strafe wird der Angeklagte auf die Aufhebung verwiesen.
Über die Berufung der Staatsanwaltschaft wegen Absehens von einem Verfallsausspruch wird das Oberlandesgericht Wien zu entscheiden haben, dem das Landesgericht für Strafsachen Wien die erforderlichen Aktenteile zu übermitteln haben wird.
Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Angeklagte Ioan N***** des Verbrechens des gewerbsmäßig schweren Diebstahls durch Einbruch im Rahmen einer kriminellen Vereinigung nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 5, 129 Abs 1 Z 1 und 2, 130 Abs 2 erster und zweiter Fall (iVm Abs 1 erster und zweiter Fall)[; 15] StGB (I./) und der Vergehen der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (II./) schuldig erkannt und unter Anwendung des § 28 StGB sowie unter Bedachtnahme (§§ 31, 40 StGB) auf die jeweils rechtskräftigen Urteile zweier rumänischer Gerichte nach § 130 Abs 2 StGB zu einer (Zusatz-)Freiheitsstrafe in der Dauer von fünf Jahren verurteilt.
Danach hat er in Wien und andernorts zwischen 18. August 2015 und 28. November 2015
I./ gewerbsmäßig (§ 70 Abs 1 Z 3 StGB [auch] in Bezug auf § 128 Abs 1 Z 5 StGB und § 129 Abs 1 StGB) und überwiegend als Mitglied einer kriminellen Vereinigung unter Mitwirkung (§ 12 StGB) zumindest eines anderen Mitglieds dieser Vereinigung, nämlich insbesondere mit Vlad P***** im Urteilsspruch im einzelnen Genannten fremde bewegliche Sachen in einem insgesamt 5.000 Euro vielfach übersteigenden Wert mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz durch Einbruch und Einsteigen in Gebäude bzw Transportmittel, teils mit widerrechtlich erlangten Schlüsseln, und Aufbrechen von Behältnissen,
A./ in zahlreichen, im Urteilstenor detailliert angeführten Fällen (1./ bis 29./) weggenommen und
B./ in weiteren im Urteilstenor angeführten Angriffen (1./ bis 8./) wegzunehmen versucht,
II./ in neun Fällen (A./ bis I./) verschiedene im Urteilsspruch einzeln angeführte Urkunden, nämlich insbesondere Kennzeichentafeln, über die er nicht verfügen durfte, mit dem Vorsatz unterdrückt, zu verhindern, dass sie im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechts, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache gebraucht werden.
Von einem Verfallsauspruch wurde gemäß § 20a Abs 3 StGB abgesehen.
Der Angeklagte stützt seine dagegen gerichtete Nichtigkeitsbeschwerde auf § 281 Abs 1 Z 9 [lit] a StPO, die Staatsanwaltschaft bekämpft den Strafausspruch und das Unterbleiben eines Verfallsausspruchs aus § 281 Abs 1 Z 11 StPO.
Rechtliche Beurteilung
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten:
Soweit die Rechtsrüge (Z 9 [lit] a) zu den Schuldsprüchen I./A./1./ bis 29./ und I./B./1./ bis 8./ fehlende Feststellungen zu einem (auch) auf unrechtmäßige Bereicherung gerichteten Vorsatz releviert, orientiert sie sich prozessordnungswidrig (RIS-Justiz RS0099810, RS0099025; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 581, 584) nicht an den Feststellungen, wonach „sich der Angeklagte jeweils Wertgegenstände zueignen und somit sein Vermögen mehren [wollte], wobei er wusste, dass weder ihm noch einem Mittäter die oben genannten Wertgegenstände gehörten und sie auch keinen Anspruch auf diese hatten“ (US 26).
Zu den Schuldsprüchen II./A./ bis I./ bezeichnet die (bloß im Sinn eines umfassenden Anfechtungswillens undifferenziert angemeldete [ON 193 S 18]) Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten weder deutlich noch bestimmt Nichtigkeitsgründe (§§ 285 Abs 1 letzter Satz, 285a Z 2, 285d Abs 1 Z 1 StPO), weshalb sie insgesamt zurückzuweisen war.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft:
Zutreffend zeigt die Staatsanwaltschaft in ihrer Sanktionsrüge (Z 11 erster Fall) – ebenso wie das Berufungsvorbringen des Angeklagten – auf, dass das Erstgericht – worauf dieses im Übrigen selbst verweist (US 36) – die in Höhe von fünf Jahren Freiheitsstrafe verhängte Zusatzfreiheitsstrafe unter Zugrundelegung eines (zum Nachteil des Angeklagten in Ansehung der zu I./ ergangenen Schuldsprüche) falschen Strafrahmens, nämlich von „einem bis zu zehn Jahren“ Freiheitsstrafe anstelle zutreffend (§ 130 Abs 2 zweiter Satz StGB idF BGBl I 2015/112 iVm § 61 zweiter Satz StGB) bloß sechs Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe verhängte.
Diese Überschreitung der Strafbefugnis begründet Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO.
Dies erfordert die Aufhebung des Strafausspruchs einschließlich der Vorhaftanrechnung.
Eines Eingehens auf die darüber hinausgehenden Ausführungen der Staatsanwaltschaft zur Bedachtnahme gemäß §§ 31, 40 StGB auf die rumänischen Vorverurteilungen vom 9. Februar 2016 und vom 27. Juli 2016 bedarf es daher nicht.
Die zum Nachteil des Angeklagten ausgeführte Sanktionsrüge der Staatsanwaltschaft (Z 11 zweiter Fall) bekämpft das gemäß § 20a Abs 3 StGB – ohne weitere Begründung – ausgesprochene Absehen vom Verfall (US 12, 36) als Rechtsfehler bei einer Ermessensentscheidung (Fuchs/Tipold, WK-StPO § 443 Rz 82; RIS-Justiz RS0114233): Die nach der genannten Gesetzesstelle für ein Absehen vom Verfall vorausgesetzte Unverhältnismäßigkeit beziehe sich nicht auf die (durch die konstatierte Vermögenslosigkeit des Angeklagten indizierte – US 13) geringe Wahrscheinlichkeit der Einbringlichkeit der Vermögenswerte, sondern bloß auf den erforderlichen Ermittlungsaufwand (RIS-Justiz RS0131561).
Die – materiell-rechtliche (Fabrizy, StPO13 § 281 Rz 18) – Rüge verfehlt eine Ausrichtung an der Prozessordnung bereits deshalb, weil Bezugspunkt der Anfechtung aus Z 11 zweiter Fall nur ein beim konkreten Strafbemessungsvorgang tatsächlich – im Gegenstand wie erwähnt aber gerade nicht – in Rechnung gestellter Umstand ist (Fabrizy, StPO13 § 281 Rz 108). Weiters geht sie ohne Abstützung auf den im Ersturteil festgestellten Sachverhalt davon aus, der Angeklagte habe durch die Begehung von mit Strafe bedrohten Handlungen „erhebliche Vermögenswerte erlangt“. Sie erklärt dabei überdies nicht, wie aus dem bloßen Heranziehen der Schadensbeträge bei vorliegender Mehrtäterschaft eine unzulässige Solidarhaftung (RIS-Justiz RS0129964, RS0090442; Fuchs/Tipold in WK2 StGB § 20 Rz 34) auszuschließen wäre.
Im Übrigen wird mit dem – an sich zutreffenden – Einwand fehlender Begründung des Absehens vom Verfall keine unrichtige Lösung einer Rechtsfrage aufgezeigt, sondern bloß ein Berufungsvorbringen erstattet (RIS-Justiz RS0114233 [T3], vgl auch RS0088212; Fuchs/Tipold, WK-StPO § 443 Rz 55 ff).
Dabei kann sich auch nach den Erläuternden Bemerkungen zum Strafrechtsänderungsgesetz 1996 zur vergleichbaren Vorgängerbestimmung (§ 20a Abs 2 Z 2 StGB idF BGBl 1996/762) die Unverhältnismäßigkeit aus einer Abwägung der Einbringungswahrscheinlichkeit gegenüber dem Verfahrensaufwand ergeben (EBRV StRÄG 1996, 32; vgl auch Fuchs/Tipold in WK² StGB § 20a Rz 34).
Es war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – in Stattgebung der zum Vorteil des Angeklagten ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt zu bleiben hatte, im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufzuheben und die Sache in diesem Umfang an das Landesgericht für Strafsachen Wien zu verweisen (§ 285e StPO).
Die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft war, soweit sie sich gegen das Unterbleiben des Verfallsausspruchs richtet, ebenso zurückzuweisen wie jene des Angeklagten.
Mit seiner Berufung war Letzterer auf die Aufhebung des Strafausspruchs zu verweisen.
Über die Berufung der Staatsanwaltschaft in Ansehung der Entscheidung gemäß § 20a Abs 3 StGB wird das Oberlandesgericht Wien zu entscheiden haben, dem das Landesgericht für Strafsachen Wien die erforderlichen Aktenbestandteile zu übermitteln haben wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
Textnummer
E121869European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:0110OS00048.18W.0619.000Im RIS seit
04.07.2018Zuletzt aktualisiert am
04.07.2018