TE Dsk BescheidWissenschaftStatistikArchiv 2017/11/21 DSB-D202.189/0004-DSB/2017

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Veröffentlicht am 21.11.2017
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Norm

DSG 2000 §46 Abs3
DSG 2000 §46 Abs3a
DSG 2000 §46 Abs1
DSG 2000 §46 Abs5
TIWG 2015 §2 Abs1
TIWG 2015 §3 Abs1 liti
TIWG 2015 §5 Abs1
TIWG 2015 §14 Abs1
TIWG 2015 §14 Abs6 lita
AVG §6 Abs1
GebG §3 Z2

Text

GZ: DSB-D202.189/0004-DSB/2017 vom 21.11.2017

 

[Anmerkung Bearbeiter: Namen und Firmen, Rechtsformen und Produktbezeichnungen, Adressen (inkl. URLs, IP- und E-Mail-Adressen), Aktenzahlen (und dergleichen), etc., sowie deren Initialen und Abkürzungen können aus Pseudonymisierungsgründen abgekürzt und/oder verändert sein. Offenkundige Rechtschreib-, Grammatik- und Satzzeichenfehler wurden korrigiert.]

BESCHEID

SPRUCH

Die Datenschutzbehörde entscheidet über den Antrag der Universität A*** (Antragstellerin), vertreten durch Univ. Prof. Mag. Dr. Friedrich N***, Leiter des Instituts für Zeitgeschichte, vom 6. Juni 2017 auf Genehmigung der Einsichtnahme in die Akten des Bestands „Gesundheitsamt des Landrates Innsbruck“ im Tiroler Landesarchiv wie folgt:

?    Der Antrag wird zurückgewiesen.

Rechtsgrundlagen: § 46 Abs. 3 des Datenschutzgesetzes 2000 (DSG 2000), BGBl. I Nr. 165/1999 idgF, iVm § 2 Abs. 1, § 3 Abs. 1 lit. i), § 5 Abs. 1 und § 14 Abs. 1 und Abs. 6 lit. a) des Tiroler Informationsweiterverwendungsgesetzes 2015 (TIWG 2015), LGBl. Nr. 79/2015, und § 6 Abs. 1 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG), BGBl. Nr. 51/1991 idgF.

BEGRÜNDUNG

A. Vorbringen der Antragstellerin, Verfahrensgang und verfahrensrelevanter Sachverhalt

1.  Die Antragstellerin hat sich am 6. Juni 2017 mit folgendem Anbringen an die Datenschutzbehörde gewandt: Sie führe ein zeitgeschichtliches Forschungsprojekt zum Thema „Die Innsbrucker Universitätskliniken und die Erbgesundheitsgerichte des Gaues Tirol-Vorarlberg“ durch, das mehrfach auch öffentlich gefördert werde. Entsprechende Akten, etwa zu Fragen der Gutachtertätigkeit und medizinischer Zwangseingriffe im Auftrag der nationalsozialistischen (Erb-) Gesundheitsbehörden, würden sich im Bestand „Gesundheitsamt des Landrates Innsbruck“ (sogenannte „Erbgesundheitsakten“ und „Sippenakten“) des Tiroler Landesarchivs befinden. Insbesondere seien 69 Akten des Erbgesundheitsgerichts Innsbruck über Zwangssterilisationsverfahren vorhanden. Zur Einsichtnahme sei es allerdings notwendig, die Schutzfrist dieser Akten zu verkürzen. Über „Aufforderung des Tiroler Landesamtsdirektors“ werde nun die Datenschutzbehörde um ‚Genehmigung der Einsichtnahme in den geschützten Bestand des Tiroler Landesarchivs „Gesundheitsamt des Landrates Innsbruck“‘ ersucht. Vorgelegt wurde ein Schreiben des Amtes der Tiroler Landesregierung vom 6. Juni 2017, GZ: OrgP-350/229-2017, in dem der Antragstellerin nicht-bescheidförmig die Einsicht in den entsprechenden Archivbestand u.a. unter der Bedingung „Vorliegen einer Genehmigung der österreichischen Datenschutzbehörde [...] für die Verwendung des Datenbestandes“ erteilt wird.

2.  Die Datenschutzbehörde hat der Antragstellerin und dem Amt der Tiroler Landesregierung zunächst mit Schreiben vom 19. September 2017, GZ: DSB-D202.189/0002-DSB/2017, folgenden vorläufige Beurteilung der Rechtslage vorgehalten: Rechtlich ausgeschlossen sei eine Verkürzung gesetzlich oder verwaltungsintern festgelegter Schutzfristen für Archivgut durch einen Bescheid der Datenschutzbehörde. Bei wissenschaftlichen Forschungen durch Auswertung von Archivgut sei zunächst die archivrechtliche Seite des Zugangs zu klären. Diese sei nach Ansicht der Datenschutzbehörde für Archivgut, über das Dienststellen und Behörden des Landes Tirol verfügen, nach dem Tiroler Informationsweiterverwendungsgesetz 2015 (TIWG 2015), LGBl. Nr. 79/2015, zu beurteilen. Diese archiv- bzw. informationsrechtliche Entscheidung falle nicht in den Zuständigkeitsbereich der Datenschutzbehörde sondern der Behörden gemäß § 14 TIWG 2015. Aus der Entscheidung über die archiv- bzw. informationsrechtliche Bereitstellung folge die Entscheidung, ob eine Erklärung nach § 46 Abs. 3a DSG 2000 (Zustimmung zur Datenverwendung) abgegeben werden könne. Nach Ansicht der Datenschutzbehörde könne die archiv- bzw. informationsrechtliche Entscheidung weiters nicht dadurch an die Datenschutzbehörde delegiert werden, dass die Zustimmung an die Bedingung einer „Genehmigung“ des Forschungsvorhabens durch die Datenschutzbehörde geknüpft werde. Gegenstand einer Genehmigung nach § 46 Abs. 3 DSG 2000 könne nur die automationsunterstützte Verarbeitung von Daten lebender Betroffener durch den Forscher bzw. den datenschutzrechtlich verantwortlichen Auftraggeber für Zwecke des Forschungsvorhabens sein, dessen Ergebnis, etwa ein zu publizierender Text, wiederum nicht personenbezogen sein dürfe. Falls nach entsprechender Klärung noch eine Genehmigung nach § 46 Abs. 3 DSG 2000 benötigt werde, sei eine neue, ohne einschränkende Bedingungen formulierte Erklärung gemäß § 46 Abs. 3a DSG 2000 (etwa ein Schreiben gemäß § 5 Abs. 3 TIWG 2015) über die Bereitstellung der Dokumente vorzulegen.

3.  Weiters wurde Univ. Prof. Mag. Dr. Friedrich N*** in einem Mangelbehebungsauftrag die Klarstellung seiner Rolle bzw. der Nachweis seiner Vertretungsbefugnis für die Antragstellerin aufgetragen. [Anmerkung Bearbeiter: im Original hier als Redaktionsversehen stehender, unvollständig gelöschter Satz gekürzt]

4.  Die Antragstellerin hat darauf mit Schreiben vom 22. September 2017 die Vertretungsbefugnis von Univ. Prof. Mag. Dr. Friedrich N*** klargestellt.

5.  Das Amt der Tiroler Landesregierung hat sich im Verfahren nicht geäußert.

B. Sachverhaltsfeststellungen

6.  Die Datenschutzbehörde legt den oben unter A. festgehaltenen, aktenmäßig dokumentierten Sachverhalt ihrer Entscheidung zu Grunde.

C. In rechtlicher Hinsicht folgt daraus:

7.  Der Antrag ist wegen Unzuständigkeit der Datenschutzbehörde zurückzuweisen.

8.  Die Antragstellerin begehrt die ‚Genehmigung der Einsichtnahme in den geschützten Bestand des Tiroler Landesarchivs „Gesundheitsamt des Landrates Innsbruck“‘. Damit verkennt die Antragstellerin die gesetzliche Aufgabe und damit die Zuständigkeit der angerufenen Datenschutzbehörde im Verfahren zur Erteilung einer Genehmigung gemäß § 46 Abs. 3 DSG 2000.

9.  Bei wissenschaftlichen Forschungen durch Auswertung von Archivgut ist zunächst die archivrechtliche Seite des Zugangs zu klären. Diese ist für Archivgut, über das Dienststellen und Behörden des Landes Tirol verfügen, nach dem Tiroler Informationsweiterverwendungsgesetz 2015 (TIWG 2015), LGBl. Nr. 79/2015, zu beurteilen (§ 2 Abs. 1 iVm § 3 Abs. 1 lit. i) e contrario TIWG 2015). Diese archiv- bzw. informationsrechtliche Entscheidung fällt nicht in den Zuständigkeitsbereich der Datenschutzbehörde sondern hier in jenen der Tiroler Landesregierung. Diese hat gemäß § 5 Abs. 1 iVm und § 14 Abs. 1 und 6 lit. a) TIWG 2015 durch Bescheid zu entscheiden, wenn eine „öffentliche Stelle das Land Tirol oder eine öffentliche Stiftung, eine öffentliche Anstalt oder ein öffentlicher Fonds oder ein Beliehener im Sinn des § 4 Abs. 1 lit. c“, Dokumente entgegen einem Antrag nicht freigegeben hat.

10. Gegenstand einer Genehmigung nach § 46 Abs. 3 DSG 2000 kann hingegen nur die automationsunterstützte Verarbeitung von Daten lebender Betroffener durch den Forscher bzw. den datenschutzrechtlich verantwortlichen Auftraggeber sein. Dies wird etwa dann der Fall sein, wenn Daten einer für andere Zwecke bestehende Datenanwendung für Forschungszwecke analysiert oder wenn personenbezogene Daten aus (Papier-) Akten oder Archivgut für Forschungszwecke systematisch datenbankmäßig oder tabellarisch erfasst, verglichen, geordnet oder in sonstiger Weise ausgewertet und benützt werden sollen. Für das bloße Verfassen des Textes einer wissenschaftlichen Arbeit mit Hilfe eines Textverarbeitungsprogramms nach Einsichtnahme in Archivgut wird eine solche Genehmigung hingegen nicht benötigt, da ein solcher Text als „Ergebnis“ der wissenschaftlichen Forschung bei lebenden Personen ohne deren ausdrückliche Zustimmung gemäß § 46 Abs. 1 und 5 DSG 2000 jedenfalls nicht personenbezogen sein darf.

11. Der vorliegende Genehmigungsantrag war daher zur Klarstellung der Rechtslage spruchgemäß zurückzuweisen. Eine Weiterleitung gemäß § 6 Abs. 1 AVG erübrigte sich im Hinblick darauf, dass die Antragstellerin vom Amt der Tiroler Landesregierung an die Datenschutzbehörde verwiesen worden ist.

12. Eine Aufforderung zur Entrichtung der Eingabengebühr entfällt im Hinblick auf die Gebührenbefreiung der Antragstellerin gemäß § 3 Z 2 Gebührengesetz.

Schlagworte

Datenverwendung für wissenschaftliche Forschung und Statistik, Zurückweisung, zeitgeschichtliche Forschung, Landesarchiv, Archivgut, Genehmigung des Zugangs zu Archivgut, Unzuständigkeit der Datenschutzbehörde, Anwendbarkeit von Tiroler Landesrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:DSB:2017:DSB.D202.189.0004.DSB.2017

Zuletzt aktualisiert am

03.07.2018
Quelle: Datenschutzbehörde Dsb, https://www.dsb.gv.at
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