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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1997 §6;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Bachler, Dr. Rigler, Dr. Pelant und Dr. Büsser als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn, über die Beschwerde des Bundesministers für Inneres gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 23. April 1998, Zl. 202.755/0-III/08/98, betreffend Asylgewährung (mitbeteiligte Partei: R D in T, geboren am 10. Jänner 1978, vertreten durch Mag. Georg Rupprecht, Rechtsanwalt in 2500 Baden, Kaiser-Franz-Joseph-Ring 5), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Mitbeteiligte, ein jugoslawischer Staatsbürger, der der albanischen Ethnie im Kosovo angehört, reiste am 12. Februar 1998 in das Bundesgebiet ein und stellte am 16. Februar 1998 einen Asylantrag.
Mit Bescheid vom 11. März 1998 hat das Bundesasylamt den Asylantrag gemäß § 6 Z. 3 Asylgesetz 1997 - AsylG, BGBl. I Nr. 76, als offensichtlich unbegründet abgewiesen (Spruchpunkt I) und gemäß § 8 leg. cit. festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Mitbeteiligten in die Bundesrepublik Jugoslawien zulässig sei (Spruchpunkt II).
In der Begründung führte das Bundesasylamt aus, dass das gesamte Vorbringen des Beschwerdeführers betreffend eine ihn persönlich treffende Verfolgung nicht glaubwürdig sei. Der Asylantrag entbehre daher jeder Grundlage, weshalb er gemäß § 6 Z. 3 AsylG offensichtlich unbegründet sei. Mangels Glaubwürdigkeit des Vorbringens bestünden auch keine stichhaltigen Gründe für die Annahme, der Mitbeteiligte sei in Jugoslawien gemäß § 57 Fremdengesetz 1997 gefährdet oder bedroht.
Der gegen beide Spruchpunkte dieses Bescheides gerichteten Berufung hat der unabhängige Bundesasylsenat mit Bescheid vom 23. April 1998 gemäß § 32 Abs. 2 AsylG stattgegeben, den bekämpften Bescheid behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und Erlassung eines Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.
In der Begründung vertrat die belangte Behörde die Ansicht, dass auch ihrer Meinung nach das gesamte Vorbringen des Mitbeteiligten betreffend eine ihn persönlich treffende Verfolgung nicht nachvollziehbar und gänzlich unglaubwürdig sei. Die im Bescheid des Bundesasylamtes enthaltene Feststellung, dass die Situation für alle ethnischen Albaner im Kosovo "sehr angespannt" sei, vermöge den Spruch, dass der Asylantrag offensichtlich unbegründet sei, jedoch nicht zu tragen, "sondern indiziere vielmehr das Gegenteil". Die belangte Behörde vertrat somit erkennbar die Meinung, dass zwar das Vorbringen des Mitbeteiligten zu einer Bedrohungssituation wegen gänzlicher Unglaubwürdigkeit offensichtlich nicht den Tatsachen entspricht, sich jedoch aus der Feststellung der Behörde erster Instanz über die allgemeine Lage von ethnischen Albanern im Kosovo sonstige Hinweise auf eine Verfolgungsgefahr im Heimatstaat ergeben. Zur Feststellung gemäß § 8 AsylG habe die Erstbehörde die erforderlichen Ermittlungen nicht durchgeführt. Der Punkt II. des Bescheides des Bundesasylamtes sei daher schon aus diesem Grund zu beheben gewesen, weshalb sich ein Eingehen darauf, ob die beiden Spruchpunkte dieses Bescheides untrennbar miteinander verbunden seien, erübrige.
Über die dagegen gerichtete Amtsbeschwerde des Bundesministers für Inneres hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Zunächst sei ausgeführt, dass der Umstand, dass dem Mitbeteiligten für die Einbringung seiner Berufung nur die verfassungswidrig kurze Frist von zwei Tagen (siehe das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 11. Dezember 1998, G 210/98 u.a. Zlen.) zur Verfügung stand, nicht zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides führen kann. Die vom Verwaltungsgerichtshof dazu im Erkenntnis vom 17. Februar 1999, Zl. 98/01/0258, angestellten Überlegungen kommen vorliegend nicht zum Tragen, weil die Berufung tatsächlich Erfolg hatte.
Soweit der Beschwerdeführer meint, die Begründung des angefochtenen Bescheides sei nicht nachvollziehbar, ist ihm zu entgegnen, dass sich der oben wiedergegebene Inhalt des Bescheides - wie auch die dagegen gerichteten Beschwerdeausführungen zeigen - mit noch ausreichender Klarheit aus dem gesamten Inhalt des Bescheides in seinem Zusammenhang ergibt.
Gegen die Ansicht der belangten Behörde, die allgemeine Lage im Kosovo verbiete es, den Asylantrag eines von dort stammenden ethnischen Albaners als offensichtlich unbegründet abzuweisen, wendet die Beschwerde ein, eine derartige Sichtweise hätte zur Folge, dass bei einem aus dem Kosovo stammenden ethnischen Albaner ein Asylantrag niemals aus einem der in § 6 AsylG aufgezählten Gründe abgewiesen werden könnte, was nicht im Sinn des Gesetzgebers sei.
Die §§ 6 Z. 3 und 32 Abs. 2 AsylG (letzterer in der im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides geltenden Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 4/1999), lauten:
"§ 6 Asylanträge gemäß § 3 sind als offensichtlich unbegründet abzuweisen, wenn sie eindeutig jeder Grundlage entbehren. Dies ist der Fall, wenn ohne sonstigen Hinweis auf Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat
...
3. Das Vorbringen der Asylwerber zu einer Bedrohungssituation offensichtlich den Tatsachen nicht entspricht oder
...
§ 32 ...
(2) Der Berufung ist stattzugeben, wenn die Feststellung der Behörde, der Antrag sei offensichtlich unbegründet oder es bestehe aus den Gründen der §§ 4 und 5 Unzuständigkeit, nicht zutrifft. In diesen Fällen hat die Berufungsbehörde die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und Erlassung eines Bescheides an die Behörde erster Instanz zurückzuverweisen. Die zurückweisenden Asylerstreckungsbescheide sind gleichzeitig als überholt aufzuheben. Hat der angefochtene Bescheid auch eine Feststellung gemäß § 8 enthalten, hat die Berufungsbehörde ihrerseits eine solche Feststellung zu treffen."
Die Bestimmung des § 6 AsylG orientiert sich im Wesentlichen an der Entschließung der für Einwanderung zuständigen Minister der Europäischen Gemeinschaften über offensichtlich unbegründete Asylanträge vom 30. November und 1. Dezember 1992. Ein Asylantrag soll demnach "nur dann als offensichtlich unbegründet abgewiesen werden, wenn eine Verfolgungsgefahr mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit (eindeutig) ausgeschlossen werden kann". Hat die Erstbehörde den Asylantrag gemäß § 6 AsylG abgewiesen, ist nur die offensichtliche Unbegründetheit Gegenstand des Berufungsverfahrens. Die Berufungsbehörde hat auch dann - wie vorliegend geschehen - mit Aufhebung des erstinstanzlichen Bescheides und Zurückverweisung an das Bundesasylamt vorzugehen, wenn ihrer Ansicht nach der Antrag zwar nicht "offensichtlich", aber doch "unbegründet" ist (vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom 21. Oktober 1999, Zl. 98/20/0196).
Der Verwaltungsgerichtshof sieht es insbesondere auf Grund von Medienberichten als notorisch an, dass mit der Reaktion serbischer Sonderpolizei auf einen Überfall auf eine Polizeipatrouille durch "albanische Separatisten" am 28. Februar 1998 eine neue Stufe der (bewaffneten) Auseinandersetzungen im Kosovo begonnen hat. Diese Auseinandersetzungen gingen mit vermehrten Übergriffen insbesondere von serbischen Einheiten auf die albanische Zivilbevölkerung einher. Gleichfalls notorisch ist, dass sich diese Aktionen nicht auf das gesamte Gebiet des Kosovo, sondern im Wesentlichen auf das Gebiet Zentral-Kosovo (Region Drenica bzw. "Drenica-Dreieck") sowie westlich davon auf die Verwaltungsbezirke an der albanischen Grenze, vor allem Decane und Djakoviche erstreckten. Derartige Vorgänge, insbesondere in Ländern, aus denen viele Asylwerber nach Österreich kommen, sind vom Bundesasylamt und vom unabhängigen Bundesasylsenat als speziell eingerichtete Bundesbehörden jedenfalls auch von Amts wegen zu berücksichtigen (vgl. zum Ganzen etwa das hg. Erkenntnis vom 9. März 1999, Zl. 98/01/0287).
Der Verwaltungsgerichtshof hat nach dem 28. Februar 1998 ergangene Bescheide der belangten Behörde, mit denen Asylanträge von ethnischen Albanern aus dem Kosovo, die aus der betreffenden Region oder einem angrenzenden Gebiet stammen, abgewiesen wurden, auch bei unzureichendem oder unglaubwürdigem Vorbringen betreffend eine persönlich gegen den Asylwerber gerichtete Verfolgung mit der Begründung aufgehoben, dass bei diesen Personen eine mit der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit zu erwartende asylrelevante Verfolgung zu bejahen sei, wenn keine besonderen Umstände vorliegen, die es unwahrscheinlich machen, dass der Asylwerber von den genannten Aktionen betroffen sein könnte (vgl. neben dem bereits zitierten Erkenntnis, Zl. 98/01/0287, etwa das Erkenntnis vom 16. Juni 1999, Zl. 98/01/0378). Ebenso hat der Gerichtshof ausgesprochen, dass nach dem 28. Februar 1998 bei einem bereits ins "Blickfeld" der Behörden geratenen ethnischen Albaner aus dem Kosovo eine asylrelevante Verfolgung indiziert sei (vgl. etwa das Erkenntnis vom 16. Juni 1999, Zl. 98/01/0339).
Der Mitbeteiligte stammt aus Podujevo, somit nicht aus einem im Sinn der obigen Judikatur besonders betroffenen Gebiet, und ist - ausgehend von den unbestrittenen Feststellungen im angefochtenen Bescheid - auch nicht bereits ins "Blickfeld" der Behörden geraten. Beim Kosovo handelt es sich jedoch um ein relativ kleines Gebiet (ca. 11.000 km2). Die erwähnten bewaffneten Auseinandersetzungen, die mit Übergriffen auf die albanische Zivilbevölkerung einhergingen, haben ihre Ursache im Konflikt zwischen der serbischen Bevölkerungsmehrheit in Jugoslawien, die im Kosovo jedoch nur eine Minderheit stellt, und der im Kosovo die Mehrheit stellenden albanischen Bevölkerungsgruppe. Ein abgegrenztes Gebiet innerhalb des Kosovo, für das ein Übergreifen der genannten Aktionen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit (siehe die oben dargestellte Judikatur) ausgeschlossen werden kann, existiert nicht. Die von der belangten Behörde im Ergebnis vertretene Ansicht, dass bei einem ethnischen Albaner aus dem Kosovo für den Zeitraum nach dem 28. Februar 1998 auf Grund der allgemeinen Lage dieser Bevölkerungsgruppe "sonstige Hinweise auf Verfolgungsgefahr" im Sinn von § 6 AsylG bestehen und Asylanträge von solchen Personen daher nicht "offensichtlich unbegründet" sind, kann daher nicht als rechtswidrig erkannt werden.
Gemäß § 8 AsylG hat die Behörde von Amts wegen bescheidmäßig festzustellen, ob die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Fremden in den Herkunftsstaat zulässig ist (§§ 57 FrG), wenn der Asylantrag abzuweisen ist; diese Entscheidung ist mit der Abweisung des Asylantrages zu verbinden. Nach den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (686 BlgNR 20.GP) liegt in dieser - eine Ausnahme von der grundsätzlichen Zuständigkeit der Fremdenpolizeibehörde für die Feststellung gemäß § 57 Fremdengesetz 1997 normierenden - Bestimmung ein wesentlicher Beitrag zur Verfahrenskonzentration, der - bei Abweisung des Asylantrages - um den Preis einer geringen Mehrbelastung der Asylbehörden den Fremdenpolizeibehörden einen wesentlichen Arbeitsaufwand erspart.
Da der Asylbehörde nur bei Abweisung eines Asylantrages die Kompetenz für die Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in den Herkunftsstaat zukommt, ist ein gemäß § 8 AsylG erfolgter Ausspruch inhaltlich rechtswidrig, wenn er vor der Entscheidung über den Asylantrag ergangen ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Jänner 2000, Zl. 99/01/0372) oder wenn die gleichzeitig ergangene Abweisung des Asylantrages vom Verwaltungsgerichtshof - mit Wirkung "ex tunc" - aufgehoben wird (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. April 1999, Zl. 98/01/0566).
Die belangte Behörde, die den Asylantrag nicht abgewiesen, sondern die Abweisung des Asylantrages als offensichtlich unbegründet gemäß § 32 Abs. 2 AsylG behoben hat, womit das Asylverfahren wieder bei der Erstbehörde anhängig ist, war daher nicht befugt, - etwa durch diesbezügliche Abweisung der Berufung - inhaltlich einen Abspruch gemäß § 8 AsylG zu treffen. Durch die von der belangten Behörde ausgesprochene Behebung des Bescheides des Bundesasylamtes auch in diesem Punkt wird hingegen der vom Gesetz vorgesehene Zustand, dass die Asylbehörde nur bei Abweisung des Asylantrages eine derartige Feststellung zu treffen hat, hergestellt. Gegen diese Vorgangsweise bestehen somit keine Bedenken.
Die sich sohin zur Gänze als unbegründet erweisende Beschwerde war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 16. Februar 2000
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:1998010253.X00Im RIS seit
20.11.2000