TE Vwgh Erkenntnis 2018/5/24 Ra 2017/19/0202

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Veröffentlicht am 24.05.2018
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
41/02 Asylrecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

BFA-VG 2014 §21 Abs7;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs3 Z3 litc;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):Ra 2017/19/0203

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie die Hofräte Mag. Eder und Dr. Pürgy als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Friedwagner, über die Revisionen 1. des I V in W, vertreten durch Dr. Peter Hoffmann-Ostenhof, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Seilergasse 16/26,

2. der Z T, in W, vertreten durch Dr. Stephan Hofmann, Rechtsanwalt in 1220 Wien, Wagramerstraße 19/33, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 27. April 2017,

1. W226 2127780-1/7E, 2. W226 2147521-1/5E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat den revisionswerbenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Die revisionswerbenden Parteien sind ein aus Usbekistan stammendes Ehepaar.

2 Der Erstrevisionswerber stellte am 6. Oktober 2013 einen Antrag auf internationalen Schutz. Zu seinen Fluchtgründen gab er im Wesentlichen an, dass er von einer terroristischen Gruppierung mit dem Tode bedroht und verfolgt werde. Darüber hinaus würden ihn die usbekischen Behörden auf Grund einer ihm unterstellten Zugehörigkeit zu islamistischen Terroristen verfolgen.

3 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) wies den Antrag des Erstrevisionswerbers mit Bescheid vom 2. Mai 2016 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status als subsidiär Schutzberechtigter ab. Das BFA erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung nach Usbekistan zulässig sei. Die Frist zur freiwilligen Ausreise wurde mit 14 Tagen festgesetzt.

Das BFA bewertete das Fluchtvorbringen des Erstrevisionswerbers als nicht glaubhaft. Die usbekischen Behörden seien laut Anfragebeantwortung der Staatendokumentation für das besonders harte Vorgehen gegen islamistische Gruppierungen und Terroristen bekannt, weswegen eine Verfolgung durch terroristische Milizen nicht glaubhaft sei.

4 Dagegen richtete sich die Beschwerde des Erstrevisionswerbers vom 30. Mai 2016.

5 Die Zweitrevisionswerberin stellte am 2. August 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Sie habe Usbekistan auf Grund der Probleme ihres Mannes verlassen. Nach seiner Ausreise seien unbekannte Männer zu ihr nach Hause gekommen und hätten nach ihrem Mann gefragt. Ihre Schwiegereltern hätten aus Angst um sie beschlossen, auch sie wegzuschicken.

6 Mit Bescheid vom 13. Jänner 2017 wies das BFA den Antrag der Zweitrevisionswerberin sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status als subsidiär Schutzberechtigte ab. Es wurde kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung nach Usbekistan zulässig sei.

Das BFA begründete dies damit, dass sich die Zweitrevisionswerberin bei der Darstellung ihrer Fluchtgründe bloß auf das Aufstellen von äußerst vagen und abstrakten Behauptungen beschränkt habe, weswegen eine Verfolgung nicht glaubhaft sei. Im Falle einer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung liefe sie keine Gefahr, einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe ausgesetzt zu sein. Es befinde sich lediglich ihr Ehemann in Österreich, dessen Antrag auf internationalen Schutz gerade im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht geprüft werde.

7 Gegen diesen Bescheid wendete sich die Zweitrevisionswerberin mit Beschwerde vom 1. Februar 2017, in der sie unter anderem ausführte, dass der Erstrevisionswerber in Usbekistan verfolgt werde. Sie habe daher Angst vor einer Kollektivbestrafung als Familienangehörige eines mutmaßlichen Terroristen. Auch sei sie nicht genau zu ihrer Ausreise befragt worden, obwohl dies wegen der Strafbarkeit einer illegalen Ausreise notwendig gewesen wäre. Hätte das BFA aktuelle Länderberichte herangezogen, hätte es zur Feststellung kommen müssen, dass Personen, die nach illegaler Ausreise und Asylantragstellung im Westen zurückkehren, in ganz Usbekistan Verfolgung drohe.

8 Das Bundesverwaltungsgericht wies - nachdem es bereits am 10. November 2016 im Verfahren des Erstrevisionswerbers eine mündliche Verhandlung durchgeführt hatte - mit Erkenntnis vom 27. April 2017 die Beschwerden beider revisionswerbenden Parteien ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

Das Bundesverwaltungsgericht führte begründend aus, die vom Erstrevisionswerber behauptete Bedrohung durch Islamisten bzw. Behörden im Herkunftsstaat sei als unglaubwürdig zu werten. Es könne daher keine Verfolgung des Erstrevisionswerbers und der Zweitrevisionswerberin im Herkunftsstaat festgestellt werden. Auch werde den revisionswerbenden Parteien bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat keine Verfolgung drohen. Die Angaben des Erstrevisionswerbers im Verfahren seien völlig unglaubwürdig und absurd, weswegen diese der rechtlichen Beurteilung nicht zugrunde gelegt werden könnten. Die Angaben der Zweitrevisionswerberin in ihrer Einvernahme vor der belangten Behörde seien ebenfalls unglaubwürdig, weil diese vage und widersprüchlich seien und den Aussagen des Erstrevisionswerbers in der mündlichen Verhandlung widersprechen würden.

9 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen dieses Erkenntnis erhobenen Revisionen nach Einleitung des Vorverfahrens - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

10 Die Revisionen bringen zu ihrer Zulässigkeit im Wesentlichen vor, das Bundesverwaltungsgericht sei mit seiner Entscheidung in mehreren Punkten von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen. Dies treffe in Hinblick auf die gebotene Aktualität von Länderberichten, aber auch hinsichtlich der unterbliebenen mündlichen Verhandlung in Bezug auf die Zweitrevisionswerberin zu.

11 Die Revisionen sind zulässig und auch begründet. 12 Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung

unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind zur Beurteilung, ob der Sachverhalt im Sinn dieser Bestimmung "geklärt erscheint", folgende Kriterien beachtlich:

Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die maßgebliche Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht muss die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen (vgl. grundlegend VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017 und 0018, sowie aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 22.11.2017, Ra 2017/19/0177, mwN).

13 Diesen in der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätzen hat das Bundesverwaltungsgericht in Bezug auf die Zweitrevisionswerberin nicht entsprochen:

14 So erweist sich die Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes, wonach in Bezug auf die Zweitrevisionswerberin ein geklärter Sachverhalt vorliege, bereits deshalb als unzutreffend, weil es die Aussagen des Erstrevisionswerbers aus der mündlichen Verhandlung vom 10. November 2016 herangezogen hat, um die Unglaubwürdigkeit der Zweitrevisionswerberin ergänzend zu begründen. Damit hat es die verwaltungsbehördliche Beweiswürdigung nicht bloß unwesentlich ergänzt. Das Bundesverwaltungsgericht legte auch nicht dar, warum hinsichtlich des Erstrevisionswerbers eine mündliche Verhandlung abzuhalten war, im Fall der Zweitrevisionswerberin hingegen von einem geklärten Sachverhalt ausgegangen werden konnte.

15 Zudem hat die Zweitrevisionswerberin den vom BFA festgestellten Sachverhalt nicht bloß unsubstantiiert bestritten, indem sie zu einzelnen Aspekten, etwa in Zusammenhang mit der behaupteten illegalen Ausreise, ein nicht unmaßgebliches ergänzendes Vorbringen erstattete. Das Bundesverwaltungsgericht hätte sich daher einen persönlichen Eindruck von der Zweitrevisionswerberin im Rahmen einer mündlichen Verhandlung verschaffen müssen.

16 Das angefochtene Erkenntnis erweist sich auch in Bezug auf den Erstrevisionswerber als rechtswidrig:

17 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist von den Asylbehörden zu erwarten, dass sie insoweit, als es um Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat als Grundlage für die Beurteilung des Vorbringens von Asylwerbern geht, von den zur Verfügung stehenden Informationsmöglichkeiten Gebrauch machen und insbesondere Berichte der mit Flüchtlingsfragen befassten Organisationen in die Entscheidung einbeziehen. Das gilt auch für von einem Verwaltungsgericht geführte Asylverfahren. Folglich hat das Bundesverwaltungsgericht seinem Erkenntnis die zum Entscheidungszeitpunkt aktuellen Länderberichte zugrunde zu legen. Bei instabilen und sich rasch ändernden Verhältnissen im Herkunftsstaat können auch zeitlich nicht lange zurückliegende Berichte ihre Aktualität bereits verloren haben (vgl. zu alldem: VwGH 18.10.2017, Ra 2017/19/0141, mwN).

18 Wie sich aus dem angefochtenen Erkenntnis ergibt, stammen die jüngsten Berichte, auf die sich das Bundesverwaltungsgericht stützt, aus den Jahren 2013 und 2014. Die Revision verweist auf zeitlich danach liegende Berichte, die Ausführungen zur Lage von Personen enthalten, die nach illegaler Ausreise und Asylantragstellung im Westen zurückkehren. Es ist sohin nicht ausgeschlossen, dass das Bundesverwaltungsgericht im Fall des Heranziehens von Berichten mit hinreichender Aktualität zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können.

19 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

20 Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 47 ff in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 24. Mai 2018

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017190202.L00

Im RIS seit

28.06.2018

Zuletzt aktualisiert am

23.07.2018
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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