Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 13. Juni 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Oshidari und Dr. Michel-Kwapinski in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Sinek als Schriftführerin in der Strafsache gegen Monika U***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des Hochverrats nach §§ 15 Abs 1, 12 zweiter Fall, 242 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 14 Hv 39/18w des Landesgerichts für Strafsachen Graz, über die Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten Jakob S***** gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz vom 18. April 2018, AZ 9 Bs 144/18x (ON 1962 des Hv-Aktes), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Jakob S***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.
Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.
Text
Gründe:
Mit am 13. April 2018 beim Landesgericht für Strafsachen Graz als Geschworenengericht eingebrachter Anklageschrift (ON 1958) legt die Staatsanwaltschaft Jakob S***** (und elf weiteren Angeklagten) ein als Verbrechen des Hochverrats nach §§ 15 Abs 1, 12 zweiter Fall, 242 Abs 1 StGB beurteiltes Verhalten und weitere Straftaten zur Last.
Mit Beschluss vom 9. April 2018, AZ 24 HR 11/18f (ON 1944), setzte das Landesgericht für Strafsachen Graz die über Jakob S***** am 22. April 2017 (ON 682) verhängte Untersuchungshaft gemäß § 173 Abs 6 StPO iVm § 173 Abs 1 und 2 Z 1 und Z 3 lit a und lit b StPO fort. Seiner dagegen erhobenen Beschwerde (ON 1955) gab das Oberlandesgericht Graz mit dem angefochtenen Beschluss vom 18. April 2018, AZ 9 Bs 144/18x (ON 1962), nicht Folge und setzte die Haft gemäß „§ 173 Abs 6“ StPO fort.
Dabei erachtete das Beschwerdegericht (BS 2 ff) Jakob S***** als dringend verdächtig, in B***** und an anderen Orten
1./ sich ab zumindest Mai 2016 bis zu seiner Festnahme am 20. April 2017 im „Staatenbund Österreich“, sohin in einer Verbindung, deren wenn auch nicht ausschließlicher Zweck es ist, auf gesetzwidrige Weise die Unabhängigkeit, die in der Verfassung festgelegte Staatsform oder eine verfassungsmäßige Einrichtung der Republik Österreich oder eines ihrer Bundesländer zu erschüttern, führend betätigt, für sie Mitglieder geworben und sie in erheblicher Weise unterstützt zu haben, indem er
- als „Waisenrat“ (gemeint: Weisenrat) und „Vizepräsident des Staatenbundes Österreich“ auftrat und als solcher Einfluss auf die Entscheidungen des „Staatenbundes Österreich“ nahm,
- das „Staatliche Völkerrecht-Gericht der Allgemein gültigen Rechtsprechung für die Völkerrechtssubjekte Staat Steiermark und Staat Kärnten“, das „Haus der Schöpfung“ und die „Häuser der Fülle“ sowie die „Staaten“ Oberösterreich, „Wien der Herzen“ und Vorarlberg mitbegründete,
- bei einer Vielzahl von Rekrutierungs-veranstaltungen und Stammtischen Vorträge hielt und neue Mitglieder warb,
- im Namen des „Staatenbundes Österreich“ Urkunden ausstellte und sich als Richter für den ersten geplanten Prozess des Völkerrecht-Gerichts am 21. April 2017 zur Verfügung stellte;
2./ Mitglieder des Österreichischen Bundesheers dazu zu bestimmen versucht zu haben, mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt die Verfassung der Republik Österreich oder eines ihrer Bundesländer zu ändern, indem er
- am 22. August 2016 gemeinsam mit Monika U***** 27 von dieser verfasste Haftbefehle gegen aktive und ehemalige Mitglieder der Bundesregierung und der Landesregierungen samt einem an das Österreichische Bundesheer – G*****, Militärstreife und Militärpolizei, *****, ***** Christian R*****, adressierten Schreiben, in dem das Österreichische Bundesheer aufgefordert wurde, eine militärische Übergangsregierung zu bilden und alle Schlüsselpositionen zu besetzen, persönlich in der ***** übergab,
- am 21. Jänner 2017 gemeinsam mit Monika U*****, Gerhard B*****, Josef W*****, Hannes F*****, Gerhard Ro*****, Erika E*****, Werner En***** und Andreas T***** ein an das Bundesministerium für Landesverteidigung und Sport, zH Herrn ***** Mag. O***** C***** adressiertes Schreiben mit dem Betreff „Militärische Übergangsregierung, ausständige Inhaftierungen, Staatswährung“ verfasste, in welchem sie neuerlich darauf hinwiesen, dass der „Staatenbund Österreich“ beim Militärkommando Steiermark über 100 Haftbefehle eingebracht habe, und ihn aufforderten, für einen reibungslosen Übergang zu sorgen, alle Schlüsselpositionen zu besetzen und eine militärische Übergangsregierung zu schaffen, und dieses Schreiben am 23. Jänner 2017 an ***** Mag. O***** C***** sowie an ***** Mag. Heinz Z***** und an ***** Mag. (FH) P***** mit dem Ersuchen um deren „Beitrag zu den geforderten Aktivitäten“ übersendete.
Dieses Verhalten subsumierte das Oberlandesgericht den Verbrechen der staatsfeindlichen Verbindung nach § 246 Abs 2 erster, zweiter und vierter Fall StGB (1./) und des Hochverrats nach §§ 12 zweiter Fall, 15 Abs 1, 242 Abs 1 StGB (2./; vgl dazu Salimi/Tipold SbgK § 242 Rz 39).
Begründend verwies (vgl RIS-Justiz RS0124017 [T2 bis T4, T6]) das Beschwerdegericht (BS 4) auf seine Ausführungen in konkret bezeichneten früheren Haftbeschlüssen und die unverändert gebliebene dringende Verdachtslage (zum dringenden Tatverdacht siehe insb S 4 bis 8 des Beschlusses des Oberlandesgerichts Graz vom 6. Juni 2017, AZ 9 Bs 151/17z, 9 Bs 178/17w [ON 1031]).
Fluchtgefahr nach § 173 Abs 2 Z 1 StPO könne
– aufgrund der ablehnenden Haltung des Beschwerdeführers gegenüber den von ihm nicht anerkannten Justizbehörden sowie der ihm bei verdachtskonformer Verurteilung drohenden Strafe (trotz seines ordentlichen Wohnsitzes und seiner sozialen Integration im Inland) – weiterhin nicht ausgeschlossen werden (S 4 iVm S 9 des Beschlusses ON 1031 und S 4 des Beschlusses des Oberlandesgerichts Graz vom 2. November 2017, AZ 9 Bs 366/17t [ON 1637]). Tatbegehungsgefahr gemäß § 173 Abs 2 Z 3 lit a und lit b StPO liege vor, weil dem Beschwerdeführer die planvolle Begehung von schwerwiegenden Verbrechen mit schweren Folgen und die fortgesetzte Tatbegehung zur Last liege, er von den staatsfeindlichen Zielen der Verbindung nach wie vor überzeugt sei und an einer fanatisch-querulatorischen Persönlichkeitsstörung leide, die mit hoher Wahrscheinlichkeit die Begehung gegen das Rechtsgut des Staates gerichteter Straftaten mit schweren Folgen erwarten lasse, was auch durch seine Angaben in der Haftverhandlung vom 16. Februar nicht in Frage gestellt werde (BS 4 f iVm S 9 des Beschlusses ON 1031, S 4 des Beschlusses ON 1637 und S 4 f des Beschlusses des Oberlandesgerichts Graz vom 8. März 2018, AZ 9 Bs 82/18d [ON 1891]). Mit Blick auf das Gewicht der Tatbegehungsgefahr könne deren effektiver Hintanhaltung durch gelindere Mittel nicht begegnet werden. Auch eine Unverhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft sei angesichts der Schwere der Tatvorwürfe nicht auszumachen (BS 4 f).
Rechtliche Beurteilung
Die gegen die Annahme des dringenden Tatverdachts, des Vorliegens der Haftgründe und der Verhältnismäßigkeit der Haftdauer gerichtete Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten Jakob S***** (ON 1975) versagt.
Gemäß § 1 Abs 1 GRBG ist die Grundrechtsbeschwerde an den Obersten Gerichtshof nur nach Erschöpfung des Instanzenzugs zulässig. Das ist dann der Fall, wenn alle in Betracht kommenden Vorinstanzen angerufen wurden (vertikale Erschöpfung) und in den jeweiligen Verfahren die Grundrechtsverletzung zumindest der Sache nach vorgebracht wurde (horizontale Erschöpfung; vgl zum Ganzen RIS-Justiz RS0114487; Hinterhofer/Oshidari, Strafverfahren Rz 11.95). Soweit der Beschwerdeführer den erstgerichtlichen Beschluss kritisiert, nimmt er an diesen Anfechtungskriterien nicht Maß. Gleiches gilt für den von der Grundrechtsbeschwerde in Frage gestellten dringenden Tatverdacht und die Behauptung der „Rechtswidrigkeit [der Haft] wegen Überschreitung der in § 178 Abs 2 StPO normierten 6-Monats-Frist“. Denn die der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegende Haftbeschwerde (ON 1955) hatte sich ausschließlich gegen die Annahme des Vorliegens von Haftgründen gerichtet.
Bleibt daher nur mehr klarstellend anzumerken, dass die Beschwerde die Verdachtsannahmen des Oberlandesgerichts nicht nach Maßgabe der Kriterien der Z 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO in Frage stellt und daher auch insoweit an den Anfechtungsvoraussetzungen einer Grundrechtsbeschwerde scheitern würde (RIS-Justiz RS0110146). Weshalb hier die Ermittlungen nicht die in § 178 Abs 2 StPO beschriebene Komplexität aufweisen sollen, wird ebenfalls nicht klar. Das Vorbringen in Bezug auf angeblich unangebrachte Verzögerungen des Ermittlungsverfahrens (§§ 9 Abs 2, 177 Abs 1 StPO) erschöpft sich schließlich in einer unsubstantiierten Behauptung.
Eine unrichtige Beurteilung eines Haftgrundes liegt nur dann vor, wenn die Prognose willkürlich getroffen wurde, also unvertretbar war (RIS-Justiz RS0117806; Hinterhofer/Oshidari, Strafverfahren Rz 11.98). Ausgehend von diesen Kriterien erweisen sich die Erwägungen des Oberlandesgerichts (BS 4 iVm S 9 des Beschlusses ON 1031 und S 4 des Beschlusses des Oberlandesgerichts Graz vom 2. November 2017, AZ 9 Bs 366/17t [ON 1637]), wonach Fluchtgefahr mit Blick auf die ablehnende Haltung des Beschwerdeführers gegenüber den von ihm nicht anerkannten Justizbehörden sowie der ihm bei verdachtskonformer Verurteilung drohenden Strafe (trotz seines ordentlichen Wohnsitzes und seiner sozialen Integration im Inland) nicht auszuschließen sei (§ 173 Abs 6 StPO iVm § 173 Abs 2 Z 1 StPO), als einwandfrei. Die unterbliebene Berücksichtigung von weiteren aus Sicht des Beschwerdeführers erörterungsbedürftigen Umständen kann nicht releviert werden (RIS-Justiz RS0120458).
Schon aufgrund der erfolglos bekämpften Annahme von Fluchtgefahr ist die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft nicht zu beanstanden (vgl RIS-Justiz RS0061196).
Bleibt nur der Vollständigkeit halber anzumerken, dass das Beschwerdegericht auch den Haftgrund der Tatbegehungsgefahr (§ 173 Abs 2 Z 3 lit a und lit b StPO) durch Hinweis auf die Ausführungen der psychiatrischen Sachverständigen, die auch durch die wiederholt hervorgehobenen Angaben des Beschwerdeführers in der Haftverhandlung vom 16. Februar 2018 nicht ernstlich in Frage gestellt werden (BS 4 f iVm S 4 des Beschlusses ON 1637 und S 4 f des Beschlusses des Oberlandesgerichts Graz vom 8. März 2018, AZ 9 Bs 82/18d [ON 1891]), willkürfrei herangezogen hat.
Soweit sich der Beschwerdeführer auf die Erreichbarkeit der Haftzwecke durch – im Übrigen nicht konkret bezeichnete (vgl aber RIS-Justiz RS0116422) – gelindere Mittel beruft, fehlt es (zufolge fehlender Geltendmachung in der Haftbeschwerde ON 1955) erneut an der Ausschöpfung des Instanzenzugs.
Textnummer
E121822European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:0120OS00064.18F.0613.000Im RIS seit
27.06.2018Zuletzt aktualisiert am
27.06.2018